Wie
Tomas Elgorriaga ist auch Nekane Txapartegi ein Folteropfer. Sie wurde
nach neun Jahren auf der Flucht in Zürich verhaftet. Erst fünf Jahre
nach der Flucht, ein Jahr nachdem die ETA ihren Kampf definitiv
eingestellt hatte, wurde sie von Spanien plötzlich zu einer
meistgesuchten „ETA-Terroristen gemacht. Verurteilt wurde die
Journalistin in Spanien für ihre offene Aktivitäten in Xaki.
Es war eine Meldung, die in der Schweiz niedrig gehängt
wurde, als Nekane Txapartegi vergangenen Mittwoch in Zürich verhaftet
wurde. Anders als im Fall des Basken Tomas Elgorriaga, der zunächst als
ETA-Führungsmitglied gehandelt wurde, hat sogar das Sensationsblatt
Blick nur von einer „Terroristen-Helferin“ gesprochen, die von Spanien
wegen „Mitgliedschaft bei der baskischen Untergrundorganisation ETA“
gesucht worden sei. Sie soll mit falschen Papieren unter dem Namen
„Illargi“ in der Schweiz gelebt haben, wird berichtet.
Der
Vorgang ist einigermaßen sonderbar. Nekane Txapartegi hatte sich bereits
2007 aus dem spanischen Baskenland abgesetzt hat, nachdem auch sie in
dem politischen Massenverfahren gegen Mitglieder der linken
Unabhängigkeitsbewegung zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun
Monaten verurteilt worden war. In dem Verfahren wurden im Dezember 2007
vom Nationalen Gerichtshof 46 Basken für ihre offene Tätigkeit in der
linken Unabhängigkeitsbewegung zu hohen Haftstrafe verurteilt. Der
Oberste Gerichtshof sprach 2009 neun der Beschuldigten frei und senkte
die Strafen für die restlichen 37 ab.
Das Urteil basierte im
Wesentlichen darauf, dass die Angeschuldigten für das gleiche Ziel wie
die ETA eintraten, also für ein unabhängiges, vereintes und
sozialistisches Baskenland. Unter den Verurteilten waren auch
Journalisten die Führungsmitglieder der Tageszeitung Egin. Sie wurden
praktisch für ein Interview mit der ETA verurteilt. Im Urteil wurde
nahegelegt, ohne Beweise zu erbringen, dass sie dabei Befehle von der
Organisation erhalten hätten. Die Zeitung war illegal 1998 geschlossen
worden, wie zehn Jahre später der Oberste Gerichtshof festgestellt hat.
Denn es hatte sich nicht beweisen lassen, dass die Zeitung im Dienst der
ETA stand.
Gegen Txapartegi, die auch als Journalistin vor ihre
Flucht bei den Zeitschriften Ardi Beltza und Kale Gorria tätig war,
wurde ein internationaler Haftbefehl von Spanien erst fast fünf Jahre
nach ihrer Flucht ausgestellt. Das geschah, als Spanien aus ihr 2012
plötzlich eine der "meistgesuchten ETA-Terroristen“ machte. Das ist
schon deshalb absurd, da die ETA nach einer längeren Waffenruhe ein Jahr
zuvor ihren bewaffneten Kampf „definitiv“ eingestellt hatte. Dass
Txapartegi an bewaffneten Aktionen der ETA beteiligt war, wurde ohnehin
nie behauptet.
Der ehemaligen Stadträtin aus Asteasu im
baskischen Hochland wurde nur vorgeworfen, in der legalen Organisation
Xaki aktiv gewesen zu sein. Was für das spanische Innenministerium als
„Außenministerium der ETA“ bezeichnet wurde, war eine Gruppe, die
international eine Diskussion über den Konflikt und seine Lösung fördern
wollte. Und die Richter der vierten Kammer am Nationalen Gerichtshof
ließen die Xaki-Beschuldigten auch bald wieder frei. Foltergeständnisse
reichten den Richtern nicht. „Es ist klar dass Xaki keinen illegalen
Handlungen nachgeht, sie arbeitet öffentlich und wurde rechtmäßig
gegründet“, begründeten sie ihre Entscheidung.
