PEGIDA in Dresden: Wir ticken hier anders…
Vielleicht
wurde die so genannte Pegida-Bewegung in Dresden nach ihrer Spaltung
im Januar des Jahres von den Medien zu schnell totgesagt. Nachdem
im Internet ein Foto des Pegida-Anführers Lutz Bachmann aufgetaucht
war, trat dieser Mitte Januar bekanntermaßen als Vereinsvorsitzender
der Pegida zurück. „Ich entschuldige mich aufrichtig bei
allen Bürgern, die sich von meinen Postings angegriffen fühlen…“,
erklärte er damals. Doch nach nur knapp vier Wochen war er wieder
da. In einer Versammlung der verbliebenen sechs Pegida-Vereinsmitglieder
wurde er wieder zum ersten Vorsitzenden gewählt. Und seither
hetzt er wieder und macht mit seiner Anhängerschaft so genannte
Montagsspaziergänge durch die Dresdner Altstadt. Bei der 17.
Pegida-Demonstration am 2. März waren es, nach Polizeiangaben,
wieder mehr als 6000 Teilnehmer, nachdem es eine Woche zuvor „nur“
4.800 waren. Bachmann sprach sogar von 10.000. Es ist unerheblich,
welche Zahl nun wirklich stimmt. Fakt ist, dass der Spuk noch andauern
wird, selbst wenn, wie das jetzt der Fall ist, das mediale Echo geringer
wird.
Wenn es nach Bachmann geht, soll der März „unser Monat werden“.
Und deshalb rief Bachmann bei besagter Kundgebung seine Anhänger
dazu auf, dass jeder der Anwesenden nächste Woche wieder einen
weiteren mitbringen möge, damit „wir die da oben so richtig
in den Arsch treten können“.
Trotz des aktuellen Erfolges wird die Bewegung auf Dauer keinen Bestand
haben. Dazu ist sie im Moment zu isoliert. Ihr Aktionsradius beschränkt
sich im Grunde allein auf Dresden. Auch ihre Forderungen sind nicht
plausibel. Diese sind zum Teil bereits Programm der etablierten Parteien
oder sogar bereits umgesetzt. Auf den Veranstaltungen von Pegida hört
man neben der allgemeinen Hetze gegen Ausländer und Asylbewerber
im Wesentlichen sechs Forderungspunkte, wenn man diese überhaupt
als Forderungen bezeichnen kann. So wollen sie die gesetzliche qualitative
Zuwanderung von Ausländern und deren Integrationspflicht. Sie
wollen ein Einreiseverbot für Dschihadisten; mehr Geld für
die Polizei und ein gutes Verhältnis zu Russland. Und schließlich
wollen sie direkte Demokratie und Volksentscheide, um auf „die
da oben“ konkret Einfluss nehmen zu können. Diese sechs
Punkte sind nichts anderes als ein konfuser Katalog von „Jetzt
wünsch dir was“! Trotzdem mobilisiert Pegida mit diesen
Plattheiten Woche für Woche Tausende. Aber wie schon erwähnt,
gelingt ihr das im Grunde nur in dieser Stadt. Die Versuche, außerhalb
von Dresden ähnliches zu etablieren, scheiterte bislang am demokratischen
Widerstand der Menschen.
Nur in Dresden erreicht die Pegida also eine nennenswerte hohe Beteiligung
an ihren Veranstaltungen. Drei Viertel der Teilnehmer sind nach einer
Untersuchung von Wissenschaftlern der TU Dresden zwischen 40 und 59
Jahre alt. Geschlecht: mehrheitlich männlich. Die Teilnehmer
sollen zu 36 Prozent aus Dresden kommen und weitere 38 Prozent aus
anderen sächsischen Städten und Gemeinden. Inzwischen gibt
es auch einen ausgeprägten Demo-Tourismus. Wie die Fahnen und
Transparente zeigen, kommen reaktionäre Dumpfbacken aus allen
Teilen der Republik: aus Hamburg, Bayern, Berlin, Niedersachsen und
Schleswig-Holstein. Selbst norwegische und schwedische Fahnen waren
zu sehen. Aber trotzdem, getragen wird die Bewegung hauptsächlich
von Sachsen und das sind in ihrem Kern Dresdner. Und da stellt sich
schon die Frage, was in Dresden anders ist als anderswo.
