Montag, 28. April 2014
Neue Hartz IV-Reform wird die Lage verschlimmern
Paritätischer Wohlfahrtsverband kritisiert Hartz IV-Reformvorschläge
24.04.2014
Die sog. Hartz IV-Reformvorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe stoßen auf heftige Kritik. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnet die neuen Regelungen, die voraussichtlich 2015 in Kraft treten, als „menschenfern“. Die Verschärfung der Sanktionen und weitere Restriktionen würden die Situation vieler Menschen noch verschlimmern. Der Verband fordert stattdessen die Anhebung der Regelsätze auf ein bedarfsgerechtes Niveau.
Regelsätze anheben statt weitere Kürzungen und Verschärfungen durchsetzen
Nachdem Heinrich Alt, Vizechef der Bundesagentur für Arbeit (BA), gestern von einem Bürokratie-Abbau bei Hartz IV sprach und für die Vereinfachungen auch Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen will, hagelt es heftige Kritik an den Hartz IV-Reformvorschlägen, die eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern in den vergangenen Monaten erarbeitet hat. Vor allem bei den Unterkunftskosten müssen sich Leistungsbezieher auf härtere Regelungen einstellen. Eine Verschärfung ist zudem bei den Sanktionen geplant, die unter anderem bereits bei einem Meldeversäumnis eine 100-prozentige Leistungskürzung des Regelsatzes zur Folge hat.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnet die Pläne als „menschenfern“. Wer den Menschen helfen wolle, müsse für bedarfsgerechte Regelsätze sorgen und die Teilhabe von Kindern sicherstellen statt weitere Verschärfungen und Kürzungen durchzusetzen. „Die Reformvorschläge sind in erster Linie verwaltungstechnischer Natur, so genannte Massenverwaltungstauglichkeit steht vor dem Einzelschicksal. Die wirklichen Probleme der Menschen greifen sie nicht auf“, mahnt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Ganz im Gegenteil: Wenn künftig die Miete auf einem bestimmten Niveau gedeckelt oder bei Terminversäumnissen die Zahlungen komplett gestrichen werden, ist das sogar eine unzumutbare Verschärfung.“ Die Regelsätze müssten dringend reformiert werden und die Förderung von Erwerbslosen verbessert werden. „Statt kleinteiliger Verwaltungseffizienzreförmchen, braucht es eine durchgreifende Totalreform“, erläutert Schneider. So sei eine Erhöhung der Regelsätze von derzeit 391 Euro auf 464 Euro zwingend notwendig, um Hartz IV-Bezieher vor Armut zu schützen. Ebenso müssten die Leistungen für Kinder und Jugendlich neu organisiert werden. „Statt 10-Euro-Gutscheine brauchen wir eine kräftige Erhöhung der Kinderregelsätze sowie einen Rechtsanspruch für einkommensschwache Kinder auf Teilhabe.“
Die Linke: Hartz IV-Reformvorschläge sind teilweise verfassungswidrig
Auch die Partei Die Linke kritisiert die Hartz IV-Reformpläne auf das Schärfste. Diese seien teilweise sogar verfassungswidrig. „Das ist eine Giftliste, die in Teilen grundgesetzwidrig ist", erklärte Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Linken, gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung aus Halle. „Das Recht auf Existenzsicherung ist Verfassungsrecht. Es wäre nicht das erste Hartz-Gesetz, das Karlsruhe kassiert." Die große Koalition vollführe mit den neuen Regelungen „eine Reformrolle rückwärts in den Geist der Agenda 2010". Kipping kritisiert weiter: „Was Clement und Müntefering schlecht gemacht haben, macht Nahles noch schlimmer. Die Regierung sollte diesen neuen Murks kassieren". Eine Generalreform sei notwendig. „Weg mit Sanktionen, Neuberechnung des Regelsatzes, mehr Leistungen für Kinder, das wären Kernpunkte", fordert die Parteivorsitzende. (ag)
Keine Leistung – Existenz vor dem AUS
Wir sind selber von der Hartz IV Geschichte unverschuldet betroffen. Die Betonung liegt hier auf UNVERSCHULDET!
Ich bin im Jahr 2010 durch einen Arbeitsunfall lange Zeit bis heute krank. Kompletter Rücken mit 5 Bandscheibenvorfällen usw. betroffen. Trotz OP´s und Rehas usw. ist bisher keine Besserung in Sicht.
Nach Aussteuerung bin ich an die Arge in Wipperfürth überstellt worden. Hier hat man mir alle 14 Tage Jobangebote geschickt, trotz vorliegendem Gutachten der Nicht-Arbeitsfähigkeit!!
Wir haben uns dann telefonisch per Email und per Brief an die Arge gewandt, mit der Bitte um Abstellung der Vermittlung bis zur Genesung. Meinen eigentlichen Job habe ich ja auch noch, bin also ungekündigt. Man hat uns trotzdem die Krankengeldzahlungen verweigert.
Dann bin ich (sind wir) in Hartz IV gekommen. Meine Frau ist vom Arbeitgeber freigestellt, wegen der Pflege Ihres schwerkranken Vaters mit Pflegestufe 3.
Die Auszahlung ist verweigert worden. Die Aussage von Frau xxx in der Arge Wipperführt: ( wörtlich) “Schieben sie Ihren Vater in ein Heim ab, dann können Sie auch arbeiten gehen, dann brauch ihr Mann kein Hartz IV.”
Wir haben dann ca 1 Jahr lang keinen einzigen Euro bekommen, trotz eingeschaltetem Anwalt und Klage vor dem Sozialgericht. Wir warten heute noch auf einen Termin vom Gericht. Unsere komplette Existenz stand und steht vor dem Aus. Mittlerweile bekomme ich die Erwerbsminderungsrente auf Zeit.
Hartz IV: Jobcenter muss für Nichtstun bezahlen
Gericht gab Untätigkeitsklage statt: Jobcenter reagierte acht Monate lang nicht
09.04.2013
Jobcenter-Mitarbeiter müssen im Gegensatz zu Hartz IV Betroffenen nicht mit Geldkürzungen rechnen, wenn sie sich durch Nichtstun hervortun. Eine Untätigkeitsklage ist meist die einzige Möglichkeit, um das Jobcenter dazu zu bewegen, endlich aktiv zu werden. Das Sozialgericht Gießen gab aktuell einer Klage aufgrund einer Behördenuntätigkeit statt und verpflichtete das Jobcenter-Wetterau dazu, über einen Hartz IV-Antrag endlich zu entscheiden. Darüber hinaus muss das Jobcenter die Anwaltskosten des Klägers in Höhe von 250 Euro übernehmen. (Az.: S 27 As 686/12)
Acht Monate keinen Entscheid
Zuvor hatte das Jobcenter einen Widerspruch gegen einen Bescheid zurückgewiesen. Der Widerspruch wandte sich gegen die Kürzung der Unterkunfts- und Heizkosten. Nach Ansicht der Behörde sei dieser „unzulässig“ gewesen. Die Sozialrechtsanwältin forderte die Behörde auf, das Widerspruchsschreiben als Überprüfungsantrag anzusehen und darüber zu entscheiden. Monatelange geschah auch nach zweimaligen Erinnerungsschreiben nichts. Acht Monate später legte die Anwältin im Namen des Leistungsberechtigten eine Untätigkeitsklage ein.
Jobcenter reagierte auch nicht auf Gerichtsschreiben
Nun schaltete sich auch das Gericht ein. Doch auch auf mehrere Schreiben des Sozialgerichts reagierte das Jobcenter Wetterau nicht und legte auch nicht die Leistungsakte vor. Nach einer Anhörung der Beteiligten gab das Gericht der Klage statt. „Das Jobcenter hat nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von sechs Monaten nach Antragstellung entschieden und hierfür auch keinen Grund genannt. Die Klage ist daher begründet“, so das Sozialgericht.
النص الكامل لكلمة الجبهة الشعبية في جلسة المجلس المركزي المنعقدة برام الله
الأخ الرئيس رئيس اللجنة التنفيذية.... الأخ رئيس المجلس الوطني..... الأخوات والأخوة الأعضاء،
تحية فلسطين بغورها وجبلها ومرجها وبحرها وصحرائها وبعد،
من عمق الانتماء والوفاء لعظمة شعبنا ودماء الشهداء، وأنات الجرحى، وبطولات الأسرى ومعاناتهم، وعذابات اللجوء، نستلهم عزيمة التمسك بحقوقنا الوطنية والتاريخية العادلة غير القابلة للتصرف، أو المقابلة، أو المقايضة، ونؤكد أن التناقض الأساس هو، في الحالات كافة، بين الهوية الوطنية والمشروع الصهيوني، وتطلعات شعبنا التحررية وسياسات الاحتلال العدوانية التوسعية الدائمة والمتصاعدة، دون مصادرة الحق في النضال الديمقراطي السياسي والاجتماعي داخل الإطار الوطني الجامع، وفي أوساط شعبنا، ضد كل إدارة لمؤسساتنا وعلاقاتنا الوطنية وقراراتنا المصيرية بعقلية "قل ما تشاء وأنا أفعل ما أشاء". واليوم لن نقول لمن أيد منكم الانخراط في مشروع التسوية الأميركي في محطتيْ "مدريد" و"أوسلو"، "ألم نقل لكم"، بل ندعو إلى التدارك والمراجعة بعد أن حسمت نتائج المفاوضات أن لا جدوى من استمرارها، وخطورة التشبث بنهجها الذي لم يفضِ إلا إلى التغطية على تعميق الاحتلال وتعظيم مصادرة الأرض والاستيطان والتهويد والتنكيل بشعبنا وفلتان المستوطنين وسعار سياسة الاجتياح والاغتيال والحصار على قطاعنا الحبيب وتقييد الحركة والقتل والاعتقال والاعتداء على المقدسات. ناهيكم عن تجويف بنى منظمة التحرير الفلسطينية لمصلحة نقل مركز القرار الوطني إلى السلطة الفلسطينية المقيدة بشروط "أوسلو" والتزاماته السياسية والاقتصادية والأمنية الجائرة والمذلة، عدا انقساماتنا الداخلية ومآزقنا الوطنية متعددة الأوجه والأبعاد، ما يضع مجلسنا أمام استحقاق مراجعة مرحلة المفاوضات برمتها وليس جولتها الجارية في ظل تحولات دولية وقومية جوهرها تراجع هيبة ووزن الولايات المتحدة وفقدانها لدور زعيم العالم المطاع، وظهور عالم متعدد الأقطاب، وحراك شعبي عربي جوهره استفاقة بعد سبات طال. وهو ما سيكون له تأثيراته الإيجابية على قضيتنا وإن بدا الأمر غير ذلك مؤقتاً. دون أن ننسى أن وقف المفاوضات العقيمة ورفع سقفنا السياسي والميداني يلعب دوراً حاسماً في استنهاض شعوب أمتنا، وتفعيل دور أصدقائنا في العالم، وفي مجلس الأمن خصوصاً، الذين لا يستطيعون مساعدتنا ما دمنا نقبل التفاوض الثنائي مع العدو واحتكار حليفه الأميركي لملف قضيتنا، فيما كثير من هؤلاء الأصدقاء يشن حملات منظمة لمناهضة التطبيع مع "إسرائيل" ومقاطعتها اقتصادياً وثقافياً وأكاديمياً.
الأخوات والأخوة....الرفيقات والرفاق
عشية انتهاء مدة جولة المفاوضات الجارية لا جديد بالقول إن سياسات الاحتلال تستبيح شعبنا وأرضنا ووطننا وأسرانا وأمننا ومواردنا ومياهنا وأطفالنا ومقدساتنا....وإنها سياسات تصعيدية هجومية لا تترك متسعاً لأية أوهام تسووية، بل تشحن هبات شعبنا الجماهيرية التي لم تنقطع، ما يوجب رفع استعدادنا وتوحيد صفوفنا والتهيؤ للاحتمالات كافة. فحكومة نتنياهو أكثر حكومات "إسرائيل" تطرفاً وعدوانية وتوسعية وعنصرية تستهدف تحقيق المزيد من الأهداف الصهيونية وفرض شروط جديدة كالاعتراف بـ"إسرائيل" "دولة لليهود" الذي يهدد بطرد أبناء شعبنا في الجزء المحتل من أرضنا عام 1948 وشطب حق العودة، وفرض التسليم بوقائع الاستيطان والتهويد في الضفة وقلبها القدس، أي فرض الاستسلام على شعبنا وتصفية قضيته وروايته وحقوقه من جميع جوانبها. وإدارة أوباما تراجعت عن دعوتها لتجميد الاستيطان، وصرحت مراراً أن "إسرائيل دولة يهودية"، ولم تدع ولو لمرة واحدة لانسحاب الاحتلال من كامل أرضنا المحتلة عام 1967، ولم تستجب للمطالب الفلسطينية بالأغوار، وإزالة جدار الفصل والتوسع، واعتبار القدس الشرقية عاصمة لفلسطين، وإطلاق سراح الأسرى، ولا تأبه بما يتعرض له شعبنا من استباحة شاملة، بل تغطيه باحتكارها رعاية مفاوضات لم تكن، ولن يكون أي تمديد لها، إلا غطاءً لجرائم الاحتلال الذي لن يرحل عن أرضنا إلا إذا تحول إلى مشروع خاسر بالمعنى الواسع والشامل للكلمة.
رفيقاتنا ورفاقنا....أخواتنا وأخوتنا
لأجل الخروج من مآزقنا وإعادة توحيد إرادة شعبنا، فإننا في الجبهة الشعبية لتحرير فلسطين ندعو مجلسنا إلى اتخاذ القرارات التالية:
أولاً: الرفض الصريح لخطة كيري التصفوية، والوقف النهائي للمفاوضات والتنسيق الأمني المترتب عليها، والكفّ عن المراهنة على هذا الخيار العقيم والمدمر، وإعادة ملف القضية الفلسطينية إلى إطار هيئة الأمم ومرجعية جميع قراراتها ذات الصلة والمطالبة بإلزام "إسرائيل" بتنفيذ هذه القرارات لا التفاوض عليها. واعتبار ذلك قراراً ملزماً للجنة التنفيذية التي لم تلتزم حتى بشروط وأسس الحد الأدنى التي وضعها مجلسنا لاستئناف المفاوضات ممثلة في الوقف الكلي والشامل للاستيطان، وتحديد قرارات الشرعية الدولية مرجعية للتفاوض، والإفراج عن الأسرى والمعتقلين، بل واستأنفت التفاوض بعد إنجاز الاعتراف الدولي بدولة فلسطين، ما حوله إلى ورقة مساومة، وحال دون البناء عليه ضمن رؤية شاملة لنيل عضوية مؤسسات هيئة الأمم التخصصية كافة، وخصوصاً محكمة الجنايات الدولية.
