Von Danilo Valladares
Guatemala-Stadt, 16. September (IPS) - Die Zwangsräumung eines Landguts, auf dem mehr als 90 Familien lebten, hat den anhaltenden Agrarkonflikt in Guatemala erneut angeheizt. Im ganzen Land fordern arme Bauern Eigentumstitel für die Grundstücke, auf denen sie arbeiten. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften gab es in den vergangenen Monaten Tote und Verletzte.
"Die Regierung von Präsident Alvaro Colom geht bisher am brutalsten gegen die Bauern vor", sagt Israel Macario von der unabhängigen Organisation 'Agrar-Plattform'. Seit dem Amtsantritt von Colom 2007 sei es zu 115 Räumungen gekommen.
Macario wirft der Regierung vor, mit wirtschaftlich einflussreichen Gruppen in Guatemala gemeinsame Sache zu machen. Dabei hätten die Bauern einen Anspruch auf Landbesitz, um die gemeinschaftliche Produktion zu fördern, erklärte der Aktivist, in dessen Netzwerk 21 Organisationen zusammengeschlossen sind.
In den vergangenen Monaten kam es in dem zentralamerikanischen Land zu einer Reihe gewaltsamer Räumungsaktionen. Zuletzt drangen am 23. August Soldaten in den Ort Nueva Esperanza im nördlichen Departement Petén ein, wo sie die Häuser von 91 Familien in Brand setzten. Insgesamt wurden 286 Personen gezwungen, das Grundstück zu verlassen. Unter ihnen waren 60 Kinder und 30 ältere Menschen. Die Sicherheitskräfte warfen den Familien vor, mit Drogenhändlern zusammenzuarbeiten.
Die Vertriebenen flohen mit wenigen Habseligkeiten in den Süden Mexikos, wo sie im Bundesstaat Tabasco von Behörden und Nichtregierungsorganisationen in Empfang genommen wurden. Mit der guatemaltekischen Regierung verhandeln sie inzwischen über eine Rückkehr in die Heimat.
Starkes Gefälle zwischen Arm und Reich
Guatemala gehört zu den Ländern, in denen das Problem der ungleichen Landverteilung besonders groß ist. Fast 80 Prozent der bewirtschafteten Grundstücke gehören lediglich fünf Prozent der insgesamt 14 Millionen Einwohner. Zahlen der Vereinten Nationen belegen, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt. 17 Prozent sind extrem arm. Zwischen armen Bauern und expandierenden Industriebetrieben kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen.
"Wir brauchen ein Gesetz, das die Nutzung von Land regelt", forderte Elmer Velásquez von der Koordinationsgruppe von Nichtregierungsorganisationen und Kooperativen in Guatemala. Ein solches Gesetz sei bereits bei den Verhandlungen für das 1996 geschlossene Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla in Erwägung gezogen worden, erinnerte er. Während des 36-jährigen Konflikts waren nach offiziellen Zahlen etwa 250.000 Menschen getötet worden oder verschwunden.
Nach Ansicht von Velásquez könnte ein Agrarkodex die traditionellen Besitzverhältnisse rechtlich legitimieren und eine neue Behörde den Bauern Rechtsberatung in Streitfällen anbieten. "Doch erneut hat der Staat entschieden, auf die Forderungen der Bauern repressiv zu antworten."
Die umstrittenen Ländereien in Guatemala erstrecken sich über eine Gesamtfläche von fast 3.000 Quadratkilometer. Mehr als eine Million Menschen sind von den Auseinandersetzungen direkt betroffen. Bis vergangenen April wurden 1.360 Streitigkeiten ausgetragen, wie das staatliche Sekretariat für Agrarfragen ermittelte. Ausgelöst wurden die Konflikte durch unterschiedliche Faktoren: den Anspruch mehrer Personen auf die betreffenden Gebiete, Landbesetzungen, unklare Grenzverläufe und die Anerkennung indigener Besitzrechte.
Nationales Abkommen gefordert
Carlos Sartí von der unabhängigen Organisation 'Propaz' spicht von einem "großen historischen Problem in Guatemala". Er wirft den bisherigen Regierungen vor, in der Landfrage keine grundlegenden Entscheidungen getroffen zu haben. Sartí plädiert für einen nationalen Dialog über die künftige Entwicklung des Agrarsektors und ein entsprechendes Abkommen, das gewaltsamen Auseinandersetzungen buchstäblich den Boden entzieht.
Mehr als 1.000 Soldaten und Polizisten hatten Mitte März etwa 3.000 indigene Kekchíe vertrieben, die Fincas im nordguatemaltekischen Polochic-Tal besetzt hatten, auf die große Agrarproduzenten Anspruch erheben. Die Sicherheitskräfte zerstörten die Hütten der Ureinwohner und vernichteten deren Saatgut.
Seitdem sind bei Zusammenstößen auf dem Gelände einer Zuckerfabrik nach Angaben des Komitees für bäuerliche Einheit drei Menschen getötet und 18 verletzt worden. Ein weiterer Bauer starb im August bei der Vertreibung von 250 Familien im südlichen Departement Ratalhuleu. Auf den umstrittenen Ländereien soll Zuckerrohr zu kommerziellen Zwecken angebaut werden.
Camilo Salvadó von der nichtstaatlichen Vereinigung für den Fortschritt der Sozialwissenschaften in Guatemala warf der Regierung vor, sich bei der Landverteilung allein nach den Gesetzen des Marktes zu richten und große Industrievorhaben zur Herstellung von Zucker und Palmöl zu fördern. (Ende/IPS/ck/2011)
Links:
http://www.plataformaagraria.org/guatemala/
http://www.avancso.org.gt/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99095
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