Sonntag, 9. August 2015

Fatale »Europhorie« Die deutsche Linke macht sich nach wie vor große Illusionen über den Charakter der Syriza-Regierung und nimmt die Positionen der KKE nicht zur Kenntnis

Von Thanasis Spanidis Quelle: junge Welt vom 5. August 2015 Am 18. Juli erschien auf den jW-Themaseiten der Beitrag »Etappenschlappe« von Thomas Sablowski. Darin analysierte der Autor die Niederlage der Syriza-Regierung. Den Einschätzungen Sablowskis, insbesondere zur Haltung der Linken zur EU, widersprach zum Teil Andreas Wehr in seinem Artikel »Putsch in der Syriza« vom 28.7. An dieser Stelle nimmt nun auch Thanasis Spanidis Bezug auf den Text von Sablowski und erweitert die Debatte um die Positionen der KKE. Spanidis ist politischer Aktivist und lebt in Tübingen. Wir alle erinnern uns zurück an den Freudentaumel, dem sich große Teile der europäischen Linken im Januar hingaben, als die griechische Linkspartei Syriza unter ihrem charismatischen Vorsitzenden Alexis Tsipras die Parlamentswahlen gewann und mit der nationalistischen Rechtspartei Anel die erste Regierung seit Jahrzehnten begründete, an der keine der beiden etablierten »Volksparteien« Nea Dimokratia (ND) und Pasok beteiligt war. In Deutschland waren sich Linkspartei, Gewerkschaften und kritische Sozialwissenschaftler einig darin, dass der »politische Erdrutsch in Griechenland« eine »Chance für Europa« (so ihr gemeinsamer Aufruf)¹ sei, die Austeritätspolitik zu überwinden Nach dem 13. Juli, so scheint es, ist davon nur die Katerstimmung geblieben. Denn an der EU hat sich nichts zum Besseren geändert. Und die Syriza-Regierung hat als Voraussetzung für Verhandlungen um ein drittes »Hilfsprogramm« mit den Gläubigerinstitutionen eine neue brutale Kürzungs- und Privatisierungsorgie bewilligt, die noch die vorherigen in den Schatten stellt. Die Mehrwertsteuer auf zahlreiche Lebensmittel und Dienstleistungen wurde um extreme zehn Prozentpunkte erhöht, das Renteneintrittsalter wird erhöht, Zuschüsse für arme Rentner werden abgeschafft. Der Fiskalpakt wird ins griechische Recht übernommen und der Staatshaushalt durch eine automatisierte Ausgabenkürzung dem Einfluss von Regierung und Parlament entzogen. Massenentlassungen werden erleichtert, Märkte liberalisiert und vor allem ein Treuhandfonds eingerichtet, der verbliebenes Staatseigentum im Umfang von 50 Milliarden Euro an Investoren verscherbeln wird. Natürlich ist diese Summe unrealistisch, weshalb die Gläubiger sicherstellten, dass die ersten 25 Milliarden ausschließlich für die Rückzahlung der Rekapitalisierungskredite an die griechischen Banken verwendet werden und erst dann ein Teil der Privatisierungserlöse in Investitionen fließen darf. Natürlich hinderte dieser Umstand Tsipras nicht daran, der Öffentlichkeit die »Investitionen« als bedeutende Errungenschaft zu verkaufen. Man darf freilich gespannt sein, welche sozialen Scheußlichkeiten die ausgehandelte Vereinbarung in ihrer endgültigen Version darüber hinaus noch enthalten wird. Zusätzlich zur Fortsetzung und, in der Tat, Radikalisierung der extremen Verarmungspolitik der EU hat die Syriza zudem erreicht, dass sich Griechenland seit Beginn des Jahres wieder offiziell in der Rezession befindet und dass das Finanzsystem des Landes durch die Kapitalflucht ausgeblutet ist, so dass es mit rund 90 Milliarden Euro rekapitalisiert werden musste. Die ökonomische Abhängigkeit des Landes hat sich weiter vertieft. Eine bürgerliche Partei Thomas Sablowski hat angesichts dieser