ثانياً: التوجه بإرادة سياسية جادة ودون تسويف أو مماطلة أو رضوخ للتهديدات الخارجية، وخصوصاً الأميركية "الإسرائيلية"، لتنفيذ بنود "إعلان غزة" الذي نرحب به كخارطة طريق لإنهاء الانقسام المدمر وبناء الوحدة الوطنية، بدءاً بالتزام الجميع بتفعيل قرار إعلان القاهرة القاضي بانتظام عمل الإطار القيادي المؤقت المعني بتفعيل منظمة التحرير الفلسطينية وإعادة بنائها بإجراء انتخابات للمجلس الوطني يشارك فيها كل أبناء شعبنا في الوطن والشتات، حيث أمكن، وبالتوافق حيث تعذر. وإجراء انتخابات للمجلس التشريعي والرئاسة خلال مدة زمنية لا تتجاوز ستة أشهر، وصولاً إلى تحشيد جماهير شعبنا وتوحيد إرادته وقواه وطاقاته وجهوده وإمكاناته الوطنية في الوطن والشتات حول رؤية واحدة وقيادة واحدة وبرنامج سياسي وطني كفاحي موحَّد ما زالت "وثيقة الأسرى" للوفاق الوطني التي وقعها الجميع توفر أساساً سياسياً صالحا للبناء عليه.
ثالثاً: التأكيد على حق شعبنا في المقاومة بأشكالها وأساليبها كافة، فيما تقديم هذا الأسلوب أو ذاك وارد، إنما بقرار وطني داخلي، وتبعاً لحاجات هذه اللحظة السياسية أو تلك، أما المقاومة الشعبية فخيار نضالي لا يعني المفاضلة بين مختلف أشكال النضال وأساليبه. فحصر مفهوم المقاومة الشعبية في إطار النضال السلمي يفرغه من مضمونه الثوري. ولنا في انتفاضة شعبنا الكبرى نموذجاً بما أبدعته من أشكال المقاومة المتميزة السلمية والعنيفة والجماهيرية والفصائلية المنظَّمة والاقتصادية والسياسية والثقافية التي أربكت العدو وحيدت تفوق ترسانته العسكرية وتفوقت عليه سياسياً وأخلاقيا، بل وجعلت انتزاع حماية دولية مؤقتة لشعبنا إمكانية واقعية حال دون بلوغها الاستثمار السياسي المتسرع لها في اتفاق أوسلو.
الأخوة والرفاق....الأخوات والرفيقات
هذه هي رؤيتنا لإدارة الصراع في المرحلة الراهنة، وللخروج من مآزقنا التي أوصلنا إليها نهج التفرد والمفاوضات العقيمة المدمرة. كلنا أمل باستعدادكم لنقاش رؤيتنا هذه وفقاً للنتائج العملية الكارثية التي أفضى إليها الاعتراف بالقرار 242 توطئة للانخراط في مشروع التسوية الأميركي، والتنازل عن أوراق قوتنا، وفي مقدمتها الاعتراف بوجود "إسرائيل" وأمنها، وإلغاء بنود الميثاق الوطني، بصورة متسرعة ومجانية.
لكم التوفيق والسلام عليكم... الخلود للشهداء...الشفاء للجرحى...الحرية للأسرى
الجبهة الشعبية لتحرير فلسطين
نهاية نيسان 2014
رسالة موجهة من الجبهة الشعبية لتحرير فلسطين لرئيس المجلس الوطني والمركزي
على هامش جلسة المجلس المركزي – رام الله
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الأخ أبو الأديب رئيس المجلس الوطني والمركزي لمنظمة التحرير الفلسطينية
الأخوة هيئة رئاسة المجلس المركزي لمنظمة التحرير الفلسطينية
تحية فلسطين وبعد؛
تهديكم الجبهة الشعبية لتحرير فلسطين أطيب تحياتها متمنية النجاح لدورة المجلس المركزي الفلسطيني، وإنجاز جدول أعماله المقترح، بما يخدم قضية شعبنا الوطنية ويشكل عامل اسناد وقوة لنضال شعبنا في وجه الاحتلال ومشاريعه وأهدافه العدوانية التي تستهدف حقوق شعبنا الوطنية في الحرية والاستقلال والعودة.
إن الجبهة الشعبية لتحرير فلسطين التي وقفت دوماً كجزء من منظمة التحرير الفلسطينية كونها الممثل الشرعي والوحيد للشعب العربي الفلسطيني في وجه كل محاولات شطبها أو تجاوزها أو القفز عنها، لا زالت مؤمنة بهذا الموقف، وستظل مع باقي قوى وفصائل المنظمة داخل الوطن وخارجه في هذا الموقع المتقدم في الدفاع عن ما تمثله المنظمة بالنسبة لشعبنا، في نفس الوقت الذي نأخذ فيه هذا الموقف المبدأي، فإنه يحملنا مسؤولية التصدي والاعتراض والتنبيه الى بعض المظاهر والإجراءات السلبية التي يتم الإقدام عليها في العديد من المناسبات من قبل بعض الهيئات في مؤسسات المنظمة، وتشكل تجاوزاً للقواعد الناظمة لعمل هذه المؤسسات، وفيما يعنينا الآن نسجل :
أولاً : إن تعيين الأب قرمش كنائب مسؤول للمجلس الوطني الفلسطيني بشكل مؤقت والذي أصبح ثابتاً، كان خرقاً للأصول وللنظام الأساسي وخروجاً عن الإجماع الوطني الفلسطيني. وهو ما يتطلب العلاج.
ثانياً : إن استبدال بعض أعضاء المجلس المركزي المتوفين من المستقلين بأعضاء جدد مخالف للأصول، لأن أعضاء المجلس المركزي المستقلين يتم انتخابهم من المجلس الوطني الفلسطيني بصفة عضو مستقل، وهو ما يعتبر مخالفة للنظام الأساسي.
ثالثاً : هناك أعضاء في المجلس المركزي الحالي تم تعيينهم بدل أشخاص متوفين على أساس أنهم مستقلين، مع أنهم في حقيقة الأمر أعضاء منتمين للفصائل وفي هيئاتها القيادية.
رابعاً : إننا ومن موقع المسؤولية والحفاظ على احترام هذه المؤسسة ولوائحها ونظمها نطالبكم بإحالة كل هذه الملاحظات الى لجنة تفعيل منظمة التحرير الفلسطينية حتى تقف أمامها وتكرس نهج التمسك بالقواعد التي تحكم هذه الهيئات، خاصة وأنها ذات طابع تشريعي.
والنصر لشعبنا
الجبهة الشعبية لتحرير فلسطين
26/4/2014
Bayer AG: Medikamente für „westliche Patienten, die es sich auch leisten können“
Gelsenkirchen (Korrespondenz), 26.04.14: Stark unter Druck geraten ist der Pharma-Weltkonzern „Bayer AG“ wegen einer unbedachten Äußerung des Vorstandsvorsitzendes Marijin Dekkers. Angesprochen auf den hohen Preis des Krebs-Medikaments „Nexavar“ sagte er: „Wir haben dieses Produkt nicht für den indischen Markt entwickelt... Wir haben es für Patienten im Westen entwickelt, die es sich auch leisten können.“
Das Zitat hat einen Sturm der Entrüstung in den Medien ausgelöst, sogar der deutsche Botschafter in Indien sah sich gezwungen, sich von diesen Aussagen zu distanzieren. Dabei hat der Bayer-Chef nur das ausgesprochen, was den Geschäftspraktiken der Pharma-Monopole entspricht: Es werden Wucherpreise verlangt für patentierte Medikamente – auch wenn sie oft nur geringen Zusatznutzen für die Patienten haben. Mit dem realen Forschungsaufwand und den Produktionskosten haben diese Preise nichts zu tun.
Lebenswichtige Medikamente insbesondere für ärmere Länder - dafür wird meist nur minimale oder gar keine Forschung betrieben, weil kein zahlungskräftiger Markt vorhanden ist. Zahlreiche Organisationen und Pharmakritiker fordern den Zugang zu allen Medikamenten auch für ärmere Länder und Menschen. Allerdings muss dafür das Patentrecht verändert und die Medikamentenforschung öffentlich organisiert werden. Genau das wussten die mächtigen Pharma-Weltkonzerne wie Bayer bislang zu verhindern.
40 Prozessbesucher erlebten kompetenten und kämpferischen Christian Link
25.04.14 - Am heutigen Freitag, 25. April, fand vor dem Landesarbeitsgericht Hamm die zweite Verhandlung zum Antrag des Bergmanns Christian Link auf einstweilige Verfügung gegen die Ruhrkohle AG (RAG) statt. Rund 40 Besucher waren zur Kundgebung vor dem LAG Hamm gekommen und bekundeten mit dem Singen des Steigerliedes, Plakaten und Beiträgen am offenen Mikrofon ihre Solidarität. Inzwischen sind über 150 Solidaritätserklärungen aus Deutschland und verschiedensten Ländern und Kontinenten eingegangen, für die sich Christian Link herzlich bedankte.
Es ging darum, dass er als Betriebsrat und Wahlberechtigter der anstehenden Betriebsratswahlen bei der Bergbauleiharbeitsfirma Deilmann Haniel wieder das Recht erhält, das Gelände der RAG zu betreten. Die RAG hatte gegen den Umweltreferenten der Bergarbeiterbewegung "Kumpel für AUF" und Stadtratskandidat für "AUF Gelsenkirchen" am 30. Januar 2014 ein Anfahrverbot für alle RAG Zechen verhängt (siehe "rf-news"-Bericht). Das kommt einem faktischen Berufsverbot gleich. Öffentlich hatte Christian Link darauf hingewiesen, welche Gefahren für das Trinkwasser durch die seit 1980 betriebene Untertage-Deponierung von mindestens 1,6 Millionen Tonnen Sondermüll, darunter mindestens 600.000 Tonnen hochgiftiger Filterstäube, ausgehen.
Christian Link war bei der RAG als Fördermaschinist über Tage eingesetzt. Es ist üblich, dass die insgesamt sieben Betriebsräte bei Deilmann Haniel dort vor Ort auch ihre Betriebsratstätigkeit ausüben, wo sie tätig sind. Jetzt arbeitet er bei Deilmann Haniel in der Geräteverwaltung. Er hat durch das Anfahrverbot keine persönliche Ansprache mehr zu seinen Kollegen bei der RAG, um sich wie bisher um ihre Sorgen und Nöte zu kümmern und auch morgens Sicherheitsgespräche zu führen. Die persönliche Werbung für die Betriebsratswahl wird ebenfalls behindert und ist ihm so nicht möglich. Unfreiwillig hatte die RAG allerdings Wahlwerbung gemacht, denn so der Anwalt von Deilmann Haniel: "Keiner sei bekannter als Herr Link."
Peter Weispfenning legte den vorher eingegangenen 21-seitigen Schriftsatz der RAG-Anwälte auseinander, besonders die Behauptung, das Recht von Christian Link auf politische Meinungsäußerung könne im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht geprüft werden.
In einem überzeugenden Statement pflückte Christian Link die unhaltbaren Behauptungen gegen ihn auseinander, er bringe die RAG in Misskredit, schüre Ängste in der Bevölkerung und machte die eigentlichen Hintergründe der Repression gegen ihn deutlich. Beschädigt würde sein Ruf durch unbewiesene Behauptungen der RAG und sie schade selber ihrem Ansehen und verbreite Angst durch die Untertage-Giftmülldeponierung und Gefährdung des Trinkwassers. Er habe sich lediglich mit bekannten Fakten an der Auseinandersetzung beteiligt und Zusammenhänge hergestellt - ausgehend vom Besorgnis-Grundsatz, betonte Christian Link und - ihm "gehe es lediglich um die Zukunft der Kinder und Kindeskinder".
Eindeutiger moralischer Sieger war Christian Link. Eine Spendensammlung für die Prozesskosten erbrachte 145 Euro. Die Unterstützer erklärten, den Kampf gegen die Repression der RAG und die Untertage-Giftmülldeponierung jetzt erst Recht weiter zu führen.
Letzte Meldung: Kurz vor Redaktionsschluss erfuhren wir, dass das LAG Hamm die Klage zurückgewiesen und sich auf die Seite der RAG gestellt hat!
Rüstungsexporte nach Mexiko – ein Update
IMI-Analyse 2014/011
von: Peter Clausing | Veröffentlicht am: 9. April 2014
Hinweis: Der nachfolgende Text ist unter demselben Titel in der aktuellen AUSDRUCK-Ausgabe (April 2014) erschienen. Seit Redaktionsschluss haben sich aber neue wichtige Informationen bezüglich der FX05-Produktionsstätte ergeben, die für diese aktualisierte Fassung berücksichtigt wurden.
Der Verdacht auf illegale Kriegswaffenexporte der Firma Heckler & Koch (H&K) nach Mexiko erzeugte mehrere Wellen medialer Aufmerksamkeit. In jüngster Zeit kamen weitere Diskrepanzen ans Tageslicht. Zudem sollte der Blick auf weitere Akteure nicht verstellt werden. Dazu zählt die Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH.
Heckler & Koch in Mexiko: Ein Rückblick
Am 19. April 2010 erstattete Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, Strafanzeige gegen den im baden-württembergischen Oberndorf ansässigen Waffenproduzenten Heckler & Koch (H&K). Grund dafür waren Hinweise, dass G36-Sturmgewehre in mexikanische Bundesstaaten exportiert wurden, in die laut Exportgenehmigung nicht hätte exportiert werden dürfen. Konkret waren vier Bundesstaaten von der Exportgenehmigung ausgenommen. In Chiapas und Guerrero wurden in der Vergangenheit besonders gravierende Menschenrechtsverletzungen verzeichnet (in Chiapas ist außerdem der zapatistische Aufstand als sozialer Großkonflikt nach wie vor präsent). Jalisco und Chihuahua hingegen sind zwei Bundesstaaten, in denen der mexikanische Drogenkrieg besonders heftig tobte.
Seit Erstattung der Strafanzeige sind vier Jahre vergangen, ohne dass Konsequenzen gezogen wurden – ein Paradebeispiel für die Verschleppung von Ermittlungen, hier gegen ein Unternehmen, über das der CDU-Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Volker Kauder schützend seine Hand hält. Andererseits hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht eingestellt – das ist die gute Nachricht. Offenbar sind öffentliche Aufmerksamkeit und Beweislast zu groß.
