Sonntag, 9. August 2015

Airbus für Panzer

IMI-Analyse 2015/024 Die Fusion von KMW und Nexter – Auftakt einer neuen Rüstungsexportwelle? von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 30. Juli 2015 Am 29. Juli 2015 wurde „einer der spektakulärsten Rüstungsdeals seit Langem“ (Die Welt, 29.07.2015) offiziell verkündet: die Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) mit seinem französischen Konkurrenten Nexter Systems. Einerseits sind solche Zusammenschlüsse ein Kernelement des erst kürzlich veröffentlichten „Strategiepapiers der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“. Andererseits bestehen jedoch besonders innerhalb der SPD massive Vorbehalte gegenüber der Fusion, die vor allem mit der Sorge zu tun haben, dass deutsche Rüstungsinteressen in dem neuen Unternehmen „untergebuttert“ werden könnten. Eine untergeordnete Rolle spielt dabei leider eines der Hauptprobleme: die Fusion soll die Wettbewerbsfähigkeit der Panzerbauer und damit ihre Exportchancen verbessern und bietet gleichzeitig die Möglichkeit die – zumindest vergleichsweise – restriktiven deutschen Rüstungsexportrichtlinien auszuhebeln. Eine Ausweitung deutscher Panzerlieferungen ist die nahezu logische Folge des Zusammenschlusses, der im schlimmsten Fall sogar eine Signalwirkung für das künftige Verfahren in ähnlich gelagerten Fällen haben könnte. Möglicherweise war es deshalb gerade diese Aussicht, die allen Lippenbekenntnissen zum Trotz dafür gesorgt hat, dass sich das Wirtschaftsministerium allem Anschein nach dafür entscheiden dürfte, den Deal trotz einiger Bedenken durchzuwinken. Konsolidierung als Strategie zur Stärkung der Rüstungsindustrie Seit Jahren steht die Stärkung der rüstungsindustriellen Basis und ihrer Unternehmen weit oben auf der Agenda der Bundesregierung. Um dies zu erreichen sollen neben dem Luftfahrtsektor (Airbus) auch weitere Sparten der Rüstungsindustrie über Fusionen und Übernahmen stärker europäisch gebündelt werden. Die Regierung verspricht sich von einer solchen Konsolidierung des Rüstungssektors vor allem Skaleneffekte und damit erhebliche Preissenkungen – letztlich also eine größere militärische Schlagkraft pro ausgegebenem Euro. Hierbei handelte es sich bereits um einen Kerngedanken der rüstungspolitischen Grundsatzrede Sigmar Gabriels vom 8. Oktober 2014, der zuletzt auch weitgehend in das am 8. Juli 2015 veröffentlichte „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ Eingang fand: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. Europa leistet sich den ‚Luxus‘ zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, einen intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugprogrammen und eine starke Konkurrenz im Überwasser- und Unterwasserbereich. Folgen dieser Situation sind unbefriedigende Kostenstrukturen in den Programmen, Nachteile im internationalen Wettbewerb und damit höhere Belastungen für die nationalen Verteidigungshaushalte. Dies kann zudem zu einer mangelnden Interoperabilität der Streitkräfte in Europa bei gemeinsamen Einsätzen führen. […] Zum Erhalt notwendiger verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien im nationalen und europäischen Rahmen auf längerfristiger wirtschaftlicher Basis brauchen wir eine verstärkte industrielle Konsolidierung und Wettbewerbsfähigkeit in der nationalen und europäischen Verteidigungswirtschaft. […] Die Bundesregierung setzt verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter Wahrnehmung der nationalen Interessen. Die Bündelung technologischer Stärken wird die wirtschaftliche Bedeutung europäischer Projekte im internationalen Wettbewerb entscheidend erhöhen.“[1] Eine Ausweitung der Rüstungsexporttätigkeiten deutscher Unternehmen ist dabei – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, diese Einschränken zu wollen – ein wesentlicher Bestandteil und Ergebnis der Konsolidierungsstrategie zur Stärkung des Rüstungssektors. Denn nur mit Aufträgen aus Deutschland wäre die hiesige Rüstungsindustrie kaum am Leben zu halten, wie Claus Günther, BDI-Vorsitzender des Ausschusses Sicherheit, betont: „Wir brauchen Exporte, denn allein durch die dünne nationale Auftragsdecke wird die deutsche Rüstungsindustrie nicht überlebensfähig sein.