verheerenden Bilanz dankenswerterweise die Diskussion darum eröffnet, wie der Ausgang der Verhandlungen zu deuten und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Verdienstvoll ist dabei vor allem seine Analyse der Mächtekonstellation im europäischen imperialistischen System, mit der ich weitgehend übereinstimme. Außerdem regt Sablowski an, dass die Linke in Europa ihr Verhältnis zur europäischen Integration überdenken sollte. Dennoch hat seine Einschätzung der Syriza-Regierung ebenso wie seine politischen Schlussfolgerungen einigen Widerspruch verdient, den ich im folgenden ausführen möchte. In seinem Artikel beschreibt Sablowski zutreffend den Abschwung der Widerstands- und Protestbewegungen, der seit 2012 in Griechenland zu verzeichnen ist. Er führt dies sogar partiell darauf zurück, dass die Regierung sich zur Repräsentantin dieser Bewegungen erklärt und damit faktisch dazu beigetragen habe, dass deren Akteure sich zurückzogen und ihre Hoffnungen in den Parlamentarismus setzten. Allerdings wird diese Situation dann als »Dilemma« verstanden, als nicht intendierter Effekt der Politik der Syriza, die die Chancen, die aus deren Wahlergebnis erwachsen seien, selbst zunichte mache. Tatsächlich war aber das Ausbremsen radikaler Massenaktionen, die Einbindung des Widerstandspotentials von vornherein, also nicht erst seit der Regierungsübernahme, die wesentliche gesellschaftliche Funktion der Partei und der Grund dafür, weshalb sie auch von beträchtlichen Teilen der Bourgeoisie unterstützt wurde. Sogar der griechische Unternehmerverband SEV erklärte mehrfach, zuletzt nach dem Wahlsieg in seinem Gratulationsschreiben an Tsipras, seine Unterstützung für die Strategie der Syriza: »Der Verband als primäre Vertretung der organisierten griechischen Unternehmen, wird an der Seite der Regierung stehen«.² Offenbar zahlte sich aus, dass die Partei jahrelang um die Gunst des Kapital geworben hatte. Noch Anfang September 2014 hatte sie den Unternehmerverband in ihre Zentrale am Koumoundourou-Platz geladen. Der Präsident der SEV, Theodoros Fessas, fasste das Ergebnis so zusammen: »Wir kamen überein, dass wir einen nationalen Entwicklungsplan brauchen, der sich auf Investitionen und nicht auf Konsum stützt.«³ An solcherlei Hinweisen ließ sich damals schon erkennen, dass die Führung der Syriza nicht nur den Boden der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse nicht verlassen, sondern auch an den Eckpfeilern der herrschenden wirtschaftspolitischen Maßgaben nicht rütteln wollte. Die Syriza empfahl sich dem Kapital auch immer wieder als Stabilitätsfaktor. Sie könne das »Chaos« und »die (!) Extreme« verhindern, für ein »gesundes Geschäftsklima« und Investitionen sorgen und sei alleinig in der Lage, tiefe Reformen umzusetzen, weil die anderen Parteien ja korrupt seien.⁴ Hier war schon gar nicht mehr die Rede davon, dass man etwas grundsätzlich anderes wollte als die alten Systemparteien. Die theoretische Begründung dafür lieferte Finanzminister Giannis Varoufakis in einem Artikel im Guardian 18. Februar: Als »Marxist« müsse man heute alles daran setzen, den Kapitalismus zu stabilisieren, weil sonst die extreme Rechte profitieren würde. »Wenn das bedeutet, dass wir es sind, die brauchbar erratischen Marxisten, die versuchen müssen, den europäischen Kapitalismus vor sich selbst zu retten, dann sei es so.