Sonntag, 2. März 2014
Ukraine: Innerimperialistische Reibereien
IMI-Standpunkt 2014/012 (Update 27.02.2014)
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 26. Februar 2014
Unter dem Rubrum, mehr internationale Verantwortung übernehmen zu wollen, wird seit einiger Zeit gefordert, Deutschlands – angebliche – „Kultur militärischer Zurückhaltung“ müsse aufgegeben und durch eine generell ambitioniertere Weltmachtpolitik abgelöst werden (siehe IMI-Analyse 2014/004). Schon Anfang Februar 2014 argumentierte die Deutsche Welle, der zentrale „Testfall für die jetzt selbstbewusstere deutsche Außenpolitik ist sicherlich die Ukraine.“ Nachdem Berlin seit Jahren die pro-westliche Opposition unterstützt und auf einen Sturz des (eher) pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch hingearbeitet hatte, meldeten die Medien nach dessen maßgeblich mit deutscher mithilfe betriebenen Absetzung zufrieden Vollzug: „‘Die Ukraine hat gezeigt, was deutsche Diplomatie erreichen kann, wenn sie selbstbewußt auftritt‘, jubelt der Tagesspiegel. Und: ‚Endlich kann man sich vorstellen, was sich die Große Koalition unter einer ‚aktiveren deutschen Rolle in der Welt‘ vorstellt.‘“ (junge Welt, 26.02.2014) Auch Klaus-Dieter Frankenberger schreibt in der FAZ (22.02.2014): „Ohne die beharrliche Überzeugungsarbeit der Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens hätten sich Führung und Opposition in der Ukraine wohl nicht verständigt. Das können sich auch die Amerikaner merken.“
Alles bestens also? Keineswegs! Frankenbergers letzter Satz enthält bereits einen wenig verklausulierten Seitenhieb, der deutlich auf heftige innerwestliche Konflikte hindeutet. Im Kern geht es dabei darum, ob in der Ukraine künftig ein pro-amerikanischer (Timoschenko oder jemand aus ihrer Partei) oder pro-deutscher (Klitschko) Präsident das Sagen haben wird. Wie ruppig es dabei hinter den Kulissen zur Sache geht, wurde vor allem über das abgehörte und ins Internet gestellte „Fuck-the-EU-Telefonat“ der im Außenministerium für Europafragen zuständigen Abteilungsleiterin Victoria Nuland bekannt. Weit weniger Aufmerksamkeit erhielt bislang jedoch ein zweites abgehörtes und ebenfalls veröffentlichtes Telefonat der deutschen Top-Diplomatin Helga Schmid. Es untermauert die heftigen innerimperialistischen Rivalitäten und zeigt, dass das Positionsgerangel mit den USA schon während der Proteste bereits auf Hochtouren lief. Ungeachtet dieser Reibereien ist man sich jedoch darin einig, dass das beiderseitige Ziel, auf das nun zielstrebig hingearbeitet wird, darin besteht, das Land dauerhaft der westlichen Einflusszone einzuverleiben.