„Ins Ausland
Deportierten Rechtshilfe oder sanitäre Hilfe zu leisten, versuchen zu
verhindern, dass Auslieferungen durchgeführt werden, das spanische
Justizsystem zu kritisieren oder international für das Recht auf
Selbstbestimmung zu werben oder auch innerhalb und außerhalb Spaniens
die »Demokratische Alternative für das Baskenland« zu verbreiten sind
keine strafbaren Handlungen“. Die bloße Bekanntschaft, professionelle
Treffen (zum Beispiel mit Journalisten) der Besuch eines Geflohenen und
ihn mit Essen zu versorgen, seinen eben keine Unterstützungshandlungen
Die
Anklage „krankt an einem Fehlen von Konkretisierung, nicht einmal das
vermeintliche Ziel der Anklage ist benannt“ und „es gibt nicht einmal
Indizien...“ für die Vorwürfe. Das alles änderte aber nichts daran, dass
auch Xaki verboten und auf die EU-Liste terroristischer Organisationen
gesetzt wurde. Die unbequeme Kammer, die rein auf Basis von Fakten und
rechtsstaatlichen Prinzipien agierte, war der Regierung natürlich ein
Dorn im Auge und sie wurde unter fadenscheinigen Begründungen
abserviert. Schließlich strickte man mit Hilfe ihres damaligen
Ermittlungsrichters Baltasar Garzón an der These, dass alle
Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung zur ETA gehören.
Doch
vor ihrer Freilassung durch die vierte Kammer wurden Nekane Txapartegi
und andere Mitglieder von Xaki 1999 verhaftet und bestialisch gefoltert,
wie die nun in Zürich verhaftete 43-jährige im Interview erklärte. Ihr
Fall wurde einst im entsprechenden Jahresbericht von Amnesty
International aufgegriffen. Sie musste in den Tagen der berüchtigten
Kontaktsperre, in denen die Beschuldigten nach dem Anti-Terror-Gesetz
keinen Kontakt zu ihrem Anwalt, Familie oder einem Arzt ihres Vertrauens
haben, mehrere Versionen auswendig lernen. Denn angeblich sollte sie,
so lautete die erste Anschuldigung, Verbindungsfrau zur ETA-Führung
gewesen sein.
Im Interview (es ist in voller Länge abrufbar)
erklärt sie ausführlich, durch welche Hölle sie nach ihrer Verhaftung
gehen musste. „Wir waren kaum aus dem Dorf hinaus gefahren, da stülpten
sie mir eine Plastiktüte über den Kopf. Es war eine von den dickwandigen
Mülltüten. Die Folter besteht darin, dass du nahe an den Erstickungstod
gebracht wirst. Die ziehen dir die Tüte am Hals zusammen und lassen
dich nicht atmen. Manchmal fällst du dabei in Ohnmacht. Dann lässt man
dich wieder etwas Luft schnappen, um dich danach wieder zu
strangulieren.“
Dazu kommen Schläge auf den Kopf, doch selbst
dabei ließen es die Folterer nicht bewenden, auch eine Scheinhinrichtung
wurde durchgeführt. „Sie fahren dich in einen Wald, halten an und
führen dich hinein. Sie fesseln dich an Armen und Beinen und stecken dir
die Pistole in den Mund. Wenn wir dich hier erschießen, wer erfährt
schon davon, haben sie mir gesagt. Die Fahrt nach Madrid, die
normalerweise vier bis fünf Stunden dauert, verlängerte sich so auf
sieben Stunden. Es waren vier Guardia Civiles mit mir im Auto, zwei
vorne und zwei hinten, die mich während der Fahrt dauernd auf den Kopf
schlugen und mich strangulierten. Sie wollten, dass ich mich selbst
beschuldige. Natürlich wollten sie auch, dass ich andere Namen nenne.“
Danach
gehen die Misshandlungen in Madrid weiter, doch dort kamen auch noch
sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung hinzu. „Sie bringen mich in einen
Raum und es geht weiter mit der Tüte, Schlägen und sexuellem
Missbrauch. Sie wollen, dass du dich ausziehst, oder sie reißen dir die
Kleider vom Leib, betatschen dich überall und stecken dir alles Mögliche
überall rein.” Weitere Details der sexuellen Folter wollte sie damals
nicht beschreiben. Sie fügt aber an, dass es Frauen ganz besonders hart
trifft, wenngleich auch Männer immer wieder anzeigen, mit Schlagstöcken
oder Pistolenläufen vergewaltigt worden zu sein.