Als es im Dezember 2010, ein halbes Jahr nach der Strafanzeige, endlich zu einer Hausdurchsuchung bei H&K kam, vertrat Grässlins Anwalt Holger Rothbauer die Ansicht,[1] dass mit den bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Dokumenten der Tatverdacht wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz ausreichend groß wäre, um Anklage zu erheben. Schließlich, im November 2011, gab es eine Großrazzia, an der rund 300 Einsatzkräfte beteiligt waren und bei der man weiteres Beweismaterial wie Reisekostenabrechnungen, „Exportanträge in ursprünglichen und aktuellen Fassungen, E-Mail-Korrespondenzen und vieles andere mehr“ sicherstellte.[2] Doch eine Anklage gibt es bis heute nicht. Bis April 2013 hatte sich immerhin so viel Druck aufgebaut, dass ein Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin von H&K fristlos entlassen wurden – zwei Bauernopfer, die angeblich die illegalen Exporte nach Mexiko zu verantworten hätten. Ein Eigentor, denn die beiden klagten gegen ihre Entlassung und der Fall wurde Anfang Dezember 2013 in einem überfüllten Gerichtssaal beim Arbeitsgericht in Villingen-Schwenningen verhandelt. Zu einem Urteil konnte sich das Gericht nicht durchringen. Die Parteien erhielten eine Frist, sich außergerichtlich zu einigen. Den Medienrummel anlässlich des Arbeitsgerichtstermins hätte sich das Unternehmen sicher gern erspart.
Der Druck auf H&K entstand auch aufgrund der Rechercheergebnisse des Journalisten Wolf-Dieter Vogel und des Politikwissenschaftlers Carlos Pérez Ricart. Unterlagen des mexikanischen Verteidigungsministeriums (SEDENA) belegten, dass die G36-Gewehre nicht zufällig in jene vier Bundesstaaten geraten waren, die laut Ausfuhrgenehmigung nicht beliefert werden durften. Rund die Hälfte der exportierten Waffen ging in voller Absicht direkt dorthin. Dies war einem im Internet zugänglichen Dokument der SEDENA zu entnehmen, das seit März 2011 existierte und von Vogel im Spätherbst 2012 entdeckt wurde.[3] Das Dokument weist aus, dass von der besagten Lieferung 2.113 Sturmgewehre nach Chihuahua, 198 nach Jalisco, 1.924 nach Guerrerro und 561 nach Chiapas geliefert wurden. Von mehreren Experten, darunter Vogel, wird ohnehin die Ansicht vertreten, dass es völlig realitätsfern sei anzunehmen, man könne derartige Lieferbeschränkungen praktisch umsetzen, insbesondere in einem Land wie Mexiko. Rául Benítez Manaut, Professor an der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt, bezeichnete eine solche Beschränkung in einer arte-Dokumentation (siehe näheres unten) als Beruhigungspille für die deutsche Öffentlichkeit.
Diskrepanzen
H&K wurde von einer neuen Welle der „Popularität“ überschwemmt, als am 4. Februar 2014 die anderthalbstündige Dokumentation „Waffen für die Welt – Exporte außer Kontrolle“ von Daniel Harrich auf arte lief, anschließend noch mehrfach ausgestrahlt wurde und zwei Tage zuvor in den ARD-Tagesthemen angekündigt wurde. Das Ganze wurde von einem Dossier der ZEIT (Dezember 2013) und einem auf die Fernsehdokumentation zugeschnittenen Bericht in der taz flankiert. Im Dokumentarfilm von Harrich gibt es ein Interview mit Raul Manzano Vélez, Direktor der mexikanischen Rüstungsbeschaffungsbehörde (DCAM), in dem dieser rundweg bestreitet, dass Lieferbeschränkungen für bestimmte Bundesstaaten überhaupt existiert hätten. Die SEDENA hätte weder offiziell noch inoffiziell Kenntnis davon erhalten. Auf die im Rahmen einer Kleinen Anfrage[4] der Fraktion Die Linke gestellte Frage „Welche Bundesstaaten durften beliefert werden, und welche nicht?“ antwortet die Bundesregierung ausweichend. In einer weiteren Kleinen Anfrage der Linken[5] teilt die Bundesregierung mit: „Eine solche Zusicherung (die Nichtbelieferung der besagten vier Bundesstaaten, P.Cl.) existiert nicht. Vorbehalte bestanden auch nur gegen die Belieferung der örtlichen Polizeikräfte in den genannten Bundesstaaten.“ Daraus lässt sich schließen, dass die Bundesregierung über eine sehr genaue Analyse der in Mexiko weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen zu verfügen scheint: Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte werden in Mexiko offenbar ausschließlich von örtlichen Polizeikräften begangen.
Es gibt jedoch eine weitere handfeste Diskrepanz. Pérez Ricart nutzte sein Recht als mexikanischer Staatsbürger und fragte im Jahr 2011 unter Berufung auf das dort geltende Gesetz auf Informationsfreiheit (IFAI) bei der mexikanischen Regierung zweimal nach, wieviel G36-Gewehre zwischen 2006 und 2008 importiert wurden. Überraschenderweise unterschieden sich die Zahlen in den beiden Antworten deutlich: das eine Mal waren es laut offizieller Auskunft 9.652, das andere Mal 10.082 Gewehre dieses Typs. Noch überraschender war jedoch, dass laut Auskunft der Bundesregierung in der genannten Periode nur 8.769 Exemplare exportiert worden sein sollen.[6] Wenn bereits die nackten Zahlen der offiziellen Stellen um rund 900 oder gar 1.300 differieren, wieviel Wert haben dann die „Endverbleibserklärungen“? Wäre es nicht höchste Zeit, dass die deutsche Regierung ihre Buchführung über ein so kritisches Exportgut wie Kriegswaffen mit dem Empfängerland abgleicht? Hat H&K 900 oder vielleicht 1.300 dieser Gewehre illegal exportiert? Oder wurde dieser über die offiziellen deutschen Zahlen hinausgehende Export verdeckt genehmigt und über dunkle Kanäle nach Mexiko geschafft? Es wäre nicht das erste Mal, dass Deutschland knietief in illegale Waffengeschäfte verstrickt ist. Erinnert sei an die MEREX AG, die u.a. Mitte der 1980er Jahre an der „Iran-Kontra-Affäre“ beteiligt war, wobei der investigative mexikanische Journalist Manuel Buendía den MEREX-Chef und ehemaligen SS-Offizier Gerhard Mertins illegaler Waffengeschäfte in Mexiko beschuldigte. Kurze Zeit später wurde Buendía ermordet, und bis heute besteht der Verdacht, dass Mertíns einer der geistigen Urheber dieses Mordes war.[7]
Ein Lizenzgeschäft mit Fragezeichen
Damit nicht genug, durch den Film „Waffen für die Welt – Exporte außer Kontrolle“ wurde publik, dass die mexikanische Regierung in den Jahren 2003/2004 an einem Lizenzvertrag mit H&K „interessiert war“. Es wird ein Dokument gezeigt, das Pérez Ricart ebenfalls auf der Grundlage des mexikanischen Informationsfreiheitsgesetzes erlangt hatte und dem zu entnehmen ist, dass umgerechnet 1,2 Millionen Euro für „Technologietransfer“ geflossen sind. Der Politikwissenschaftler verweist darauf, dass das mexikanische Finanzministerium für eine Lizenz von H&K vier Jahre lang Geld auf ein Konto in Deutschland überwiesen hat. Aus unbekannten Gründen kam es jedoch zu keiner Produktion von G36-Gewehren. Ebenso unklar ist, ob die deutschen Behörden jemals die Genehmigung für einen solchen Technologietransfer erteilt haben.
Fakt ist, dass Mexiko etwa seit dem Jahr 2006 eigene Schnellfeuergewehre produziert, die die Typenbezeichnung FX05 tragen, ein Modell, das dem G36 verblüffend ähnelt. Ob und wenn ja, wieviel von dem erwähnten Technologietransfer in die FX05-Produktion eingeflossen ist, wird wohl erst klar werden, wenn es zu einem Strafprozess gegen H&K kommt. Bislang konnte noch nicht abgeklärt werden, wo sich die Fabrik zur Produktion der FX05-Gewehre befindet und wer die Fabrik errichtet hat. Im Fall von Mexiko ist es offenbar nicht die Fritz Werner Holding GmbH, wie erste Informationen es ursprünglich nahelegten.[8] Weitere Recherchen sind also notwendig, um den Waffenlieferanten noch stärker ins Handwerk zu pfuschen.
Anmerkungen
[1] www.juergengraesslin.com/index.php?seite=Pressemit_Hausdurchsuchung_HK_2010-12-22.htm
[2] Grässlin, J. (2013): Schwarzbuch Waffenhandel. W. Heyne Verlag München, S.478
[3] http://jungle-world.com/artikel/2013/09/47219.html
[4] Bundestag Drucksache 17/6432 v.5.7.2011
[5] Bundestag Drucksache 17/8275 v.28.12.2011
[6] http://mexicoviaberlin.org/wp-content/uploads/2014/02/MVB-AG-2014-002.pdf, Grässlin (2013) spricht in seinem Buch (S.447) von 8.710 Gewehren in dieser Periode
[7] Pérez Ricart, C.A. (2014): MEREX AG o la frontera de lo (i)legal en la politica alemana de exportación de armament: una perspectiva historica (1963-1991). México via Berlín Working Paper, in press, http://mexicoviaberlin.org/
Alle Links waren am 23.3.2014 zugänglich.
[8] Im zitierten Dokumentarfilm von Daniel Harrich wird behauptet, dass die FX05-Gewehre in einem Werk im mexikanischen Bundesstaat Querétaro produziert würden und dass an der Errichtung der Fabrik die deutsche Fritz Werner Holding GmbH beteiligt gewesen sei. Eine Überprüfung durch die ZEIT-Journalistin Amrai Coen und ihren Kollegen Hauke Friedrichs (persönliche Mitteilung) ergab, dass diese Behauptung nicht stimmt.
Die Rühe-Kommission
IMI-Analyse 2014/012
Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr bald eine Karikatur?
von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 14. April 2014
Es ist eine ganz besondere Situation, in der sich der Bundestag seit der Bildung der sog. Großen Koalition befindet: Das Parlament wird seine Kontrolle gegenüber der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode nur eingeschränkt ausüben können. Denn von den 631 Abgeordneten des neuen Bundestags gehören 504 (circa 80%) den Regierungsparteien und nur 127 der Opposition an (rund 20%). Aufgrund dieser zahlenmäßigen Schwäche sind der Opposition die Wahrnehmung einiger ihrer Rechte verwehrt. Dazu gehört beispielsweise die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 GG, wozu ein Viertel der Abgeordneten benötigt würden, um empfundene Missstände in der Regierungsarbeit öffentlich aufklären zu können. Auch besitzen die Regierungsparteien mit mehr als Zweidrittel der Stimmen die Möglichkeit, das Grundgesetz nach Artikel 79 Abs. 2 GG zu ändern.[1]
Just etwa zur selben Zeit wird von 50 führenden Mitgliedern des außen- und sicherheitspolitischen Establishments ein Papier mit dem Titel „Neue Macht – Neue Verantwortung“ erarbeitet, das von der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem German Marshall Fund veröffentlicht wurde. Die Hauptaussage dieses Papiers lautet: Deutschland müsse aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe auch mehr (militärische) Verantwortung in der Welt übernehmen. Im Prinzip dieselbe Forderung erheben auch hochrangige Vertreter aus Regierung und Staat. Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärten mehrfach öffentlich, es sei an der Zeit, dass Deutschland international militärisch mehr tun müsse und von seiner scheinbar bisher praktizierten zurückhaltenden Rolle Abstand zu nehmen hätte.[2] Auch Teile der Medien vertreten dieselbe Position und sprechen von der „Verlogenheit der neuen deutschen Außenpolitik“ und der „Nein-Nation“.[3] Eine schwache parlamentarische Opposition gepaart mit der Ankündigung wesentlicher Teile der politischen Elite nach einer neuen offensiven Rolle Deutschlands in der Welt bilden den Kontext, in dem die Einsetzung der Rühe-Kommission zur Überarbeitung (sprich: Beschneidung) der Mitspracherechte des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gesehen werden sollte.
Rühe: Sicherheitspolitische Führungsrolle statt Passivität
Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD beantragten am 11.03.2014 im Deutschen Bundestag die Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“.[4] Übrigens hat der Bundestag seit 1994 ungefähr 240 Mal über Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr beraten.[5] Am 19.03.2014 beschloss er mit den Stimmen der Regierungskoalition die Einsetzung dieser Kommission.[6] Ihren Vorsitz soll Volker Rühe übernehmen.[7] Der CDU-Politiker ließ bereits im Vorfeld erkennen, dass er die Kommissionsarbeit im Sinne der neuen Rolle Deutschlands und die Sicherung der Parlamentsrechte, wie es im Titel der Kommission heißt, als ihren Abbau interpretieren wird. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Titel „Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird“, beklagte er die „sicherheitspolitische Passivität“ Deutschlands. Es spiele in Afghanistan, Libyen und Mali eine „unwürdige Rolle. Denn militärisch nur das Nötigste und vermeintlich Gesichtswahrende zu tun, bleibt hinter unseren Möglichkeiten zurück.“ Und der ehemalige Verteidigungsminister weiter: „Für die neue Bündnisregierung ist es an der Zeit, die wohlfeile Rhetorik über Deutschlands Verantwortung zu beenden und stattdessen ernsthafte Verantwortung zu übernehmen. [...] Wenn Deutschland sich dessen besinnt, gewinnt es nicht nur an Einfluss. Es werden auch immer mehr Partner bereit sein, sich auf arbeitsteilig organisierte oder gemeinsam genutzte militärische Fähigkeiten einzulassen, wie sie Pooling and Sharing in der EU, und Smart Defence sowie das deutsche ‚Rahmennationen-Konzept‘ im Bündnis vorsehen.“[8]
Die Kommission sollte ursprünglich aus insgesamt 16 Mitgliedern bestehen. Davon waren für die Konservativen sieben, für die Sozialdemokraten fünf und für Die Linke und die Grünen jeweils zwei Sitze vorgesehen gewesen.[9] Da aber beide Oppositionsparteien erklärten, nicht teilnehmen zu wollen, wird die Kommission nun lediglich zwölf Mitglieder haben. Vertreter der Oppositionsparteien erklärten den Verzicht damit, nicht als Feigenblatt dienen zu wollen, da es der Regierungskoalition in Wahrheit um die Aufweichung und Schwächung des Parlamentsvorbehalts gehe.[10] In der Tat dürfte das Ziel der Kommission der Abbau der parlamentarischen Entscheidungs- und Kontrollkompetenz in Fragen von Krieg und Frieden sein. Zum besseren Verständnis wird ein kurzer Rückblick auf die Entstehung des Parlamentsvorbehalts und seine stetige Aufwertung durch das Bundesverfassungsgericht präsentiert.
