Montag, 28. April 2025
Unter Finanzierungsvorbehalt
Koalitionsvertrag CDU/CSU und SPD
„Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt“, steht auf S.51 des Vertrages. Doch das stimmt nicht ganz. Unter Finanzierungsvorbehalt stehen Ausgaben für Soziales, Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur usw. Nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen Ausgaben für Aufrüstung und Subventionen für das Kapital.
Fleißarbeit
Wir beginnen unerwartet mit einem Lob. Der Koalitionsvertrag ist eine echte Fleißarbeit; allerdings eine Fleißarbeit von PR-Profis und Schönrednern. Nur ein paar Beispiele sollen dies illustrieren:
Sie kündigen eine „Überprüfung aller staatlich übernommenen Aufgaben“ an (S.51). Das hört sich sinnvoll an. Gemeint sind aber Kürzungen. Gute Arbeit von Kommunikationsberatern.
Oder: „Die in der Gaskrise erworbenen Staatsbeteiligungen werden wir auf strategische Anteile des Bundes zurückführen.“ (S.35) Im Klartext bedeutet das: Die mit vielen Staatsgeldern geretteten und profitabel gemachten Gaskonzerne werden privatisiert, nachdem sie wieder Profit bringen. Das nennt man Sozialhilfe für das Großkapital, das keinerlei „unternehmerisches Risiko“ mehr tragen muss.
Oder: „Zentrale Teile der Verkehrsinfrastruktur nach Polen und der Tschechischen Republik werden zügig ausgebaut.“ (S.26) Eine reine Verkehrsmaßnahme? Sicher nicht! Sie ist Bestandteil der Aufrüstung! Wer mit Krieg im Osten rechnet, braucht gute Straßen und Schienenverbindungen dorthin.
Im Koalitionsvertrag findet man zahlreiche Stellen, die auf den ersten Blick ganz normal klingen oder sogar „Fortschritt“ vortäuschen. Wenn man aber genauer hinschaut, entdeckt man immer wieder das Gegenteil.
So findet man Propagandaperlen wie: „Wir unterstützen Moonshot-Technologien auch über meilensteinbasierte Finanzierungsinstrumente.“ (S.5) Den meisten Leserinnen und Lesern sagt das nichts, aber es hört sich toll und supermodern an. Gemeint sind Staatshilfen zur Finanzierung radikal neuer Technologien („Moonshot-Technologien“), also Subventionen für das Großkapital.
Sprache wird genutzt, um zu verdecken. So steht bei Maßnahmen zur Unterstützung des Kapitals in der Regel „wir werden“. Bei Maßnahmen im Bereich Bildung, Gesundheit, Pflege, Wohnungsbau usw. steht meist „wir wollen“ oder „wir prüfen“ oder „wir planen“. Das heißt, Maßnahmen für das Kapital sind festgelegt, während die anderen vage versprochen werden. „Wollen“ kann man ja viel. Aber, ob das Realität wird, das steht in den Sternen. „Wollen, prüfen, planen“ reicht eben nicht.
Ein solches „Werk“ von 146 Seiten durchzuarbeiten, gleicht einer Strafarbeit. Die Koalitionäre können daher davon ausgehen, dass kaum jemand liest, was wirklich vereinbart wurde. So kennen die meisten nur die Schlagzeilen aus der Presse. Und hinterher können sie lauthals empört sagen, „das haben wir doch ehrlich angekündigt“. Nur hat es niemand mitbekommen und erst recht nicht verstanden.
Was steht fest?
Gleich zu Anfang werden wichtige Ziele genannt: „…Investitionen, Innovationen und Wettbewerb fördern, Steuern, Energiepreise senken, Arbeitsanreize verbessern, die Dekarbonisierung unterstützen, Bürokratie zurückbauen und eine aktive Handelspolitik betreiben.“ (S.4) Noch bleibt aber weitgehend im Dunkeln, was damit gemeint ist.
Als erstes werden aber massive Subventionen für das Kapital festgelegt: ein Deutschlandfonds mit mindestens 100 Milliarden € und ein Zukunftsfonds von 25 Milliarden €. Der Sonderfonds für Investitionen in Höhe von 500 Milliarden € ist ein Füllhorn. Geld ist üppig da – für das Kapital.
Aber das reicht noch nicht:
Es gibt ein „Strompreispaket…, um wettbewerbsfähige Energiepreise für die Industrie zu gewährleisten“ (S.5) Wenn ein „exportorientierter Betrieb“ die CO2-Ziele nicht erfüllt, wollen sie das „über die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten regeln.“ (S.6) Und „Wir setzen uns für schnellere und schlankere Beihilfeverfahren ein.“ (S.6) – für Industriesubventionen. Weiter: „Wir werden die Förderregeln und -praxis für Industrieansiedlungen und Großvorhaben modernisieren und bürokratische Hürden abbauen.“ (S.6) Also: Mehr Fördergelder und man kommt leichter dran.
Nebenher gibt es ein „kleines“ Geschenk für die Chemiekonzerne. PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) werden nicht verboten, obwohl sie praktisch nicht abbaubar sind, sich im Körper anreichern und Krebs erregen, das Hormonsystem wie auch das Immunsystem und die Fruchtbarkeit schädigen können. Das steht aber völlig harmlos im Vertrag: „Ein Totalverbot von Stoffgruppen lehnen wir ab.“ (S.6 und S.37) Niemand begreift da, worum es geht, aber es schützt den Profit.
Die Koalition will Abschreibungen erhöhen, was Steuern für Unternehmen senkt. Die Körperschaftssteuer soll um 5% runter und die Einkommenssteuer für Unternehmen ebenfalls. (S.45) Den Kapitalmarkt wollen sie deregulieren, ohne das zu sagen. Sie schreiben: Wir „verzichten in diesem Zusammenhang auch auf Goldplating.“ Das heißt sie wollen auf den EU-Mindeststandard runtergehen. Also mehr Raum für Spekulanten!
Weitere Geschenke an die Großindustrie sind unzählige angekündigte Maßnahmen zum „Bürokratieabbau“ wie die Abschaffung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Wer das Gesetz jetzt bricht, obwohl es noch gültig ist, wird „nicht sanktioniert.“ (S.59-60) Die Koalition kündigt an, dass sie Rechtsbruch erlaubt, indem sie ihre gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen nicht mehr macht. Wir leben ja in einem Rechtsstaat!
„Bürokratiekosten für die Wirtschaft [sollen] um 25 Prozent (rund 16 Milliarden Euro)“ gesenkt werden (S.61). Sie nennen das „Vertrauen“, wenn der Staat auf Kontrolle verzichtet. Gleichzeitig sollen aber die Kontrollen für Menschen in Grundsicherung verschärft werden. (S.17) Da gibt es kein „Vertrauen“, sondern Druck!
Ach ja! Ein kleines soziales Bonbon ist fest angekündigt. „Wir erhöhen den Teilhabebetrag des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) von 15 auf 20 Euro…“. Monatlich 5 € mehr! Da werden in den Haushalten der Ärmsten die Sektkorken knallen!
Wer zahlt?
Die Arbeiterklasse wird die Last dieses Koalitionsvertrages tragen müssen (Foto von Günther Jontes, bearbeitet)
Zahlen müssen beispielsweise die bisherigen Bürgergeldempfänger, die nun eine gekürzte Grundsicherung erhalten und dazu mit verschärften Sanktionen bedroht werden. (S.15 und 17) Bei Arbeitslosen wird die Karenzzeit für Vermögen abgeschafft, das heißt Erspartes muss vom ersten Tag an aufgebraucht werden, bevor man überhaupt Anspruch auf Leistungen hat. Auch bei einer Miete über dem erlaubten Limit wird sofortiger Umzug erzwungen. Die bisherige Schonzeit, damit man in Ruhe etwas Billigeres suchen kann, entfällt.
Während man nichts gegen die großen Steuerhinterzieher und steuerflüchtige Milliardäre macht, kündigen sie an: „Einen vollständigen Datenaustausch zwischen Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden werden wir ermöglichen.“ (S.17) Totale Überwachung!
Sie versprechen vollmundig das Rentenniveau zu erhalten, halten aber am „Nachhaltigkeitsfaktor“ (S.19) fest, ohne zu erklären, was das bedeutet. Nachhaltigkeitsfaktor heißt, wenn die Zahl der Beschäftigten sinkt und die Zahl der Rentner steigt, dann werden die Renten nicht entsprechend den Einkommenssteigerungen erhöht, also faktisch abgesenkt. Da das seit Jahren der Fall ist, bedeutet das sinkende Renten, auch wenn man offiziell das Rentenniveau hält!
Sie sagen: „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“ (S.18) Das wurde auch publikumswirksam verkündet. Sie verschweigen dabei, dass der nach geltendem Recht von der Mindestlohnkommission festgelegt wird. Die Regierung kann gern „wünschen“, „wollen“ oder für „erreichbar“ halten. Es kostet sie auch nichts. Billige Propaganda!
Der 8-Stunden-Tag, eine große Errungenschaft der Arbeiterbewegung, soll abgeschafft und durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden. (S.18) Mehr Flexibilisierung, Erhöhung der Profite und mehr Lasten für die Arbeiterklasse!
Bei Donald Trump schrien unsere Politiker, als der tausende Staatsbedienstete auf die Straße setzte. Im Koalitionsvertrag ist ein Stellenabbau beim Bund (außer „Sicherheitsbehörden“) von 8% vorgesehen. Da fallen tausende Stellen weg. Zugleich sollen Förderprogramme um 1 Milliarde € wie auch Beiträge zu internationalen Organisationen und Entwicklungshilfe gekürzt werden.
Bei der angeblichen Staatsmodernisierung (S.56) sollen die Ausarbeitungen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ Grundlage sein. Sie wurde von den Stiftungen Hertie, Mercator, Thyssen und Zeit Bucerius im Sommer 2024 gegründet. Als Trump Musk damit beauftragte, den Staat zu „modernisieren“ war die Empörung groß. Nun sollen auch in Deutschland Großkapitalisten und ihre Stiftungen den Staat „modernisieren“. Da wird der Staat „schlank“ gemacht und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden für die Profite der Konzerne hinwegmodernisiert werden.
Dass mit den neuen Sondervermögen von 500 Milliarden für Infrastruktur und unbegrenzter Schuldenaufnahme für die Bundeswehr auch die Zinsen und die Schuldentilgung in die Höhe schießen werden, wird gar nicht erwähnt. Es war ja schon vorher beschlossen. Das führt zwangsläufig zu weiteren Kürzungen bei Bildung, Gesundheit, Pflege, Rente usw. Im Koalitionsvertrag herrscht dazu Stillschweigen.
Rüstung, Rüstung, nochmal Rüstung!
Während im Sozialbereich nur vage Versprechungen und hohle Phrasen gebracht werden, sieht es in einem Bereich um ein Vielfaches besser aus: Bei der Rüstung!
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden sämtliche Voraussetzungen schaffen, damit die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt erfüllen kann. Unser Ziel ist es, dass die Bundeswehr einen zentralen Beitrag zur Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der NATO leistet und zu einem Vorbild im Kreis unserer Verbündeten wird… Unser langfristiges Ziel bleibt das Bekenntnis zu Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Abrüstung.“ (S.125)
Dem folgt die Ankündigung, den Krieg in der Ukraine fortzuführen. Das „Existenzrecht Israels“ wird mehrfach zur „deutschen Staatsräson“ erklärt (S.127). Von Abrüstung ist da nichts zu spüren. Wegen der „wertebasierten“ Politik setzt man auf so edle Gestalten wie Erdogan: „Die Türkei ist ein wichtiger strategischer Partner innerhalb der NATO, Nachbar der EU und einflussreicher Akteur im Nahen Osten…“ (S.127) Oder die islamistische Regierung in Syrien, die man unterstützen will (S.128).
Unbekümmert wird festgestellt: „Wegen seiner geografischen Lage in Europa soll Deutschland als zentrale Drehscheibe der NATO weiter ausgebaut werden.“ (S.130) Dass damit Deutschland auch im Zentrum eines möglichen Krieges steht, ist die logische Folge. Die zukünftige Regierung nimmt das billigend in Kauf!
Für Aufrüstung und Krieg braucht man nicht nur Geld und Waffen, sondern auch Menschen. Darum steht im Koalitionsvertrag: „Soldatinnen und Soldaten verdienen unsere höchste Anerkennung. Wir verankern unsere Bundeswehr noch stärker im öffentlichen Leben und setzen uns für die Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere ein, die an den Schulen einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen.“ (S.130) Das ist eine Drohung für die Jugend.
Dementsprechend gibt es einen „…neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ (S.130) Zunächst, das ist also der Anfang für die Wiedereinführung der Wehrpflicht! Zudem soll es eine „Wehrerfassung und Wehrüberwachung“ geben. Das hört sich nicht nach Freiwilligkeit an.
Auch in der Forschung sollen „Hemmnisse“ für „zivil-militärische Forschungskooperationen… abgebaut werden.“ (S.131) Unis und Hochschulen sollen für die Aufrüstung und Kriegsvorbereitung eingespannt werden.
Ziemlich offen wird erklärt: „Wir richten unsere Rüstungsexporte stärker an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik aus.“ (S.132) Ökonomische und Machtinteressen zählen.
Bei der Entwicklungspolitik setzen sie auf „wirtschaftliche Zusammenarbeit und Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen, Fluchtursachenbekämpfung sowie die Zusammenarbeit im Energiesektor.“ (S.133) Die Interessen des Großkapitals sind die Leitschnur.
Umweltschutz ade!
Zwar wird das Wort „Umweltschutz“ oft benutzt, doch der Koalitionsvertrag enthält viele Bestimmungen zum Abbau bestehender Umweltschutzregeln.