Soziologen, Psychologen, Politologen und Journalisten rätseln
und versuchen zu analysieren, warum gerade Dresden ein so hohes Potential
für eine rechte politische Mobilisierung hat. Sie kommen bei
ihren Bemühungen auf eine ganze Reihe von Faktoren, die in der
Summe zu diesem Ergebnis führen, aber plausibel sind sie im Einzelnen
nicht.
Dresdens
Opfermythos
Dresden hat den Nimbus, etwas „Besonderes“ zu sein. Diesen
Ruf pflegte man in der Stadt, begonnen mit der Bombardierung am 13.
Februar 1945 bis heute. Dabei spielen die jährlichen Gedenkfeiern
an die barbarische Zerstörung der Stadt eine nicht unerhebliche
Rolle. Es entstand ein Opfermythos, in dessen Zentrum die von den
Faschisten in die Welt gesetzte Zahl von mehr als 100.000 Bombentoten
stand. Goebbels sprach nach dem Angriff sogar von 200.000 Toten. Er
wollte damit die letzten Reserven des in Agonie liegenden deutschen
Faschismus mobilisieren. Auch in der DDR wurde mit dem beginnenden
kalten Krieg an diesem Mythos mehr oder weniger festgehalten. Hier
hatte er die Funktion, die antiimperialistische Politik des sozialistischen
Lagers zu unterstützen. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts
kam es durch eine Historikerkommission zur Richtigstellung der Zahlen.
Danach kamen bei den Bombenangriffen circa 25.00 Menschen ums Leben.
Immer noch eine ungeheuerliche Zahl, aber Dresden verlor mit dieser
Zahl seine Opfer-Sonderstellung im faschistischen zweiten Weltkrieg.
Das änderte allerdings nichts an den jährlichen Trauer-Ritualen
der Stadt mit Kranzniederlegungen auf dem Heidefriedhof (dort sind
die meisten Opfer des Angriffs begraben), unter Anwesenheit des Ministerpräsidenten
und der örtlichen Parteienvertreter. Auch die NPD und deren gesamte
Landtagsfraktion standen, solange sie im sächsischen Landtag
vertreten war, offiziell mit dabei.
Das Dresdner Bündnis Nazifrei – Dresden stellt sich quer,
das den Widerstand gegen die jährlichen Nazi-Aufmärsche
anlässlich der Bombardierung Dresdens und auch jetzt die Widerstandsaktionen
gegen Pegida organisiert, stellt sich seit vielen Jahren gegen diesen
Mythos, den die Nazis und andere Reaktionäre für ihre Ziele
instrumentalisieren. Mit einem so genannten „Mahngang Täterspuren“
demonstriert das Bündnis an den Orten, an denen nazistische Organisationen
ihre verbrecherische Politik organisiert hatten. Tausende nehmen jedes
Jahr an den Mahngängen teil, bevor sie dann im Anschluss versuchen,
die Nazidemo zu blockieren. Das gelang in den vergangenen Jahren in
zunehmendem Maße.
In einem offenen Brief an Bundespräsident Gauck anlässlich
der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Bombardierung der Stadt
(Gauck besuchte aus diesem Anlass Dresden) schreibt das Bündnis
:
„Der in Dresden offiziell gepflegte Opfermythos lieferte und
liefert den perfekten Nährboden für jegliche Veranstaltungen
dieser Art. Die Stadt sprach nie gern darüber, dass die Garnisonsstadt
Dresden ein wesentlicher Teil von Nazideutschland und keine unschuldige
Kunst- und Kulturstadt war. Vergessen waren die Geschichte von Taten
und Täter_innen, Rassenwahn und Antisemitismus, Denunziation
und Verfolgung, Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion. Erst mit
dem seit 2011 jährlich stattfindenden Mahngang ‚Täterspuren‘
haben wir, das Bündnis Dresden Nazifrei, gemeinsam mit tausenden
Menschen die Forderung auf die Straße gebracht, dem Geschichtsrevisionismus
in Dresden ein Ende zu bereiten“.