Schlupfloch „Entsendeausschuss“?
Anfang der 1990er Jahre begann die Bundesregierung, die Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets (sog. Out-of-area-Einsätze) einzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht wurde zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bundeswehr-Missionen angerufen und entschied in einem sehr umstrittenen Urteil vom 12.07.1994 zwei für das Verständnis der Legitimation von Bundeswehr-Einsätzen bis heute grundlegende Dinge: Das Gericht sah die Verwendung der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets als grundgesetzkonform an, obwohl diese Deutung in einem klaren Widerspruch zum Wortlaut des Grundgesetzes steht[11] und bestimmte weiterhin, dass das Grundgesetz die Bundesregierung verpflichte, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich die vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Der leitende Gedanke des Gerichts war es damals und in seiner ständigen Rechtsprechung bis heute, „die Bundeswehr als Machtpotential nicht allein der Exekutive zu überlassen“.[12] Das Wort vom „Parlamentsheer“[13] war geboren. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts soll der Parlamentsvorbehalt ein „wirksames Mitentscheidungsrecht“[14] bilden und ein „wesentliches Korrektiv“[15] darstellen, da mit „der Anwendung militärischer Gewalt […] der […] Gestaltungsspielraum der Exekutive“[16] ende. Letztlich obliege dem Bundestag „die Verantwortung für den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr.“[17] Auch in Grenzfällen dürfe angesichts der Funktion und Bedeutung des Parlamentsvorbehalts seine Reichweite „nicht restriktiv bestimmt“[18] werden. Vielmehr sei er im Zweifel „parlamentsfreundlich auszulegen.“[19]
Nicht nur vor dem Hintergrund der militärischen Integration Deutschlands in die NATO, sondern auch im Hinblick auf die Integration der Bundeswehr in den militärischen Teil der EU äußerte sich das Bundesverfassungsgericht im sog. Lissabon-Urteil von 2009 sehr ausführlich zum Bestand des Parlamentsvorbehalts, indem es ihn stark aufwertend „zu dem durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten, unantastbaren Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität“[20] zählte und für „integrationsfest“[21] erklärte. Der Bestand des Parlamentsvorbehalts werde also von dem Vertrag von Lissabon nicht berührt, denn der Vertrag übertrage der EU nach Feststellung des Gerichts „keine Zuständigkeit, auf die Streitkräfte der Mitgliedstaaten ohne Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedstaates oder seines Parlaments zurückzugreifen.“[22] Zudem könne der Parlamentsvorbehalt „auch nicht […] umgangen werden,“[23] da der „deutsche Vertreter im Rat […] in diesem Fall von Verfassungs wegen verpflichtet [wäre], jeder Beschlusslage die Zustimmung zu verweigern, die den […] Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes verletzen oder umgehen würde.“[24]
Neben dem parlamentarischen Zustimmungsrecht wird vom Bundesverfassungsgericht als Bestandteil des Parlamentsvorbehalts eine gesicherte, frühzeitige Informationsweitergabe an den Bundestag durch die Bundesregierung über geplante und laufende Einsätze vorausgesetzt. Denn dadurch werde „die Beteiligung der Opposition in freier parlamentarischer Debatte“[25] gesichert und es werde „damit auch der öffentlichen Meinung besser möglich, über die politische Reichweite des jeweiligen Einsatzes zu urteilen.“[26]
Der Bundestag hatte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Außenpolitik sowie Informations- und Unterrichtungsrechte erlangt – ein Umstand, der laut Auftrag an die Kommission offenbar korrigiert werden soll. Denn ihre Arbeit soll sich unter anderem auf den Aspekt konzentrieren, Möglichkeiten „der Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Einsatzes“[27] zu untersuchen. Unübersehbar steht der Auftrag der Kommission in Kontrast zum Stellenwert des Parlamentsvorbehalts, den das Bundesverfassungsgericht ihm zuschreibt.
Aber auch dafür scheint es ein Schlupfloch zu geben. Ein Rechtsgutachten weist darauf hin, dass nach einer Stelle im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994 das Zustimmungsverfahren im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen abgestuft werden könne, wenn die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet sei und vermutet, dass die Kommission diese Passage des Urteils zum Ausgangspunkt für ihre Überlegungen machen werde, wie die Parlamentsbeteiligung abgestuft werden könnte. Hierfür sei die Errichtung eines Parlamentsausschusses eine Option, der bei Einsätzen von untergeordneter Bedeutung die Rolle des Bundestages übernehmen und ständiger Ansprechpartner der Bundesregierung im Zusammenhang mit bewaffneten Auslandseinsätzen werden könne. Ein solcher “Entsendeausschuss” sei bereits bei den Beratungen zum Parlamentsbeteiligungsgesetz diskutiert worden und könne den Bundestag insbesondere bei routinemäßigen Verlängerungsbeschlüssen oder bei kurzfristig erforderlichen Rettungseinsätzen entlasten, wie es in diesem Gutachten weiter heißt.[28]
Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005): Was steht auf dem Spiel?
Nachdem die Bundesverfassungsrichter in ihrem Urteil vom 12.07.1994 den Parlamentsvorbehalt aus der Taufe gehoben hatten, bestimmten sie, dass es Sache des Gesetzgebers sei, für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.[29] Dies geschah erst elf Jahre später am 18.03.2005 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz, ParlBG). Für eine ausführlichere Einschätzung zur Wirksamkeit dieses Gesetzes und seine Behandlung durch die Bundesregierung wird auf die IMI-Studie „Krieg außer Kontrolle. Die Demontage des konstitutiven Parlamentsvorbehalts“ verwiesen.[30] Dort werden insbesondere die mangelhafte Übernahme parlamentsfreundlicher Vorgaben in das Parlamentsbeteiligungsgesetz und seine lückenhafte Einhaltung durch die Bundesregierung anhand verschiedener Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie der neu aufgebauten Division Schnelle Kräfte (DSK) und der neuen Einheit für Cyber-Angriffe vor dem Hintergrund der Integration der Bundeswehr in die neuen NATO-Strukturen (Smart Defence) und in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (Pooling & Sharing) thematisiert. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über den Gesetzesinhalt gegeben, um erkennen zu können, welche parlamentarischen Kontrollrechte auf dem Spiel stehen.
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt, dass der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb Deutschlands der Zustimmung des Bundestages bedarf (§ 1 Abs. 2 ParlBG). Zudem sichert es dem Bundestag ein Rückholrecht zu, wenn das Parlament seine Zustimmung widerrufen möchte (§ 8 ParlBG). Diese für sich genommen recht starken Regelungen wurden allerdings bereits bei der Formulierung des Gesetzes mit Einschränkungen und Ausnahmen versehen, die seine Wirksamkeit mindern. So wurde zwar gesetzlich definiert, dass ein bewaffneter Einsatz der Zustimmungspflicht unterliegt (§ 2 Abs. 1 ParlBG). Hiervon ausgenommen wurden aber vorbereitende Maßnahmen und Planungen sowie humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Bundeswehr (§ 2 Abs. 2 ParlBG). Zudem wurden noch weitere Einschränkungen in das Gesetz aufgenommen.
Bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite kann ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren angewandt werden. In diesem Fall gilt die Zustimmung als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen mindestens 5% der Abgeordneten eine Befassung des Bundestages verlangen (§ 4 Abs. 1 ParlBG). In der Regel gelten als Einsätze von geringer Intensität und Tragweite auch Erkundungskommandos oder einzelne Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden (§ 4 Abs. 3 ParlBG). Das vereinfachte Zustimmungsverfahren kann auch auf die Verlängerung von Zustimmungsbeschlüssen ohne inhaltliche Änderung angewandt werden (§ 7 Abs. 1 ParlBG). Bei Gefahr im Verzug und bei Einsätzen zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen muss keine vorherige Zustimmung des Bundestages gegeben sein (§ 5 Abs. 1 ParlBG). Jedoch muss der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachgeholt werden (nachträgliches Zustimmungsverfahren) und, im Fall der Antragsablehnung des Bundestags, muss der Einsatz beendet werden (§ 5 Abs. 3 ParlBG). Bei der Verlängerung eines Einsatzes muss die Bundesregierung nur nach Stellung ihres Antrags kurze Fristen abwarten, ob er unwidersprochen bleibt. In diesem Fall, würde der Einsatz als genehmigt gelten. Anderenfalls müsste der Bundestag erneut betraut werden (§ 7 ParlBG).
Obwohl das Gesetz verschiedene Einschränkungen des Zustimmungsvorbehalts enthält, wurden der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag auch Informations- und Unterrichtungspflichten auferlegt, die für eine Transparenz des Einsatzes sorgen sollen. So weist das Gesetz die Verpflichtung der Bundesregierung auf, in ihrem Antrag auf Zustimmung des Bundestages Angaben über den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen, die Höchstzahl der eingesetzten Bundeswehrangehörigen, die Fähigkeiten der eingesetzten Streitkräfte und die geplante Dauer und die Kosten des Einsatzes zu machen (§ 3 ParlBG). Ferner beinhaltet das Gesetz die Pflicht der Bundesregierung, den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklungen im Einsatzgebiet zu unterrichten (§ 6 Abs. 1 ParlBG).
Kommissions-Auftrag: „Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung“
Schon die vorherige Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP kündigte in ihrem Koalitionsvertrag vom 26.10.2009 an, Initiativen zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder zur Schaffung eines Vertrauensgremiums ergreifen zu wollen.[31] Die Ankündigung, das Parlamentsbeteiligungsgesetz ändern zu wollen, kam also nicht aus heiterem Himmel – wohl aber ist der Zeitpunkt bezeichnend, an dem dies geschah.
Häufig ist von Befürwortern des Abbaus von Parlamentsbeteiligungsrechten der Vorwurf zu hören, es behindere oder verzögere zeitlich kritische Militäreinsätze. Die Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH) kam hingegen in einem Positionspapier vom Dezember 2013 zum Schluss, dass es empirisch belegt und in der öffentlichen Debatte Konsens sei, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz Einsätze bislang nicht behindert habe (in 70 Fällen seit 2005 habe der Bundestag zugestimmt). Gegenteilige Behauptungen seien taktischer Natur, um den politischen Druck zum Abbau der Parlamentsbeteiligung zu erhöhen. In diesem Papier plädieren daher die Autoren gegen eine Schwächung parlamentarischer Rechte.[32]
Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 27.11.2013 wurde dann unter dem Titel „Verantwortung in der Welt – Auf die Einsätze der Zukunft vorbereitet sein“ der Auftrag an die Kommission und das weitere Verfahren wie folgt bestimmt: „Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können. Die Kommission wird darauf aufbauend Handlungsoptionen formulieren.“[33]
Nach dem Antrag von CDU/CSU und SPD an den Bundestag sei es das Ziel der Kommission einen Handlungsbedarf „zur Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes“[34] rechtlich und politisch zu prüfen und darauf aufbauend „Handlungsoptionen möglichst im Konsens“[35] zu formulieren, die in ein „förmliches Gesetzgebungsverfahren eingebracht“[36] werden könnten. Die Arbeit der Kommission solle sich auf die „Untersuchung der verschiedenen im Rahmen von NATO und EU bestehenden und künftig zu erwartenden Formen militärischer Integration“[37] konzentrieren und mögliche „Spannungsverhältnisse zur gegenwärtigen Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung“[38] identifizieren. Des Weiteren solle die Kommission, wie bereits betont, „Möglichkeiten der Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Einsatzes“[39] untersuchen. Für diese Aufgabe solle sich die Kommission unverzüglich konstituieren und dem Bundestag binnen Jahresfrist ihre Empfehlungen unterbreiten.[40]
Grüne: „integrierte Mandate“ – Linke: Ausbau parlamentarischer Kontrolle
Die beiden nicht an der Kommission teilnehmenden Fraktionen der Grünen und der Linken brachten jeweils eigene Anträge ein, die abgelehnt wurden. So schlugen die Grünen, neben Minderheitenvoten und Möglichkeiten zur Verbesserung der Transparenz, Evaluation und Mitwirkungsrechte des Bundestages, im Wesentlichen die Option integrierter Mandate vor, die nicht nur die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, sondern auch das gesamte Spektrum politischer und ziviler Schritte unter Einschluss von Polizeibeamten, zivilen Helfern sowie entwicklungspolitischen Maßnahmen umfasse.[41]
Auch der Antrag der Fraktion Die Linke wollte untersuchen, wie die bisherige Unterrichtungspraxis sowie die Mitwirkungsrechte im Sinne größerer Transparenz und stärkerer Kontrollmöglichkeiten parlamentsfreundlich verbessert werden könne; wie angesichts der Weiterentwicklung hoch-technologischer Kriegsführungskapazitäten – bewaffnete unbemannte Waffensysteme – das parlamentarische Entscheidungs- sowie das Kontrollrecht gesichert und ausgebaut werden könne und wie der Einsatz von Spezialkräften jenseits der bisherigen besonderen Unterrichtungspraxis gewährleistet werden könne, die die Abgeordneten befähigt, ihre Kontrollaufgaben wahrnehmen zu können. Abschließend wurde im Antrag der Linken angeregt, die Zustimmung für Auslandseinsätze von einer einfachen Mehrheit im Parlament auf eine Zweidrittelmehrheit anzuheben, um auf diese Weise die Legitimationsqualität zu erhöhen.[42]
Besonders der Gesichtspunkt der spezialisierten Kräfte in der Bundeswehr verdient es, hierauf nochmals gesondert einzugehen. Diese Kräfte sind ebenso wie alle anderen Truppenteile auch der Bundeswehr zugehörig wie alle anderen Truppenteile auch und unterliegen damit dem Kontrollanspruch des Parlaments. In der Praxis unterliegen sie einem von der Bundesregierung im November 2006 vorgeschlagenem und rechtlich nicht fixiertem besonderen Unterrichtungsverfahren, das im Antrag der Linken als „für eine effektive parlamentarische Kontrolle unzureichend“[43] kritisiert wurde.