So heißt es: „Wir werden die Gewinnung heimischer Rohstoffe unterstützen und hierfür die rechtlichen Genehmigungen erleichtern, pragmatisch unter Wahrung der Umwelt- und Sozialstandards.“ (S.10) „Erleichterung“ bedeutet aber Senkung der Umweltstandards!
„Wir erleichtern in einem Naturflächenbedarfsgesetz die Ausweisung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen…“ (S.22) – Auch hier bedeutet „erleichtern“ Abschwächung des Umweltschutzes.
„Für die Erreichung der Klimaziele ist der Gebäudesektor zentral… Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen.“ (S.24) Ja, der Bausektor hat große Emissionen. Einsparungen wären wichtig. Doch man will Standards senken.
Zum Bauen sagen sie: „Die Förderfähigkeit des EH55-Standards wollen wir zeitlich befristet zur Aktivierung des Bauüberhangs wiederherstellen.“ (S.24) – Das klingt toll. Verschwiegen wird, dass dafür der bessere EH40-Standard ausgesetzt wird.
Im Kapitel „Verkehr“ heißt es eingangs: „Mobilität ist soziale und ökonomische Voraussetzung für das Funktionieren und den Wohlstand unseres Landes und muss sich an Realitäten orientieren, bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich sein.“ (S.25) Klingt gut! Aber bedeutet Senkung von Standards wegen der „Realitäten“ des Kapitalismus. So soll der Flugverkehr ausgeweitet und verbilligt werden, einer der größten Umweltverschmutzer. Das Deutschlandticket soll dagegen schrittweise teurer werden. (S.27)
Beim CO2-Preis fällt ihnen ein: „Die stark betroffenen Wirtschaftsbranchen im Wettbewerb kompensieren wir unbürokratisch.“ (S.29) Das bedeutet, wer die Umwelt stark verschmutzt, bekommt Staatshilfen, damit das weiterhin profitabel ist.
Bei der Landwirtschaft planen sie eine Deregulierung von Umweltvorschriften und setzen auf „Eigenverantwortung“. Dass das bei dem Druck des kapitalistischen Marktes auf viele Bauern nicht klappen kann, ist klar. Man lässt die Marktkräfte frei walten. Und diese sind zerstörerisch!
„Wir lehnen das EU-Bodengesetz ab, um weitere Belastungen zu verhindern.“ (S.41) Das sollte ursprünglich dazu dienen, Umweltbelastungen bei Agrarflächen zu verringern. In der jetzigen Fassung enthält es aber keinerlei Auflagen, sondern nur eine Kontrolle der Bodenqualität, um einen Überblick zu erhalten, wie sich diese entwickelt. Selbst das ist den „Umweltschützern“ dieser Koalition zu viel. Sie wollen nicht wissen, wie sich der Zustand der Ackerflächen entwickelt.
Dafür werden sie „das Umweltgenehmigungsrecht vereinfachen, Bürokratie abbauen und Verfahren beschleunigen… [und] zulässige Spielräume für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nutzen und diese vereinfachen…“ (S.41) Auch hier ist das Ziel: Weniger Umweltschutz mit der Phrase vom Bürokratieabbau.
Rassismus und „Sicherheitspolitik“
Sie kündigen eine „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit.“ (S.82) an. Dazu soll der Datenschutz weiter abgebaut und die Datensammlung durch den Staat ausgebaut werden. (S.82) Die diversen Geheimdienste – nett Nachrichtendienste genannt – sollen enger zusammenarbeiten und Daten intensiv austauschen. Überwachungsmöglichkeiten werden ausgebaut. Ausdrücklich wird gesagt: „Wir entwickeln mit den Ländern eine Strategie zur konsequenten Verfolgung und Bekämpfung linksextremistisch motivierter Straftaten und Strukturen.“ (S.85) Der Anwendungsbereich von § 89a StGB wird ausgeweitet. „§ 89a StGB regelt die Strafbarkeit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.“ (wikipedia) Die Polizei wird unter einen besonderen „strafrechtlichen Schutz“ gestellt. Widerstand gegen die Staatsgewalt wird noch härter als schon bisher bestraft. Wann kommt die Heiligsprechung der Polizei?
„Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.“ (S.90) Das soll bis hin zum Entzug des passiven Wahlrechts gehen!
Und natürlich präsentiert man einen Schuldigen: die Migranten! Die Liste ist lang: „freiwillige Bundesaufnahmeprogramme“ beenden wie bei Afghanistan, „Familiennachzug aussetzen“ (S.93), „Rückführungsabkommen“ und „Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitern“ – auch mit Diktaturen wie in Tunesien.
Bilanz
Insgesamt lässt sich sagen, dass dieser Koalitionsvertrag nur bei den Phrasen hervorragend ist. Sonst sind die Ziele klar:
Entlastung des Kapitals
Aufrüstung ohne Grenzen
Ausweitung der Arbeitszeiten
Senkung der Renten
Militarisierung des zivilen Lebens wie an Schulen und Hochschulen
Abbau demokratischer Rechte
Ausbau der Überwachung und Kontrolle
Spaltung und Hass! Gegen Migranten! Aber sie wollen mehr Billigarbeitskräfte
Es ist eine Koalitionsvereinbarung gegen die Arbeiterklasse und für das Kapital. Und es ist ein Vertrag, der die Richtung zu mehr Krieg weist.
[IMI-List] [0677] Ostermarschreden / Drohnenwall / Koalitionsvertrag / Wissenschaftsfreiheit
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0677 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) neue IMI-Texte: Koalitionsvertrag, Ostermarschreden,
Wissenschaftsfreiheit;
2.) eine neu IMI-Analysen zum geplanten „Drohnenwall“.
1.) Neue IMI-Texte: Ostermarschreden, Koalitionsvertrag,
Wissenschaftsfreiheit;
Die IMI war dieses Jahr auf zahlreichen Ostermärschen mit Redner*innen
präsent. Durchweg kamen sehr positive Rückmeldungen über die sehr rege
Beteiligung, was allerdings auch die heikle Situation widerspiegelt, in
der wir uns befinden. Inzwischen haben wir erste Reden online gestellt,
weitere werden dann auch unter diesem Link zu finden sein.
Eine wichtige Rolle bei den Ostermärschen spielte der Aufrüstungskurs
der nächsten Bundesregierung, der sich im „Koalitionsvertrag der
Aufrüster“ wiederspiegelt, den ein weiterer neuer Text unter die Lupe
nimmt. Außerdem ist ein Artikel erschienen über die „
Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung“,
auf den wie hiermit ebenfalls hinweisen möchten.
IMI-Mitteilung
IMI bei den Ostermärschen
Update: Jetzt auch inklusive einige der Reden
https://www.imi-online.de/2025/04/15/imi-bei-den-ostermaerschen/
(15. April 2025)
IMI-Standpunkt 2025/025
Koalitionsvertrag der Aufrüster – Auf dem Weg in die Militärrepublik
https://www.imi-online.de/2025/04/10/koalitionsvertrag-der-aufruester-auf-dem-weg-in-die-militaerrepublik/
Tobias Pflüger und Jürgen Wagner (10. April 2025)
IMI-Standpunkt 2025/024
Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung
Staatsräson und Selbstzensur in Zeiten des Krieges
https://www.imi-online.de/2025/04/10/wissenschaftsfreiheit-als-praemisse-von-friedens-und-konfliktforschung/
Claudia Brunner (10. April 2025)
2.) IMI-Analyse zum „Drohnenwall“
IMI-Analyse 2025/13
Beispiel „Drohnenwall“
Beschleunigte Aufrüstung und Kontrollverlust bei Drohnen und KI
https://www.imi-online.de/2025/04/11/beispiel-drohnenwall/
Christoph Marischka (11. April 2025)
In parallelen und abgestimmten Prozessen haben die (adelige) deutsche
Kommissionspräsidentin Von der Leyen (CDU) und die künftige deutsche
Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) sowohl auf EU- als auch auf
bundesdeutscher Ebene Rüstungsausgaben von der Schuldenbremse
ausgenommen. EU-weit sollen so sagenhafte 800 Mrd. Euro mobilisiert
werden, die vom bereits abgewählten deutschen Bundestag beschlossene
Grundgesetzänderung ermöglicht letztlich unbegrenzte Kriegskredite. Ohne
allzu viel öffentliche Aufmerksamkeit hat die EU direkt im Anschluss ein
sogenanntes Weißbuch veröffentlicht, welches die Rahmenbedingungen für
die geplante, massive Aufrüstung EU-Europas zu umreißen vorgibt. Vom
Stil her und vom Inhalt könnte es sich dabei ebenso gut um ein Papier
irgendeiner europäischen Lobbyorganisation der Rüstungsindustrie handeln.
An anderer Stelle schrieb ich hierzu: „Es sind letztlich industrielle
Interessen, die im Weißbuch an die Stelle einer Strategie treten.“1 Die
Rüstungsindustrie wittert Morgenluft – nicht nur durch steigende
Aktienkurse und Profite, sondern auch durch ein völlig neues Image und
einen massiv gesteigerten politischen Einfluss. Spatenstiche zum Bau
neuer Waffenfabriken oder zur Umstellung von ziviler auf militärischer
Produktion werden zum Staatsakt, Chefs von Rüstungsunternehmen werden
wie Staatsgäste empfangen und fungieren als Stichwortgeber von Politik
und Medien.
„Drohnenwall“ – ein Vorschlag aus der Industrie
Das gilt nicht mehr nur für die alten Granden wie den
Rheinmetall-Vorstandsvorsitzenden Armin Papperger (auch die mit neuem
Selbstbewusstsein),2 sondern auch für einen neueren Typ der
Rüstungsmanager, die betont „disruptiv“ als „CEOs“ von
„Rüstungs-Startups“ auftreten. Repräsentiert wird dieser neue Typ allen
voran von Grundbert Scherf, ehemaliger Mitarbeiter von McKinsey, dann im
Umfeld der „Berateraffäre“ im BMVg für den Aufbau des neuen
Organisationsbereichs „Cyber- und Informationsraum“ zuständig, bevor er
das Startup Helsing gründete, das fortan einen rasanten – und etwas
dubiosen – Aufstieg hinlegte. 2021 gegründet, erhielt es bereits Mitte
2023 den Auftrag, künftig die KI für den Elektronischen Kampf im
Eurofighter zu liefern. 2025 hatte das Unternehmen nach eigenen Angaben
bereits 4.000 Kampfdrohnen für die Ukraine produziert und eine erste
„Resilience Factory“ mit einer Produktionskapazität von 1.000 Drohnen
pro Monat in Süddeutschland in Betrieb genommen. Weitere sollten folgen
mit dem Ziel einer „dezentrale[n] Massenproduktion in ganz Europa“.3
Konkret produziert wird dort wohl aktuell die Kampfdrohne HX-2, eine
Kamikazedrohne mit bis zu 100km Reichweite, die laut Unternehmensangaben
auch in Schwärmen operieren und durch KI weitgehend unabhängig von
menschlicher Steuerung agieren kann.
Nahezu unmittelbar nach der Zustimmung des Bundesrates zur Aufhebung der
Schuldengrenze für Rüstungsausgaben wandte sich Scherf mit dem Vorschlag
an die Presse, an der „Nato-Ostflanke“ einen „Drohnenwall“ aufzubauen,
der aus „zehntausende[n] Kampfdrohnen“ bestehen solle. Er gab sich dabei
optimistisch: „Dieser Drohnenwall ließe sich innerhalb eines Jahres
errichten. Man braucht dazu Aufklärungssysteme, Satelliten und
wahrscheinlich Aufklärungsdrohnen“.4 Wenig später sprang auch Florian
Seibel auf den Zug auf. Seibel ist CEO von Quantum Systems. Dieses
Startup hatte zunächst Drohnen für zivile Anwendungen entwickelt, dann
auch das Pentagon als Kunden gewonnen und sehr schnell nach dem
russischen Einmarsch erste Drohnen ans ukrainische Militär geliefert.
„Es ist ein Auftrag eingefädelt über den ukrainischen Konsul in München,
bestellt und bezahlt von ukrainischen Oligarchen, genehmigt von
deutschen Behörden“, berichtete das ZDF Anfang Mai 2022 in einem
Beitrag, der mit dem Zitat Seibels überschrieben war: „Natürlich
verdienen wir am Krieg“.5 Gleichzeitig grenzte Seibel sich hier noch von
der Rüstungsindustrie ab, jedenfalls von der klassischen: „Also
Rüstungsindustrie sind für mich alte, weiße Herren in grauen Anzügen,
und das sind wir definitiv nicht. Da haben wir ein anderes Wertesystem.“
Ein gutes halbes Jahr später gab das Unternehmen im Januar 2023 weitere
Lieferungen an die Ukraine bekannt, wobei Seibel damit warb, dass man
durch die Unterstützung der Ukraine nun auch weiteren Kunden
„kampferprobte“ Fähigkeiten und Updates anbieten könne.6 Im April 2023
porträtierte Forbes Seibel als den „Mann für die Zeitenwende“ und
berichtet vom „Pitch seines Lebens“: kurz vor Weihnachten „in einem
Luxusanwesen in Beverly Hills“, nämlich bei Peter Thiel, ultra-rechter
Risikoinvestor und Gründer des Unternehmens Palantir: „[Seibel]
beschreibt seine Vision von autonomen Flugrobotern, die Kriegsgebiete,
Grenzen und Metropolen observieren und überwachen, natürlich
vollautomatisch, verschlüsselt und in HD. Seibels Gastgeber hört
gespannt zu, macht Notizen – und scheint hochzufrieden.“7
Kurze Wege zur Beschaffung
Eine Woche nach dem Vorstoß Scherfs scheint der „Drohnenwall“ bereits
ein etablierter Begriff in der Aufrüstungsdiskussion zu sein. Zitiert
wird diesmal im Handelsblatt Martin Karkour, Vertriebschef von Quantum
Systems: „Ich halte es für möglich, dass ein Drohnenwall innerhalb eines
Jahres steht, wenn alle Seiten an einem Strang ziehen und es eine
Koordinationsstelle in der EU gibt.“ Quantum sei in der Lage, die
Produktion „innerhalb kürzester Zeit zu verdoppeln und binnen zwölf
Monaten zu vervierfachen.“8 Neben Quantum und Helsing wird hier auch
Airbus als zentraler Zulieferer des Drohnenwalls genannt. Das war am 31.