Antifa
nicht gern gesehen
Die konservativen Stadtoberen und die sächsische Justiz sehen
das Bündnis nicht gerne. Blockaden von Naziaufzügen werden
bekämpft und man macht alles, um die Aktionen des Bündnisses
Dresden Nazifrei zu behindern oder, noch besser, zu verhindern. So
wird regelmäßig von der Stadt die Anmeldung der Nazidemo
und deren Routenverlauf geheim gehalten. Stattdessen setzt man eine
Menschenkette um die Altstadt der Blockade entgegen. Die OB Helma
Orosz versteifte sich vor einigen Jahren zu der lächerlichen
Behauptung, die Menschenkette hätte die Nazis von ihrem Aufmarsch
abgehalten. Dabei war es unübersehbar, dass es die tausenden
blockierenden Demonstranten waren, die den Marsch der Nazis unmöglich
machten.
An diesem 13. und 14. Februar jährte sich die Bombardierung Dresdens
zum 70sten Mal. Es war deshalb mit besonders vielen braunen Aktivitäten
zu rechnen. Doch die Nazis blieben erst einmal passiv. An den eigentlichen
Jahrestagen geschah von ihrer Seite gar nichts. Offensichtlich trauten
sie sich nicht am eigentlichen Termin der Bombardierung Dresdens aufzumarschieren.
Der Grund: in den zurückliegenden Jahren hatten sie immer wieder
negative Erfahrungen mit den Gegendemonstranten gemacht, die sie nicht
marschieren ließen.
So wäre es für die Nazis auch in diesem Jahr wieder zu einer
Niederlage gekommen. Um das zu vermeiden, gaben sie ihre Aufmarschabsicht
und den Termin der Öffentlichkeit bis zuletzt nicht bekannt (der
Termin muss bekannt gewesen sein, aber die Stadt hielt ihn offensichtlich
geheim). Dann aber kam für die Öffentlichkeit die Überraschung.
Die Nazis hatten den Aufmarsch auf den 15. Februar verlegt. So gelang
es ihnen in diesem Jahr mit 500 Personen durch Dresdens Straßen
zu ziehen. Eine ausreichende Gegenmobilisierung war kurzfristig für
Dresden Nazifrei nicht mehr möglich. Trotzdem war es für
die Nazis kein Sieg. Sie marschierten zwar, aber nur weil sie tricksten!
Und sie marschierten nicht an diesem 70. Jahrestag!
Nicht
die Nazis – die Antifa wird in Dresden bekämpft.
In den vergangenen Jahren hatten die Auseinandersetzungen am 13./14.
Februar immer wieder Schlagzeilen in den Medien erzeugt. Nicht zuletzt
durch das repressive Vorgehen der Dresdner Behörden, Polizei
und Staatsanwaltschaft gegen antifaschistische Demonstranten. So wurde
bundesweit der Fall des Jenaer Jugendpfarrer Lothar König bekannt.
Ihm wurde vorgeworfen, über seinen Lautsprecherwagen zu Gewalt
gegen Polizisten aufgerufen zu haben. Seit 2011 zog sich das juristische
Verfahren gegen König hin, das vor kurzem eingestellt wurde.
Dazu erklärte Silvio Lang, Sprecher des Bündnisses Dresden
Nazifrei“: „Diese Einstellung ist in Wirklichkeit die Kapitulationserklärung
der Dresdner Staatsanwaltschaft in einer mehrjährigen Justizposse!