Denn nach der, in ihren wesentlichen Teilen 2011 beschlossenen, sog. Neuausrichtung der Bundeswehr wurden die spezialisierten Anteile der Bundeswehr erheblich ausgebaut. So wurde gleich eine ganze Division mit dem Namen Division Schnelle Kräfte (DSK) neu aufgestellt, die nach einem Bericht des BMVg vom Mai 2013 das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Hubschrauberverbände des Heeres mit ihren Kampfhubschraubern Tiger und die Luftlandebrigade mit ihren Fallschirmjägern beinhalte, die in der Lage sei, luftbewegliche Operationen, spezielle Operationen und spezialisierte Operationen (vor allem militärische Evakuierungsoperationen) durchzuführen.[44] Auch die Marine erhält entsprechende Truppenteile. Dazu gehören das Kommando Spezialkräfte der Marine, das Seebataillon mit Bordeinsatzteams zum „Boarding“ sowie eine Küsteneinsatzkompanie.[45] Die Führung von Operationen der Spezialkräfte wird zukünftig durch die Abteilung Spezialoperationen im Einsatzführungskommando sichergestellt, heißt es im erwähnten Bericht weiter.[46]
Die Regierungskoalition scheint nicht gewillt, diese neuen Spezialkräften einer umfänglichen Parlamentskontrolle zu unterstellen. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) sind immer mit einer hohen Gefährdung unserer Spezialkräfte verbunden und unterliegen der Geheimhaltung. Wir werden die Unterrichtung des Parlaments in der bewährten Form sicherstellen“.[47] Das bedeutet, anstatt einer Befassung von 631 Abgeordneten, werden nur die Obmänner der Fraktionen im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss in der Regel alle sechs Monate auf freiwilliger Basis, insgesamt 14 Abgeordnete (das sind rund 2%), über die Einsätze von Spezialkräften unterrichtet.
Fazit
Alles was bisher darüber zu hören war, insbesondere aber auch die Zusammensetzung der Kommission selbst, verheißt nichts Gutes. Neben dem Vorsitzenden Volker Rühe finden sich darin eine Reihe Militärs sowie militärfreundliche Politiker wie etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff. Der hatte seine Vorstellungen zur „Reform“ der parlamentarischen „Mitbestimmung“ bereits vor einiger Zeit veröffentlicht: „Wichtig ist, dass wir wie unsere Verbündeten auf Kommando-, Logistik-, Aufklärungs- oder Ausbildungseinheiten, die ‚geteilt‘ werden, verlässlich zugreifen können. […] Eine wirkungsvolle GSVP [Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik] wird die militärischen Fähigkeiten der einzelnen Staaten in so starkem Maße zusammenlegen und unter geteilte Führung stellen, dass es nicht möglich sein wird, nationale Vorbehalte als Einzelmeinung durchzusetzen. Deutsche Soldaten könnten damit in einen EU-Einsatz gehen, den die deutsche Regierung und der Deutsche Bundestag allein aus eigener Initiative nicht beschlossen hätten. […] Dieser Souveränitätsverzicht betrifft gerade den Bundestag mit seiner im europäischen Vergleich eher starken Mitspracherolle und müsste sich in einer Reform des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr niederschlagen. Der Bundestag muss weiterhin das letzte Wort in Form eines Rückrufvorbehalts bei solchen Entscheidungen behalten.“[48]
Es droht also eine erhebliche Beschneidung parlamentarischer Mitbestimmungsrechte. Die Frage stellt sich allerdings, weshalb dies aus friedenspolitischer Sicht von besonderer Bedeutung ist, wenn, wie oben dargelegt, die aktuelle Gesetzeslage ohnehin keine zeitlichen Verzögerungen mit sich bringt und mit einer Ablehnung eines Einsatzes durch eine Mehrheit des Bundestages wohl kaum zu rechnen sein wird? Die Antwort hierauf könnte in etwa folgendermaßen lauten: „Weil gerade eine parlamentarische Zustimmungspflicht für Auslandseinsätze, wie sie etwa in Deutschland für Bundeswehr-Interventionen existiert, ein zentrales Mittel ist, um eine öffentliche Debatte über den Sinn bzw. Unsinn eines Kriegseinsatzes in Gang zu setzen. Ein Krieg wird nicht ‚legitim‘, wenn er eine ‚legal‘ erforderliche Parlamentszustimmung erhält. Ein Parlamentsvorbehalt ist jedoch ein wesentliches Instrument, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, die ‚Legitimität‘ solcher Einsätze grundsätzlich kritisieren und in Frage stellen zu können.“[49]
Anmerkungen
[1] Vgl. Bettina Giesecke, Rechte der parlamentarischen Minderheiten im Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag, Infobrief WD 3 – 3010 – 196/13.
[2] Ausführlicher hierzu vgl. Jürgen Wagner, Münchner Sicherheitskonferenz: Generalangriff der Kriegstreiber, IMI-Ausdruck, Februar 2014.
[3] Vgl. Jochen Bittner / Matthias Geis / Jörg Lau / Bernd Ulrich / Ronja Wurmb-Seibl, Deutsche Außenpolitik. Wir tun doch nix …, Zeit Online, 01.04.2013.
[4] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/766, 18.03.2014.
[5] Vgl. Joachim Gauck, Deutschlands Rolle in der Welt: Anmerkungen zu Verantwortung, Normen und Bündnissen, Rede auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz, München, 31.01.2014.
[6] Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses, a) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Drucksache 18/766 – b) zu dem Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 18/775 – Deutscher Bundestag, Drucksache 18/870, 19.03.2014.
[7] Die weiteren Mitglieder der Kommission seien nach dem Blog Augengeradeaus.net von Thomas Wiegold (20.03.2014): Für die CDU/CSU Andreas Schockenhoff (CDU-Bundestagsabgeordneter), Hans-Peter Uhl (CSU-Bundestagsabgeordneter), Prof. James W. Davis (Politikwissenschaftler, St. Gallen), Prof. Georg Nolte (Jurist, Humboldt Universität, Berlin), Prof. Matthias Herdegen (Jurist, Bonn), Generalleutnant a. D. Rainer Glatz (früherer Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr) und für die SPD Rainer Kolbow (ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium), Niels Annen (SPD-Bundestagsabgeordneter), Rainer Arnold (SPD-Bundestagsabgeordneter), Wolfgang Zeh (Jurist und ehemaliger Bundestags-Direktor), General a. D. Wolfgang Schneiderhan (früherer Generalinspekteur der Bundeswehr).
[8] Volker Rühe, Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird, FAZ, 21.01.2014.
[9] Vgl. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 2.
[10] Vgl. Thorsten Knuf, Bundeswehrkommission ohne Opposition, Frankfurter Rundschau (Online), 24.03.2014.
[11] In Artikel 87a Abs. 2 GG heißt es: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Eine ausdrückliche Zulassung zum Einsatz der Bundeswehr existiert im Grundgesetz lediglich für die Verwendung im Innern nach den Artikeln 35 und 87a Abs. 3 und 4, hingegen nicht für einen Einsatz außerhalb Deutschlands.
[12] BverfGE 90, 286 [381 f.]; BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 57.
[13] BverfGE 90, 286 [381 f.]; BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 57.
[14] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 58.
[15] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 70.
[16] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 70.
[17] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 70.
[18] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 72 f.
[19] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 72 f.
[20] Manuel Brunner und Robert Frau, Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die NATO gegen Karlsruhe und den Bundestag, Legal Tribune Online, 24.05.2012. Zur Bedeutung von Artikel 79 Abs. 3 GG vgl. Michael Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl., 2011, Art. 79 Rn. 26 ff.
[21] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 255.
[22] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 381.
[23] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 387.
[24] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 388.
[25] BVerfGE 121, 135 [162].
[26] BVerfGE 121, 135 [162].
[27] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[28] Vgl. Manuel Ladiges, Beteiligung des Parlaments zeitgemäß?, Legal Tribune Online, 15.03.2014.
[29] Vgl. BverfGE 90, 286, Leitsätze Nr. 1, 3a und b.
[30] Vgl. Michael Haid / Tobias Pflüger, Krieg außer Kontrolle. Die Demontage des konstitutiven Parlamentsvorbehalts, IMI-Studie 2013/04.
[31] Vgl. Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und FDP, Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, Berlin, 26.10.2009, S. 124.
[32] Vgl. Kommission Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr, Für eine Stärkung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, Positionspapier, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg, Dezember 2013.
[33] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, Berlin, 27.11.2013, S. 123 f.
[34] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[35] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[36] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[37] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[38] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[39] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[40] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 2.
[41] Vgl. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/775, 12.03.2014.
[42] Vgl. Antrag der Fraktion Die Linke, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/839 (neu), 20.03.2014.
[43] Antrag der Fraktion Die Linke, aaO., S. 1.
[44] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 08.05.2013, S. 29.
[45] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 08.05.2013, S. 31.
[46] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 08.05.2013, S. 34.
[47] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, Berlin, 27.11.2013, S. 124.
[48] Schockenhoff, Andreas/Kiesewetter, Roderich: Impulse für Europas Sicherheitspolitik. Die Zeit zum Handeln ist gekommen, in: Internationale Politik 5, September/ Oktober 2012, S. 88-97, S. 96.
[49] Wagner, Jürgen: EUropa außer Kontrolle. Die EU-Außen- und Sicherheitspolitik im parlamentarischen Niemandsland, Informationen zu Politik und Gesellschaft, Nr. 6/August 2013, S. 4.
Militär und Militärisches in der Forschungsförderung
Die Debatte um die Einführung sogenannter Zivilklauseln, einer Selbstverpflichtung wissenschaftlicher Einrichtungen, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen, hat eine Fülle von Informationen ans Tageslicht gebracht, die selbst jene Angehörige der Universitäten und Fachhochschulen erstaunt haben dürfte, die nichts gegen Militärforschung an öffentlichen Hochschulen einzuwenden haben. Der Anteil der direkt vom Bundesverteidigungsministerium (BMVg) geförderten Forschung an deutschen Hochschulen ist zwar gering, aber nichtsdestotrotz vorhanden.
Darüber hinaus existieren NATO-Forschungsprogramme und die direkte Förderung bundesdeutscher Forschungsarbeiten durch das Pentagon und Verteidigungsministerien anderer Staaten sowie die Förderung durch Industrieunternehmen, die einen Teil ihrer Umsätze mit der Produktion von Kriegsmaterial erzielen. Schwerer fast noch wiegt allerdings die aufkommende Einsicht, dass gewisse Forschungsbereiche dem Hoheitsgebiet der Hochschulen zu entgleiten drohen und mehr und mehr von Institutionen wahrgenommen werden, die Synergieeffekte für das Militär hinnehmen bzw. bewusst anstreben. „Dual use“ wird das genannt und dahinter steckt kein Zufall sondern ein Konzept, das dazu dient, zivile Forschungskapazitäten für militärische Entwicklungen zu nutzen.
Hochdifferenzierte, kleinteilige Forschung ist für diesen Mechanismus besonders anfällig, da sie konkreten Verwertungszusammenhängen scheinbar entzogen ist und beteiligte Wissenschaftler sich mit dem Verweis auf den Grundlagencharakter ihrer Forschung sozusagen selbst die Absolution erteilen können. Hier verlagert sich die Debatte um die Zivilklausel in eine über die „Freiheit der Forschung“ im Allgemeinen. Denn bei genauerer Betrachtung wird Forschungsfreiheit nicht durch die Einführung von Zivilklauseln bedroht, sie wird überhaupt erst wieder hergestellt, da sie den Gesamtzusammenhang organisierter Forschung deutlich zu machen hilft und der politischen und ökonomischen Einflussnahme erste Grenzen setzt.
Großteil der militärischen Forschung nicht an den Hochschulen
Verschiedenste Anfragen im Bundestag haben den Umfang der direkten Forschungsförderung durch das Bundesministerium für Verteidigung an deutschen Hochschulen aufgezeigt.(1) 2013 belief sich die Gesamtsumme auf 4,8 Millionen Euro(2) - angesichts der z.B. durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vergebenen Mittel von fast 2,5 Milliarden Euro (2012)(3) mutet dies nahezu lächerlich an. Noch weiter scheint sich das Bild zu relativieren, wenn man die Verteilung auf außeruniversitäre Einrichtungen und Hochschulen betrachtet und auf Forschungsbereiche eingrenzt. Kleinteilige wehrmedizinische Auftragsforschung überwiegt bei den meisten regulären Universitäten. Von den rund 46,8 Millionen Euro, die zwischen den Jahren 2000 und 2010 seitens des BMVg an Hochschulen vergeben wurden, entfallen „lediglich“ 6 Millionen auf die großen technischen Universitäten.(4) Von den 58 Empfängerhochschulen werden besonders bedacht: Universität München (2,4 Millionen), Technische Universität München (3,5 Millionen), Bundeswehruniversität München (4,3 Millionen), Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg (3,8 Millionen), Universität Kiel (2,8 Millionen), Sporthochschule Köln (4,4 Millionen).
Der Großteil der durch das Verteidigungsministerium vergebenen Auftragsforschung findet jedoch nicht an den Hochschulen statt, sondern an den eigenen Ressort-Forschungseinrichtungen und den außeruniversitären wissenschaftlichen Instituten. So erhalten eine ganze Reihe von Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft eine Sockelfinanzierung durch das BMVg. Hier kommen Gelder für einzelne Forschungsprojekte hinzu, an denen teilweise Wehrtechnische Dienststellen der Bundeswehr direkt beteiligt sind oder die quasi begleitend zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr stattfinden – etwa zur digitalen Aufarbeitung von Luftaufnahmen von Drohnen durch das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung, IOSB.
Betrachtet man die Aktivitäten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen genauer, werden wiederum Querverbindungen zu den öffentlichen Hochschulen sichtbar – und im Zuge sogenannter Exzellenzcluster und Forschungsprogramme auch explizit gefördert. So war der inzwischen ausgeschiedene Direktor des Fraunhofer Institut für naturwissenschaftliche Trendanalyse (INT) bei Bonn gleichzeitig Professor an der Fachhochschule Rhein-Sieg, also einer der vom BMVg besonders bedachten Institutionen. Der jetzige Direktor des INT hat eine Professur an der RWTH-Aachen inne und es bleibt abzuwarten, ob sich dies auch auf das Gebaren der Hochschule insgesamt auswirkt. Mit Wissenschaftlern aus den Fraunhofer Instituten, die mit wehrtechnischer Forschung befasst sind, an öffentlichen Hochschulen lehren und die dortige Forschung mit beeinflussen, wird zumindest ein Zusammenhang zwischen zivilen und militärischen Forschungsfragestellungen hergestellt. Dem INT als einer Institution, die dem Verteidigungsministerium beratend zuarbeitet und es als seine Aufgabe ansieht, aktuelle Forschungstrends auf ihr militärisches Potenzial zu untersuchen, ist unter dem Gesichtspunkt der Forschungssteuerung eine Schlüsselstellung zuzuschreiben. Ebenso lässt sich das Ernst-Mach-Institut (Fraunhofer Ernst Mach Institut für Kurzzeitdynamik, EMI) benennen, das mit seinem (nun ausscheidenden) Leiter Klaus Thoma nicht nur direkt als Institut der Wehrforschung gelten muss, sondern darüber hinaus auch an der konzeptionellen Ausgestaltung bundesdeutscher Förderprogramme im Bereich der „zivilen“ (und also nicht in den bisher genannten Zahlen enthaltenen) Sicherheit und Sicherheitstechnik entscheidend beteiligt ist.