März. Vier Tage später machte die Meldung von einem „Kurswechsel“ im
BMVg die Runde, „Endlich bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr“ titelten
die FAZ und andere deutsche Leitmedien. Tagesschau.de berichtete: „Die
Bundeswehr soll moderne und mit Sprengsätzen versehene Angriffsdrohnen
bekommen. Die Verträge würden in den nächsten Tagen unterzeichnet,
teilte das Bundesverteidigungsministerium mit.“9 „Nach endlosen
Diskussionen bekommt die Bundeswehr endlich Kamikaze-Drohnen“ schrieb
zum Beispiel Focus online. Nahezu durchgehend wurde in diesen Beiträgen
ein bisher bestehender „Rückstand“ der Bundeswehr konstatiert – und die
Frage ignoriert, wie nach vermeintlich „endlosen Diskussionen“ eine
solche Entscheidung ohne parlamentarische Beteiligung während laufender
Koalitionsverhandlungen durch das BMVg in Eigenregie in einer Art
getroffen werden konnte, dass „Verträge … in den nächsten Tagen
unterzeichnet“ werden könnten.
Eine Art Antwort darauf lieferte wiederum wenige Tage später – ebenfalls
während der noch laufenden Koalitionsverhandlungen – der
Generalinspekteur der Bundeswehr in einem vielzitierten Gespräch mit der
dpa: „Wir wollen noch in diesem Jahr mit Loitering Munition
[Militärsprech für: Kamikazedrohnen] in der Truppe schießen. Auch hier
setzen wir auf maximale Beschleunigung, weil wir es ob der
Bedrohungslage müssen.“10
„Maximale Beschleunigung“
Die Diskussion über den Drohnenwall in knappen drei Wochen der
Koalitionsverhandlungen geben einen Vorgeschmack darauf, wie sich das
Verhältnis zwischen neuer und alter Rüstungsindustrie, Bundeswehr,
Politik und Strategie zukünftig gestalten dürfte. „Gemeinsam. Mutig.
Schneller.“, so überschrieb Brigadegeneral Armin Fleischmann seinen
Leitartikel für das „Ausstellungsheft“ zur Messe des Rüstungsverbandes
AFCEA 2023 unter dem Motto „(Künstliche) Intelligenz & Innovationen –
Konkrete Nutzungsmöglichkeiten“ („Dr. Gundbert Scherf, Mitbegründer und
Co-CEO von Helsing“ hielt dort einen Impulsvortrag „zur aktuellen Lage
in der Ukraine“).11 AFCEA war als „Anwenderforum“ einerseits schon immer
von überlappenden Funktionen zwischen BMVg, Bundeswehr und
Rüstungsunternehmen geprägt (Fleischmann z.B. damals zugleich im
Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum des BMVg und
Vorsitzender des von der Industrie geprägten AFCEA Bonn), offen für
Tech-Unternehmen und zugleich doch irgendwie von jenen Leuten geprägt,
die Seibel als „weiße Herren in grauen Anzügen“ charakterisiert hatte.
Unter dem Schlagwort KI und vor dem Hintergrund der Hysterie um einen
vermeintlich bevorstehenden russischen Angriff auf die NATO oder gar
Berlin fusionieren die alte und die neue Rüstungsindustrie – nach dem
Vorbild der USA auch und gerade unter Donald Trump. Was die Vision vor
allem der letzteren angeht, liefert die Diskussion um den „Drohnenwall“
gute Beispiele. Scherf fantasierte gegenüber n-tv.de: „Die Kombination
von Aufklärungs- und Kampfdrohnen sei eine intelligente Sperre.
Feindliche Kräfte würden bekämpft, aber eigene Truppen durchgelassen.
Ein ‚Drohnenwall‘ könne damit auch Minensperren ersetzen“. Das ist eine
Aussage, die gerne nochmal gelesen werden kann, um den vermeintlich
defensiven Charakter einer solchen „Sperre“ zu überdenken. Weiter wird
Scherf hier mit der Aussage zitiert: „’Ich glaube nicht, dass unsere
Demokratien einen Abnutzungskrieg, der viele Menschenleben kostet,
führen können oder wollen‘, sagt Scherf. ‚Wir sind wirklich darauf
angewiesen, diese asymmetrischen, technologischen Fähigkeiten zu haben.
Asymmetrische Technologie gewinnt‘.“12 Bloomberg zitiert einen weiteren
Mitbegründer von Helsing, Torsten Reil, mit der Aussage, „100.000 HX-2
Drohnen würden eine Invasion Europas auf dem Landweg ein für alle Mal
verhindern“.13
Wie gesagt: die Interessen der Industrie bestimmen die Strategie. Das
ist nicht neu: Vor allem die außenpolitische Strategie der USA ist
bereits seit Jahrzehnten von überzogenen Erwartungen an die
technologische Überlegenheit der eigenen Streitkräfte geprägt. Sie
ermöglichte tatsächlich einen schnellen Sieg über den Irak 2003, der
sich jedoch später als strategische Niederlage entpuppte. Auch die zwei
Jahrzehnte währende Intervention in Afghanistan war von der Vorstellung
geprägt, mit begrenztem Kräfteeinsatz und entgrenzten Einsätzen
bewaffneter Drohnen ein Land zu kontrollieren – aus dem man letztlich
gedemütigt abziehen musste. Die zugrunde liegende Vorstellung besteht
darin, dass autonome, „asymmetrische“ Technologien der einzige Weg zur
Aufrechterhaltung der westlichen Dominanz wären. Auch in der Ukraine –
von der man in Sachen Drohnenkrieg ja erklärtermaßen lernen will – zeigt
sich, dass trotz aller technologischen Hilfe aus dem Ausland und
Innovationsfähigkeit vor Ort am Schluss die Masse und die
Rekrutierungspotentiale über Sieg und Niederlage bestimmen. Genau das
aber ist die große Leerstelle auch des neuen Weißbuchs der EU, das eine
ungehemmte und beschleunigte Aufrüstung einfordert, während es die
Fragestellung, „wer diese Waffensysteme in welchen Kriegen bedienen und
bei deren Bedienung sterben soll“, konsequent ausblendet.14
Im Krieg sterben Menschen
Trotz empirischer Widerlegung hält diese Ideologie im Kontext von KI und
autonomen Waffensystemen nun auch in Deutschland Einzug: Bereits 2021
begründete der Generalinspekteur des Heeres, Alfons Mais, die
Notwendigkeit, „auch bei klassischen militärischen Problemen jetzt mit
Start-ups zusammen[zu]arbeiten“ und „Industrie und Truppe frühzeitig
zusammenzubringen“ mit diesem irrwitzigen Szenario: „Wollen Sie sich
junge Menschen Europas vorstellen, die zum Beispiel gegen chinesische
Roboter kämpfen müssen?“15 Suggeriert wird damit, dass ein Krieg mit
China denkbar und führbar wäre, wenn man ihn mit Robotern statt Menschen
führen könnte.
Die Protagonisten der alten wie der neuen Rüstungsindustrie versprechen
zwar, die Erkenntnisse aus den aktuellen Kriegen offensiv umzusetzen,
blenden dabei aber aus, dass der zunehmende Einsatz von KI und autonomen
Waffensystemen weder den Anteil ziviler Opfer, noch das letztlich
entscheidende Verhältnis militärischer Opfer zwischen den
Konfliktparteien entscheidend verändert hat. Drohnen mögen
Artilleriegranaten zunehmend ersetzen – tatsächlich kommen beide in der
Ukraine bereits in ähnlichen Größenordnungen zum Einsatz. Getötet werden
damit aber weiterhin Menschen. In einem lesenswerten Beitrag über den
Drohnenkrieg in der New York Times wird ein ukrainischer Soldaten
zitiert: Der Krieg werde „seltsam persönlich“, wenn nicht der Zufall
entscheidet, ob Dich eine Granate trifft, sondern Dich eine Drohne mit
einer Sprengladung verfolgt, die von irgendwem, dutzende Kilometer
entfernt gesteuert wird.16
Das Dogma der Beschleunigung, verbunden mit der disruptiven Ideologie
der Künstlichen Intelligenz, dient jedoch auch und vor allem einem
anderen Zweck: Der hemmungslosen Bereicherung und Aushebelung der
Kontrolle. Allein der Umfang der Rüstungsprogramme und die Komplexität
der Waffensysteme wird auch die parlamentarisch bestimmten Gremien
schlicht überfordern.xvii Der bereits angesprochene Beitrag bei
Bloomberg berichtet davon, dass die von Helsing an die Ukraine
gelieferten Drohnen überteuert wären und weit hinter den Erwartungen
zurückblieben. Auch andere Behauptungen und Ankündigungen des
Unternehmens werden hier in Zweifel gezogen. Nebenher erfahren wir, dass
die anscheinend fehlerhafte („glitchy“) Software seiner Drohnen etwa
wöchentlich aktualisiert werde.17 Ob und wie weit sich dabei auch das
Verhältnis zwischen menschlicher Kontrolle und technischer Autonomie
verschiebt, wird nicht mehr nachvollziehbar sein. Die Vorstellung von
zehntausenden Kamikazedrohnen an der NATO-Ostflanke mit einem
fehlerhaften Update sollte jedenfalls dazu beitragen, sich vom Dogma der
Beschleunigung zu verabschieden und das Projekt nicht umzusetzen; schon
gar nich – wie von der Industrie gewünscht – innerhalb eines Jahres.
Anmerkungen
1 Christoph Marischka: Europas Weißbuch – Mit Volldampf auf Kriegskurs,
IMI-Standpunkt 2025/022, www.imi-online.de.
2 Jonas Uphoff: Von der Schmuddelecke in die Systemrelevanz, IMI-Studie
2024/01, www.imi-online.de.
3 „Helsing produziert weitere 6000 Kampfdrohnen für die Ukraine“,
Pressemitteilung vom 13.2.2025, helsing.ai.
4 „Helsing drängt auf ‚Drohnenwall‘ an Nato-Ostflanke“, n-tv.de vom
23.3.2025.
5 „Natürlich verdienen wir am Krieg“, zdf.de vom 3.5.2022, zugänglich
über web.archive.org.
6 „Second Vector Delivery to Ukraine“, Pressemitteilung vom 25.1.2023,
quantum-systems.com.
7 „Der Mann für die Zeitenwende“, forbes.at vom 17.4.2023.
8 „Industrie plant Drohnenwall“, Handelsblatt 63/2025 vom 31.03.2025.
9 „Bundeswehr soll Angriffsdrohnen bekommen“, tagesschau.de vom 3.4.2025.
10 „Breuer fordert maximales Tempo bei neuen ‚Kamikaze‘-Drohnen“,
handelsblatt.com vom 10.4.2025.
11 Ausführlich zur AFCEA-Fachkonferenz: Christoph Marischka: Noch
schreibt KI für uns Texte – bald wird sie Kriege führen, telepolis.de
vom 29.5.2025.
12 „Helsing drängt auf ‚Drohnenwall‘ an Nato-Ostflanke“, n-tv.de vom
23.3.2025.
13 Christina Kyriasoglou, Mark Bergen, Gian Volpicelli: AI Defense
Startup Helsing Draws Fire for Tech and Tactics, bloomberg.com vom 8.4.2025.
14 Christoph Marischka: Europas Weißbuch – Mit Volldampf auf Kriegskurs,
IMI-Standpunkt 2025/022, www.imi-online.de.
15 Larissa Holzki: Bundeswehrgeneral fordert: ‚Auch bei klassischen
militärischen Problemen jetzt mit Start-ups zusammenarbeiten‘,
handelsblatt.com vom 29.7.2021.
16 Marc Santora, Lara Jakes, Andrew E. Kramer, Marco Hernandez, Liubov
Sholudko: A Thousand Snipers in the Sky, www.nytimes.com vom 3.3.2025.
17 Vgl. Punkt 13 in: Tobias Pflüger: Mit einer Billion Euro in den Krieg
– ‚whatever it takes‘, IMI-Analyse 2025/09, www.imi-online.de.
18 Christina Kyriasoglou, Mark Bergen, Gian Volpicelli: AI Defense
Startup Helsing Draws Fire for Tech and Tactics, bloomberg.com vom
8.4.2025.
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
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[IMI-List] [0676] FCAS-Factsheet / Studie Kanonen statt Butter / Analysen Grönland & A20 / ReArm Europe (Kampagne & englische Texte)
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0676 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) der Hinweis auf ein neues IMI-Factsheet, diesmal zum Luftkampfsystem
FCAS;
2.) neue Analysen und Studien: Militarisierung & Sozialabbau, Grönland, A20…
3.) die Ankündigung, dass sich IMI an der Kampagne „Stop ReArm Europe“
beteiligt (und englische Übersetzungen zum Thema).
1.) IMI-Factsheet Luftkampfsystem FCAS
Es soll das „größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt werden“
(Luftwaffenchef Ingo Gerhartz). Gemeint ist das extrem kostspielige
französisch-deutsche Luftkampfsystem FCAS (mit Spanien als
Juniorpartner), mit dem sich die Europäische Union unabhängig von den
USA für künftige Großmachtkriege rüsten will.
Möglichst kurz & bündig haben wir nun auch die u.E. wichtigsten
Informationen zum Thema in einem neuen Factsheet veröffentlicht, das die
IMI zusammen mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung herausgibt.