“ (Cellsche Zeitung, 18.09.2014) Allerdings fehlt den deutschen Unternehmen zumeist die „Schlagkraft“, um auf dem Weltmarkt „erfolgreich“ um Aufträge konkurrieren zu können – erst im Verbund mit anderen EU-Unternehmen ist dies möglich: „Die Zukunft heißt auch für die deutsche Rüstungsindustrie Europa“, brachte Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, diese „Logik“ auf den Punkt: „Die europäische Rüstungsindustrie wird nur gedeihen, wenn wir sie zusammenfügen. Nur so entfliehen wir einer Lage, in der auf dem indischen oder chinesischen Markt die Franzosen gegen die Deutschen und die Schweden um Aufträge kämpfen. Am Schluss siegt womöglich der amerikanische Konkurrent.“ (Handelsblatt, 21.09.2012) Rüstungspolitische Bedenken Durch den Zusammenschluss von KMW und Nexter würde ein Unternehmen mit ca. 2 Mrd. Euro Umsatz entstehen, das 6.000 Menschen beschäftigt. In einer gemeinsamen Presseerklärung betonen die beiden Rüstungskonzerne recht offen, wie sehr sich die Aussichten, sich am Markt als Konkurrent der Rüstungsriesen General Dynamics und BAE Systems „besser“ behaupten zu können, dadurch verbessern würden: „Nexter, KMW und ihre Eigentümer bewerten diesen Schritt als entscheidend für die Konsolidierung der wehrtechnischen Industrie Europas. Die Produktportfolios beider Unternehmen und ihre regionalen Präsenzen auf dem Weltmarkt ergänzen sich nahezu überschneidungsfrei. Durch den Zusammenschluss von Nexter und KMW entsteht eine Einheit, die mit Gewicht und Innovationskraft im internationalen Wettbewerb bestehen und wachsen kann. Zudem eröffnet sie ihren Kunden in Europa und der NATO die Chance zu mehr Standardisierung und Interoperabilität ihrer Rüstungsgüter auf verlässlicher industrieller Basis.“ Allerdings wurden zwar tatsächlich die Verträge für das neue Unternehmen, das derzeit noch unter den vorläufigen Namen Newco („New Company“) oder KANT („KMW And Nexter Together“) firmiert, bereits unterzeichnet, doch schlussendlich muss das Wirtschaftsministerium den Deal noch absegnen. Vor allem in der SPD regte sich aber Widerstand, wobei als Wortführer ihr Obmann im Verteidigungsausschuss, Rainer Arnold, fungierte, der schon vor einigen Wochen erklärte: „Um von der starken französischen Präsenz nicht untergebuttert zu werden, müssen wir, wie die Franzosen, konsequent an nationalen Interessen festhalten und diese bei Zusammenschlüssen entsprechend verteidigen. […] Vor diesem Hintergrund muss die geplante Fusion der Panzerschmiede Krauss Maffei Wegmann (KMW) mit dem staatlichen französischen Rüstungsunternehmen Nexter äußerst kritisch bewertet werden. […] Deutsche Sicherheitsinteressen sprechen eindeutig gegen ‚Kant‘. Wenn die gerade erfolgte Definition von Schlüsselfähigkeiten nicht zur Makulatur werden soll, muss die deutsche Politik alle Möglichkeiten nutzen, um die Fusion zumindest in der geplanten Form zu verhindern. Es schmerzt, dass der eigentlich richtige Weg, zunächst KMW und die Rüstungssparte von Rheinmetall zusammenzuführen, nicht zuletzt aufgrund persönlicher Animositäten nie ernsthaft verfolgt wurde. […] Mit der Fusion wird KMW zunehmend ein französisches Unternehmen, und die auch mit Steuermitteln aufgebaute Technologie wandert ins Nachbarland ab. Deutschland würde seinen Spitzenplatz unwiederbringlich verlieren. Und der ‚Leopard der Zukunft‘ würde ein Franzose.