Hier wurden über Jahre Unsummen an Steuergeld verschwendet, um
einen offensichtlich Unschuldigen, einen engagierten Demokraten und
Antifaschisten zu kriminalisieren – zur Abschreckung, aus politischer
Motivation und reiner juristischer Willkür!“. Ein weiterer
Fall, der Wellen schlagen wird, ist der von Bodo Rammelow, des neuen
Ministerpräsidenten Thüringens. Gegen ihn hat das Amtsgericht
Dresden die Aufhebung der Immunität beantragt wegen seiner Beteiligung
an der Blockade einer Nazi-Versammlung in Dresden im Jahre 2010. Ende
Januar des Jahres folgte der Thüringer Landtag der Forderung
des Dresdner Amtsgerichtes und hob seine Immunität auf, nachdem
Ramelow selbst um den Schritt gebeten hatte. Es wird interessant werden,
wie sich dieser Fall weiterentwickelt. Auf jeden Fall zeigen die beiden
exemplarische Vorgänge, denen sich weitere anfügen ließen,
dass für die sächsischen Behörden, die Landesregierung
und die Justiz der Feind „links“ steht. Deshalb lässt
man hin und wieder auch „fünfe einmal gerade sein“
und ordnet wie 2011 die flächendeckende Funkzellenabfrage an,
bei der alle Handydaten der Antifa-Demo erfasst, gespeichert und (wahrscheinlich
auch) ausgewertet wurden, oder verbietet kurzerhand, wie jetzt im
Januar geschehen, alle Demonstrationen im Zusammenhang mit den Pegida-Aktivitäten.
Konservativer
Mief
In diesem, von den Konservativen geschaffenen politischen Klima sehen
viele Analysten eine Ursache für den Pegida-Aufschwung. André
Schollbach, Fraktionsvorsitzender der Linken im Dresdner Stadtrat
stellt in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung fest: „Die
jahrelange CDU-Hegemonie und der damit verbundene konservative Mief
haben das Entstehen von Pegida begünstigt“. Und in der Tat,
in kaum einem anderen Bundesland ist das reaktionäre Potential
so hoch wie in Sachsen. Bei der Landtagswahl am 31. August vergangenen
Jahres stimmten 160.000 Menschen (9,7 Prozent) für die AfD und
zusätzlich 81.000 (4,9 Prozent) für die NPD. Das sind zusammen
über 240.000 Menschen. Die CDU erreichte fast 40 Prozent der
Stimmen. Alleine in Dresden bekam bei der Stadtratswahl am 25. Mai
2014 die NPD 18.341 Stimmen und die AfD 46.309 Stimmen. Das entspricht
2,8 und 7,0 Prozent. Die reaktionäre Basis für die Pegida
ist in der Bevölkerung Dresdens also da. Aber das Abstimmungsverhalten
bei Wahlen erklärt nicht alles. Sicherlich gibt es eine ausgeprägte
Ausländer- und Islamfeindlichkeit unter der Bevölkerung,
sonst gäbe es die Pegida nicht. Aber sie ist sicher nicht wesentlich
ausgeprägter als in anderen ost- und westdeutschen Bundesländern.
Das zeigt eine Umfrage von YouGov im Auftrag von ZEIT ONLINE im Dezember.
Danach unterstützen 29 Prozent der befragten Bundesbürger
die Pegida-Proteste in Dresden und knapp die Hälfte der Befragten
(49 Prozent) gibt an, Verständnis für diese Demonstrationen
zu haben. Auch antworteten insgesamt 59 Prozent der Befragten, Deutschland
nehme „deutlich zu viele“ (30 Prozent) oder „eher zu
viele“ (29 Prozent) auf. Besonders problematisch bewertet wird
die Zahl der Flüchtlinge von den Menschen in den Altersklassen
zwischen 25 und 54. Natürlich müssen Umfragen im Hinblick
auf ihre Richtigkeit mit Vorsicht betrachtet werden. Und es gibt auch
nicht nur diese Umfrage. Andere weisen niedrigere Zustimmungswerte
für die Pegida aus. Aber in der Tendenz weisen sie alle in die
gleiche Richtung: das Potential für eine reaktionäre Bewegung
und Politik in Deutschland ist riesig. Den konservativen und reaktionären
Mief gibt es bundesweit!
