Der einzige Weg, dies zu ändern, besteht darin, dass das tunesische Volk sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt
Interview mit Genossen Hamma Hammadi
auszugsweise übersetzt von Jens-Torsten Bohlke
auf Kommuniste n-online am 15. Januar 2011 – Genosse Hamma Hammadi ist der Sprecher der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens und Redakteur der seit 1990 verbotenen Zeitung Al Badil („Die Alternative“), welcher 10 Jahre in den Kerkern der Bourguiba und Ben Alis verbringen mußte und anschließend weitere 10 Jahre im Untergrund lebte und tätig war. Stets bereit zu kämpfen und zu siegen, seinen Gegnern zu trotzen. Wie er seine Angst vor einem Scheitern überwand? Er hatte nichts außer Schulden und somit nichts zu verlieren außer Zeit. Er entschied sich für den Kampf auf Leben und Tod. Und so kam er schließlich wieder heraus aus dem politischen Untergrund und gab am 17. Oktober 2009 dieses Interview.
Auf dem Flughafen von Karthago schlugen ihn die Büttel des Regimes zusammen. Er wurde massakriert und beschuldigt, ein Raufbold zu sein. Viele Jahre hatten sie ihn gesucht und zum gefährlichen Verbrecher und Staatsfeind Nummer 1 in Tunesien gestempelt. Wiederholt prangerte er Ben Ali und dessen Komplizen in aller Welt über Al Jazeera an.
F: Wollen Sie an den Präsidentschaftswahlen 2009 teilnehmen?
Genosse Hammami: Es wird gar keine geben. Es gibt einfach eine Volksabstimmung. Wer kann den Sieg des Generals mit fast 100% anzweifeln?
Seit dem Putsch vom 7. November 1987, dessen Urheber Ben Ali war, bleibt dieser Diktator Tunesiens Präsident auf Lebenszeit. Die drei anderen Kandidaten wurden von Ben Ali benannt. Das ist nichts weiter als Kosmetik.
Weder politisch noch rechtlich werden derzeit freie und transparente Wahlen ermöglicht. Hinter den Kulissen des pluralistisch sich gebenden Regimes tut Ben Ali alles, um das tunesische Volk und die demokratischen Kräfte zu erdrosseln. Die politische Polizei übt terroristisch die Herrschaft in der Gesellschaft aus. Die Justiz hat sich den Machthabern unterworfen und wird ständig benutzt, um politische Gegner, Gewerkschafter, Aktive und Menschenrechtler auszuschalten. Gleichzeitig gibt es Straffreiheit für Folterer und Mafiosi der Königsfamilie. Die Aktivitäten der Oppositionsparteien, von unabhängigen Vereinigungen und sonstigen Organisationen oder Personen rebellischer Art werden gewaltsam verboten. Die Meinungsfreiheit wird systematisch mißachtet. Die Massenmedien werden stark kontrolliert, Journalisten durch Berufsverbotsandrohung zum Schweigen gebracht bzw. eingeschüchtert, verfolgt und tätlich angegriffen.
Kürzlich veranstalteten Handlanger von Ben Ali einen Putsch gegen den demokratisch gewählten Vorstand der Nationalvereinigung der Journalisten. Unter all diesen Bedingungen sind die Worte von Ben Ali über freie und transparente Wahlen blanker Hohn. Der Diktator will die Weltöffentlichkeit über den wahren Willen des tunesischen Volkes und seiner demokratischen Kräfte täuschen. Er führt sich auf wie ein kleiner Goebbels und hat bei all dem keinen Mangel an Mitteln, denn finanzieren kann er sich großteils aus den Kassen des Staates und den öffentlichen Mitteln. So bedient er sich Kampagnen von Telegrammen, um Dankbarkeit für sein angeblich karitatives Wirken seitens politischer Organisationen, Vereine, Kulturschaffender, der Landwirtschaft und der Sportler des Landes vorzugaukeln oder ein Spektakel seiner Marionetten in Gestalt von Unternehmern und Gewerkschaften aufzuführen, welche eine pluralistisch anmutende angeblich moderne Einrichtung für Ben Ali und seiner Herrschaftsclique abgeben sollen.