Nulandgate: Deutschland vs. USA
Ein Aufschrei der Empörung ging durch die deutsche Medienlandschaft, nachdem das Telefonat von Victoria Nuland mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, ins Internet gelangt war: „‘Fuck the EU‘: Eine amerikanische Top-Diplomatin äußert sich abfällig über Brüssel. Die Kanzlerin nennt das absolut inakzeptabel – der Graben zwischen Berlin und Washington wächst.“ (Süddeutsche Zeitung, 08.02.2014) Was an dem Telefonat aber wirklich empörte, war nicht die etwas derbe Wortwahl, sondern dass aus ihm klar hervorging, dass die USA augenscheinlich keinerlei Absicht haben, den mit viel deutschem Geld und Know-How aufgepäppelten ehemaligen Box-Weltmeister Witali Klitschko eine prominente Rolle übernehmen zu lassen (siehe IMI-Studie 2014/02): „Die US-Verantwortlichen schienen nicht begeistert von der Idee zu sein, dass Klitschko stellvertretender Ministerpräsident werden könnte. ‚Die Klitschko-Sache ist offenkundig das komplizierte Elektron hier‘, ist Pyatt zu hören. Der Boxweltmeister sollte das Amt nicht antreten und ‚seine politischen Hausaufgaben‘ machen. Auch Nuland äußert sich skeptisch über eine Regierungsbeteiligung von Klitschko: ‚Ich glaube nicht, dass das notwendig und eine gute Idee ist.‘” (Focus, 06.02.2014)
An anderer Stelle machte Nuland überdeutlich klar, dass auch Washington beträchtliche Summen in die Ukraine gepumpt hat und keineswegs bereit ist, diese Investition zugunsten Deutschlands abzuschreiben: „Auf der ‚International Business Conference at Ukraine‘ in Washington hatte sie am 13. Dezember 2013 allerdings selbst gesagt: ‚Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 haben die Vereinigten Staaten die Ukrainer darin unterstützt, demokratische Fähigkeiten und Institutionen aufzubauen sowie Bürgerbeteiligung und eine gute Regierungsführung zu fördern – all das sind Voraussetzungen für die Ukraine, damit sie ihre europäischen Bestrebungen erreichen kann. Wir haben mehr als fünf Milliarden Dollar investiert, um die Ukraine in diesen und anderen Zielen zu unterstützen.‘“ (Hintergrund, 25.02.2014) Dass es bei „Nulandgate“ im Kern also um eine Auseinandersetzung zwischen den USA und Deutschland um den künftigen Einfluss in der Ukraine geht, betont auch Pepe Escobar in der Asia Times (14.02.2014): „Kurz zusammengefasst geht es darum: Deutschland kontrolliert aus der Ferne einen der Anführer der ukrainischen Proteste, den Schwergewichtsboxer Witali Klitschko. ‘F**k the EU’ richtet sich im Wesentlichen gegen Berlin und Klitschko, seinen wichtigsten Protegé.“
Deutschland: Not amused…
Wie eingangs erwähnt, fand ein anderes Telefonat, das der stellvertretenden Generalsekretärin für politische Fragen des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Helga Schmid, kaum Beachtung, obwohl es ebenfalls überaus aufschlussreich ist. In dem laut EUObserver (06.02.2014) authentischen und wohl am 31. Januar 2014 geführten Gespräch beschwert sich Schmid gegenüber dem EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski, heftig über den amerikanischen „Verbündeten“: „Ich wollte Dir nur eine Sache noch vertraulich sagen. Die Amerikaner gehen ein bisschen rum und erzählen, dass wir zu weich sind, was Sanktionen angeht. […] Was mich sehr ärgert ist, dass die Amerikaner rumgehen und die EU an den Pranger stellen und sagen, wir wären da zu soft. […] Ich will Dir das nur sagen, dass Du vielleicht mit dem amerikanischen Botschafter auch sprichst und ihm sagst, wir sind überhaupt nicht soft. […] Es ärgert mich, wenn die Presse jetzt berichtet, die EU ist nicht auf der Seite der Freiheit. […] Es soll hier nicht um ein Wettrennen gehen, aber es ist wirklich sehr unfair, wenn sie das hier verbreiten.“
Ganz offensichtlich kümmerte die USA die deutsche Jammerei wenig, denn es gelang ihnen inzwischen, den engen Timoschenko-Vertrauten und stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Partei „Vaterland“, Alexander Turtschinow, als ukrainischen Interimspräsidenten zu installieren (Antiwar.com, 23.02.2014). Wenig verwunderlich ist es demzufolge, dass sich die USA hierüber sehr zufrieden zeigten: „‘Außenamtschef Kerry bekundete seine entschiedene Unterstützung für den Beschluss des ukrainischen Parlaments, den Interimspräsidenten und den amtierenden Premier zu ernennen sowie schnell zur Stabilisierung der politischen und der wirtschaftlichen Situation voranzuschreiten‘“, teilt das US-Außenamt mit.“ (RIA Novosti, 24.02.2014) Kurz darauf wurde Arseni Jazenjuk, Fraktionschef der Vaterlands-Partei, zum Übergangspremier auserkoren. Unter den Ministern seines Kabinetts befindet sich kein Mitglied der Klitschko-Partei Udar, wodurch die USA ihre Position weiter festigten. Washington „dankte“ dies postwendend mit der Ankündigung, der Ukraine Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde Dollar (728 Millionen Euro) geben zu wollen (Zeit Online, 26.02.2014).