"Sicherheit" ist als ein Schlagwort zu verstehen, das einen fließenden Übergang von Technologien zwischen zivilen und militärischen Anwendungsspektren beschreibt und wesentlich daran beteiligt ist, Grundlagenforschung etwa in der Informatik, der Biologie/Neurologie oder auch den Sozial- und Organisationswissenschaften militärisch nutzbar zu machen. Das Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Forschen für die zivile Sicherheit“ ist maßgeblich von einer Institution mitgestaltet worden, die sich der Wehrforschung verschrieben hat. Als konzeptionell führendes Institut im Fraunhofer-Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (VVS) werden von Freiburg aus die Aktivitäten der Fraunhofer Institute mit diesem Schwerpunkt koordiniert. Dieses Konstrukt wirkt sich dann weit über den Bereich der Fraunhofer Institute in eine ganze Reihe von Hochschulen aus und bettet damit auch Teile ihrer Forschungs- und Ausbildungsleistung in den Kontext von Wehrforschung ein. Dazu gehört z.B. die Universität Freiburg, die an verschiedenen Stellen mit dem EMI verknüpft ist und unter anderem inzwischen mit dem EMI einen Fortbildungsstudiengang „Sicherheitssystemtechnik“ anbietet.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Ähnliches wie für die Fraunhofer-Gesellschaft gilt auch für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das ebenfalls breit über die Bundesrepublik verteilt und in viele Hochschul-Forschungsprojekte involviert ist. Sei es, dass beteiligte Wissenschaftler parallel auch Ämter innerhalb des DLR bekleiden, sei es, dass man Teilprojekte innerhalb des DLR ausführt: das DLR sitzt im Bereich der Luft- und Raumfahrtforschung immer mit am Tisch. Allein der Forschungsflughafen Braunschweig zeigt die enge Verknüpfung des DLR zu hochschulbezogener Forschung im Luft - und Raumfahrtbereich auf. Dabei werden militärische Fragestellungen des DLR durchaus berücksichtigt, teilweise sind sie sogar explizit Forschungsinhalt, denn als Institution wird das DLR u.a. vom Verteidigungsministerium mit konkreten Evaluations- bzw. Forschungsaufträgen bedacht. Das DLR als Motor des Agendasetting für luft- und raumfahrtbezogene Forschung wäre ohne seine militärische Komponente nicht zu denken. Eine der Stärken des DLR besteht darin, komplexe Fragestellungen in kleinteilige und damit durch die Forschergemeinschaft auch dezentral zu bearbeitende Einzelfragestellungen aufzugliedern. Meta-Projekte wie UCAV-2010, das Basistechnologien zukünftig möglicher unbemannter Kampfflugzeuge identifizieren sollte, sind Ausgangspunkt einer Vielzahl von Forschungsprojekten, die dann wiederum von Wissenschaftlern innerhalb der DLR, aber auch außerhalb – nämlich an öffentlichen Hochschulen – bearbeitet wurden. Der einzelne Forscher in einem Hochschulprojekt hat dabei möglicherweise gar keine Ahnung, dass sein „selbst ersonnenes Projekt“ in einem Zusammenhang mit einer aus einer militärischen Fragestellung erfolgten Technologieanalyse als möglicher Lösungsweg bereits identifiziert wurde: der ggf. vorhandene zivile Impetus seiner Forschung wird somit unter den Aspekten von „Dual-Use“ schon im Ansatz untergraben.(5)
Institutionen wie das DLR, Fraunhofer oder auch andere, die direkte Förderungen vom Verteidigungsministerium erhalten und zu deren Arbeitsfeldern die Wehrtechnik gehört, wirken somit auf die Ausgestaltung der Forschung an öffentlichen Hochschulen zurück: das Militärische betritt sozusagen durch die Hintertür das Haus. Kooperative Forschungsprojekte an öffentlichen Hochschulen, die Partner aus dem DLR oder den Fraunhofer-Instituten, die mit Wehrtechnik befasst sind, einschließen, sind aus dem Kontext militärischer Forschung nicht zu trennen. Ohne sich Verschwörungstheorien hinzugeben zu müssen, sollten sich Forscher dieser Zusammenhänge bewusst werden.
Fördergelder aus dem Pentagon
Ein weiterer Verknüpfungspunkt ziviler, öffentlicher Hochschulen mit den Systemen wehrtechnischer Forschung sind jene Projekte, deren wissenschaftliche Mitarbeiter vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert werden. In der medialen Behandlung dieser Fälle sind interessante Beobachtungen zu machen. Zum einen werden einzelne Projekte von den Forschern selbst als „zivile“ Grundlagenforschung charakterisiert, indem das Pentagon als ein ganz normaler Forschungsförderer präsentiert wird. Zum anderen wirken die Medienberichterstatter äußerst hilflos, denn selbstverständlich fällt es ihnen schwer, aus der kleinteiligen Forschung einen „Link“ zum Militär nachzuvollziehen.
So bleiben wenige herausragende Forschungsprojekte an deutschen Hochschulen übrig, die, wie z.B. die Sprengstoffforschung an der Universität München, denen sichtbaren Kriterien kriegerischer Einsatzspektren zuzuordnen sind. Auch hier, wie schon bei den direkten Forschungsaufträgen der Bundeswehr an deutsche Hochschulen, ist das Volumen der Förderung nicht riesig: 10 Millionen US-Dollar seit dem Jahr 2000.(6) Dabei stellt diese Summe nur die sichtbare Spitze des Eisbergs der vorhandenen Verbindungen dar: im US-amerikanischen Hochschul- und Forschungssystem ist das Pentagon einer der mächtigsten Akteure und große amerikanische Forschungsinstitutionen wie das MIT sind von ihm direkt „abhängig“. Kooperationen deutscher Wissenschaftler mit amerikanischen Kollegen in solchen Institutionen stehen damit praktisch unter dem Generalverdacht einer Verquickung mit militärisch finanzierter Forschung des Pentagon und seiner Forschungsabteilung DARPA. Angesichts dieser Konstellation darf die Lösung aber nicht darin bestehen, reflexhaft einem Anti-Amerikanismus zuzuarbeiten oder mit fatalistischer Geste die eigene Ohnmacht zu beschwören, sondern die Projekte und ihre Ziele zu hinterfragen und auf die ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Fragestellungen zurückzuführen.
Ebenso entscheidend für die Ausgestaltung der technischen Forschung an öffentlichen Hochschulen in Deutschland sind die Verbindungen zur Industrie – sie sind allerdings deutlich schlechter dokumentiert. Auftragsforschung und industriefinanzierte Forschungsförderung ist ein wichtiger Faktor für die Hochschulen geworden, die mehr und mehr Gelder außerhalb der staatlichen Grundfinanzierung erhalten. Der Anteil der industriebasierten Forschungsförderung an den Gesamtmitteln der Hochschulen in Deutschland ist inzwischen bei 15 Prozent angelangt – Tendenz steigend.(7) Universitäten werden dabei nicht zwangsläufig zu Dienstleistern gegenüber der Industrie (obgleich sich ihre Leitungsgremien zunehmend als solche betrachten), aber sie büßen Teile ihrer Unabhängigkeit in der Auswahl der Forschungsthemen ein. Unmittelbare „Auftragsforschung“, die zum Ziel hat, Produkte des Geldgebers zu verbessern oder technische Probleme zu lösen, begründen sich nicht selten aus der Expertise der beauftragten Forscher und sind oftmals eingepasst in die vorhandene Forschungsfestlegung der empfangenden Institute – sie stehen so bestenfalls in keinem Widerspruch zur postulierten Forschungsfreiheit. Auftragsforschung dieser Art bedeutet aber auch, dass sich ein Wissenschaftler oder ein Institut fachlichen Determinierungen oder finanziellen Abhängigkeiten unterwirft, die es zukümftig nicht mehr erlauben, solche Projekte abzulehnen.
Zudem setzen sich im politisch gewollten Konkurrenzkampf genau solche Institute mittelfristig gegenüber jenen durch, die weniger industrienahe Forschung betreiben. Häufig ist aber auch eine „Forschungsförderung“ durch die Industrie anzutreffen, die scheinbar unspezifisch Forschungsprojekte oder Studiengänge finanziert. In beiden Fällen einer spezifischen oder unspezifischen Förderung ist nicht von einer „uneigennützigen“ Förderung auszugehen, sondern es sind Interessen damit verknüpft. Forschung entlang der von der Industrie vorgegeben Themenspektren ermöglicht nicht nur die Reduzierung deren eigener Forschungs- und Entwicklungskosten, sondern erzeugt nebenher das zukünftige Forschungspersonal, das bereits mit den industriell interessanten Fragen in seiner Ausbildung in Berührung gekommen ist.
Das gilt auch und vielleicht sogar besonders für die komplexe Wehrindustrie. In industrienahen Institutionen wie dem Ludwig Bölkow Campus in München, an dem zukünftige Systeme für die Luftfahrt ersonnen werden sollen, fügen sich die Interessen in besonderer Weise zusammen.(8) Dort sind nicht nur die TU München, die Bundeswehruniversität München und das DLR vertreten, sondern vor allem auch die mit der Wehrtechnik eng verknüpften Industrieunternehmen IABG und Airbus: sie sind die potentiellen Abnehmer zukünftiger Absolventen und möglicher Forschungsergebnisse.
Wissenschaftler als Manager
Die bescheidenen Fördersummen, die von militärischen Institutionen an die Hochschulen fließen, sind somit nur ein Teil der Durchdringung der Hochschulen mit militärischen Fragestellungen – sie sind zu ergänzen durch die Förderung wehrtechnischer Unternehmen und deren Interesse an der Optimierung und Verlagerung eigener Forschung. Ein entscheidender Einfluss besteht darüber hinaus im Agendasetting durch Personen und Institutionen aus dem Feld der Sicherheits- und Wehrforschung und einer daraus resultierenden Diffusion von Forschungsfragen aus dem militärischen in den zivilen Bereich. Universitäten und Hochschulen, die in einen Wettbewerb um (Dritt-)Mittel gedrängt werden, betreiben die eigene Militarisierung auch dadurch mit, dass sie opportunistisch ethische und moralische Fragen ausblenden und systematisch die Verantwortlichkeit für die eigene Forschungsleistung ignorieren. Statt kritischer Forschungsfolgeabschätzung, die die Motivationen hinter den Fördersummen aufdeckt, ziehen sich Wissenschaftler auf Begrifflichkeiten von „Forschungsfreiheit“ und „demokratisch legitimierte Institutionen“ zurück.
Gefragt ist und gefördert wird ein Wissenschaftlertyp, der sich als Manager und Unternehmer begreift und seine Forschungskapazität durch die Einwerbung von Drittmitteln auf einem Fördermarkt belegt, der sich mehr und mehr der Transparenz entzieht. Für kritische, verantwortliche Forschung ist damit in der Konsequenz auch an Hochschulen immer weniger Platz. Die bisherigen Stellungnahmen der sich im Kontext militärnaher Forschung äußernden Wissenschaftler legen eine solche Tendenz nahe: Dass Militarisierung und Krieg von Teilen der Wissenschaft durchaus als ein Bereich des Möglichen begriffen wird, der zusätzliche Finanzierungsquellen eröffnet. Das Entledigen von moralischen und auch methodischen Grenzziehungen wird dabei billigend in Kauf genommen.
Anmerkungen
(1) Die Bundesregierung betont, dass es sich bei den vom BMVg ausgelobten Geldern um Forschungsaufträge handelt und keine „Drittmittel“ im Sinne einer Forschungsförderung. Bundestags-Drucksachen (BT) Auswahl: 16/10156; 17/3337; 17/6200; 17/14706.
(2) Bundestags-Drucksache 17/14706
(3) Statistik auf der Homepage der DFG.
(4) BT Drucksache 17/6200.
(5) Prägnantes Beispiel ist das Drohnenprojekt SAGITTA, wo sich kleinteilige Forschungsvorhaben zu einem kriegerischen Ganzen ergänzen, siehe Thomas Mickan, Sagitta – auf dem Weg zum autonomen Krieg?, in: Ausdruck, 4/2013, S. 1-5.
(6) US-Militär finanziert deutsche Forscher, Süddeutsche 25. 11.2013, http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimer-krieg-us-militaer-finanziert-deutsche-forscher-1.1826649
(7) DFG-Förderatlas 2012, S. 25. Von den 11,8 Milliarden €, die 2009 den Hochschulen für Forschung zur Verfügung standen entfielen demnach 81% auf staatliche Quellen, 15% auf die Industrie und 4% auf ausländische Förderung.
(8) Zum Campus siehe ausführlicher: Epple/Iberl, Bavarian International Campus Aerospace and Security, in: Drohnenforschungsatlas, Tübingen 2013, S. 42-45.
Die Eskalationsverstärker
IMI-Analyse 2014/014 - in: junge Welt, 19.04.2014
von: Sevim Dagdelen und Martin Hantke | Veröffentlicht am: 19. April 2014
Angesichts der sich zuspitzenden Lage in der Ukraine und den von den USA und der EU verhängten Sanktionen gegen Rußland hat sich die Debatte über Sinn und Zweck von restriktiven Maßnahmen gegen Personen bis hin zu einem Wirtschaftsembargo erneut verstärkt. Es scheint, als ob die Repressionen gegen Moskau in unmittelbaren Zusammenhang mit einer stärkeren militärischen Präsenz der NATO an der Ostgrenze des Bündnisses gestellt würde. So skizziert Michael Rühle, der das Referat für Energiesicherheit bei der NATO leitet, in einem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung vom 11. April 2014 die Notwendigkeit für die Vorwärtsbewegung der NATO: »Und man wird nicht umhinkommen, die früher gemachte Aussage zu überprüfen, man sehe keine Notwendigkeit für mehr militärische Kräfte in den neuen NATO-Staaten.« Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach sich zugleich für härtere Sanktionen gegen Rußland aus. Vor dem Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft betonte er, die Unternehmen müßten verstehen, daß die Politik »über weitergehende Maßnahmen« nachdenke (FAZ vom 11.4.2014). Steinmeier drohte zudem unverhohlen, das russische Vorgehen auf der Krim öffne die »Büchse der Pandora« für den Vielvölkerstaat Rußland.