«⁵ Konsequenterweise hat die Syriza ihren Einfluss in den Gewerkschaften in den vergangenen Jahren auch keineswegs dafür genutzt, Klassenkämpfe anzutreiben und zu radikalisieren, im Gegenteil. Mit dem bekannten Sachzwangargument wurden in den Tarifverhandlungen Massenentlassungen akzeptiert, Lohnsenkungen unterschrieben, Leiharbeit eingeführt. Hier nur wenige Beispiele: In der Ölfirma ELPE und dem Forschungsunternehmen Asprofos akzeptierte die Vertretung von Syriza Lohnsenkungen bei Neueinstellungen um zehn Prozent sowie Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich. In der Supermarktkette Veropoulos unterschrieb sie Lohnsenkungen von zehn bis zwölf Prozent, bei der Athener Metro sogar bis zu 35 Prozent. Verbal und praktisch fiel man Streikenden in den Rücken und stellte gemeinsame Listen mit den bürgerlichen Parteien und bekannten Streikbrechern auf, um die klassenkämpferischen Kräfte der Gewerkschaftsfront PAME zu schwächen – beispielsweise im Falle des zwischen 2011 und 2012 bestreikten Stahlwerks bei Aspropyrgos.⁶ All diese Tatsachen passen so gar nicht zum Bild des heroischen Volkstribunen Tsipras mit seiner »linksradikalen« Partei im Rücken. In der deutschen Linken wurden sie nahezu komplett ignoriert. Radikale Politik hätte darin bestanden, die Wurzeln der heutigen Missstände anzugehen, also den Kapitalismus und das Kapital anzugreifen. Das Kapital anzugreifen war erklärtermaßen jedoch nie das Ziel der Syriza. Da es der Partei um »Entwicklung« durch Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und auf Grundlage der privatunternehmerischen Initiative geht, war und ist ihr Programm im wesentlichen kompatibel mit den Interessen des Monopolkapitals – zumal, wenn man bedenkt, dass sich das Wahlprogramm jedem vernünftigen Beobachter von vornherein als vollends unrealisierbar, als soziale Demagogie erweisen musste. Dass die Bourgeoisie, besser gesagt die Oligarchie, nicht in ihren Privilegien eingeschränkt wurde, ist demnach kein Zaudern und auch kein Zugeständnis angesichts der Erpressung aus Brüssel, sondern zentrales Element der Syriza-Strategie, die wie jede andere bürgerliche Partei auf günstige Investitionsbedingungen im Standortwettbewerb setzt. Lektionen aus der Tragödie Natürlich wird niemand deswegen behaupten, die Strategie der Syriza sei genau dieselbe gewesen wie die der herrschenden Fraktionen des europäischen Monopolkapitals, zumal des deutschen. Der Konflikt zwischen Interessen und ideologischen Positionen ist in den fünfmonatigen Verhandlungen ja klar zutage getreten. Das deutsche Kapital und seine Regierung waren eher bereit, einen »Grexit« hinzunehmen, bevor Zugeständnisse im Sinne einer Abschwächung oder gar keynesianischen Flankierung der Austeritätspolitik akzeptiert worden wären. Die griechische Regierung wollte hingegen genau das und sah sich darin im Geiste verbunden mit den französischen Kollegen, die ihrerseits freilich die deutsche Position im Zweifelsfall mittrugen. Auch die US-Administration, deren progressiven Charakter Tsipras immer in den höchsten Tönen angepriesen hatte, revanchierte sich zumindest nicht in der Weise, den demütigenden Gehalt des Abkommens vom 13. Juli lindernd abzuändern. Wenn man so will, ist also der Versuch eines Bündnisses mit Teilen der imperialistischen Eliten gescheitert. Der Fall Syriza zeigt somit nebst vielen anderen Punkten auch, dass die Orientierung auf Bündnisse mit einem Teil der Bourgeoisie (oft mit der nationalen gegen die Kompradoren oder mit der nichtmonopolistischen gegen die monopolistische) in den Reformismus und zur Entwaffnung der Arbeiterbewegung führt: Wie eigentlich zu