Die
Pegida-Versteher
Das erkennen auch zunehmend die etablierten Parteien und reagieren,
je nach der eigenen Selbstverortung, von „aufgescheucht“,
„zurückweisend“ bis „sich anbiedernd“. Besonders
die CDU steht vor einem großen Problem. Jetzt hat sie neben
der AfD, die sie von rechts unter Druck setzt, auch noch die Pegida
an der Backe. Besonders in Sachsen ist das für sie schwierig.
In der sächsischen CDU, sowohl in der Mitglied- als auch der
Wählerschaft, gibt es nicht viel Ablehnung zu dem kruden Forderungsmischmasch
der Pegida. Das weiß auch der Ministerpräsident Tillich:
ein großer Teil der Pegida-Sympathisanten kommt aus dem eigenen
Klientel. Deshalb das große Verständnis für die Pegidaisten
und die Warnung der CDU-Landtagsfraktion, nur ja nicht die Demonstranten
zu diskreditieren, vielmehr ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen.
Versteher der Pegida gibt es deshalb viele. Sie alle nehmen angeblich
„berechtigte Sorgen“ von „ganz normalen Leuten“
wahr, bei denen es sich durchaus nicht um Ausländerfeinde handle
und schon gar nicht um „Rechtsextremisten“. Deshalb will
man auf die Pegida-Anhänger zugehen, in einen Dialog mit ihnen
kommen. Das gilt allerdings nicht für deren Führung. Hier
gab es die kategorische Ablehnung der Landesregierung, mit denen zu
sprechen. Sachsens Innenminister Markus Ulbig wendete sich anfangs
besonders scharf gegen Pegida. Die Anführer der Pegida, Bachmann
und Co. bezeichnete Ulbig als Rattenfänger. Anfang Februar kommt
aber zu Tage, dass sich Ulbig heimlich mit Pegida-Anführern getroffen
hat. Die Sächsische Zeitung schreibt dazu: „Dann geht er
(Ulbig) her und spricht an einem geheimen Ort, hinter verschlossenen
Türen mit zwei Personen aus der Pegida-Führung. Er habe
nicht inhaltlich über ihre Forderungen gesprochen, sondern an
die Verantwortung der Frau Örtel appelliert, die sie als Veranstalter
von solchen Demonstrationen trage. Was wirklich stattfand, bleibt
im Dunkeln. Nur soviel ist sichtbar: Ulbig tritt bei der OB-Wahl(in
Dresden) im Juni des Jahres an. Da scheint es aus seiner Sicht schon
nützlich, mit der Pegida ins Gespräch zu kommen“. In
opportunistischem Verhalten steht MP Tillich seinem Innenminister
in nichts nach. In einem Interview in der Welt am Sonntag lässt
er den Satz fallen, dass der Islam nicht zu Sachsen gehöre. Damit
stellt sich die einstige DDR-Blockflöte Tillich gegen seine Kanzlerin,
die kurz zuvor meinte, dass der Islam durchaus zu Deutschland gehöre.
In der sächsischen Staatskanzlei muss man aktuell schon sehr
verzweifelt sein. Der Kniefall des Ministerpräsidenten aber wird
von Pegida gerne angenommen. Triumphierend verkündigte Kathrin
Oertel auf der Kundgebung am 25. Januar des Jahres: „Wir haben
es geschafft, dass die Politik über unsere Themen redet“.
„Lichtelläufe“
in Schneeberg
Überrascht hätte man in der Staatsregierung nicht sein müssen,
dass sich fremdenfeindliche Zusammenrottungen bilden. Im Dezember
2013 begannen die Proteste gegen Asylbewerber in Schneeberg, einer
kleinen Stadt mit 15.000 Einwohnern im Vogtland, in der Nähe
zur bayerischen Grenze. Dort befindet sich in einer ehemaligen Bundeswehrkaserne
das Asylbewerberheim, das 2010 zu einer Zweigstelle der Chemnitzer
Erstaufnahme gemacht wurde. Das Heim war zwischenzeitlich geschlossen,
wurde aber im September 2013 von der Landesdirektion wieder geöffnet.