Ben Ali kauft sich Artikel in der internationalen und einheimischen Presse und zahlt große Werbe-Anzeigen, um mit großem Tamtam Beweise für die Fortschritte Tunesiens unter Führung eben dieses Präsidenten zu konstruieren. Auszeichnungen und Medaillen für ausländische Organisationen werden oft nur zu dem Anlaß geschaffen, um sich dafür Lob und ständige Unterstützung für das Regime von Ben Ali zu erkaufen, ihn als Wahrer von humanitären Zielen und Menschenrechten in Tunesien und in der ganzen Welt darzustellen. Es wird vor nichts zurückgeschreckt, um die die Situation in Tunesien unter Ben Ali zu verschleiern und glauben zu machen, dass es absolut Konsens für ihn und die Fortsetzung mit seiner Person an der Spitze des Staates wegen angeblich allgemeinem Beifall für ihn gibt.
Diese Wahlen sollen legal sein? Die Rechtsinstrumente namens Präsidentschaftswahlen und Gesetze sind darauf abgestimmt sicherzustellen, dass Ben Alis Präsidentschaft lebenslänglich währt. Verfassungsgemäße Bedingungen können von dem Präsidentschaftskandidaten Ben Ali nicht erfüllt werden. (...)
Diese Wahlmaskerade bringt dem tunesischen Volk keinen Vorteil, weil ihm die Freiheit und alle Grundrechte entzogen bleiben. Das dient nur einer Handvoll Familien um Ben Ali wie seiner eigenen, den Trabelsi, den Matri die Mzabi die Oukil, M. Hiri, die Marbouk usw. Über sie hält er die Hand, unter ihrem Schutz sammelt er einen großen Teil des von den Menschen erarbeiteten Reichtums. Ben Ali hat laut Forbes ein geschätztes Vermögen von 500 Millionen Dollar bis 2007 angehäuft.
Die Demokratie ist der furchtbare Feind all dieser Ausplünderer. Sie fürchten jede Kritik, jede Verurteilung. Deshalb gibt es weder freie Presse noch unabhängige Justiz noch demokratische Wahlen oder deren Willen dazu.
Heute wird der Zerfall der Diktatur und ihre Isolierung unter den sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise immer offensichtlicher. Die Ben Ali überleben sich immer mehr. Da steht die Frage nach der Nachfolge an. Die Machtausübung wird immer repressiver. Der brutale Charakter der staatlichen Polizei tritt immer deutlicher zutage. Selbst die sich über die bevorstehenden Wahlen täuschen lassenden Menschen erkennen an, dass die Atmosphäre im Lande immer finsterer geworden ist, wenn wir es mit früheren Wahlen vergleichen.
Nicht zu vergessen ist bei all dem, dass Ben Ali und seine Bande den Schutz und die Unterstützung der westlichen Regierungen Frankreichs, der USA, Italiens usw. genießt. In Tunesien beteiligen sich über 3000 ausländische Firmen an der Ausplünderung der Reichtümer des Landes und an der Ausbeutung der Arbeiter. Diese ausländischen Unternehmen verbieten tunesischen Arbeitskräften die Wahrnehmung aller Grundrechte. Sie erfordern ein diktatorisch vorgehendes Regime zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung und völligen Ausbeutung der tunesischen Arbeitskräfte.
Sarkozy feierte all dies 2007 mit Ben Ali als Demokratie. Berlusconi hieß erst kürzlich Ben Ali als seinen Freund willkommen. Die westlichen Regierung begrüßen es, dass eine diktatorische Macht in Tunesien ihre Interessen im Land und in der Region bedient. (...)
Wir riefen zum Boykott dieser Wahlfarce und zum Kampf für eine echte demokratische Wahl auf. Der Wechsel kann nur Werk des tunesischen Volkes sein. Es geht um ein politisches Programm zur Überwindung der Grundlagen der Diktatur, die Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung. Dies als Grundlage für eine demokratische Republik Tunesien.