Auch dieses Factsheet geben wir gratis (gegen Porto) ab, Bestellungen
bitte im DFG-VK Webshop: https://shop.dfg-vk.de/
IMI-Factsheet
FCAS
Europäisches Luftkampfsystem für Großmachtkonflikte?
https://www.imi-online.de/2025/04/07/fcas-2/
(7. April 2025)
2.) Neue Analysen & Studien: Militarisierung & Sozialabbau, Grönland,
Ausbau A20…
Soeben erschienen ist eine neue IMI-Analyse über die US-Begehrlichkeiten
mit Blick auf Grönland. Einen Vorgeschmack, was uns vom
Infrastruktur-Sondervermögen in Höhe von 500 Mrd. Euro blüht, nämlich,
dass davon ein guter Teil für die „Ertüchtigung“ militärisch relevanter
Korridore ausgegeben wird, vermitteln die Pläne zum Ausbau der Autobahn
20. Außerdem frisch erschienen ist eine Studie zum neuen Rüstungspaket
und den immer unverschämteren Forderungen, zur Refinanzierung die
Sozialausgaben zu rasieren.
IMI-Analyse 2025/12
Kampf um Grönland
Zwischen dänischer Assimilation und US-Annexion
https://www.imi-online.de/2025/04/09/kampf-um-groenland/
Ben Müller (9. April 2025)
IMI-Studie 2025/01
Militärausgaben und Sozialabbau
Rüstung statt Rente - Kanonen statt Butter
https://www.imi-online.de/2025/04/08/militaerausgaben-und-sozialabbau-2/
Jürgen Wagner (8. April 2025)
IMI-Standpunkt 2025/023
Bildung statt Bomben
Protest gegen den Messeauftritt der Bundeswehr an der Fachschule Gotha
https://www.imi-online.de/2025/04/07/bildung-statt-bomben/
Jacqueline Andres (7. April 2025)
IMI-Analyse 2025/11
A 20 – Autobahnbau zur „NATO-Ostflanke“
https://www.imi-online.de/2025/04/01/a-20-autobahnbau-zur-nato-ostflanke/
Ursula Trescher und Hermann König, (1. April 2025)
3.) Kampagne „Stop ReArm Europe“
Die europäischen Aufrüstungspläne rund um den „ReArm-Europe-Plan“ haben
uns ja u.a. in der letzten IMI-List beschäftigt.
Die IMI ist jetzt der Kampagne „Stop ReArm Europe“ beigetreten und hat
einige der im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen entstandenen Texte
ins Englische übersetzt:
IMI-Standpunkt 2025/022en
Europe’s White Paper: Full steam ahead for war
Where is the left-wing resistance?
https://www.imi-online.de/2025/03/26/europes-white-paper-full-steam-ahead-for-war/
Christoph Marischka (26. März 2025)
IMI-Analyse 2025/10en
Europe first!
EU White Paper for the transition to a war economy and decoupling from
the USA
https://www.imi-online.de/2025/03/25/europe-first-2/
Özlem Alev Demitel and Jürgen Wagner (25. März 2025)
IMI-Analyse 2025/09en
Going to war with a trillion euros, „whatever it takes“…
15 aspects on which little has been reported
Tobias Pflüger (24. März 2025)
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[IMI-List] [0675] Deutsche und EUropäische Hochrüstung: „Finanzpakete“ und EU-Weißbuch
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0675 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
die Entscheidungen zur Hochrüstung Deutschlands und der EU fallen in
atemberaubender Geschwindigkeit. In dieser IMI-List möchten wir auf drei
neue Texte der IMI hinweisen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen:
1.) Mit einer Billion Euro in den Krieg
Tobias Pflüger fasst in fünfzehn knappen Punkten zusammen, welche
Auswirkungen die verabschiedeten Finanzpakete und die Pläne der EU zur
„Wiederbewaffnung Europas“ haben dürften:
IMI-Analyse 2025/09
Mit einer Billion Euro in den Krieg, „whatever it takes“…
Dazu 15 Punkte über die wenig berichtet wurde
https://www.imi-online.de/2025/03/24/mit-einer-billion-euro-in-den-krieg-whatever-it-takes/
Tobias Pflüger (24. März 2025)
2.) Europe first!
Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner analysieren das vorgelegte
„Weißbuch“ der Europäischen Union und stellen dar, wie die Umstellung
auf Kriegswirtschaft stattfinden soll und legitimiert wird:
IMI-Analyse 2025/10
Europe first!
EU-Weißbuch für die Umstellung auf Kriegswirtschaft und die Abkopplung
von den USA
https://www.imi-online.de/2025/03/25/europe-first/
Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner (25. März 2025)
3.) Ein weiterer IMI-Standpunkt zum Weißbuch und dem damit verbundenen
Epochenbruch, der auch die Frage stellt: Wo bleibt der linke Widerstand
IMI-Standpunkt 2025/022
Europas Weißbuch: Mit Volldampf auf Kriegskurs
Wo bleibt der linke Widerstand?
https://www.imi-online.de/2025/03/26/europas-weissbuch-mit-volldampf-auf-kriegskurs/
26. März 2025
Wenn es wahr ist, dass die Wahl Donald Trumps und die Verhandlungen um
einen Waffenstillstand in der Ukraine für Europa den größten
Epochenbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs darstellen, dann wäre
es eigentlich notwendig, wohl überlegt und gut diskutiert Ursachen zu
analysieren, realistische Optionen auszuloten und darauf basierend eine
strategische Neuausrichtung auf den Weg zu bringen. Die führenden
Politiker*innen in Deutschland und Europa machen aber das Gegenteil. In
Windeseile werden Schuldenprogramme in zuvor nie dagewesenem Maßstab für
die Aufrüstung aufgelegt. Am 19. März 2025 hat dann die noch relativ
junge EU-Kommission (während der laufenden Verhandlungen über einen
Waffenstillstand in der Ukraine) ein „Weißbuch“ verabschiedet, das von
der aktuell verbreiteten Panik um einen vermeintlich bevorstehenden
Angriff Russlands auf EU-Staaten geprägt ist. Hysterie und Opportunismus
ziehen sich durch den gesamten Text. Bereits auf sprachlicher Ebene
wirkt er eher wie ein eilig herunter geschriebener und schlecht
übersetzter Entwurf einer Tischvorlage der Rüstungslobby: Keine
abwägenden oder diplomatischen Formulierung, keine Rücksichtnahme auf
divergierende Interessen innerhalb und zwischen den Mitgliedsstaaten,
kein Raum für Ambivalenzen.
Weißbuch: Rüstungswahn statt Strategie
Auch jenseits stilistischer Fragen fällt es schwer, das Weißbuch als
Strategiepapier ernst zu nehmen. Ein Strategiepapier sollte eigentlich
verschiedene Szenarien in den Blick nehmen, eine realistische
Einschätzung künftiger Entwicklungen und eigener Fähigkeiten enthalten
und Ziele definieren. Davon kann aber im vorgelegten Weißbuch keine Rede
sein: Es kennt nur ein Ziel: die hemmungslose und forcierte Aufrüstung
auf allen Ebenen und mit (fast) allen Mitteln mit dem Ziel, bis 2030
auch ohne die USA einen großen Landkrieg führen zu können.
In dem Dokument erscheint Europa von allen Seiten und auch aus dem
Inneren bedroht, die eigene „regelbasierte Ordnung“ im Niedergang
begriffen. Die größte Bedrohung ist natürlich Russland, aber auch China
wird mehrfach genannt sowie der zunehmende „strategische Wettbewerb in
unserer weiteren Nachbarschaft, von der Arktis bis zum Baltikum, vom
Mittleren Osten bis nach Nordafrika“. Hinzu kommen Bedrohungen durch
technologischen Wandel, Migration und den Klimawandel, an anderer Stelle
Terrorismus, Extremismus, Organisierte Kriminalität und
Cyber-Kriminelle. Auf diese sehr kursorische Bedrohungslage kennt das
Dokument nur eine Antwort: „Der Moment ist gekommen, in dem sich Europa
wiederbewaffnen muss.“ Mehrfach wird in dem Dokument von der „realen
Perspektive eine vollumfänglichen Krieges“ (the real prospect of
full-scale war) gesprochen. Überhaupt taucht die Silbe „scale“ in den 22
Seiten des Dokuments 24 Mal auf. Es wird ernst gemacht, im großen
Maßstab gedacht – ob es um Waffensysteme, Truppenverlegungen oder auch
die Skaleneffekte geht, die man durch die Massenproduktion von
Rüstungsgütern zu realisieren hofft: Panzer, Drohnen und Munition sollen
endlich am laufenden Band produziert werden
Alternativlos: Die Ukraine muss weiterkämpfen!
Ganz klar wird im Weißbuch, dass unabhängig von den Verhandlungen um
einen Waffenstillstand in der Ukraine der Krieg dort für Europa nicht
vorbei sein wird. „Die Zukunft der Ukraine ist entscheidend für die
Zukunft Europas als Ganzes“ … „Die Ukraine steht gegenwärtig an der
Frontlinie der europäischen Verteidigung, verteidigt sich gegen einen
Angriffskrieg durch die größte Bedrohung unserer gemeinsamen Sicherheit“
… „Die Zukunft Europas entscheidet sich durch den Kampf in der Ukraine“
… „Die Ukraine ist die zentrale Arena, in der sich die neue,
internationale Ordnung entscheiden wird“. Entsprechend soll die
Hochrüstung Europas auch wesentlich dem Ziel dienen, „die militärische
Unterstützung der Ukraine aufrechtzuerhalten und auszubauen“.
Wohlgemerkt: Dieses Dokument erschien, während die USA, Russland und die
Ukraine über einen Waffenstillstand verhandelten. Die Möglichkeit, dass
es dort zu einem Friedensschluss, gar zu einem dauerhaften Frieden und
Abrüstungsbemühungen kommen könnte, wird in dem Dokument jedoch gar
nicht in Betracht gezogen. Fast drängt sich der Eindruck auf, die
hastige Veröffentlichung dieses Aufrüstungsprogramms sei als
diplomatisches Säbelrasseln gemeint, um der bislang nicht beteiligten EU
(bzw. den europäischen Führungsmächten und ihren baltischen
Kettenhunden) doch noch einen Platz am Verhandlungstisch zu garantieren
mit der Drohung: 'ohne uns wird es keinen Frieden geben' bzw. 'ein
Frieden, der ohne uns ausgehandelt wird, werden wir nicht akzeptieren'.
Eine solche Initiative wäre zwar moralisch fragwürdig, im unmoralischen
Spiel der Mächte um Einfluss jedoch nachvollziehbar. Sie jedoch in Form
eines langfristigen Strategiedokuments zu ergreifen, welches die
Hochrüstung der EU auf Jahre und quasi unumkehrbar festschreibt, birgt
nicht nur die Gefahr, dass der „vollumfängliche Krieg“ zur
selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Dies wird auch dazu beitragen, dass
weltweit Staaten in den Rüstungswettlauf einsteigen – mit allen Folgen
für bestehende Formen der Rüstungskontrolle und der Regulierung neuer
Waffensysteme.
Denn obwohl das Weißbuch primär eine existenzielle Gefahr für Europa,
eine „direkte“ Bedrohung „unserer Art zu Leben“ unterstellt, erhebt es
zugleich den Anspruch, die internationale Ordnung zu „formen“ - „sowohl
in unserer Region, als auch darüber hinaus“. Auch der bereits
angesprochene „strategische Wettbewerb“ von der Aktis bis in den
Mittleren Osten und die Verweise auf Taiwan bringen letztlich zum
Ausdruck, dass „Europa“ hier künftig wieder mehr mitbestimmen will und
den Königsweg auch hierfür in der massiven Aufrüstung sieht. Das muss
auch von den anderen Teilnehmenden im „strategischen Wettbewerb“ als
Ansage verstanden werden, dass der Kampf um Einfluss künftig noch mehr
und schneller auf der militärischen Ebene ausgefochten wird.
Fehlender Realismus und Tech-Fantasien
Und hier sind wir beim fehlenden Realismus, der in einer außen- und
militärpolitischen Strategie gefährlich, geradezu fatal sein kann.
Dieser fehlende Realismus kommt u.a. in einer Leerstelle des Dokuments
zum Ausdruck: der Mobilisierung von Menschen für den Krieg, die
Mobilisierung der massenweisen Bereitschaft, für „Europa“ und seine
Geltungsansprüche zu sterben. Zugegeben, das Weißbuch hat primär die
Rüstungspolitik zum Gegenstand. Trotzdem ist die Ausklammerung der
Frage, wer diese Waffensysteme in welchen Kriegen bedienen und bei deren
Bedienung sterben soll, eklatant. Es fehlt eine realistische
Einschätzung dessen, wie viel militärisch fundierte Macht ein Europa
weltweit projizieren kann, das letztlich aus sehr unterschiedlichen
Nationalstaaten besteht, die fast alle bereits jetzt
Rekrutierungsprobleme haben, die Demokratien würdig sind.
Übertüncht wird diese Leerstelle mit der das gesamt Dokument
durchziehenden Hoffnung auf überlegene Technologie. Künstliche
Intelligenz, autonome Systeme und Quantencomputing werden wiederholt
angesprochen und sollen einen Schwerpunkt in der europäischen
Hochrüstung spielen. Von ihrer Regulierung – wie insgesamt von
Regulierung – ist hingegen keine Rede. Der Weg, wie Europa bei diesen
Technologien und durch diese Technologien „Überlegenheit“ herstellen
kann, entspricht in seiner Floskelhaftigkeit wiederum der lange gehegten
Wunschliste der Rüstungsindustrie und der mit dieser immer enger
verwobenen Tech-Industrie: Mehr Geld, mehr Geld für Rüstungsforschung
und Dual Use, mehr Unterstützung für Startups und Risikokapital,
Deregulierung und schnellere Beschaffung sowie die weitere
technologische Hochrüstung auch der Grenzen und der Inneren Sicherheit.