Vor diesem Hintergrund nimmt eine Debatte um Sinn, Wirksamkeit und die wirkliche Gründe von Strafmaßnahmen neue Fahrt auf. »Sanktionen mögen dem sogenannten Feind nicht viel anhaben, geben aber denen, die sie verhängen, ein gutes Gefühl«, schrieb einst die britische Tageszeitung The Independent. Eine ähnliche Haltung trifft man oft auch in der aktuellen politischen Debatte an, wonach es sich bei Sanktionen um harmlose Papiertiger, um eher symbolische Gesten handele. Ein kurzer Überblick über die Geschichte solcher Zwangsmaßnahmen zeigt, wie falsch und gefährlich diese Einschätzung ist. Richtig ist, daß Sanktionen sehr selten ihren proklamierten Zweck erfüllen, Staaten auf »friedlichem« Wege zu drängen, gewisse Handlungen durchzuführen oder von ihnen Abstand zu nehmen. Langfristig verschärfen Sanktionen Konflikte. Sie stellen gerade nach dem Ende des Kalten Krieges ein immer wichtigeres Instrument der Kriegsvorbereitung dar. Sie manipulieren die öffentliche Meinung und helfen bei der Konstruktion von Feindbildern. Mit ihrer Hilfe werden Koalitionen geschmiedet und »Abtrünnige« auf Linie gebracht, und sie legitimieren den Truppenaufmarsch, schwächen den Gegner und hindern ihn seinerseits an der Aufrüstung.
Dabei bergen Sanktionen die Gefahr, eine Eigendynamik zu entfalten, die auch dann in einen tatsächlichen Krieg führen kann, wenn niemand diesen Konflikt wirklich will. Dieses Risiko wächst, da die Sanktionsmechanismen gegenwärtig enorm ausgeweitet und ausdifferenziert werden. So deutete z.B. mit den US- und EU-Beschlüssen Anfang 2012, Iran kein Erdöl mehr abzunehmen, vieles darauf hin, daß trotz einer leichten Entspannung infolge des Präsidentenwechsels im Iran eine Rückkehr zum Totalembargo, wie im Fall des Irak (1990–2003), nicht ausgeschlossen erscheint. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, daß linke und konservative Kritiker einer Sanktionsspirale gegen Syrien und den Iran als »Unterstützer« der jeweiligen Regime oder »Vulgärpazifisten« diffamiert werden. In bezug auf Rußland wird versucht, Politiker, die sich gegen eine Eskalation wenden als »Rußland-Versteher« oder sogar als »Putins U-Boot im deutschen Parlament« – so Thorsten Denkler auf Süddeutsche.de am 18. März 2014, zu diffamieren. Ähnliche Stigmatisierungsversuche fanden sich analog im Vorfeld des Irak-Krieges. So argumentierte etwa der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz am 11. September 2002, der damalige Kanzler Gerhard Schröder sei mit seinem Kurs gegen einen Irak-Krieg zum »Kronzeugen« des irakischen Diktators Saddam Hussein geworden (Spiegel online, 11.9.2002).
Kurze Geschichte der Sanktionen
Die 1990er Jahre lassen sich als »Sanktionsdekade« bezeichnen. Während der UN-Sicherheitsrat in den ersten 45 Jahren seit dem Bestehen der Vereinten Nationen nur zweimal Sanktionen (gegen Südrhodesien 1966 und Südafrika 1977) erlassen hatte, ist seit dem Ende der antagonistischen Weltordnung geradezu von einer Explosion in der Anwendung dieses Mittels zu sprechen – ähnlich wie bei der wachsenden Anzahl UN-mandatierter Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta. So verhängte der Sicherheitsrat allein in der letzten Dekade des vergangenen Jahrhunderts eine Vielzahl von Zwangsmaßnahmen z.B. gegen den Irak (1990–2003).
Besonders gerne wird das alte Südafrika für die Rechtfertigung von Wirtschaftsembargos herangezogen. Doch auch hier ist Skepsis angebracht. Jenseits der symbolischen Wirkung einer weltweiten gesellschaftlichen Boykottbewegung gegen das Apartheidregime wird die Wirksamkeit der Sanktionen zumindest in den wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen weitgehend in Frage gestellt. So kommt u.a. 2002 eine Studie des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) zu dem Befund: »Die Sanktionen, die gegen das Land verhängt wurden, haben in erster Linie die nichtweiße Bevölkerung getroffen, die Arbeitsplätze und Einkommen verlor. Die eigentlich zu treffenden Eliten haben hingegen durch die Verknappung der Güter und durch Desinvestitionen häufig sogar profitiert. Bisweilen wird argumentiert, daß die Sanktionen gegen Südafrika das Apartheidregime eher verlängert als verkürzt hätten.« Auch wenn das HWWA zu einer anderen Bewertung kam, so ist doch zu konstatieren, daß sich die neueren Sanktionen nur schwer unter Hinweis auf die Zwangsmaßnahmen gegen das Apartheidregime rechtfertigen lassen. Insbesondere die gegen den Irak verhängten ließen sogar die Embargobefürworter erkennen, daß Strafmaßnahmen immer die Bevölkerung treffen. Mit Bezug auf den Irak wurde auch die Kritik geäußert, die Druckmittel hätten lediglich zur Vorbereitung des Angriffskrieges der »Koalition der Willigen« im Jahr 2003 gedient.
Nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait 1990 waren mit der UN-Resolution 661 weitreichende Sanktionen gegen das Land verhängt und die Aufhebung dieser an einen vollständigen Rückzug der Einheiten Bagdads gekoppelt worden. Zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 660 eine Gefährdung des Weltfriedens festgestellt. Zu den Maßnahmen zählten neben umfassenden Wirtschaftssanktionen auch ein Waffenembargo sowie zum ersten Mal die Einschränkungen der Reiserechte und das Einfrieren von ausländischen Bankkonten der Mitglieder der Regierung. Nach dem Rückzug der irakischen Armee aus Kuwait wurden die Zwangsmaßnahmen nicht aufgehoben, sondern mit weiteren Forderungen verknüpft. Sie blieben bis zum Golfkrieg 2003 insgesamt 13 Jahre bestehen. Und sie hatten bereits vor Beginn der Kampfhandlungen eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Unabhängigen Schätzungen zufolge forderten sie bis zu eine Million zivile Opfer. Dies und die öffentliche Kritik an den Pressionen führten zu einer Neudefinition von Sanktionsmaßnahmen.
Sogenannte Smart sanctions – intelligente Sanktionen – wurden entwickelt. Grundgedanke der neuen Instrumente war, die Maßnahmen so zu gestalten, daß sie direkten Druck auf Personen oder Stellen ausüben, von denen angenommen wird, sie könnten tatsächlich Einfluß auf die durch die Repressionen angestrebten politischen Veränderungen nehmen. Dieses Konzept wurde in der Folge auf internationalen Konferenzen in Interlaken, in Bonn/Berlin und Stockholm verfeinert und differenziert. So beschäftigte man sich in Interlaken mit den Folgen zielgerichteter finanzieller Sanktionen, in Bonn/Berlin waren Waffenembargos sowie Reise- und Flugverbote der Gegenstand, und in Stockholm hatte man sich mit der effektiven Implementierung und Überwachung solcher Maßnahmen beschäftigt. Zweck dieser Konferenzen war es, nicht nur die Belastung für die Bevölkerung, sondern auch für die Protagonisten eines Embargos zu minimieren. Dabei rückten insbesondere zielgerichtete Finanzsanktionen in den Mittelpunkt. Aber daß solche die Bevölkerung in einem ganz erheblichen Maße treffen können, darf mittlerweile als anerkannt gelten.
Definition des Aufmarschgebietes
Sanktionen im Rahmen der Vereinten Nationen werden nach Kapitel VII der UN-Charta verhängt und setzen die Feststellung eines Bruchs oder einer Gefährdung des Weltfriedens voraus. Dieselbe Bedingung gilt für militärische Maßnahmen mit UN-Mandat. Bewaffnete Einsätze lassen sich jedoch mit einem Exportverbot für gewisse Güter wesentlich leichter durchsetzen. Staaten, die sich im UN-Sicherheitsrat gegen die Feststellung eines Bruchs oder einer Gefährdung des Weltfriedens aussprechen, sind regelmäßig dem Vorwurf der »Untätigkeit« oder gar »Kollaboration« ausgesetzt. Die anderen hingegen, die mit einigen Erfolgsaussichten einen entsprechenden Resolutionsentwurf das Gremium einbringen, globalisieren damit ihre eigene Darstellung des Konflikts und diesen selbst: Hier der Aggressor oder Unruheherd, der den Frieden gefährdet, dort die internationale Gemeinschaft, welche den Frieden mit vorgeblich friedlichen Mitteln wiederherstellen möchte.
Sanktionen dürfen eigentlich nur nach besagtem Kapitel VII verhängt werden, da sie in die Souveränität der mit ihnen belegten Staaten eingreifen und diese de facto außer Kraft setzen. Das ist neben der angeblichen »Gefährdung des Weltfriedens« ein – wenn auch mit ihr eng zusammenhängendes – weiteres Indiz dafür, daß mit Sanktionen bereits ein latenter Kriegszustand herbeigeführt wird.
Was im Einzelfall propagandistisch aufbereitet und, mit der entsprechenden öffentlichen Empörung garniert, wenig Widerstand erfährt, hat mit der massiven Ausweitung der Sanktionsregimes bereits das durchgesetzt, worauf westliche Geopolitiker gezielt hinarbeiten: ein Zwei-Klassen-Völkerrecht, in dem Souveränität und Interventionsverbot nur noch für die eigenen Verbündeten (und, gezwungenermaßen, die Atommächte) gelten, für weite Teile des globalen Südens jedoch aufgehoben sind. UN-Sanktionen sind gegenwärtig gegen Somalia und Eritrea, Irak, Liberia, die Zentralafrikanische Republik, Mali, die Demokratische Republik Kongo, Guinea-Bissau, Jemen, Côte d’Ivoire, den Sudan, Libanon, Nordkorea, Iran und Libyen in Kraft. Außer Eritrea, Nordkorea und dem Iran haben in allen diesen Staaten seit Verhängung der Strafmaßnahmen militärische Interventionen in unterschiedlicher Form stattgefunden. Auffällig an der Liste der durch die UN sanktionierten Länder ist, daß neben den Atom- und also den Vetomächten im Sicherheitsrat in der Regel auch deren Verbündete fehlen. Auch dies ist ein Hinweis dafür, daß es bei den Sanktionsverhandlungen letztlich darum geht, die Räume zu definieren, in denen ein militärisches Eingreifen von allen Großmächten geduldet werden kann.
Sanktionsregime außerhalb der UN
Sowohl die USA als auch die Europäische Union setzen zum einen Zwangsmaßnahmen des UN-Sicherheitsrates um. Zum anderen haben sie mittlerweile ein eigenständiges Regime entwickelt, das weit über die jeweiligen UN-Sanktionen hinausgeht. Dabei verhängt auch die EU eigenständig Strafen, die auch als »restriktive Maßnahmen« bezeichnet werden und die nicht auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrates beruhen. Mittlerweile gehören sie zum Standardinstrumentarium der EU-Außenpolitik; seine Wirkung wurde beständig verfeinert.
Über Embargomaßnahmen gegen zur Zeit mehr als 25 Staaten hat auch die EU potentielle Aufmarschgebiete für die Kriege der Zukunft definiert. Mit der Arabischen Liga betritt im Gefolge des Libyen-Krieges (Frühjahr 2011) gegenwärtig ein weiterer Akteur mit eigenen Sanktionen die Weltbühne. Völkerrechtlich sind diese Prozesse außerhalb des UN-Rahmens mehr als fragwürdig. Solange sie aber über die Unterstützung der NATO-Staaten verfügen, scheint dies gerade in deren Öffentlichkeit kaum jemanden zu stören. Die Interessen von Saudi-Arabien und anderen Golfdiktaturen, den Bürgerkrieg in Syrien zu befördern, werden nicht hinterfragt. Eine Unterstützung bewaffneter, dem Wahhabitismus nahestehender Oppositionsgruppen gilt als vertretbarer politischer Kollateralschaden, genauso wie etwa eine Einführung der Scharia im Post-Ghaddafi-System Libyens. Die »Logik« von USA und EU »der Feind meines Feindes ist mein Freund« spiegelt sich auch in Sanktionenen wider. Mit ihr wird die Basis für ein Bündnis des Westens mit den reaktionärsten Kräften weltweit installiert. Beispiele sind die Unterstützung einer auch durch Faschisten bestellten Regierung in der Ukraine und die Belieferung von Dschihadisten in Syrien, die versuchen kurdische Enklaven im Norden Syriens mit Terror zu überziehen. Eigene Sanktionsregime sowohl der USA als auch der EU sowie die Förderung reaktionärer Gruppen weltweit verschärfen die Kriegsgefahr.
Das Beispiel Iran
Offizieller Anlaß für die Sanktionen gegen den Iran ist nicht die womögliche Verletzung von Menschenrechten – die, wie Wikileaks enthüllte, bewußt und taktisch immer in diesem Kontext thematisiert wird –, sondern das vermeintliche Atomwaffenprogramm des Landes. Das aber ist selbst nach Einschätzungen der US-Geheimdienste aus dem Jahre 2007 bereits 2003 eingestellt worden. Der Iran arbeite demnach an der zivilen Nutzung der Kernenergie. Hierzu hat der Teheran ein international verbrieftes Recht, ist aber – quasi im Gegenzug – verpflichtet, die Entwicklung seines zivilen Atomprogramms offenzulegen und Inspektionen zuzulassen. Wie weit diese Verpflichtungen in der Praxis jedoch genau gehen, ist in jedem Staat Gegenstand schwieriger Auseinandersetzungen. Das Programm wurde zum Gegenstand geopolitischer Auseinandersetzungen und landete 2006 vor dem UN-Sicherheitsrat, was vor allem Ergebnis eines intensiven Bemühens der USA und der Bildung einer »Vermittlergruppe« aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien ist, welche dem Konflikt eine internationale Dimension gaben.