Rund 250 Flüchtlinge, hauptsächlich Tschetschenen, wurden
kurzfristig dorthin gebracht und leben inzwischen dort.
Im Oktober 2013 dann beginnen die fremdenfeindlichen Aktionen der
Rechten mit einem Flashmob, an dem 50 Personen teilnehmen. Weitere
vier Demos folgen bis Dezember, wobei die Teilnehmerzahlen auf bis
zu 1.800 anwachsen. Sie veranstalten so genannte Lichtelläufe,
das heißt, im Schein von Fackeln ziehen die Ausländerfeinde
durch die Stadt und brüllen Parolen wie, „Schneeberg wehrt
sich“, „Nein zum Heim“ und „Wir sind nicht das
Sozialamt der Welt“. Auch sind, wie jetzt bei Pegida in Dresden,
die Wir-sind-das-Volk-Sprechchöre zu hören. Im Januar 2014
schließlich bricht die Bewegung zusammen. Fast erscheinen einem
die Schneeberger Vorkommnisse wie das Präludium zur Pegida-Bewegung
ein Jahr später. Im Unterschied zu Dresden aber sind die „Lichtelläufe“
in Schneeberg eindeutig von der NPD organisiert. Organisator des Spuks
ist der Kleingewerbetreibende Stefan Hartung. Er sitzt im benachbarten
Bad Schlema im Gemeindrat und ist zudem noch Kreisrat im Erzgebirgskreis.
In Dresden dagegen befinden sich in der Pegida-Führung mehrheitlich
parteilose Figuren. Sie sind, wie in Schneeberg, der NPD-Hartung,
kleine Gewerbetreibende, also typische Kleinbürger. Zum Teil
sind sie auch verkrachte und, wie Bachmann, kriminelle Elemente.
Ganz
normale Bürger?
Wer sind nun aber die Teilnehmer an den Pegida-Demonstartionen, die
sich selbst weder als Rassisten noch als Faschisten sehen, sondern
als ganz „normale Bürger“? Der Soziologe Dieter Rucht,
vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, versuchte
das herauszufinden. Er verteilte unter Pegida-Anhängern Fragebögen,
die aber nur von wenigen beantwortet wurden. Das heißt, die
Ergebnisse sind nicht repräsentativ. Trotzdem zeigen sie eine
Tendenz auf. Die abgegebenen Fragebögen bestätigen eine
deutliche Affinität der Teilnehmenden zu nationalistischen und
chauvinistischen Denkmustern, wie sie auch von den Pegida-Organisatoren
propagiert werden. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stimmen
die Befragten deutlich häufiger Aussagen zu, mit denen Merkmale
wie Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus gemessen
werden. Bei Wahlen würden 89 Prozent die AfD unterstützen.
Deshalb sieht der Brandenburger AfD-Vorsitzende Gauland zu Recht in
der Pegida den „natürlichen Verbündeten“ der AfD.
Nach einer weiteren Studie der TU Dresden (ebenfalls nicht repräsentativ)
ist der typische Pegida-Demonstrant „gut ausgebildet, gehört
zur Mittelschicht, verdient gut und stammt aus Sachsen“. Aber
auch diese Klassifizierung ist nicht sehr aussagekräftig. Für
einen Betrachter von außen zeigen sich die Pegida-Teilnehmer
als eine wütende Masse auf „die da oben“, in der jeder
einen anderen politischen Vorgang kritisiert (oftmals berechtigte
Kritik) und die geeint sind in ihrem diffusen Hass auf Ausländer,
Asylbewerber und Islamgläubige und eben „die da oben“.
Angst
vor gesellschaftlichem Abstieg
In der Arbeiterstimme Nr. 186 (Winter 2014) gingen wir im Zusammenhang
mit den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg
auf die soziale Lage der Bevölkerung ein. Danach haben in den
zurückliegenden 20 Jahren die Menschen viele negative Erfahrungen
gemacht. In diesen Jahren ging es für die Mehrheit der Bevölkerung
immer nur abwärts. Nichts wurde besser, aber vieles schlechter.