erwarten, zeigte sich, dass die zwischenimperialistischen Widersprüche zwischen Deutschland und Frankreich nichts mit der Erwartung der Bevölkerung auf ein besseres Leben zu tun hatten. Solche Avancen gegenüber Teilen der Bourgeoisie befördern nicht die Herausbildung einer eigenständigen Strategie der Arbeiterklasse, sondern behindern sie. Es geht dann nur noch darum, wie die EU im Interesse verschiedener Fraktionen des Monopolkapitals Politik machen soll. Auch eine »Europäische Wirtschaftsregierung«, wie französische Politiker sie in verschiedenen Ausführungen seit langem fordern und Präsident François Hollande jüngst erst wieder, beschäftigte sich lediglich mit der Verteilung von Machtressourcen und Mehrwert zwischen den imperialistischen Zentren, nicht mit der Umverteilung von oben nach unten, ganz zu schweigen von Verschiebungen im Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse. Die objektive Funktion der Syriza wie der Sozialdemokratie insgesamt bestand und besteht – unabhängig davon, ob subjektiv gewollt oder nicht, was deshalb auch eine irrelevante Frage ist – darin, jedem potentiellen Widerstand gegen den Kapitalismus und die reaktionäre EU die Spitze zu nehmen. Das monatelange Kasperletheater der Athener Regierung war bei objektiver Betrachtung nichts als das demagogische Hinhalten der Wählerschaft. Das Trugbild einer stolz und hart verhandelnden Regierung musste dabei selbst bei enormen volkswirtschaftlichen Kosten aufrechterhalten werden, um der vorhandenen Unzufriedenheit mit den alten Parteien ND und Pasok gerecht zu werden, aber auch, um den politischen Schaden zu minimieren, der beim letztlich unvermeidlichen Abschluss eines neuen Abkommens entstehen würde. Damit zumindest scheint die Syriza relativ erfolgreich zu sein, weshalb es auch irreführend ist, von einem Scheitern zu sprechen. Die stark dominante Meinung in Griechenland besteht laut einer Umfrage der Wochenzeitung To Vima darin, die Übereinkunft mit den Gläubigern als »notwendig« hinzunehmen, obwohl fast die Hälfte der Befragten sie als negativ bewertete. Selbst viele derer, die im Referendum mit »Nein« gestimmt haben, bringen Verständnis dafür auf, dass ihr Votum Tage später in den Dreck getreten wurde. Durch die Verbreitung von Illusionen in die EU, den Kapitalismus und das bürgerliche Parlament, durch die von Schreckensszenarien für den Fall einer Wiedereinführung der Drachme, durch die Ermüdung in einem Kampf ohne Ergebnisse, durch die Verengung des Diskurses haben es die herrschende Klasse und ihre Handlanger auf der Rechten und der »Linken« letzten Endes geschafft, breiten Konsens für das Programm der reaktionären Strukturtransformation der europäischen Gesellschaften und der Aufkündigung der Klassenkompromisse von oben zu schaffen. Menschen, deren Eltern kommunistische Widerstandskämpfer waren und die viele Jahre lang kommunistisch gewählt haben, wählen seit 2012 die Syriza und haben 2015 im Referendum den Kürzungsauflagen der EU-Institutionen zugestimmt. Eine Rückkehr zur Drachme hätte uns um 50 Jahre zurückgeworfen, ist die resignierte Antwort, die man auf seine ungläubige Nachfrage in der Regel erhält. Vor drei Jahren war ein solcher massiver Rechtsruck in der Gesellschaft noch kaum vorstellbar. Aus fortschrittlicher, demokratischer Perspektive kann eine Regierung oder überhaupt eine politische Kraft nicht anhand ihrer Selbstbezeichnung eingeschätzt werden, schließlich ist die SPD ja auch nicht mehr sozialdemokratisch und die CDU keine