Die UNO erließ die ersten Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms im Dezember 2006 und stellte damit in der Resolution 1737 eine »Bedrohung oder Bruch des Friedens« fest. Die Initiative hierzu ging offiziell von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) aus. Aber daß die Entwicklung bestimmter Waffensysteme – und seien es Atomwaffen – als Bedrohung oder Bruch des Friedens im Sinne der UN-Charta gelten kann, ist eines von vielen Beispielen der Beugung und »Weiterentwicklung« internationalen Rechts durch die normative Kraft des Stärkeren. Die UN-Charta selbst bietet hierfür jedenfalls keine Grundlage. Das hat der Internationale Gerichtshof – wohlgemerkt vor dem Konflikt um das Atomprogramm des Iran – explizit in seinem »Atomwaffengutachten« von 1996 unterstrichen und darauf hingewiesen, daß die Androhung von Gewalt – unabhängig davon, ob diese nuklearer oder konventioneller Art ist – dem Völkerrecht widerspricht.
Die Grundlage dafür, daß sich die 1957 gegründete und außerhalb des UN-Rahmens existierende IAEO überhaupt an den Sicherheitsrat wenden kann, ist ein »Beziehungsabkommen« zwischen beiden Körperschaften – und ein herausragendes Beispiel für die stetige Aushöhlung der UN-Charta durch die »Weiterentwicklung« des Völkerrechts. Die Sanktionen von Ende 2006 zielten vordergründig lediglich auf den Export von Gütern, die für das unterstellte iranische Atomwaffenprogramm genutzt werden könnten, sowie auf entsprechende finanzielle oder wissenschaftliche Unterstützung. Es wurde jedoch auch hier bereits die Möglichkeit von Reisebeschränkungen und Kontensperren geschaffen und – wie bei UN-Sanktionen üblich – ein Komitee eingerichtet, das relativ diskret darüber entscheiden kann, gegen wen diese gezielten Maßnahmen verhängt werden. Zugleich jedoch erließen die USA parallel zu den UN-Sanktionen, jedoch weit über diese hinausgehend, unilaterale Strafmaßnahmen – obwohl, wie gesagt, die US-amerikanischen Geheimdienste zu diesem Zeitpunkt davon ausgingen, der Iran habe sein Atomwaffenprogramm längst eingestellt. Auch hier dienten derartige Repressionen deshalb eher dazu, das Kampffeld abzustecken und den Feind zu markieren, mit der immer wieder bemühten Option eines Kriegs gegen den Iran. Ziel war es zudem, schlicht den Einfluß des Iran in der Region zurückzudrängen, der insbesondere nach dem Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein 2003 zugenommen hatte.
Eine »rote Linie«
Nicht nur Rußland, auch China fühlte sich mit seiner Enthaltung zur UN-Resolution 1973 von den westlichen Staaten hinters Licht geführt. Nur einen Monat vor der Abstimmung zur UN-Sicherheitsratsresolution im Hauptquartier in New York, die die NATO zum Losschlagen ermächtigte, hatte dieser UN-Sicherheitsrat weitreichende Finanzsanktionen gegen Libyen verhängt. Die entsprechende UN-Resolution 1970 war der Beginn der Verhängung immer neuer Sanktionen, die schließlich in den NATO-Krieg gegen Libyen mündete.
Gerade auch Brasilien, Indien und Südafrika fühlen sich ebenso von den NATO-Staaten im Hinblick auf vorangegangene Smart sanctions gegen Libyen hintergangen und wenden ein, diese hätten möglicherweise nur der Vorbereitung eines völkerrechtswidrigen, von der NATO herbeigebombten Regime Change gedient, der mindestens 40 000 Menschen in dem nordafrikanischen Land das Leben gekostet hatte. Entsprechend skeptisch ist man daher nicht nur, was Strafmaßnahmen gegen den Iran wegen dessen Atomprogramm angeht, sondern insbesondere was die Verhängung von intelligenten Sanktionen mit finanziellen und/oder ökonomischen Implikationen gegen Syrien angeht. Diese Skepsis der BRICS-Staaten gegenüber einem verschärften Sanktionsregime wurde von den USA als auch von der EU mit der Androhung eines einseitigen Ölembargos beantwortet. Angesichts der zugespitzten Situation wird jede Kritik an einem Totalboykott denunziert, und die Aggressoren USA und EU setzen offenbar bewußt auf eine schnelle Destabilisierung Syriens. Dafür sollen Totalembargo und Smart sanctions wie im Fall des Irak kombiniert werden. Einwände, daß hier doppelte Standards angewandt werden, die NATO-Staaten Saudi-Arabien trotz seiner Intervention zur Niederschlagung der Opposition in Bahrain und seiner Menschenrechtsverletzungen weiterhin gerade auch mit großangelegten Rüstungslieferungen unterstützen, werden mittels einer einseitigen Informationspolitik unterdrückt.
Um dieses Mal im Fall Syrien entsprechenden Kriegsvorbereitungen einen Riegel vorzuschieben, hatten China und Rußland mit ihrem Veto gegen weitgehendere UN-Sanktionen gegen Syrien eine rote Linie markiert. Doch das internationale Repressionssystem hat sich – wie beschrieben – ausdifferenziert, und damit wurden auch Entscheidungen aus dem UN-Sicherheitsrat ausgelagert. Die USA und die meisten NATO-Staaten haben bereits Zwangsmaßnahmen erlassen, ebenso die Arabische Liga.
Ähnlich verhält es sich im Fall der Ukraine und Rußlands. Gerade weil angesichts der Vetomacht Rußland klar ist, daß im UN-Sicherheitsrat kein Plazet für Sanktionen gegen Moskau zu erreichen ist, setzen USA und EU auf unilaterale Sanktionen gegen Rußland. Und sie forcieren ihre Politik der Einkreisung, indem sie Truppen und militärisches Gerät an die NATO-Ostgrenze entsenden und zudem am Projekt eines letztlich gegen Moskau gerichteten Raketenschilds festhalten.
Auf dem Spiel steht das gesamte UN-System und die globale Auflösung völkerrechtlicher Bindungen, die bislang Kriege verhinderten. Mit Sanktionen sollen der Feind und das Kriegsgebiet durch die NATO markiert werden.
Deutsche Weltmachtpolitik: Verantwortung predigen – Imperialismus ausschenken
IMI-Standpunkt 2014/018
Rede auf dem Ostermarsch in Bruchköbel am 18.04.2014
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 20. April 2014
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
ausgerechnet 2014, also in dem Jahr, in dem sich bekanntlich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal und der des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal jährt, weht in ein neuer Wind durch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik – und der stinkt friedenspolitisch zum Himmel!
Paradigmenwechsel zur offensiven Weltmachtpolitik
Es ist wohl keine Untertreibung, dass Bundespräsident Joachim Gauck auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz nicht weniger als einen offensiven Paradigmenwechsel der deutschen Politik einforderte.
Die bisher – angeblich – praktizierte „Kultur der (militärischen) Zurückhaltung“ müsse endgültig ad acta gelegt werden. Deutschland brauche vielmehr eine „Kultur der Kriegsfähigkeit‘ und eine „Kultur der Interessen“.
Gaucks Äußerungen fielen allerdings nicht vom Himmel. Er übernahm dabei lediglich nahezu eins zu eins die Ergebnisse des Papiers „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das im September 2013 von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und dem „German Marshall Fund“ veröffentlicht wurde. Es fasst den Konsens zusammen, an dem 50 Mitglieder des außen- und sicherheitspolitischen Establishments über ein Jahr lang gebastelt hatten.
Die Begründung dieses Paradigmenwechsel erinnert verdächtig an das Spiderman-Motto „Aus großer Macht erwächst große Verantwortung“.
So heißt es im Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“:
„Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher und so frei wie heute. Es hat – keineswegs nur durch eigenes Zutun – mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm. Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu.“
Verantwortung scheint man dabei zu allererst für die eigenen Interessen übernehmen zu wollen, wenn es in dem Papier weiter heißt: „Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung und der friedlichen, offenen und freien Weltordnung, die sie möglich macht. Gleichzeitig ist Deutschland aber auch besonders abhängig vom Funktionieren dieser Ordnung. Es ist damit auf besondere Weise verwundbar und anfällig für die Folgen von Störungen im System.“
Und schließlich: „Wenn Deutschland die eigene Lebensweise erhalten und schützen will, muss es sich folglich für eine friedliche und regelbasierte Weltordnung einsetzen; mit allen legitimen Mitteln, die Deutschland zur Verfügung stehen, einschließlich, wo und wenn nötig, den militärischen.“
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
zweifellos ist es richtig, dass Deutschland von diesem Weltwirtschaftssystem profitiert.
Aber dieses System basiert auf der Ausbeutung von Milliarden Menschen.
Und genau darum geht es Gauck, von der Leyen, Steinmeier und wie sie alle heißen: Nämlich darum, dieses ungerechte und konfliktträchtige – dieses „störanfällige“ – System auszuweiten und notfalls militärisch abzusichern.
Dieses Bestreben ist an sich nicht neu. Neu ist aber die Ankündigung, dies künftig deutlich aggressiver tun zu wollen. Und neu ist auch die Offenheit und Direktheit, mit der dies in die Welt hinausposaunt wird.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt diesen neuen Kurs ab – und auch wir müssen hier vom Ostermarsch aus die klare Botschaft senden: Wir wollen keine militaristische deutsche Weltmachtpolitik!
Dass sich Gauck gegen den Willen der Bevölkerung als Lautsprecher dieses neuen Elitenkonsenses berufen fühlt, ist alles andere als ein Zufall. Schließlich war Thomas Kleine-Brockhoff als Direktor des „German Marshall Fund“ eng an der Erarbeitung der Studie beteiligt. Und genau dieser Thomas Kleine-Brockhoff wurde von Gauck im Sommer 2013 als neuer Leiter seiner Stabsstelle Planung und Reden verpflichtet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich erspare mir und Euch an dieser Stelle jetzt ausführlich aus Gaucks Rede auf der Sicherheitskonferenz zu zitieren.
Er übernahm darin wie gesagt ohnehin nahezu wortgleich die relevantesten Passagen aus dem Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“.
Nur einen wie ich finde besonders perfiden Aspekt, den Gauck besonders betonte, möchte ich hinweisen, nämlich wie er seine Rede begann:
„Eines gleich vorweg: Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen. Das auszusprechen, ist keine Schönfärberei.“
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Botschaft hier war klar – und sie wurde auch verstanden. So kommentierte die FAZ die Rede des Bundespräsidenten folgendermaßen:
„[Gauck] erkannte an, dass militärische Beiträge von Deutschland wegen seiner historischen Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus lange nicht verlangt worden seien. Doch nun dürfe Pazifismus kein Deckmantel für Bequemlichkeit werden. Er bestritt, dass Deutschland wegen seiner Geschichte dauerhaft ein ‚Recht auf Wegsehen’ erworben habe. Dies führe zu ‚so etwas wie Selbstprivilegierung’“.
Aus der deutschen Geschichte wird das Recht, ja sogar die Pflicht für eine neue deutsche Weltmachtpolitik abgeleitet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
das ist eine Unverschämtheit, die ich hier lieber nicht noch weiter mit Worten kommentieren möchte.
Testfall Ukraine
Gerade die jüngsten Ereignisse in der Ukraine zeigen deutlich die katastrophalen Folgen deutscher Weltmachtpolitik.
Die Ukraine ist aus westlicher Sicht ein geopolitischer Schlüsselstaat, dessen Kontrolle es ermöglichen würde, Russland machtpolitisch langfristig niederhalten zu können.
Um das Land neoliberal umzubauen und dauerhaft in die europäische Einflusssphäre zu integrieren, wurden 2005 Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine aufgenommen.
Gleichzeitig wurden Milliardenbeträge in den Aufbau pro-westlicher Gruppen gesteckt.
Im November 2013 legte der damalige Präsident Janukowitsch dann die Verhandlungen mit der EU auf Eis. Und zwar mit dem – vollkommen richtigen – Verweis, das Abkommen werde sich extrem schädlich für die ukrainische Wirtschaft auswirken.
Damit hatte er sich mächtige Feinde in Washington, Brüssel und Berlin gemacht.
Um auch dies klar zu sagen: Es gab sicher durchaus gute und nachvollziehbare Gründe, dass viele Menschen bereit waren, gegen die korrupte Janukowitsch-Regierung auf die Straße zu gehen.
Allerdings wurden diese Proteste schnell durch ein Dreierbündnis gekapert. Es bestand einmal aus der vor allem von den USA unterstützten Timoschenko-Partei.
Die zweite Partei war „Udar“ („Schlag“) mit dem Aushängeschild Witali Klitschko. Die Partei des ehemaligen Box-Weltmeisters wurde massiv seitens der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und auch durch die Europäische Volkspartei (EVP), die konservative Fraktion im Europaparlament, unterstützt.
Beide diese Parteien hatten augenscheinlich keinerlei Probleme mit dem dritten Bündnispartner zusammenzuarbeiten: „Swoboda“ („Freiheit“) mit Oleg Tjagnibok an der Spitze. Eine Partei, die im Mai 2013 vom Jüdischen Weltkongress als neonazistisch eingestuft wurde.
Und auch unzählige westliche Politiker scheuten nicht davor zurück, die gewaltsamen Proteste gegen die Janukowitsch-Regierung durch ihre Präsenz auf dem Maiden in Kiew zu unterstützen und sich dabei mit Swoboda-Führer Tjagnibok ablichten zu lassen.
Der Grund liegt auf der Hand: Ohne diese rechtsradikalen Kräfte wäre der Sturz der Janukowitsch-Regierung wohl unmöglich gewesen.
Und hierfür wurden sie nun auch mit zahlreichen Ministerposten in der neuen Übergangsregierung belohnt, während das Land im Chaos versinkt.
Ich will die Rolle Russlands hier nicht beschönigen, das ebenfalls mit harten Bandagen vorgeht. Aber man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln und Russland reagiert hier auf eine geopolitische Offensive des Westens.
Dass dabei selbst vor der Zusammenarbeit mit Faschisten nicht halt gemacht wurde, scheint selbst Teilen des Establishments zu weit zu gehen. So kritisierte der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, „dass dort [in der Ukraine] ein fataler Tabubruch begangen worden ist, dem wir auch noch applaudieren, der Tabubruch nämlich, zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten in eine Regierung zu lassen, und das ist ein Schritt zu weit.“
So sieht sie also aus, die neue „verantwortungsbewusste“ deutsche Weltmachtpolitik.
Offensichtlich waren die Lehren aus zwei Weltkriegen, in denen Deutschland die Welt ins Unglück gestürzt hat, nie wichtiger: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder deutsche Weltmachtpolitik!“
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