Diese Bedingungen der Deregulierung und beschleunigten Aufrüstung werden
die Weiterentwicklung jener neuen Technologien prägen und so dazu
beitragen, dass sie sich tatsächlich als ernsthaften Bedrohung der
Menschen und ihrer Rechte entfalten.
Es sind letztlich industrielle Interessen, die im Weißbuch an die Stelle
einer Strategie treten. Dass sie sich hier (und aktuell auch anderswo)
in Reinform artikulieren können, ist Ausdruck einer
Aufrüstungs-Hysterie, wie sie es in Europa tatsächlich seit dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Es besteht die reale Gefahr, dass
diese Interessen und die als Katalysator verbreitete Hysterie vermengt
mit dem Geltungsanspruch eines neuen „Europas“ (unter deutscher Führung)
in einen Dritten Weltkrieg münden. Jenseits dieser Gefahr, die im
Weißbuch als „reale Perspektive eine vollumfänglichen Krieges“
umschrieben wird, ist völlig klar, dass der mit dem Weißbuch ausgerufene
neue Rüstungswettlauf und ein lange anhaltender Krieg in der Ukraine die
sich bereits entfaltende Klimakatastrophe weiter verschärfen wird. Auch
diese wird im Dokument angesprochen, aber eben ausschließlich innerhalb
jener Melange von Bedrohungen, welche die massive Aufrüstung der EU
legitimieren soll: Hochrüstung gegen den Klimawandel – so viel zum Thema
fehlender Realismus.
Wo bleibt der linke Widerstand?
Besonders gefährlich ist die Lage, weil es europaweit sehr wenig
Widerstand gegen die Aufrüstung gibt und wenn, dann oft aus den falschen
Motiven von der falschen Seite. In der veröffentlichten Meinung
dominieren die Hardliner – oft jene „Expert*innen“, die bereits in den
vergangenen Jahren bei jeder Gelegenheit darauf drängten, dass
Deutschland bzw. Europa international „mehr Verantwortung“ übernehmen
sollten. Jene Personen, welche über Jahre die gescheiterten
militärischen Abenteuer in Afghanistan und der Sahel-Region
propagandistisch begleitet und Europa in jene strategische Sackgasse
geführt haben, aus dem es sich nun mit einem irrationalen und
zerstörerischen Aufrüstungs-Plan befreien will. Kritische Stimmen finden
nur vereinzelt Gehör. Gerade auch die antifaschistische und
parlamentarische Linke ignoriert den Aufrüstungskurs – oder stimmt ihm
sogar zu, wie etwa die Linke in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern bei
der Abstimmung über die Grundgesetzänderungen im Bundesrat.
Die linke Zustimmung und das linke Schweigen sind besonders in
Deutschland katastrophal. Sie übersehen (oder goutieren klammheimlich),
dass Europa tatsächlich dabei ist, die „Nachkriegs-Ordnung“
abzustreifen. Dazu gehört auch die Entsorgung der deutschen
Weltkriegs-Geschichte. Eine deutsche Kommissionspräsidentin – im Amt
gehalten mit der Zustimmung italienischer Faschisten – legt ein
historisches Programm zur schuldenfinanzierten Aufrüstung auf.
Deutschland ebnet dieser den Weg, indem es per Verfassung ausschließlich
Rüstungsausgaben (im weiteren Sinne) unbegrenzt von der Schuldenbremse
ausnimmt. In deutschen Leitmedien und von hochrangigen
Regierungsvertretern wird von einem „Krieg gegen Russland“ gesprochen
und geträumt. In Litauen wird eine Brigade der Bundeswehr stationiert,
deutsche Waffensysteme mit ukrainischer Besatzung sind in Kursk
vorgedrungen. Es ist kein Wunder, dass zunehmend Forderungen nach einer
atomaren Bewaffnung Deutschlands und einer Kündigung des 2+4-Vertrages
(„Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“)
diskutiert werden. Diese „abschließende“ Regelung beinhalteten jene
Einschränkungen der Aufrüstung und Souveränität, die Deutschland als
Folge seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg auferlegt wurden: U.a. die
endgültige Anerkennung der deutschen Außengrenzen, der Verzicht auf
Atomwaffen, das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges und die
Begrenzung der Streitkräfte auf „370.000 Mann“.
Dass die parlamentarische und antifaschistische Linke vor diesem
Hintergrund nicht massenweise auf die Straße geht und sich der deutsch
forcierten Hochrüstung mit aller Kraft widersetzt, könnte sich als
Versagen von historischer Dimension entpuppen.
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[IMI-List] [0674] Kongressdokumentation: „Zeitenwende“ in Bildung und Hochschule / Neue Artikel: Ära der Aufrüstung
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0674 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) die Dokumentation des IMI-Kongresses „Zeitenwende“ in Bildung und
Hochschule im neuen IMI-Magazin;
2.) Neue IMI-Artikel, insbesondere zu den aktuellen nationalen und
europäischen Aufrüstungsplänen (Schuldenbremse etc.);
3.) den IMI-Standpunkt „Die Ära der Aufrüstung“, der die wichtigsten
Punkte dieser Aufrüstungspläne zusammenfasst.
1.) Ausdruck (März 2025): „Zeitenwende“ in Bildung und Hochschule
Die vielen positiven Rückmeldungen auf unseren letzten Kongress
„Zeitenwende“ in Bildung und Hochschule haben unseren Eindruck
bestätigt, dass er inhaltlich sehr gelungen war.
Deshalb und weil es auch schon diverse Anfragen gab, freuen wir uns
sehr, in der aktuellen Ausgabe des IMI-Magazins die Beiträge des
Kongresses auch schriftlich dokumentieren zu können.
Das Magazin steht wie immer gratis zum herunterladen auf der IMI-Seite
zur Verfügung, es kann aber auch für 4,50 Euro (plus Porto) bestellt
werden: imi@imi-online.de
Gesamte Ausgabe:
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck_1_2025_webred.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
SCHWERPUNKT
-- Editorial (Thomas Gruber/Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/01_Ausdruck_1_2025_editorial.pdf
-- (Re)Militarisierung der Bildung (Reza Schwarz)
https://www.imi-online.de/download/02_Ausdruck_1_2025_schwarz.pdf
-- Rekrutierungsstrategien der Bundeswehr gegenüber Schüler:innen (Henri
Seiler)
https://www.imi-online.de/download/03_Ausdruck_1_2025_seiler.pdf
-- „Wehrkunde“ – ein Blick nach Lettland (Interview)
https://www.imi-online.de/download/04_Ausdruck_1_2025_bongartz.pdf
-- Bundeswehr goes TikTok (Jacqueline Andres)
https://www.imi-online.de/download/05_Ausdruck_1_2025_andres.pdf
-- Rekrutierungsprobleme, Reserve und der Neue Wehrdienst (Martin
Kirsch/Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/06_Ausdruck_1_2025_kirsch-wagner.pdf
-- Zeitenwende und Rechtsruck in Bayern (Mark Ellmann)
https://www.imi-online.de/download/07_Ausdruck_1_2025_ellmann.pdf
-- Kampf um die Köpfe (Sophie Voigtmann/Matthias Rude)
https://www.imi-online.de/download/08_Ausdruck_1_2025_voigtmann-rude.pdf
-- KI außer Kontrolle (Jens Hälterlein)
https://www.imi-online.de/download/09_Ausdruck_1_2025_haelterlein.pdf
-- Forschung mit friedlichen Zielen (Hannes Jung)
https://www.imi-online.de/download/10_Ausdruck_1_2025_jung.pdf
-- Binäre Konstruktionen von Freund und Feind (Barbara Stauber)
https://www.imi-online.de/download/11_Ausdruck_1_2025_stauber.pdf
-- Eigentlich unglaublich (Sophie Linde)
https://www.imi-online.de/download/12_Ausdruck_1_2025_linde.pdf
MAGAZIN
ÖSTLICHES MITTELMEER & REGELBASIERTE ORDNUNG
-- Gaza: Gibt es Hoffnung? (Pablo Flock)
https://www.imi-online.de/download/13_Ausdruck_1_2025_flock.pdf
-- Syrien und Ukraine: Regelbasierte Ordnung vs. Völkerrecht (Bernhard
Klaus)
https://www.imi-online.de/download/14_Ausdruck_1_2025_klaus.pdf
TECHWARS
-- Die Kampfdrohne als Peripheriegerät des Internet (Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/15_Ausdruck_1_2025_marischka.pdf
BUNDESWEHR, RÜSTUNG & SOZIALABBAU
-- „Europa“ am Katzentisch – und mit Truppen in der Ukraine? (Bernhard
Klaus)
https://www.imi-online.de/download/16_Ausdruck_1_2025_klaus.pdf
-- Kursverschärfung: Militarisierung nach der Wahl (Andreas
Seifert/Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/17_Ausdruck_1_2025_wagner-seifert.pdf
-- Schutz der Zivilbevölkerung: KSK Übung (Bernhard Klaus)
https://www.imi-online.de/download/18_Ausdruck_1_2025_klaus.pdf
-- Militärausgaben: Nicht verwirren lassen! (Andreas Seifert)
https://www.imi-online.de/download/19_Ausdruck_1_2025_seifert.pdf
-- Rüstung statt Rente (Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/20_Ausdruck_1_2025_wagner.pdf
ATOMRÜSTUNG
-- Friedensfähig statt erstschlagfähig! (Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/21_Ausdruck_1_2025_wagner.pdf
-- Trump und die Mittelstreckenwaffen in Deutschland (Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/22_Ausdruck_1_2025_marischka.pdf
-- NATO: Nukleare Zeitenwende? (Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/23_Ausdruck_1_2025_wagner.pdf
LÖSUNGSANSÄTZE
-- Rüstungskontrolle – Zurück zur Kooperation (Marius Pletsch)
https://www.imi-online.de/download/24_Ausdruck_1_2025_pletsch.pdf
-- Solidarität stärken, Militarisierung und Repression überwinden!
(Claudia Haydt)
https://www.imi-online.de/download/25_Ausdruck_1_2025_haydt.pdf
2.) Neue Texte: Aufrüstungswahn, Neuer Ton Außenpolitik, Genocide Camp
IMI-Standpunkt 2025/019
Selenskyjs Demütigung und der neue Ton der Außenpolitik
Trumps Konfrontation mit der liberalen Ordnung war voraussehbar. EUropas
Liberale bereiten den Rechten den Weg zu folgen.
https://www.imi-online.de/2025/03/07/selenskyjs-demuetigung-und-der-neue-ton-der-aussenpolitik/
Pablo Flock (7. März 2025)
IMI-Standpunkt 2025/018 (update: 7.3.2025)
Die Ära der Aufrüstung
Brüssel und Berlin planen gigantische Rüstungsschulden
https://www.imi-online.de/2025/03/05/die-aera-der-aufruestung/
Jürgen Wagner (5. März 2025)
IMI-Standpunkt 2025/017
Joseph Fischer und der deutsch-europäische Aufrüstungswahn
https://www.imi-online.de/2025/03/05/joseph-fischer-und-der-deutsch-europaeische-aufruestungswahn/
Christoph Marischka (5. März 2025)
IMI-Standpunkt 2025/016, erschienen in junge Welt 24.2. & 3.3.2025
Waffenembargo selbstgemacht
Cut Ties with Genocide Camp in Kopenhagen attackiert Logistikgiganten
Maersk wegen Waffenlieferungen an Israel
https://www.imi-online.de/2025/03/03/waffenembargo-selbstgemacht/
Pablo Flock (3. März 2025)
IMI-Standpunkt 2025/015
Ukraine-Resolutionen zum Jahrestag
Zwischen Prinzipien und Realismus
https://www.imi-online.de/2025/02/27/ukraine-resolutionen-zum-jahrestag-zwischen-prinzipien-und-realismus/
Christoph Marischka (27. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/014 - in: junge Welt, 25.02.2025
»Die Friedenstauben sind ›entsorgt‹«
Militarisierung: Was unter einer »schwarz-roten« Koalition droht. Ein
Gespräch mit Tobias Pflüger
https://www.imi-online.de/2025/02/25/die-friedenstauben-sind-entsorgt/
Tobias Pflüger / Gitta Düperthal (25. Februar 2025)
3.) IMI-Standpunkt: Die Ära der Aufrüstung
IMI-Standpunkt 2025/018 (update: 7.3.2025)
Die Ära der Aufrüstung
Brüssel und Berlin planen gigantische Rüstungsschulden
https://www.imi-online.de/2025/03/05/die-aera-der-aufruestung/
Jürgen Wagner (5. März 2025)
Mit einem fast zeitgleich verkündeten Doppelwumms präsentierten die
wahrscheinliche künftige Schwarz-Rote Bundesregierung und auch
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 4. März 2025 ihre
Vorschläge, wie massive Erhöhungen der Militärausgaben finanziert werden
sollen: über Schulden. Es folgen die wichtigsten Details soweit bislang
bekannt.
Berlin: Rüstung geht immer I
Laut Schätzungen der NATO beliefen sich die deutschen Militärausgaben im
Jahr 2024 auf 90,58 Mrd. Euro (2,12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes,
BIP). Der Betrag setzt sich zusammen aus dem offiziellen
Verteidigungshaushalt von 51,95 Mrd. Euro, hinzu sollten 19,8 Mrd. aus
dem Sondervermögen und 18,83 Mrd. Euro nach NATO-Kriterien
(militärrelevante Ausgaben aus anderen Haushalten, v.a. für
Waffenlieferungen an die Ukraine) kommen (weil ein zeitiger Mittelabruf
teils nicht gelang, waren es real wohl rund 4,6 Mrd. Euro weniger).
Obwohl die Ausgaben damit zwischen 2014 (34,75 Mrd. Euro) und 2024
(90,58 Mrd. Euro) bereits drastisch gestiegen sind (wieder laut NATO),
soll damit das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht sein.