Partei, deren Politik dem Leitbild eines ursprünglichen Christentums entspräche. Die Einschätzung muss vielmehr anhand des Effekts erfolgen, den diese Organisation auf das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Fortschritt und Reaktion hat. Gemessen daran hat die Syriza der Sache des Sozialismus mehr geschadet als jede andere griechische Regierung seit dem Ende der Militärdiktatur. Die wirklichen Krisenursachen wurden verschleiert, die Akteure und Profiteure der Verelendungspolitik nicht genannt. Die griechischen Kommunisten waren gezwungen, gegen den Strom der Massen zu schwimmen, um nicht ihr Programm zu verraten. Und schließlich wurden all jene im Stich gelassen wurden, die glaubten, durch eine »linke« Stimme könnten ihre Sorgen ein Ende haben, ihre Probleme gelöst werden. Dadurch hat die Syriza es wahrscheinlicher gemacht, dass ein weiterer Teil der Unzufriedenen sich ins private Elend zurückziehen oder sich nach rechts öffnen und in Richtung der Faschisten der »Goldenen Morgendämmerung« abwandern wird. Wie weiter? In seinem Artikel kommt Sablowski zu dem Schluss, die europäische Linke hätte die Syriza stärker unterstützen sollen und sei jedenfalls nicht in der Lage gewesen, genug Gewicht geltend zu machen, um die Niederlage vom Juli zu verhindern. Aber ist es wirklich eine ernsthafte Schlussfolgerung aus der spektakulären Demaskierung des Reformismus, wenn man als deren Konsequenz einfach mehr vom Bisherigen empfiehlt? Stünde nicht vielmehr dringend die Erkenntnis an, dass Parteien wie die Syriza, also z.B. die Parteien der Europäischen Linkspartei letztlich nichts anderes sind und nichts anderes sein können als die Linksverteidiger des Kapitals? Eine Reserve der Bourgeoisie, die dann zum Einsatz kommt, wenn sie zumindest durch Reformillusionen das System davor bewahren soll, an seinen Widersprüchen zugrunde zu gehen. Eine Klassenbewegung der Werktätigen muss ihre Strategie nicht nur unabhängig von den Kräften der Systemverwaltung entwickeln, sondern sie muss sie auch und wahrlich nicht zuletzt gerade gegen diese Kräfte in die Tat umsetzen. Und die Geschichte hat oft genug erwiesen, dass je mehr das Massenbewusstsein sich nach links bewegt oder gar einer revolutionären Situation annähert, die Widersprüche zwischen der revolutionären Fortschrittspartei und den Kräften der Mäßigung und der Systemintegration zunehmen und schließlich eine Seite über die andere den Sieg davontragen muss. Aufgabe der kommunistischen Partei ist es deshalb, dem reformistischen Lager nicht Honig ums Maul zu schmieren, sondern seinen Charakter ebenso klar offenzulegen wie den anderer bürgerlicher Kräfte: als Bremse des Klassenkampfes, als Instrument der Herrschenden, als Transporteur der bürgerlichen Ideologie. Das autoritäre, nach neoliberalen Prinzipien die Interessen des Großkapitals exekutierende Konstrukt der EU hat ein weiteres Mal seine hässliche Fratze gezeigt, die es ansonsten gerne hinter wohlklingenden Phrasen der Demokratie, der Freiheit und des »Europäischen Sozialmodells« verbirgt. In der Tat also höchste Zeit, dass diejenigen Teile der Linken, die immer noch der »Europhorie« verfallen sind, ihre Haltung zur EU ganz grundlegend infrage stellen. Dennoch lesen wir bei Sablowski weiterhin, dass die Alternative dazu eine »Neubegründung eines sozialen und demokratischen Europas von unten« sei. Diese Position begründet er mit dem drohenden Aufstieg eines reaktionären Nationalismus, sollte die EU zerfallen. Tatsächlich kann eine