Wie im Fall
Tomas Elgorriaga, der ebenfalls nach einer ersten Verhaftung und
schwerer Folter die Flucht ergriffen hatte, ist auch im Fall Txapartegi
zu vermuten, dass lediglich ein Folteropfer vor einer neuen Inhaftierung
dafür gesorgt hat, nicht erneut in die Hände ihrer Peiniger zu fallen.
In Spanien hatte Txapartegi zunächst versucht alles zu tun, um die
Folterer zur Anklage zur bringen. Doch das ist in diesem Land praktisch
unmöglich. Deshalb wird Spanien auch immer wieder, wie im Fall des
Journalisten Martxelo Otamendi, vom europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg verurteilt, da gegen Folter nichts zu
unternehmen wird und Folterer nicht angeklagt werden.
Dass
Txapartegi in Zürich mit ihrer achtjährigen Tochter verhaftet wurde, die
offenbar erst nach ihrer Flucht vor neun Jahren geboren wurde, spricht
ebenfalls kaum für eine Tätigkeit in einer ETA, die ihren Kampf ohnehin
längst eingestellt hat. Und offenbar befand sie sich auch schon längere
Zeit unter Kontrolle der Schweizer Behörden. Die Schweizer verhafteten
Txapartegi erst, nachdem Spanien offiziell einen Auslieferungsantrag
gestellt hat. Doch auch danach ließ man sich noch fast ein Jahr Zeit,
denn der wurde schon 27. Mai 2015 gestellt.
Wie aus dem Umfeld
der Familie zu erfahren war, geht es der kleinen Tochter den Umständen
entsprechend gut. Familienmitglieder, die eilig nach Zürich gereist
waren, konnten sich mit ihr treffen. Eine Zusammenkunft mit Nekane
Txapartegi wurde aber nicht erlaubt. Sie hatte bisher auch noch keinen
Kontakt zu ihrem Schweizer Anwalt gehabt, weshalb unbekannt ist, wie es
ihr geht. Bisher war nur zu erfahren, dass sie sich einer Auslieferung
nach Spanien widersetzt. Ein erster Anwaltsbesuch soll am Dienstag
stattfinden und erst danach sind nähere Umstände zu erfahren.
Was
Auslieferungen aus der Schweiz nach Spanien angeht, kann man auf den
Fall von Gaby Kanze verwiesen werden. Die Deutsche war im März 2002 beim
Grenzübertritt in die Schweiz verhaftet worden, weil Spanien einen
internationalen Haftbefehl wegen Unterstützung der ETA ausgestellt
hatte. Sie wurde 2003 dann nach Spanien ausgeliefert, obwohl Deutschland
das Verfahren gegen sie längst eingestellt hatte und die Vorwürfe
allein auf unter Folter gemachten Aussagen beruhten. Deshalb hatte
UNO-Sonderberichterstatter der Anti-Folter Kommission hatte
zwischenzeitlich einer Auslieferung widersprochen, dann aber auf Druck
aus Spanien den Schutz aufgehoben. Und ähnlich wie im Fall von Tomas
Elgorriaga, blieb auch im Verfahren gegen Kanze kaum etwas von den
Vorwürfen übrig. Kanze wurde zu zwei Jahren und acht Monaten Haft
verurteilt. Sie kam sofort frei. Wie zufällig hatte sie mit der Zeit in
der Auslieferungs- und Untersuchungshaft die Strafe abgesessen.
Und
um noch das Ergebnis zu den Verfahren von Tomas Elgorriaga
nachzutragen: Statt 17 Jahre Haft, zu denen er in Abwesenheit in
diversen Verfahren in Frankreich verurteilt wurde, blieb noch eine
angebliche Mitgliedschaft in der ETA in den Jahren 2000 und 2001. Dafür
bekam er fünf Jahre, doch davon wurden drei auf Bewährung ausgesetzt.
Damit wollte der Richter zur "Befriedung" beitragen, erklärte er
ausdrücklich eine Position, die der Spaniens sicher nicht entspricht. Da
auch die Staatsanwaltschaft kein Einspruch eingelegt hat, ist das
Urteil rechtskräftig. Da er die restlichen zwei Jahre schon weitgehend
abgesessen hat, dürfte Elgorriaga bald freikommen.
© Ralf Streck, den 12.04.2016