Haft trotz vager Indizien
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Beteuert seine Unschuld: Lothar Finzelberg sieht Verantwortung für Müllskandal in oberen Etagen der Landespolitik (Magdeburg, 21.4.2015)
Foto: Jens Wolf/dpa
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Hintergrund: Legal, illegal
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»Meine Anwälte und ich sind erschüttert über diese Art der Rechtsprechung«, sagte Finzelberg vergangene Woche gegenüber junge Welt. Dass er selbst und seine Verteidiger erst durch eine Pressemitteilung des BGH vom 13. November von dem Urteil erfahren hatten, sei nur einer von vielen Punkten. Noch Anfang November habe sein Anwalt Friedrich Karl Zoller mit einer Verhandlung nicht vor 2019 gerechnet, sagte er. Doch das Urteil wurde nicht nur im Hinterzimmer gefällt, es stammt bereits vom 13. September. Das sei ungewöhnlich, weil auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt und damit eine noch höhere Haftstrafe beantragt hatte.
Ihr Urteil hatten die Magdeburger Richter im Sommer vergangenen Jahres nach 58 Verhandlungstagen gefällt. Die Kammer stützte sich dabei auf die Aussagen des Kronzeugen Uwe S., Mitgeschäftsführer des früheren Müllgrubenbetreibers Sporkenbach Ziegelei. Das Strafregister von S. ist lang. Es reicht von Brandstiftung in seinen Autohäusern in Genthin und Rathenow über Versicherungs- und Subventionsbetrug bis hin zur Untreue. Anderthalb Jahre nach dem Bekanntwerden des Müllskandals, im August 2009, verurteilte ihn das Landgericht Stendal deshalb zu siebeneinhalb Jahren Haft. Doch S. blieb weniger als die Hälfte dieser Zeit im Gefängnis. Zudem genoss er wesentliche Hafterleichterungen, etwa Freigang. Der Grund: Uwe S. beschuldigte Finzelberg, von ihm 370.000 Euro angenommen zu haben. Im Gegenzug habe der Landrat Genehmigungen für die unrechtmäßige Müllverkippung besorgt, so der Vorwurf. Auf diese Weise avancierte Uwe S. zum Kronzeugen der Anklage.
Die Sache hat mehrere Haken: Erstens konnte das Gericht die vorgeworfenen Geldübergaben, die angeblich auf einem Jagdhochsitz stattgefunden haben sollen, nicht belegen. Im Gegenteil: Ein ortskundiger Zeuge versicherte sogar, dass an diesem Ort zur fraglichen Zeit überhaupt kein Hochsitz existiert habe. Deshalb verschob das Gericht die Urteilsverkündung um mehrere Monate. Klären konnte es in dieser Zeit die offene Frage allerdings nicht. So diskutierte es beispielsweise ergebnislos, ob es sich um ein Kinderspielhaus gehandelt haben könne. Am Ende bezeichnete Richter Gerhard Köneke nur einen kleinen Teil der vorgeworfenen Bestechungsgelder als »objektivierbar«, nämlich 55.740 Euro. Die Verteidigung begründete ihre Revision damit, dass die Aussagen des Kronzeugen in mindestens zehn Punkten nicht gestimmt hätten. »Es gibt zwei Verfahren, in denen der BGH selbst geurteilt hatte, dass Aussagen eines Kronzeugen in Gänze nicht verwertbar sind, wenn er nur in einem Fall der Lüge überführt wird«, sagte Finzelberg.
Zweitens ist bis heute fraglich, wie Finzelberg als Landrat für Genehmigungen für die Verkippung eigentlich verbotener Stoffe gesorgt haben könnte. Diese existierten tatsächlich, stammten aber vom Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB), das dem Landeswirtschaftsministerium unterstellt war. Dessen Chef war damals der nunmehr seit 2011 amtierende Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). Finzelberg und seine Verteidiger sehen die Verantwortung bei ihm als damaligem Wirtschaftsminister. Haseloff wurde auch befragt, kurzzeitig ermittelte die Staatsanwaltschaft sogar gegen ihn, stellte das Verfahren aber nach wenigen Wochen ein. Dass der frühere PDS-Politiker Finzelberg enge Kontakte in Haseloffs damalige Behörde hatte, ist unwahrscheinlich. Politisch war er der CDU seit Jahren als ungeliebter »Außenseiter« ein Dorn im Auge.

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