Und es scheint auch so zu bleiben. Begonnen bei den Hartz-IV-Gesetzen
bis zu drastischen Verschlechterungen der Bezüge zukünftiger
Rentner und der Entwicklung der Löhne und Gehälter. Wenn
in der Studie der TU Dresden gesagt wird, der typische Pegida-Demonstrant
„verdient gut“, so ist das relativ zu betrachten. In der
BRD sind inzwischen 25 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse
prekär. In Ostdeutschland liegt dieser Prozentsatz noch deutlich
höher. Noch immer gibt es ein hohes Einkommensgefälle zwischen
West und Ost. Durch die Tarifflucht in Unternehmen des verarbeitenden
Gewerbes liegt in vielen Betrieben die Entlohnung am Boden. Oftmals
gibt es keine Betriebsräte oder die Betriebsräte sind von
Geschäftsführungen in ihrem Sinne gesteuert. Löhne
auf der Grundlage des Flächentarifvertrages sind heute die Ausnahme
und nicht die Regel. Ein Beispiel verdeutlicht das bei Opel in Eisenach.
Durch die Wiedereinführung der Nachtschicht soll es zu 400 Einstellungen
kommen (unbefristet, befristet und Leiharbeitskräfte). Die Resonanz
ließ nicht auf sich warten. Der Personalabteilung dort liegen
tausende Bewerbungen für diese Stellen vor. Sicher alleine nur
aus einem Grund: bei Opel wird nach Flächentarifvertrag der Metall-
und Elektroindustrie bezahlt. Wenn die TU Dresden bei diesem Hintergrund
zu dem Ergebnis kommt, dass der typische Pegida-Anhänger gut
verdiene, so stimmt das schlichtweg nicht. Die Vergleiche werden von
den Betroffenen zwischen Ost und West gezogen. Und zusammen mit der
gemachten Erfahrung, dass nichts besser wird, sondern alles immer
nur schlechter, entsteht Wut. Und diese wird von Pegida kanalisiert.
Dort kann man sich vortrefflich abreagieren und nach denjenigen treten,
denen es noch schlechter geht als einem selbst. Es ist das Verhalten
des Kleinbürgers, der immer bestrebt ist gesellschaftlich aufzusteigen
und gleichzeitig gequält wird von der Angst des gesellschaftlichen
Abstiegs. Und leider ist dieses kleinbürgerliche Bewusstsein
und Denken heute in großen Teilen der arbeitenden Klasse vorhanden.
Das gilt besonders dort, wo in den Betrieben keinerlei politische
Orientierung durch Gewerkschaften, Vertrauensleute und Betriebsräte
vermittelt wird. Es gibt viele Betriebe, die gewerkschafts- bzw. betriebsratsfrei
sind. Um schlechte Lohn- und Arbeitsbedingungen zu überwinden,
sucht man sich dort meistens individuelle Wege. Der Weg des kollektiven,
solidarischen Kampfes zur Durchsetzung der eigenen Interessen wird
dagegen kaum beschritten.
Wenn
es dem Bürger ans Geld geht wird er aktiv
Der Ruf Dresdens ist inzwischen ziemlich ramponiert. Die regelmäßigen
Naziaufmärsche und „Pegida-Spaziergänge“, das
feige und opportunistische Verhalten der Stadt-Oberen und Landespolitiker
haben Dresden international negativ bekannt gemacht. Schon gibt es
durch das US-Außenministerium Warnungen vor dem Besuch der Stadt.
In der Geschäftswelt befürchtet man den Rückgang der
Besucherzahlen und damit Umsatzeinbußen. Die Angst ist besonders
im Tourismus-Geschäft groß, weil wegen der Wirtschaftssanktionen
gegen Russland inzwischen die russischen Touristen wegfallen (während
der Weihnachtszeit landete täglich ein Sonderflug aus Moskau).
