Donnerstag, 28. Mai 2015

Willkür-Datei des BKA

Gestörtes Verhältnis zur Versammlungsfreiheit: Bundeskriminalamt speicherte linke Demonstranten jahrelang pauschal als »linksextreme Gewalttäter«. Von Ulla Jelpke Das Bundeskriminalamt hat über Jahre hinweg Hunderte, wahrscheinlich sogar Tausende Personen rechtswidrig in einer Datei über gewalttätige »Linksextremisten« gespeichert. Das ergibt sich aus einem Bericht des früheren Bundesdatenschutzbeauftragten und auf Anfragen der Linksfraktion an die Bundesregierung. Die schon vor sieben Jahren eingerichtete Zentraldatei »Politisch Motivierte Kriminalität – links« soll der Bekämpfung »linksextremistischer Straftäter« dienen. Angaben zu einzelnen Personen sowie zu Gruppierungen, Institutionen und Objekten können miteinander abgeglichen werden, um Zusammenhänge herzustellen. Im März 2012 hatte der damalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar stichprobenartig einzelne Fälle der Datei unter die Lupe genommen. Der bis vor wenigen Wochen geheime, nun aber veröffentlichte Prüfbericht stellt gravierende Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften fest. Voraussetzung für die Speicherung ist eine »Negativprognose«, aus der hervorgeht, dass die betreffende Person in der Zukunft voraussichtlich eine Straftat begehen wird. Häufig fehle aber jeder Hinweis, der eine solche Prognose stützen könnte. Die Datei enthält Kategorien wie »Beschuldigte«, »Prüffälle« und »sonstige Personen«. Daran gibt es in dem Bericht Kritik: »Einige Personen waren wegen der Teilnahme oder Anmeldung einer Versammlung gespeichert«, ohne dass Tatsachen vorgelegen hätten, »die einen konkreten Zusammenhang mit Straftaten oder von der Versammlung ausgehenden Gefahren belegten.« Ein Anmelder wurde sogar gespeichert, obwohl aus den Polizeiakten hervorging, dass bisher von ihm angemeldete Demonstrationen friedlich geblieben waren. Die Speicherpraxis berge die »Gefahr, dass Personen gespeichert werden oder in den Fokus von Ermittlungen geraten, die an der Begehung von Straftaten nicht beteiligt oder gegebenenfalls nur zufällig an bestimmten Orten anwesend sind«, so der Bericht. Besonders bei Sitzblockaden bleibe oft unklar, »welche Straftat dem Betroffenen genau vorgeworfen wird«. Schaar nennt den Fall einer Demonstration in einem Bahnhof: Die Hälfte der Teilnehmer sei in einem Gleisbett »oder auf der Bahnsteigkante« gewesen – als »Linksextremisten« gespeichert wurden aber alle, egal an welcher Stelle des Bahnhofs sie waren. Schaar verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Sitzblockaden grundsätzlich unter den Schutz des Versammlungsrechts gestellt hatte. Der Bericht enthält keine konkreten Angaben zum Umfang der Datei. Die lieferte jetzt aber die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion: Im März 2012 waren 3.819 Personen gespeichert, davon 1.231 in den von Schaar besonders kritisierten Kategorien »sonstige Personen« und »Prüffälle«. Erst zwei Jahre nach der Prüfung begann das BKA eine Revision und löschte diese Kategorien größtenteils. Heute sind in der gesamten Datei noch 331 Personen gespeichert. Zwar könne man nicht genau sagen, wie viele Datensätze wegen abgelaufener Fristen entfernt wurden und wie viele, weil die juristische Speicherberechtigung fehlte, aber die Reduzierung um über 90 Prozent deute darauf hin, dass Tausende der Datensätze rechtswidrig angelegt worden sind. Vom BKA überholt wurden noch 32 andere Dateien in den Bereichen Organisierte Kriminalität und Staatsschutz, dabei wurden 15.000, bzw. 2.500 Datensätze gelöscht, die zu Unrecht Gespeicherten aber nicht informiert. Für die Linksfraktion deutet die BKA-Kategorisierung linker Demonstranten auf ein grundsätzliches Problem hin: Im Polizeiapparat fehle offenbar bis in die oberste Spitze jede Sensibilität für den Stellenwert der Versammlungsfreiheit.

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