Heute setzt die Abhaltung freier Wahlen zunächst voraus, die lebenslange Präsidentschaft zu beenden. Ben Ali muß weg! Zweitens müssen alle Einschränkungen der Freiheit der Kandidatur entfernt werden. Drittens muß den Menschen die Freiheit gegeben werden, dass sie ihre eigenen Vertreter frei wählen können. (...)
Bei den Parlamentswahlen gibt es keine Unterschiede zu den Präsidentschaftswahlen. Politisch und rechtlich passiert da dasselbe. Wir wissen vorher, dass die RCD als Partei von Ben Ali 75% der Sitze gewinnen wird. Die übrigen 25% der Sitze werden dann wie immer durch den Präsidentenpalast auf die anderen Parteien der gewünschten politischen Landschaft verteilt, wobei es nur nach dem Grad an Loyalität geht. Freiheit gibt es also auch bei der Parlamentswahl nicht.
Die Verwaltung im Solde von Ben Ali filtert die Listen der anerkannten Parteien mit Schwerpunkt auf jene, die eine Zeile radikaler gegen das Regime sprachen. Unerwünschte Personen werden mit lächerlichen Vorwänden abgelehnt. Der Wahlkampf oppositioneller Parteien wird tausendfach behindert und gewaltsam verboten und unterdrückt. Berichterstattung in den Medien über oppositionelle Parteien findet so gut wie gar nicht statt. Fernseh-Spots der nicht loyalsten Parteien erscheinen zu Zeiten, in denen es garantiert nur sehr wenige Zuschauer gibt. Nicht selten wird einfach ihre Ausstrahlung abgebrochen. (...)
Kurz gesagt, alles ist darauf ausgerichtet, dass die Partei von Ben Ali ihre Hegemonie über die Abgeordnetenkammer behält, die Mitglieder dieser Kammer handverlesene Leute von Ben Ali sind, Berater und Mitglieder der anderen Kammer direkt vom Präsidenten ernannt werden. (...)
Die Wirtschaftskrise lastet schwer auf den Massen. Viele Betriebe sind geschlossen. Die Preise steigen rasant. Die öffentlichen Dienstleistungen verschlechtern sich immer mehr. In dieser Lage wollen junge Leute mit ihren Träumen illegal nach Europa, setzen sich tödlichem Risiko auf dem Mittelmeer aus und landen schließlich in Haftanstalten am anderen Ufer. Drogen, Kriminalität und insbesondere Diebstahl sind zu Geißeln der Gesellschaft geworden und betreffen vor allem junge Menschen. Für normale Arbeitende und selbst die kleinen Beamten und Kleinbauern ist es immer schwieriger geworden, ein halbwegs normales Leben zu führen. Immer häufiger sind sie gezwungen, einen zweiten Job zu suchen. Die Zeichen von Armut und Verelendung sind immer unübersehbarer geworden.
Der Aufstand im Gafsa-Bergbaubecken im Süden des Landes gegen die Massenarbeitslosigkeit, Armut und Korruption wurde brutal niedergeschlagen. Mindestens vier Jugendliche wurden von der Polizei getötet, Dutzende verletzt, hunderte Demonstrierende verhaftet, gefoltert und vor Gerichten scheinrechtlich verurteilt zu hohen Strafen. Die wichtigsten Anführer der Massenproteste, größtenteils Jugendliche und Gewerkschafter, sind immer noch unter übelsten Bedingungen in Gefängnissen.
Helfen Rechtsmittel gegen den Diktatur Ben Ali? Es gibt ihn nicht als völlig alleingelassenen Diktator. In den 53 Jahren seit der Unabhängigkeit Tunesiens waren nur zwei Präsidentschaftsdiktatoren und eine Partei an der politischen Macht. Der einzige Weg, dies zu ändern, besteht darin, dass das tunesische Volk sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt. (...)
Quelle: Taoufik Ben Brik
http://tempsreel.nouvelobs.com/
Hervorhebungen von Jens-Torsten Bohlke
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