Schon im Wahlkampf lieferten sich die Kandidaten einen regelrechten
Überbietungswettbewerb in Sachen Militärausgaben. Den Anfang machte
Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck, der Militärausgaben von 3,5% des
BIP forderte. Auch CSU-Chef Markus Söder gab zum Besten, die
Verteidigungsausgaben müssten künftig „deutlich über drei Prozent“ des
BIP liegen. Und Unions-Spitzenkandidat Friedrich Merz äußerte sich: „Ob
es nun zwei 2,5 oder 5 Prozent sind, ehrlich gesagt, das hat für mich
nur eine zweitrangige Bedeutung.“ Es müsse sichergestellt sein, „dass
wir das notwendige Geld haben, um die Bundeswehr wieder in die Lage zu
versetzen, ihren Auftrag zu erfüllen“, wovon sie aktuell „ziemlich weit
entfernt“ sei.
Noch vor der Wahl wurde dann auch in der Presse berichtet, die NATO
beabsichtige auf ihrem Gipfeltreffen im Juni 2025 eine Erhöhung des
Mindestausgabenziels von bislang 2 Prozent des BIP auf 3 bis 3,5 Prozent
des BIP zu beschließen. Um an diese Werte konkretere Preisschilder zu
kleben: 2024 belief sich das deutsche BIP auf 4305 Mrd. Euro, der
Haushalt umfasste 476,81 Mrd. Euro. 3,5% des BIP hätten Militärausgaben
von ziemlich genau 150 Mrd. Euro bedeutet – rund 32% des gesamten
Haushaltes. Würden europaweit mindestens 3,5 Prozent des BIP ausgegeben,
würden die Militärausgaben auf knapp 600 Mrd. Euro explodieren –
Russland kam laut Military Balance 2024 auf Militärausgaben von 145,9
Mrd. Dollar. Obwohl sich hier völlig zurecht die Frage aufdrängt, ob die
hier durch die Gegend geisternden Zahlen noch in irgendeinem auch nur
entfernt plausiblen Verhältnis zur potentiellen Bedrohung stehen, war
die massive Erhöhung der Militärausgaben bei fast allen Parteien völlig
unstrittig – uneins war man sich lediglich lange wie dies finanziert
werden soll.
Zur Auswahl standen haushaltsinterne Umschichtungen, die aber in diesen
Größenordnungen schlicht nicht zu machen sind, wie auch die Union
irgendwann einsehen musste. Zwischenzeitlich schien es, als werde ein
neues Bundeswehr-Sondervermögen ausgelobt, die Rede war zunächst von 200
Mrd. Euro., dann von 400 Mrd. Euro. Nun scheinen sich Union und SPD auf
eine dritte Variante verständigt zu haben: Militärausgaben oberhalb von
1 Prozent des BIP sollen künftig von der Schuldenbremse ausgenommen
werden, wobei es dabei wohl weder eine zeitliche noch eine finanzielle
Grenze zu geben scheint. Das Fachportal Europäische Sicherheit & Technik
schreibt dazu: „Die Höhe der zusätzlich verfügbaren Finanzmittel ist,
soweit bekannt, nicht begrenzt. Beobachter schätzen, dass bis zu 400
Milliarden Euro bereitgestellt werden könnten.“
Bei diesem demokratisch überaus fragwürdigen Hauruckverfahren war
deshalb so große Eile geboten, weil Linke und AfD im nächsten Bundestag
angesichts der für diese Änderung erforderlichen 2/3 Mehrheit eine
Sperrminorität hätten. Angepeilt wird deshalb eine Abstimmung im
Bundestag in der Kalenderwoche 11 ab dem 10. März 2025. Der
voraussichtliche Fahrplan ist bei den griephan-Briefen (Nr. 10/2025) zu
finden: 13.03.25: 1. Lesung Plenum; 14.03.25: Abschluss im Ausschuss;
18.03.25: 2./3. Lesung Plenum; 21.03.25: Bundesrat; Spätestens 25.03.25:
Konstituierung des 21. Bundestages.
Brüssel: Rüstung geht immer II
Nahezu parallel dazu verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen am 4. März 2025 ein aus fünf Punkten bestehendes Maßnahmenpaket
zur „Wiederaufrüstung Europas“ („ReArm Europe“). Details finden sich in
der entsprechenden Presseerklärung von der Leyens:
Punkt 1: Militärausgaben sollen von den Schuldenregeln des Stabilitäts-
und Wachstumspakts (Maastricht-Kriterien) ausgenommen werden. Ob dies
vollständig oder nur zum Teil der Fall sein soll, geht aus den
bisherigen Informationen nicht hervor. Die Kommission spekuliert,
dadurch könnten Erhöhungen der Militärausgaben um 1,5 Prozent des BIP
befördert und allein hierdurch innerhalb der nächsten vier Jahre
zusätzliche 650 Mrd. Euro mobilisiert werden. Punkt 2: Es soll ein
europäisches Finanzierungsinstrument im Umfang von 150 Mrd. Euro
eingerichtet werden. Darüber sollen den Mitgliedsstaaten „Darlehen“ für
„Investitionen im Verteidigungsbereich“ gegeben werden, was auch
Rüstungsgüter für die Ukraine einschließt. Punkt 3: Hier soll an die
Mittel der Kohäsionsfonds gegangen werden, die eigentlich über die
Finanzierung von Umwelt und Infrastrukturmaßnahmen in den ärmeren
Mitgliedsländern eine schrittweise Angleichung der Lebensverhältnisse
befördern sollen. Nun heißt es aber in der Pressemitteilung der
Kommission: „Diesbezüglich können wir kurzfristig viel tun, um mehr
Mittel für Investitionen im Verteidigungsbereich bereitzustellen. An
dieser Stelle möchte ich verkünden, dass wir den Mitgliedstaaten
zusätzliche Möglichkeiten und Anreize vorschlagen werden, damit sie
entscheiden können, ob sie die kohäsionspolitischen Programme nutzen
wollen, um die Verteidigungsausgaben zu erhöhen.“ Hier geht es für die
ärmeren Mitgliedsländer um beträchtliche Mittel: Im aktuellen
EU-Haushalt 2021 bis 2027 sind für die Kohäsionsfonds 42,6 Mrd. Euro
eingestellt. Punkt 4: Es soll verstärkt privates Investitionskapitel
gewonnen werden. Punkt 5: Die Europäische Investitionsbank (EIB) soll
vor den Rüstungskarren gespannt werden. Lange war dies gänzlich tabu,
dann erfolgte eine Öffnung für Güter mit doppeltem Verwendungszweck.
Ohne dass dies aus der Pressemitteilung direkt hervorginge, ist davon
auszugehen, dass nun EIB-Gelder für die gesamte Rüstungsklaviatur
verwendet werden können sollen.
Wirtschaftlicher Holzweg
Das ebenfalls von Union und SPD vorgeschlagene
Infrastruktur-Sondervermögen von 500 Mrd. Euro ist an sich zu begrüßen,
auch wenn hier erst einmal abgewartet werden sollte, wieviel davon in
die Ertüchtigung von Infrastruktur gesteckt wird, die aus rein
militärischen Gesichtspunkten für den schnellen Truppen- und
Güterverkehr erfolgt. Auch milliardenschwere Investitionen in den
Bevölkerungsschutz sollen scheinbar aus diesem Topf bezahlt werden, wie
bei den griephan-Briefen (Nr. 10/2025) nachlesbar ist: „Wesentliche
Teile (wie Verkehrsinfrastruktur, Zivil- und Bevölkerungsschutz) sind
verteidigungsrelevant.“
Abgesehen von der grundsätzlich notwendigen Kritik an den Plänen zur
Erhöhung der Militärausgaben, ist es sicher besser, dass sie nun über
Kredite finanziert werden soll, statt den Versuch zu unternehmen, die
Gelder durch massive Kahlschläge sämtlicher anderer Budgets unter
Einhaltung der Schuldenbremse aufzubringen.
Sicherheitspolitisch lassen sich diese Summen allerdings schon lange
nicht mehr begründen, weshalb in jüngster Zeit vor allem unter Berufung
auf eine neue Studie des Instituts für Weltwirtschaft auf die
vermeintlichen wirtschaftlichen Segnungen kreditgestützter
Rüstungsausgaben verwiesen wird. Doch der Glaube, man könne sich aus den
aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten herausrüsten, ist eine teure
Illusion (siehe dazu IMI-Standpunkt 2025/008). Der wirtschaftliche
Nutzen von Rüstungsausgaben ist extrem begrenzt, weshalb sich die daraus
resultierenden Schulden als schwere Belastung erweisen werden,
schließlich werden ihre Zinsen aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden
müssen.
Beunruhigend ist auch, dass es für diese Ausnahmeregelung wohl keine
Begrenzungen geben soll, weder zeitlich noch was die Summe anbelangt.
Insofern ist Ursula von der Leyen in ihrer Presseerklärung leider recht
zu geben, wenn sie festhält: „Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung.“
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
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[IMI-List] [0673] Texte: Deutsche Truppen in die Ukraine / Perspektiven Gaza / Militärpolitik nach der Wahl
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0673 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1.) Hinweise auf neue Artikel zum brüchigen Waffenstillstand in Gaza,
eine Einschätzung zur Militärpolitik nach der Wahl, zu Plänen für eine
Nukleare Zeitenwende der NATO…;
2.) ein Artikel zu den Plänen für (deutsche) Truppen in der Ukraine.
1.) Neue Artikel auf der IMI-Internetseite
IMI-Standpunkt 2025/009
„Europa“ am „Katzentisch“ – und mit Truppen in der Ukraine?
https://www.imi-online.de/2025/02/18/europa-am-katzentisch-und-mit-truppen-in-der-ukraine/
Bernhard Klaus (18. Februar 2025)
IMI-Analyse 2025/02
Brüchiger Waffenstillstand in Gaza – gibt es Hoffnung?
https://www.imi-online.de/2025/02/14/bruechiger-waffenstillstand-in-gaza-gibt-es-hoffnung/
Pablo Flock (14. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/009
Kursverschärfung: Militarisierung nach der Wahl
https://www.imi-online.de/2025/02/18/kursverschaerfung-militarisierung-nach-der-wahl/
Andreas Seifert und Jürgen Wagner (18. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/008
Waffen und Wachstum?
Institut für Weltwirtschaft rechnet sich die wirtschaftlichen Segnungen
von Rüstungsausgaben hin
https://www.imi-online.de/2025/02/16/waffen-und-wachstum/
Jürgen Wagner (16. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/007
NATO: Nukleare Zeitenwende?
Rezepte aus der DGAP-Giftküche für ein verschärftes atomares Wettrüsten
https://www.imi-online.de/2025/02/10/nato-nukleare-zeitwende/
Jürgen Wagner (10. Februar 2025)
Dokumentation: GEW Bayern Pressemitteilung 05/2025
Hunderte klagen gegen Verbot von Zivilklauseln an Hochschulen und gegen
Bundeswehr im Klassenzimmer
https://www.imi-online.de/2025/02/07/hunderte-klagen-gegen-verbot-von-zivilklauseln-an-hochschulen-und-gegen-bundeswehr-im-klassenzimmer/
(7. Februar 2025)
2.) Artikel: Deutsche Truppen in die Ukraine
IMI-Standpunkt 2025/009
„Europa“ am „Katzentisch“ – und mit Truppen in der Ukraine?
https://www.imi-online.de/2025/02/18/europa-am-katzentisch-und-mit-truppen-in-der-ukraine/
Bernhard Klaus (18. Februar 2025)
Viel ist dieser Tage von „Europa“ die Rede. Insbesondere das
außenpolitische Establishment Deutschlands und die politische Führung
der baltischen Staaten scheinen angesichts der anlaufenden Verhandlungen
über ein Ende des Krieges in der Ukraine geradezu in Panik zu verfallen.
Vertreter*innen von Regierung und Opposition sowie zahlreiche
Kommentator*innen der Leitmedien verwenden einhellig die Vokabel des
„Katzentisches“, um die sich abzeichnende Rolle „Europas“ in den
anstehenden Verhandlungen zu charakterisieren. Die deutsche
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen verweist in diesem Zusammenhang
auf die 135 Mrd. Euro, welche die EU der Ukraine an zivilen und
militärischen Hilfen bereitgestellt habe. Ziel sei ein „gerechter und
nachhaltiger Frieden“ und jede Lösung müsse „die Unabhängigkeit,
Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine respektieren und
durch starke Sicherheitsgarantien abgesichert werden“, so eine
Mitteilung der EU-Kommission zum Treffen der EU-Kommissionspräsidentin
mit dem US-Sondergesandten für die Ukraine am 18. Februar 2025. Dabei
habe Von der Leyen auch angekündigt, dass die EU bereit sei, künftig
noch mehr militärische Hilfe anzubieten sowie die Rüstungsproduktion und
„Verteidigungsausgaben“ weiter zu erhöhen. Ganz ähnlich drückte sich am
selben Tag die noch amtierende deutsche Außenministerin Baerbock aus:
„Unser wichtigstes Interesse“ sei „ein dauerhafter Frieden und kein
Scheinfrieden“. Deshalb solle man das erste Treffen zwischen
Vertreter*innen der USA und Russlands in Riad „nicht überbewerten“. Auch
Scholz sprach sich angesichts der anlaufenden Verhandlungen gegen einen
„Diktatfrieden“ aus – ein Begriff, der z.B. im Zusammenhang mit dem
Gaza-Krieg oder dem Libanon von deutschen Regierungsvertreter*innen
nicht zu hören war. Auch das IFSH (Institut für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg) greift den Begriff des
„Diktatfriedens“ in einer eiligen „Kurzanalyse“ auf und behauptet: „Die
Forschung über Motive russischer Sicherheitspolitik deutet darauf hin,
dass ein Interessenausgleich, der Russlands territorialen Revisionismus
beendet, mit diesem Kreml nicht möglich ist“. Sie fordert völlig offen:
„Die deutsche Unterstützung der Ukraine sollte Teil einer Strategie
gegen Russland sein [...]“.