antiimperialistische Position nun nicht darin bestehen, diese Möglichkeit einfach zu leugnen. Jedoch ist das autoritär-technokratische Institutionengefüge der EU, das die Interessen und Strategien des Monopolkapitals noch unmittelbarer repräsentiert als die staatlichen Institutionen auf nationaler Ebene, selbst wohl kaum weniger reaktionär und trägt seinerseits eben genau dadurch dazu bei, dass spontaner Widerspruch von unten sich sehr viel öfter einen nationalistischen als einen klassenkämpferischen Ausdruck sucht. Der politische Vorschlag der KKE Die Perspektive eines revolutionären Übergangs zum Sozialismus wird von dieser Eurolinken nicht einmal in Betracht gezogen, oder, wie von Thomas Seibert am 13.7. im ND, als Weg in die »autoritär-sozialistische Verwaltung eines Elendszustands« diskreditiert. Eine sozialistische Volksmacht könnte jedoch die noch verbleibenden Wirtschaftssektoren – Agrarindustrie, Chemieindustrie, Schiffbau, Handelsschifffahrt – vergesellschaften, im Hinblick auf ökonomische Autonomie des Landes teilweise umwandeln und die Kapazitäten des Landes auf ihren Aufbau und die Erschließung neuer bzw. alter Sektoren mit strategischer Bedeutung konzentrieren: Beispielsweise auf die großflächige Produktion von Solarenergie, die Verarbeitung von Cash Crops wie Baumwolle und Tabak und den Maschinenbau für eine Reindustrialisierung. Auch dieser Weg wäre beileibe kein einfacher, aber er könnte sich auf die Mobilisierung und Partizipation der Massen, vorhandene gute Bildungsstandards, die Vorteile zentraler Wirtschaftsplanung und staatlich geschaffener Skalenvorteile sowie die Einbeziehung der über eine Million vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Menschen stützen. Die staatliche Industrie könnte durch eine in Kooperativen organisierte und teilkollektivierte Landwirtschaft und Kleingewerbe flankiert werden, zusätzlich müssten neue Handelsbeziehungen entwickelt und die mit Russland wieder aufgenommen werden. Es gäbe so bei allen absehbaren Schwierigkeiten eine Perspektive für das arbeitende Volk, die nicht aufs Totarbeiten und Totsparen zum Nutzen der Konzerne hinausliefe, sondern sich am Aufbau wirklicher Demokratie, an einer Produktion zugunsten der Bedürfnisse der Gesellschaft und am nationalen Wiederaufbau orientierte. Selbstverständlich würden diese Schritte sowohl den Austritt aus der EU als auch die einseitige Streichung der Staatsschulden erforderlich machen. In diesem Fall – und wohl nur in diesem Fall – könnte ein »Grexit« tatsächlich den Weg in eine bessere Zukunft bereiten. Die Kommunistische Partei Griechenlands propagiert seit langer Zeit diese Option als Lösung der Krise im Interesse des Volkes. Deswegen wird sie in Deutschland sowohl von der sozialdemokratischen Eurolinken (Linkspartei, Attac, Blockupy etc.) als auch von den meisten Linksradikalen entweder totgeschwiegen oder diffamiert. Bekanntlich braucht, wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen. Daher fühlen sich durch die niedrigen Umfrageergebnisse der KKE all jene ermutigt, die der Partei immer schon »Sektierertum«, unrealistische Forderungen oder ihr überhaupt das Fehlen einer Praxis jenseits der revolutionären Phrasen vorgeworfen haben. Verschwiegen und vergessen wird dabei, dass die KKE einen riesigen Anteil daran hatte, dass 2010 und 2011 immer wieder Millionen Menschen in den Streik und Hunderttausende auf die Straßen mobilisiert werden konnten; dass die KKE stets vor der EU warnte und recht behielt und dass