Der Sozialstaat auf der Kippe?
Von whs
Arbeiterkorrespondenz auf Kommunisten-online vom 12. März 2010 – Dazu wäre zunächst einmal die Frage zu stellen, was ist überhaupt noch übrig, vom viel gepriesenen Sozialstaat. Allzu viel ist es nicht mehr. Aber gehen wir der Reihe nach vor.
Die Hohepriester der Neoliberalen zogen wieder einmal durch die deutschen Wohnzimmer. Es ist schon komisch, obwohl alle, die im Publikum sitzen, wissen, was von denen kommt, ist nur heiße Luft, wird geklatscht. Sitzen tatsächlich so viele Neureiche in den deutschen Talk-shows? Es begann am Sonntag mit Frau Will und endete erst Mal gestern mit Herrn Plasberg. Bei Frau Will ging es um die Kopfpauschale, bei Herrn Plasberg wieder mal um HARTZ IV.
Beginnen wir mit der Kopfpauschale. Ein sehr rühriger Herr Bahr von der FDP versuchte, die Kopfpauschale schmackhaft zu machen. Er betonte auch gleich zu Anfang, dass jemand, der sich die Prämie nicht leisten kann, einen Ausgleich vom Staat erhält. Auf z. T. hartnäckige Nachfragen, wo denn das Geld her kommen solle, wusste Herr Bahr keine rechte Antwort, zumal ja die FDP nach wie vor an ihrer Steuersenkung für Reiche fest hält. Er betonte auch, dass Geld da sei, damit würden z. Zt. die Löcher gestopft. Er wolle es lieber für ein neues System verwenden. Nun stellt sich mir die Frage, womit Herr Bahr die Löcher in seinem Modell stopfen will. Es wird Geld fehlen und zwar zumindest in Millionenhöhe. Dazu soll aus dem Steueraufkommen „sozial gerecht“ die Kopfpauschale für untere Einkommensgruppen subventioniert werden. Dazu kommt dann noch die Steuersenkung, die die FDP immer noch verlangt. Entweder kann Herr Bahr nicht rechnen oder seine Kritiker können nicht rechnen. Ersteres erscheint mir wahrscheinlicher.
Damit die Bevölkerung den Brocken nicht auf einmal fressen muss, will Herr Bahr die Kopf-pauschale in kleinen Schritten einführen. Wie das gehen soll, erschließt sich einem schlichten Gemüt wie mir schlechterdings nicht. Herr Bahr konnte es auch nicht erklären, d.h. er machte sich noch nicht einmal die Mühe, seine Perlen unter die Säue zu werfen. Es erschließt sich mir auch nicht, warum gerade sein System transparenter sein soll, als das jetzige. Es sei denn, die FDP plant eine Streichung von Leistungen, die die Kassen zu bezahlen haben. Über meine private Kasse (Geldbeutel) muss ich dann die anderen Leistungen bezahlen. Dann sind wir endlich ganz dort, wo die FDP offensichtlich hin will, beim Zwei-Klassen-Gesundheits-system.
Die Arzneimittelpreise spielten ebenfalls noch eine Rolle. Dazu passt auch die heutige Meldung in der Tagespresse, dass unser Pharmavertreter den Pharmaunternehmer ganz enge Zügel anlegt. So sollen die Pharmaunternehmen mit den Kassen die Preise aushandeln. Wenn nach zwei Jahren (man bemerke: nach zwei Jahren!) kein Nutzen für ein neues Medikament nachgewiesen ist, soll der Preis neu verhandelt werden. Und auch dann soll erst das IQWiG tätig werden. Die einzige Instanz in Deutschland, die zumindest bei der Wirksamkeit neuer Präparate genauer hinschaute, hat der Pharmavertreter entmannt und zur Gespielin der Pharmakonzerne degradiert. Da passt es denn auch, dass die Vertreterin der Pharmaindustrie die „niedrigen“ Profitraten beklagte. Denn immerhin gehen „nur“ 50 % des Preises an die Pharmaunternehmen. Andere Betriebseigentümer dürften jetzt glänzende Augen bekommen, wenn sie an die eigene Profitrate denken, die weit darunter liegt.
Zu diesem ganzen Geseiere kommt dann noch die unsägliche Debatte zu HARTZ IV. Bei Plasberg durfte sich wieder einmal Herr Lindner profilieren, Mitglied der FDP und MdB. Er stößt natürlich voll in Herrn Westerwelles Trompete.
Nun, heraus gekommen ist, dass kein zusätzliches Geld an Leute in HARTZ IV verteilt werden sollte. Der Tenor, es wird ja eh nur verraucht und versoffen, wurde zwar nicht offen ausgesprochen, schwang aber unterschwellig immer mit. Das Geld sollte direkt bei den Kindern ankommen, zum Teil über Gutscheine, die in der Schule eingelöst werden können. Ich frage mich, welches Kind löst in der Schule Gutscheine des Staates ein und outet sich damit als Angehöriger einer Familie, die von HARTZ IV lebt? Wissen unsere Politiker überhaupt, was sie da von Chancengleichheit erzählen?
Der zweite Vorschlag hieß, mit diesem Geld die Ausstattung der Schulen zu verbessern, freie Lernmittel zur Verfügung zu stellen, freie Musikinstrumente und freie Computerarbeits-plätze, die auch in der Freizeit genutzt werden können. Aber da ergibt sich schon wieder das Problem des sozialen Ansehens, obwohl in meinen Augen dieser Vorschlag weitaus bessere Erfolgschancen hätte. Meine Befürchtung ist allerdings, dass alles ausgeht wie das Hornberger Schießen.
Nochmals zu Gast war Frau Weimar, deren Tochter in den Ferien arbeitete, um sich vom verdienten Geld eine Bassgitarre zu kaufen. Die Mutter ist Aufstockerin und durfte die ca. 330 € an das Arbeitsamt zurückzahlen. Damals wurde ihr schnelle Hilfe versprochen, unter anderem von FDP und CDU. Einspielungen der Redaktion von Bundestagssitzungen zeigten, dass gerade diese zwei Parteien laufend mögliche Veränderungen in dieser Richtung blo-ckierten. Auf die Frage an Frau Weimar, ob sie denn Politikern noch Glauben schenke, ant-wortete sie mit einem klaren Nein. Betroffenheit auf den Gesichtern von Frau Kraft und Herrn Lindner suchte ich nach dieser Aussage vergebens.
Vielleicht erwarte ich zu viel von unseren Politikern. Ich werde mich ändern. Oder lieber doch nicht?
Rot Front
Werner
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