Diskreditierung der Verhandlungen
Es ist völlig offensichtlich: Deutsche und EUropäische Eliten fürchten
einen Waffenstillstand oder gar Friedensschluss in der Ukraine, zu dem
selbst die ukrainische Führung mittlerweile – angesichts der
Entwicklungen an der Front und der Position der neuen Regierung in den
USA – offensichtlich unter großen Zugeständnissen bereit ist. Sie
fordern von der Ukraine – und konkret geht es da um ukrainische
Wehrpflichtige – weiterzukämpfen und stellen dafür mehr und weitere
Hilfen in Aussicht. Diese werden jedoch nicht ausreichen, um die
angestrebten – und völkerrechtlich durchaus legitimen – Maximalziele
(territoriale Integrität, also z.B. die Rückeroberung der Krim) zu
erreichen. Selbst zusammen mit den umfangreichen US-Militärhilfen, die
Biden gegen Ende seiner Amtszeit noch auf den Weg gebracht hat, war es
in den letzten Monaten ganz offensichtlich nicht möglich, das Blatt in
der Ukraine zu wenden. Den ukrainischen Streitkräften gehen schlicht die
Rekruten aus, an der Front wie im Hinterland macht sich Kriegsmüdigkeit
breit, auch weil man dort weiß, dass der Krieg verloren ist. Selbst die
ukrainische Führung scheint dies mittlerweile so zu sehen und ihr
scheint auch bewusst zu sein, dass „Europa“ hieran nichts wird ändern
können. Entsprechend sind auch aus Kiew wenige Bemühungen erkennbar,
„Europa“ oder der EU mehr als einen „Katzentisch“ bei den Verhandlungen
einzuräumen - wenn überhaupt. Beim „Treffen in Paris“, zu dem der
französische Präsident Macron am Tag vor dem Treffen in Riad eingeladen
hatte, war Selenskyj nicht – wie sonst so oft bei vergleichbaren
Terminen in den letzten drei Jahren – persönlich anwesend oder per Video
zugeschaltet. Es hatte lediglich vorab ein Telefonat zwischen ihm und
Macron gegeben, in dem es wohl vorrangig um „Sicherheitsgarantien“
gegangen wäre – was zumindest im hiesigen Diskurs mit der Stationierung
„europäischer“ Truppen nach einem wie auch immer gearteten
Waffenstillstand oder Friedensschluss gleichgesetzt wird.
„Gemeinsam gegen den Alleingang“ titelte Tagesschau.de seinen Beitrag
über das Treffen in Paris und fuhr fort: „Quasi im Alleingang bereiten
die USA Ukraine-Verhandlungen vor. Europäer sehen sie dabei nicht am
Tisch - außer der Ukraine selbst.“ Verhandlungen werden als „Alleingang“
negativ konnotiert, ein Waffenstillstand im Vornherein diskreditiert,
weil Europa nicht an seiner Aushandlung beteiligt ist.
Europäische „Friedenstruppen“?
Während also deutsche Spitzenpolitiker*innen einen „Scheinfrieden“ oder
„Diktatfrieden“ ablehnen und „die Ukraine“ ungehört zum weiterkämpfen
animieren wollen, ist ihnen längst klar, dass es zu etwas in dieser Art
kommen wird. Und während sie sich an den „Katzentisch“ verbannt sehen,
diskutieren sie bereits, wie sie das Ergebnis „absichern“ können – und
meinen damit Truppen in der Ukraine.
Die schwedische und die britische Regierung haben bereits mit markigen
Worten angekündigt, sich an einer solchen „Friedenstruppe“ zu
beteiligen, auch das deutsche Verteidigungsministerium ließ (obwohl es
die Debatte darüber führt, indem es sie als „verfrüht“ zurückweist)
durchsickern, mit entsprechenden Planungen begonnen zu haben. Der Umfang
einer solchen Truppe wird spätestens seit 21. Januar 2025 heiß
diskutiert, nachdem der ukrainische Präsident auf in Davos meinte, die
„Europäer“ sollten für eine solche mindesten 200.000 Kräfte
bereitstellen. Verschiedene deutsche Medien zitieren „Militärexperten“,
wonach etwa 150.000 nötig seien, „um einen Waffenstillstand entlang der
rund 900 Kilometer langen Frontlinie effektiv absichern zu können“ (z.B.
Der Tagesspiegel vom 18.02.2025). Darin stecken bereits verschiedene
Annahmen und Suggestionen. Neben der häufig bemühten Vokabel
„Friedenstruppen“ u.a. diejenige, dass es sich um Kräfte handeln werde,
die eine „Frontlinie … absichern“ sollen. Eine andere Suggestion, die
zumindest viele Leitmedien verbreiten, besteht darin, dass diese Truppe
vollständig oder zu großen Teilen aus „Europa“ stammen sollten.
Jene Akteure, die einen solchen Waffenstillstand (oder gar
Friedensschluss) explizit ablehnen („Scheinfrieden“), bereiten sich
demnach darauf vor, Truppen an die „Frontlinie“ zu entsenden, um diese
„abzusichern“. Das ist kein nachhaltiges Konzept, sondern genau das, was
man Russland gerne als wahre Absicht hinter einem „Einfrieren der Front“
unterstellt: Zeit zu gewinnen, um seine Truppen zu verstärken und bei
nächster Gelegenheit die Front weiter zu verschieben. Das wäre außerdem
ein Rezept für ein massives und anhaltendes Wettrüsten beider (und
weiterer) Parteien. Entsprechend wird in seriöseren Beiträgen durchaus
angemerkt und spekuliert, dass auch Truppen aus weiteren Staaten – hier
werden u.a. China, Indien und der „globale Süden“ insgesamt genannt –
beteiligt sein müssten.
Wünschenswert wäre natürlich ein Waffenstillstand oder Frieden, der für
beide Seiten so viele Vorteile bietet, dass er nicht einmal überwacht
werden müsste. Undenkbar sollte auch das nicht sein! Für eine
„Absicherung“ eines Waffenstillstandes sollten Truppen aus der NATO und
anderen Ländern, welche die Ukraine über Jahre zum Weiterführen eines
verlorenen Krieges angehalten haben, tabu sein. Ganz sicher nicht
hilfreich wären Truppen aus einem Deutschland, dessen Außenministerin
Europa „im Krieg“ mit Russland sah und Russland erklärtermaßen
„ruinieren“ wollte – und vermutlich weiter will. Allenfalls für eine
Überwachung eines Waffenstillstandes wären Truppen der Verbündeten
beider Parteien unter Umständen sinnvoll – allerdings nur in kleinen
Kontingenten mit reinen Überwachungsaufgaben. Darüber redet aktuell
allerdings kaum jemand.
„Europas“ Arroganz und Strategielosigkeit
Die weit fortgeschrittenen Diskussionen über einen Beitrag „Europas“ zu
einer Friedenstruppe in der Ukraine sind primär ein Versuch, doch noch
eine Rolle in den anstehenden Verhandlungen einzunehmen – und sei es nur
am Katzentisch. Dass dieser Beitrag mehr noch von den Leitmedien als der
Politik selbst suggestiv aufgebauscht wird, mag Ausdruck eines
verletzten Stolzes („Katzentisch“) und eine Art nachträgliche
Rechtfertigung dafür sein, dass man Milliarden in einen Krieg gesteckt
und diesen mit Propaganda befeuert hat, der neben hunderttausenden Toten
und viel Leid nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hat.
Bedauernswerter Weise ist es nicht unrealistisch, dass gerade auch Trump
dazu beitragen könnte, dass ein solcher schlechter Deal mit größeren
europäischen Kontingenten zustande kommt: Ein dauerhafter und ruinösen
Rüstungswettlauf einer überforderten EU an deren östlicher Grenze käme
ihm vielleicht durchaus zupass – ebenso wie die damit verbundenen,
weiteren Verwerfungen in einem zunehmend autoritär regierten Europa in
latentem Kriegszustand.
Seinen Platz am „Katzentisch“ der Verhandlungen hat sich „Europa“
wahrlich verdient bzw. nicht einmal diesen. Über drei Jahre hat es im
transatlantischen Verbund mit Maximalzielen einen Krieg befeuert und
Verhandlungen eine Absage erteilt. Eine Rückeroberung der Krim z.B.
beziehungsweise ein vollständiger Sieg gegen das flächengrößte Land der
Erde im direkten Nachbarstaat war nie besonders realistisch. Ein
Kurswechsel der USA war früher oder später absehbar (geradezu
terminiert) und hätte zumindest einkalkuliert werden müssen. Und dennoch
gab es keine Strategie jenseits der Proklamation von Maximalzielen im
Schatten des mächtigen „Verbündeten“ USA – die primär ihre eigenen Ziele
verfolgte. Man hätte aus Afghanistan lernen können, wo man ebenso mit
völlig überzogenen Zielen in einen aussichtslosen Krieg zog und
gedemütigt abziehen musste, als die USA irgendwann ihre Niederlage
einsahen. Es waren die selben Expert*innen, die damals von Demokratie,
Frauenrechten, „Verantwortung“ und der Rolle Europas fabulierten und
später vom Völkerrecht und der „Solidarität mit der Ukraine“.
Die „Verantwortung“ Deutschlands gegenüber Afghanistan drückt sich heute
in einem Überbietungswettbewerb darüber aus, mit Abschiebungen ins
Talibanregime Symbolpolitik zu betreiben. Die „Solidarität mit der
Ukraine“ besteht aktuell darin, mit Begriffen wie „Diktatfrieden“ ein
geschundenes Land und eine kriegsmüde Bevölkerung zum Weiterkämpfen zu
animieren und einen möglichen Waffenstillstand von Vornherein zu
diskreditieren – weil man nicht mitreden darf und keinen Plan B hat.
PS: Beispiel Tübingen
Wissenschaft und Zivilgesellschaft spielen auch dieses Mal wieder mit –
z.B. auch in Tübingen. Heute (18.2.2025) wurde über den Email-Verteiler
des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Tübingen der
Aufruf zu einer Kundgebung am Jahrestag des völkerrechtswidrigen
Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine verschickt, unterstützt von
den Jugendorganisationen der Grünen, der FDP, der CDU und der SPD:
„Kundgebung: Solidarität mit der Ukraine. Zum dritten Mal jährt sich der
Kriegsbeginn in der Ukraine und ein baldiges Ende scheint noch immer
nicht in Sicht. Seit drei Jahren leben Ukrainer:innen einen Alltag im
Krieges. Gleichzeitig steht die Ukraine-Unterstützung der USA und der
europäischen Staaten auf wackeligen Beinen.“
Wie gesagt: „Die deutsche Unterstützung der Ukraine sollte Teil einer
Strategie gegen Russland sein“ (IFSH): „Allerdings wird Aufrüstung sehr
teuer.“ Angesichts „einer existentiellen Notlage“ sei es jedoch
„gerechtfertigt [...], auch die nächste Generation finanziell zu belasten.“
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[IMI-List] [0672] Analyse: Kanzler in Görlitz: Züge zu Panzern / Aktualisierung Broschüre Mittelstreckenwaffen / Sonderseite Mittelstreckenwaffen
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0672 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1.) ein Artikel zum heutigen Kanzlerbesuch in Görlitz, der Vorbote einer
deutlichen Verschiebung in Richtung Kriegswirtschaft sein könnte;
2.) der Hinweis auf die Sonderseite zur geplanten Stationierung von
US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland (u.a. mit der Aktualisierung der
Broschüre „Frieden schaffen mit Angriffswaffen?“).
1.) IMI-Analyse: Heutiger Kanzlerbesuch in Görlitz
IMI-Analyse 2025/01
Von Zügen zu Panzern
Gegenkonversionen in Görlitz und darüber hinaus deuten auf einen
tiefgreifenden Wandel der Industrielandschaft
https://www.imi-online.de/2025/02/05/von-zuegen-zu-panzern/
Martin Kirsch und Jürgen Wagner (5. Februar 2025)
Unter dem Begriff der Gegenkonversion – der Umwidmung von einer zivilen
zu einer militärischen Nutzung – wurde bislang vor allem die neue
Verwendung vormals ziviler Liegenschaften durch das Militär verstanden
(siehe IMI-Studie 2018/03). Der heutige Besuch von Bundeskanzler Olaf
Scholz in Görlitz steht angesichts der dort bevorstehenden Übergabe
eines dortigen Werkes des Waggonherstellers Alstrom an den Panzerbauer
KNDS für einen doppelten Wandel. Erstens tritt hier die Ausweitung der
Gegenkonversion auf den bisher weitgehend verschont gebliebenen
Industriebereich deutlich zu Tage. Und zweitens handelt es sich dabei
nicht um einen Einzelfall, wie im Folgenden anhand einiger weiterer
Beispiele gezeigt werden soll, die zusammengenommen womöglich die
Vorboten für einen tiefgreifenden Wandel der deutschen
Industrielandschaft stehen.
Vom Kreuzfahrt- zum Kriegsschiff
Im Jahr 2022 wurde die Konkursmasse der MV Werftengruppe mit Standorten
in Wismar, Rostock-Warnemünde und Stralsund verscherbelt. Den Standort
in Rostock-Warnemünde übernahm die Bundeswehr direkt, Kostenpunkt 87
Mio. Euro, wobei mindestens 500 der zuvor 600 Arbeitsplätze erhalten
bleiben sollen (Ostsee-Zeitung, 07.07.2022). Die feierliche
Bundeswehr-Übernahme erfolgte dann am 11. Januar 2023 und wurde von der
Truppe als „zielstrebiges Handeln in der Zeitenwende“ gefeiert.