“ (FAZ, 08.07.2015[2]) Auch aus der CDU sind teils kritische Stimmen zu vernehmen: „‘Für unser Land kommt es darauf an, in der Ausstattung unserer Streitkräfte nicht auf ‚black boxes‘ ausländischer Partner angewiesen zu sein, sondern in Kernbereichen wie beispielsweise der Panzertruppe, der Artillerie und der Aufklärung, Spitzentechnik aus eigener Fertigung bereitzustellen‘, sagte der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU), dem Handelsblatt. ‚Damit erscheint mir die bevorstehende Fusion eher eine Schwächung unserer Kernkompetenzen zu bedeuten, weil bisherige Kooperationen mit Frankreich, zum Beispiel im Flugzeug- und Satellitenbau, immer zu Lasten und zum Nachteil deutscher Kernfähigkeiten ausgegangen sind.‘“ (Handelsblatt, 28.07.2015) Lange hatte auch Wirtschaftsminister Gabriel ganz offen angedroht, ein Veto gegen die Fusion einlegen zu wollen. Offen sprach er sich für einen Zusammenschluss zwischen KMW und Rheinmetall aus – aus einer solchen Position der Stärke wäre es dann möglich gewesen, den EU-Panzermarkt komplett aufzurollen.[3] So äußerte sich vor etwa einem Jahr mit Blick auf die mögliche KMW-Nexter Fusion Hans-Peter Bartels, damals SPD-Mitglied im Verteidigungsausschuss und heute Wehrbeauftragter Der Bundeswehr: „Der nationalen Konsolidierung muss dann im Übrigen eine europäische folgen, aber eben aus einer starken Position heraus. Wir brauchen in Europa am Ende nicht drei konkurrierende Kampfflugzeugprogramme und zwanzig für gepanzerte Fahrzeuge.“ (Die Welt, 23.07.2014) Allerdings deutet sich nun an, dass das Wirtschaftsministerium dem Deal nun doch zustimmen will, was wohl vor allem damit zusammenhängen dürfte, dass sich KMW vehement gegen eine Fusion mit Rheinmetall aussprach. Dennoch oder gerade deshalb ist davon auszugehen, dass es in der Zukunft durchaus zu Reibereien um Strategie und Ausrichtung des deutsch-französischen Konzerns kommen wird. Dies legen schon die Erfahrungen aus dem offensichtlichen Vorbild Airbus nahe: „Die neue binationale Panzerschmiede folgt in ihrer Struktur dem Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus Group – dem früheren EADS-Konzern. Die Dachholding des fusionierten Unternehmens soll ihren Sitz wie die Airbus Group in den Niederlanden haben. Die Deutschen hätten niemals zugelassen, dass der Firmensitz in Frankreich angesiedelt werde, berichtet ein französischer Branchenkenner. Umgekehrt sei es genauso gewesen. […] Wie bei der Airbus Group gilt es nun auch in der Panzerehe, eine deutsch-französische Machtbalance zu wahren. Ein heikles Unterfangen, wie ein Blick auf die Geschichte der Airbus Group – die bis vor Kurzem EADS hieß – zeigt. Denn dort kam es vor einigen Jahren zu erbitterten deutsch-französischen Grabenkämpfen.“ (Die Welt, 29.07.2015) Aushebelung der Rüstungsexportkontrollen Vorwürfen, KANT solle nicht zuletzt dazu dienen, die – ohnehin nicht allzu scharfen – deutschen Rüstungsexportrichtlinien zugunsten der noch laxeren französischen Vorschriften auszuhebeln, widersprach die Bundesregierung energisch: „Sorgen, mit dem Zusammenschluss könnten die strengen deutschen Exportrichtlinien für Rüstungsgüter umgangen werden, trat die Bundesregierung […] entgegen. ‚Die strengen deutschen Exportvorschriften gelten unvermindert weiter‘, sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Es sei nicht davon auszugehen, dass eine Debatte über eine Harmonisierung der Vorschriften in Europa dazu führen werde, die restriktiven deutschen Vorgaben für Rüstungsexporte zu lockern.“ (DPA, 29.07.2015) Auch diverse Politiker beeilten sich zu versichern, niemand habe die Absicht, die Exporte hierüber auszuweiten: „Aus Sicht des Vize-Vorsitzenden des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, Klaus Barthel (SPD) […] ‚darf der notwendige Umbau nicht dazu missbraucht werden, um Exporte in Drittstaaten anzukurbeln und unsere restriktiven Richtlinien auszuhebeln‘ […] Unions-Fraktionsvize Fuchs betonte, dass bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten die strengen ‚Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern‘ für das deutsche Regierungshandeln verbindlich seien. ‚Hierbei sollte es bleiben‘, sagte der CDU-Politiker.