Wenn es dem Bürger ans Geld geht, wird er aktiv. Von Privatinitiativen
(Tourismusverband, City Management und anderen, die vom Tourismus
leben) wird plötzlich „Weltoffenheit“ propagiert. Man
organisiert Bürgerkonferenzen oder Konzerte. Wie zum Beispiel
am 26. Januar, einem Montag. Das Konzert, getragen von hochkarätigen
Künstlern und privat finanziert, richtet sich nicht explizit
gegen Pegida, sondern steht für „Offen und bunt – Dresden
für alle“. Prompt lässt Pegida den geplanten „Spaziergang“
ausfallen, um ihren Sympathisanten die Teilnahme an dem Konzert zu
ermöglichen. Schließlich kamen rund 20.000 Besucher. Pegida
alleine brachte zu diesem Zeitpunkt schon deutlich mehr Menschen auf
die Beine. Die Stadt selbst reagiert auf solche Aktivitäten lediglich
mit wohlwollender Zurkenntnisnahme. Eigene Initiativen gibt es nicht.
Die Oberbürgerin Orosz meinte in der Sächsischen Zeitung
lediglich: „Pegida repräsentiert nicht die Stadt. Weil wir
anders ticken. Weil wir für Weltoffenheit und Internationalität,
für Diskussion und Miteinander stehen“. Das sieht ein Großteil
der Einwohnerschaft aber offensichtlich anders. Aber das ist genau
die Art und Weise, wie die Konservativen in Dresden solche Probleme
behandeln – ignorieren, passiv bleiben und die Stadt schönreden.
Die Sächsische Zeitung stellt, wie andere Medien auch, die Frage,
was in Dresden eigentlich anders läuft. Sie kommt zu der Antwort,
die sicher ein Teil der Wahrheit ist: „… Stadt und Land[geben]
dem Affen des Lokal- und Regionalpatriotismus pausenlos Zucker. Sie
schmeicheln und streicheln die Untertanenseele mit immerwährenden
Bekundungen, Sachsen und Dresden seien das Beste, Tollste, Größte,
was sich nur denken lässt.“
Pegida
– ein Alarmsignal
Ungeachtet der Frage, wie lange in Dresden Pegida noch Zustrom hat,
wann und ob sie zerfällt, ist festzustellen, dass die Pegida
ein beunruhigendes gesellschaftliches Alarmsignal ist, das weit über
Dresden hinausgeht. Sie ist die reaktionäre Antwort auf die andauernde
Aushöhlung demokratischer Rechte und sozialer Standards und die
anhaltende Kriegstreiberei. Zunehmend werden die politischen Fehlentwicklungen
sichtbar. Die Glaubwürdigkeit der Berliner Politik wird immer
geringer und gleichzeitig schwindet die Legitimität der Parlamente,
wenn nur noch die Hälfte der Bürger an Wahlen teilnimmt.
Gewinner werden reaktionäre und faschistische Parteien sein.
Bei den Europa- und Landtagswahlen in Ostdeutschland ist der Trend
sichtbar geworden. Und er wird sich fortsetzen, insbesondere wenn
es zu konjunkturellen Einbrüchen kommt und die Krise offen ausbricht.
Dagegenwirken können nur die linken Kräfte, die der abhängig
beschäftigten Mehrheit im Lande eine wirkliche Orientierung geben
können. Dazu gehört auch, Pegida als fünfte Kolonne
des Kapitals zu entlarven. Deren Islam- und Fremdenfeindlichkeit hat
die Funktion, von den wirklichen gesellschaftlichen Fragen abzulenken.
Der Parteivorstand der PdL beschloss als Antwort auf Pegida am 24.Januar,
„eine gesellschaftliche Bewegung für soziale Gerechtigkeit“
zu initiieren. Man muss gespannt sein, was geschieht. Nur wenn es
gelingt, die Lufthoheit des Neoliberalismus zu brechen und die wirklich
relevanten Fragen zu stellen, wie die Verteilungs- und die Eigentumsfrage,
kann es zu einer breiten Unterstützung einer alternativen Politik
kommen, die die reaktionären Bewegungen austrocknet.
Dresden
8. März 2015
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