Gleichzeitig wurde die damalige Verteidigungsministerin Christine
Lambrecht dazu folgendermaßen zitiert: „Es kommt nicht oft vor, dass
eine Verteidigungsministerin den Kauf einer Werft verantwortet. Das war
schon ein ganz besonderer Moment, als wir das erste Mal im Ministerium
zusammensaßen und diese Idee diskutiert haben. Die Vorteile lagen ganz
schnell auf der Hand.“ (bmvg.de, 11.01.2023)
Den Standort Wismar verleibte sich wiederum ThyssenKrupp Marine Systems
(TKMS) ein (den dritten Standort erwarb die Stadt Stralsund). An
Auslastung dürfte kein Mangel herrschen: Ende 2024 bewilligte der
Bundestag die Gelder für den Bau von vier U-Booten 212 CD für 4,7 Mrd.
Euro (womöglich kommt auch noch die Fertigung von Norwegen bestellter
U-Boote desselben Typs hinzu). Daraufhin kündigte das Unternehmen im
Januar 2025 an, 220 Millionen Euro in den Ausbau des Werkes in Wismar zu
investieren (hartpunkt.de, 17.01.2025). Ebenfalls zum Jahresende wurde
zudem eine erste Finanzierung in Höhe von 44,5 Mio. Euro für den
möglichen Bau der neuen Fregattengeneration F-127 bewilligt. Noch ist
unklar, ob und wenn ja, wie viele dieser für Großmachtkonflikte
konzipierten Schiffe gebaut werden sollen. Die Rede ist entweder von
vier (Kostenpunkt 7,5 Mrd. Euro) oder acht (15 Mrd. Euro) Fregatten
(defence-network, 12.12.2024). Obwohl also noch viele Fragen offen sind,
liegt TKMS wohl gut im Rennen und würde im Falle des Zuschlags laut
Aussagen von CEO Oliver Burkhard drei der vier Schiffe in Wismar bauen
lassen (hartpunkt.de, 17.01.2025).
Auch bei zwei weiteren bislang zivilen Werften steigen nun Unternehmen
mit substantiellen Anteilen im Rüstungsgeschäft ein: „Die beiden
insolventen schleswig-holsteinischen Werften FSG und Nobiskrug werden
neue Eigentümer bekommen. Wie der Insolvenzverwalter heute mitteilte,
wird die FSG von der Heinrich Rönner Gruppe aus Bremerhaven und
Nobiskrug von der Lürssen-Werft aus Bremen übernommen.“ (hartpunkt.de,
31.01.2025)
Vom Reifen zur Rüstung
Bereits im Mai 2022 titelte die Automobilwoche: „Angesichts der frischen
Milliarden für die Bundeswehr sucht die Rüstungsindustrie in Deutschland
händeringend nach qualifizierten Fachleuten. Fündig wird sie vor allem
in der Automobilbranche, die selber unter Fachkräftemangel leidet.“ Eine
deutlich bessere Bezahlung und das inzwischen positivere Image der
Branche hätten zur Folge, dass die Rüstungsindustrie - unterstützt mit
den Milliardenbeträgen der Zeitenwende - erfolgreich Personal abwerbe:
„Unternehmen aus der Rüstungsindustrie schreiben bereits verstärkt
Positionen aus, um mit schnellem Personalaufbau auf das
Investitionsprogramm der Bundesregierung reagieren zu können", wird ein
Münchener Personalberater zitiert (ebd.).
Seither hat sich die Situation mit der verschärften Krise der
Automobilbranche weiter zugespitzt, was nicht zuletzt anhand der
Kooperation zwischen dem Reifenhersteller Continental und dem größten
deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall ersichtlich wird. Eine
Pressemitteilung von Rheinmetall beschrieb die Zusammenarbeit am 14.
Juni 2024 wie folgt: „Ziel der Vereinbarung ist es, den in den nächsten
Jahren stark wachsenden Personalbedarf von Rheinmetall teilweise durch
die von der Transformation betroffenen Beschäftigten von Continental zu
decken. […] Continental und Rheinmetall beginnen zu diesem Zweck so früh
wie möglich mit einer Zusammenarbeit. So sollen zum Beispiel bis zu 100
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Continental-Standorts in Gif-horn
eine Beschäftigungsperspektive bei Rheinmetall im niedersächsischen
Unterlüß, rund 55 Kilometer nördlich von Gifhorn, finden. An weiteren
deutschen Standorten werden zudem Veranstaltungen organisiert, sodass
sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über berufliche Perspektiven bei
Rheinmetall informieren können.“
In Unterlüß investiert Rheinmetall rund 300 Mio. Euro in den Aufbau
einer neuen Munitionsfabrik – den ersten Spatenstich im Februar 2024
ließ sich Kanzler Olaf Scholz nicht nehmen. Er kommentierte den Vorgang
mit den Worten: "Wir leben nicht in Friedenszeiten. […] Panzer,
Haubitzen, Hubschrauber und Flugabwehrsysteme stehen ja nicht irgendwo
im Regal. […] Wir müssen weg von der Manufaktur - hin zur
Großserien-Fertigung von Rüstungsgütern.“ (tagesschau.de, 12.02.2024)
Vom Zugbau zur Panzerfabrik
Und nun verschafft Kanzler Scholz also in Görlitz einer direkten
Umwidmung der zivilen Produktionsstätte von Alstrom in einen Standort
von KNDS die politische Rückendeckung. Nachdem Alstrom 2021 Bombardier
übernommen hatte, teilte das Unternehmen im Oktober 2024 mit, es sehe
für das Werk in Görlitz keine Perspektive mehr. Über 175 Jahre waren in
Görlitz Bahnwaggons gefertigt worden, man zog „einen Schlussstrich
unter dieses Kapitel Industriegeschichte“ (Neues Deutschland, 03.02.2025).
KNDS baut unter anderem den Radpanzer Boxer und den Leopard 2A8, auch
beim künftigen Kampfpanzersystem (MGCS) spielt das Unternehmen die
führende Rolle. Die Tatsache, dass die Pläne nun öffentlichkeitswirksam
mitten im Wahlkampf präsentiert werden, deutet auf die Popularität der
Maßnahme hin. Es gibt allerdings auch einige kritische Stimmen, die auf
den grundsätzlichen Charakter dieser und anderer Entwicklungen
hinweisen: „Für die Linke warnte Kreischef Mirko Schultze, die Region
werde »stetig, aber sicher kriegstüchtig gemacht«. Der
Truppenübungsplatz Oberlausitz werde für Manöver genutzt, auf der
Bahnmagistrale durch Görlitz »fahren Panzer gen Osten«, nun komme ein
Rüstungsbetrieb dazu. Die Fähigkeiten der Waggonbauer würden dringender
benötigt, »um die Verkehrswende hinzubekommen und die Klimakrise
anzugehen«.“ (ebd.)
Fazit: Rüstung und Industrie im Wandel
Anfang 2024 wurde auf europäischer Ebene eine
Verteidigungsindustriestrategie (EDIS) und ein entsprechendes
Investitionsprogramm (EDIP) durch die Kommission vorgelegt (siehe
IMI-Analyse 2024/23). Hierzulande wurde im Dezember 2024 eine Nationale
Sicherheits- und Verteidigungsstrategie präsentiert, die es ebenfalls in
sich hat (siehe IMI-Analyse 2024/52). Beide setzen auf verschiedenste
Maßnahmen zur Ankurbelung der Rüstungsproduktion, die eine Verschiebung
in Richtung Kriegswirtschaft nach sich ziehen. Der Anlass für den
heutigen Besuch des Kanzlers in Görlitz ist in diesem Zusammenhang zu
sehen: Ein Mal ist ein Ereignis, zwei Mal ist ein Zufall und drei Mal
ist ein Muster, so sagt zumindest ein Sprichwort. Wenn sich also die
Marinesparte von Thyssen-Krupp (TKMS) und der bundeswehreigene
Schiffsreparaturbetrieb an der Konkursmasse der MV-Werftengruppe
bedienen, Rheinmetall systematisch Facharbeiter*innen vom kriselnden
Automobilzulieferer Continental übernimmt und KNDS Deutschland (ex-KMW)
ein Werk, in dem bisher Züge produziert wurden, samt Mitarbeiter*innen
zur Panzerschmiede umwidmet, ist das also kein Zufall mehr. Drei
kriselnde zivile Industriebranchen, drei Regionen in Deutschland und
drei große Rüstungsfirmen, die dort expandieren können, können wohl als
Muster bezeichnet werden. Zumal sich weitere Beispiele, die weniger
prägnant sind, finden lassen.
Das Zeitalter der (erhofften) Rüstungskonversion ist offensichtlich
vorbei. Im Gegenteil labt sich die stetig wachsende und von massiven
Fördertöpfen von Bundesregierung und EU gepamperte Rüstungsindustrie an
zivilen Sektoren. Mittel aus Sondervermögen und EU-Rüstungstöpfen
stärken die Rüstungsindustrie, während die Förderung für E-Autos, ÖPNV,
Deutschlandticket, usw. gestrichen oder nicht weiter aufgelegt werden.
Die politischen Prioritäten und die daran geknüpften Geldflüsse zeigen
ihre Wirkung jetzt ganz praktisch. Es wandelt sich etwas in der
deutschen Industrielandschaft!
2.) Sonderseite Mittelstreckenwaffen
IMI-Mitteilung
Sonderseite Mittelstreckenwaffen
Factsheet, Broschüre, Kampagne, Artikel
https://www.imi-online.de/2025/02/05/sonderseite-mittelstreckenwaffen/
5. Februar 2025
FACTSHEET: Inzwischen sind eine Reihe von Materialien und Aktivitäten
rund um die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen
entstanden. Recht frisch ist ein mit der DFG-VK und der
Bertha-von-Suttner-Stiftung gemeinsam herausgegebenes IMI-Factsheet, das
von der IMI-Seite heruntergeladen (Link auf der Sonderseite) oder im
DFG-VK Shop gratis (gegen Porto) bestellt werden kann:
https://shop.dfg-vk.de/
BROSCHÜRE: Wer tiefergehend ins Thema einsteigen möchte, dem sei die
Broschüre „Frieden schaffen mit Angriffswaffen?“ empfohlen, die
IMI-Vorstand Jürgen Wagner zusammen mit der Linken-Europaabgeordneten
Özlem Demirel verfasst hat. Die Broschüre erschien im Herbst 2014 und
wurde im Februar 2025 in einer leicht aktualisierten und erweiterten
Fassung neu aufgelegt. Sie kann ebenfalls von der Internetseite
heruntergeladen (Link auf der Sonderseite) oder auch gratis (gegen
Porto) abgegeben werden. Bestellungen in 20er oder 50er Packen bitte an:
bestellungen@oezlem-demirel.de
KAMPAGNE: Neben der Unterschriftenliste des Berliner Appells hat sich im
November 2024 die Kampagne „Friedensfähig statt erstschlagfähig!“
gegründet, an der sich inzwischen bereits fast 50 Gruppen beteiligen.
Auch die IMI ist mit dabei. Aktuell wird an Kampagnenmaterial und dem
Ausbau des Internetauftritts der Kampagne gearbeitet:
https://friedensfaehig.de/
WEITERE ARTIKEL ZUM THEMA:
IMI-Standpunkt 2025/006
Donald Trump und die US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland
https://www.imi-online.de/2025/01/22/donald-trump-und-die-us-mittelstreckenwaffen-in-deutschland/
Christoph Marischka (22. Januar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/001
Friedensfähig statt erstschlagfähig!
Kampagne gegen die geplante Stationierung von Angriffswaffen in
Deutschland formiert sich
https://www.imi-online.de/2025/01/07/friedensfaehig-statt-erstschlagfaehig/
Jürgen Wagner (7. Januar 2025)
IMI-Analyse 2024/47
Gefährliche Atomwaffenträume
Militaristisches Wunschdenken in Deutschland und der Europäischen Union
https://www.imi-online.de/2024/11/28/gefaehrliche-atomwaffentraeume/
Claudia Haydt (28. November 2024)
IMI-Analyse 2024/44 - in: AUSDRUCK (Dezember 2024)
Atomkrieg durch konventionelle Waffen?
Mittelstreckenraketen zwischen kaltem und heißem Krieg
https://www.imi-online.de/2024/11/20/atomkrieg-durch-konventionelle-waffen/
Jürgen Scheffran (20. November 2024)
IMI-Analyse 2024/43
Vabanques Kalkül
Zur militärischen Logik hinter der russischen Nukleardoktrin
https://www.imi-online.de/2024/11/12/vabanques-kalkuel/
Wolfgang Schwarz (12. November 2024)
IMI-Standpunkt 2024/22
Mittelstreckenwaffen in der Etappe
Rede zum Antikriegstag am 31. September 2024 auf dem Holzmarkt in Tübingen
https://www.imi-online.de/2024/09/02/mittelstreckenwaffen-in-der-etappe/
Christoph Marischka (2. September 2024)
IMI-Standpunkt 2024/21
Ein neues europäisches Raketen-Zeitalter?
https://www.imi-online.de/2024/08/27/ein-neues-europaeisches-raketen-zeitalter/
Claudia Haydt (27. August 2024)
IMI-Standpunkt 2024/16
Mittelstreckenwaffen: Verzerrte Einordnung
https://www.imi-online.de/2024/07/19/mittelstreckenwaffen-verzerrte-einordnung/
Bernhard Klaus (19. Juli 2024)
IMI-Analyse 2024/33 (Update: 23.7.2024)
„Das ist lange her, dass es das gab“
Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland mit Reichweite
bis Russland beschlossen
https://www.imi-online.de/2024/07/11/das-ist-lange-her-dass-es-das-gab/
Jürgen Wagner (11. Juli 2024)
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
Hechingerstr. 203
72072 Tübingen
imi@imi-online.de
Redaktion: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
ISSN: 1611-2563
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