sie vor der Syriza-Regierung warnte und recht behielt; dass sie unter den Massen, am Arbeitsplatz, in den Unis und Stadtteilen immer noch fester verankert ist als die Syriza. Zweifellos befindet sich die KKE heute in einer schwierigen Lage, zweifellos hat sie seit 2012 eine Reihe teilweise schwerer Niederlagen erlitten. Allein daraus abzuleiten, dass ihre Strategie falsch war (oder gar ihre Analysen), ist aber nichts als oberflächlicher Voluntarismus: Dahinter steht implizit die Vorstellung, dass jeder einzelne Kampf prinzipiell gewinnbar ist, wenn nur der Wille dazu da ist und unabhängig davon, wie die Kräfteverhältnisse gerade aussehen. Niemand, auch nicht die KKE selbst, wird leugnen, dass diese Partei nicht auch ihre Schwächen hat und nicht z.B. an ihrem Auftreten gegenüber den Massen arbeiten könnte. Das zuzugestehen ist jedoch etwas ganz anderes, als in populistischer Manier die Richtigkeit einer Losung davon abhängig zu machen, wie viele Menschen ihr folgen. Es ist nun eine bittere Erkenntnis, dass einerseits die Kräfteverhältnisse nicht so sind, dass der Sozialismus unmittelbar bevorstünde, andererseits aber nur der Sozialismus eine Lösung der Krise im Sinne des Volkes zu bieten hat. Aus dieser Erkenntnis kann es aber nur eine Schlussfolgerung geben: Den Sozialismus als Alternative besser, verständlicher, konkreter zu präsentieren und jedenfalls nicht, ihn entgegen aller sonstigen Einsichten auf den Sanktnimmerleinstag zu verschieben und sich statt dessen »vorerst« mit »realistischen Vorschlägen« zur Reform des Ausbeutersystems zu begnügen. Die Dialektik von Reform und Revolution zu berücksichtigen ist jedenfalls etwas vollkommen anderes: Dialektik bedeutet schließlich gerade die Einheit des Widerspruchs, also dass Strategie und Taktik nicht voneinander zu separieren sind und dass die Losungen der Tageskämpfe immer am Ziel des Sozialismus auszurichten sind. Damit unvereinbar ist es, Forderungen damit zu begründen, dass dadurch das System besser funktioniert, wie es die keynesianische Sozialdemokratie à la Syriza oder Linkspartei ja stets tut. Um dem scheinbar unaufhaltsamen Marsch der europäischen Gesellschaften in Richtung der Barbarei etwas entgegensetzen zu können, ist eine fundierte Diskussion um die richtige Strategie und Taktik der kommunistischen Bewegung notwendig. Die KKE hat mit ihrem Programm und der darin dargelegten Strategie des antimonopolistisch-antikapitalistischen Volksbündnisses einen kraftvollen Vorschlag unterbreitet. Eine Diskussion hat er in jedem Falle verdient. Anmerkungen 1 Aufruf der DGB-Gewerkschaften: Griechenland nach der Wahl – keine Gefahr, sondern Chance für Europa, online: http://www.europa-neu-begruenden.de/ 2 Newsbomb.gr, 26.1.2015, online: http://www.newsbomb.gr/ekloges/ethnikes-ekloges/story/548992/apotelesmata-eklogon-2015-dipla-stin-kyvernisi-syriza-o-sev#ixzz3hpflWxBx 3 To Vima, 2.9.2014, online: http://www.tovima.gr/finance/article/?aid=627731 4 Rizospastis, 20.6.2012, online: http://www.rizospastis.gr/story.do?id=6908393 ; Rizospastis, 3.5.2012, online: http://www.rizospastis.gr/story.do?id=6831898 5 Yanis Varoufakis: How I became an erratic Marxist, The Guardian, 18.2.2015, online:http://www.theguardian.com/news/2015/feb/18/yanis-varoufakis-how-i-became-an-erratic-marxist 6 Rizospastis, 25.11.2014, http://www.rizospastis.gr/story.do?id=8210234; Rizospastis, 26.4.2012, online:http://www.rizospastis.gr/story.do?id=6820737

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