Doch Deutschland bzw. Witali Klitschko hat die Flinte noch nicht ins Korn geworfen, weshalb der ehemalige Box-Weltmeister ankündigte, bei den auf den 25. Mai 2014 vorgezogenen Wahlen antreten zu wollen. Auch Julia Timoschenko erklärte inzwischen ihre Absicht, zu kandidieren (ntv, 22.02.2014). Sie war bereits nach dem ersten westlichen Putsch, der „Orangenen Revolution“ im Jahr 2004, als prominentes und hochkorruptes Mitglied an einer ukrainischen Regierung beteiligt, die sich als derart unfähig erwies, dass sie 2010 wieder sang- und klanglos abgewählt wurde (siehe IMI-Studie 2010/13). Doch erst jetzt, vor dem Hintergrund der wachsenden Konflikte mit den USA, entdecken deutsche Medien die „Schwachstellen“ Timoschenkos: „So schnell kann’s gehen. Da hat man sich jahrelang von den deutschen Mainstreammedien eintrichtern lassen müssen, die inhaftierte ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko sei ein unschuldiger Engel, und kaum kommt sie aus der Haft frei, da hört man das Gegenteil. Kritiker würfen ihr ‚dubiose Geschäfte‘ vor und hielten sie für ‚opportunistisch und skrupellos‘, hat das ZDF überraschend erfahren. Die Süddeutsche enthüllt, Timoschenko sei ‚als Teil einer dubiosen Wirtschafts- und Machtelite selbst belastet‘. Die Welt hat gleich einen ganz schlimmen Verdacht: Timoschenko sei ‚wie Janukowitsch – nur hübscher und mit Zopf‘.“ (junge Welt, 26.02.2014)
Andererseits scheint man hier zweigleisig zu fahren: Timoschenko ist am 6. März 2014 zum Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) eingeladen, die sich bislang vor allem auf die Unterstützung Witali Klitschkos konzentriert hatte. Anschließend will sie nach Deutschland weiterreisen, angeblich um ihre Rückenschmerzen behandeln zu lassen: „Nicht umsonst hat Kanzlerin Merkel sich der Sache sofort angenommen, der erkrankten Politikerin diplomatisch gratuliert und sie zur Behandlung nach Berlin eingeladen. Daß Timoschenko in der Charité ausschließlich medizinisch verarztet wird, darf man getrost bezweifeln.“ (junge Welt, 26.02.2014)
Pack schlägt sich…
Die offen zu Tage tretenden innerimperialistischen Rivalitäten sollten nicht den Blick darauf verstellen, dass die USA und die Europäische Union ein wesentliches Interesse teilen: Die Ukraine irreversibel jeglichen russischen Einflussmöglichkeiten zu entziehen und sie fest in die westliche Sphäre zu integrieren. Und das wesentliche Mittel hierfür ist und bleibt die Unterzeichnung eines wirtschaftlich für die Ukraine katastrophalen Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union – und zwar sowohl aus Sicht Berlins wie auch der Washingtons (siehe IMI-Studie 2014/02). Dementsprechend äußerte sich auch der den USA näherstehende Interimspräsident Turtschinow in einer seiner ersten Stellungnahmen: „Priorität hat die Rückkehr auf den Pfad der europäischen Integration. […] Wir sind zum Dialog mit Russland bereit, während wir gegenseitige Beziehungen auf gleicher Augenhöhe entwickeln […] und dieses Verhältnis wird die europäische Wahl der Ukraine respektieren.“ (Europe Diplomacy & Defence, No. 678) Selbst wenn Deutschland also dabei Scheitern sollte, Witali Klitschko als Statthalter in Kiew zu installieren, so könnte es doch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens als ersten Teilerfolg für die neue Weltmachtpolitik für sich reklamieren.
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