“ (Handelsblatt, 28.07.2015) Tatsächlich scheint eine im Zuge des Deals immer wieder ins Spiel gebrachte mögliche Anpassung der jeweiligen Rüstungskontrollrichtlinen (mutmaßlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner) aktuell eher unwahrscheinlich. Das Problem besteht aber vor allem in einem anderen Punkt, nämlich dass durch den Zusammenschluss die deutschen Richtlinien scheinbar bequem umgangen werden können – für Exporte scheinen sich einfach die französischen Bestimmungen anwenden zu lassen. Das hierfür ins Auge gefasste Konstrukt wird von der Wirtschaftswoche (07.07.2015) ausführlich wie folgt beschrieben: „Darum sagt der Leiter der für den Einkauf der französischen Armee zuständigen Agentur DGA, Laurent Collet-Billon: ‚Uns ist bei Nexter KMW ein Kompromiss über die Exportregeln gelungen.‘ Basis ist eine deutsch-französische Einigung der damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Michel Debré aus dem Jahr 1972. ‚Keine der beiden Regierungen wird die andere hindern, Rüstungsgüter aus gemeinsamer Entwicklung oder Fertigung auszuführen‘, zitieren Insider das aus politischen Gründen nie veröffentlichte Papier. ‚Das ist für Frankreich zentral‘, sagt die Vorsitzende des französischen Verteidigungsausschusses, Patricia Adam. […] Im Klartext: Kant wird sich – entgegen den bisherigen Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) – beim Export leichter tun als heute die rein deutsche KMW. Und das gilt auch für alle weiteren internationalen Fusionen mit deutscher Beteiligung.“ Und hier liegt schließlich der eigentliche Knackpunkt, denn das nun möglicherweise für KANT zur Anwendung kommende Verfahren könnte Signalwirkung für weitere Fälle haben – dies zumindest hofft die Rüstungsindustrie und reibt sich bereits die Hände: „‘Wenn jetzt selbst KMW, deren Panzerexporte oft Gegenstand politischen Streits waren, für ausländische Anteilseigner offen ist, können künftig alle deutschen Wehrtechniker Investoren aus dem Ausland an Bord holen – bis hin zur Übernahme einer Mehrheit‘, sagt ein führender deutscher Rüstungsmanager und frohlockt: ‚Für die neuen Verbünde gelten dann immer weniger die unberechenbaren deutschen Exportrichtlinien, sondern zumindest teilweise die Regeln der Partnerländer. Und die sind fast alle weniger streng.‘“ (Wirtschaftswoche, 07.07.2015) Anmerkungen [1] An einigen Stellen im Strategiepapier der Bundesregierung finden sich Passagen, die mehr oder weniger wortgleich der rüstungspolitischen Grundsatzrede Gabriels vom 8. Oktober 2014 entnommen wurden: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. Europa leistet sich den ‚Luxus‘ zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, den intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugen und eine starke Konkurrenz z. B. im U-Boot-Bereich. […] Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Die Bundesregierung muss daher nach meiner Meinung verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen setzen.“ [2] Ganz ähnlich kritisiert auch der Rüstungsexperte Markus C. Kerber: „Sämtliche Erfahrungen in der Kooperation mit französischen Unternehmen sind negativ. Die Franzosen sagen Europa und meinen Frankreich. Europäische Kooperation ist für sie eine rhetorische Finte, um nationale Belange rücksichtslos durchzusetzen. Der Leopard ist der meistverkaufte Kampfpanzer der Welt, ein Vorzeigeprodukt deutscher Ingenieurkunst. Was wir von einem Hersteller in Frankreich durch Kooperation erwarten dürfen, der mit seinem Kampfpanzer nur Verluste eingefahren hat, ist mir nicht einsichtig.“ (Die Welt, 21.07.2015) [3] Es wäre im Übrigen nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass eine große Rüstungsfusion am Widerstand der Regierung gescheitert wäre – erinnert sei hier an die vergeblichen Versuche ab September 2012, Bae Systems und EADS (heute: Airbus) zum weltgrößten Waffenproduzenten zu verschmelzen (siehe IMI-Analyse 2012/018).

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