Die maschinelle Essenz
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»Lineare Präzision«: Naomi Osaka im Finale vor einem Aufschlag
Foto: Aaron Favila/AP/dpa
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Bei den Australian Open (AO) ersetzten von der Firma Dunlop entwickelte Bälle jene der Firma Wilson aus dem vergangenen Jahr. Erste Beschwerden ließen nicht lange auf sich warten. Die neuen Bälle gingen zu schnell aus dem Leim und reagierten empfindlich auf Temperaturschwankungen, meinten australische Spieler gleich zu Beginn des Turniers. Roger Federer wiederum deutete an, dass der Ball in den Abendspielen kaum Spin annehme. Nach Sonnenuntergang wirkte er langsamer, aber mit einem flachen, glatten Absprung. Ein schnörkelloser, flacher Treibschlag mit relativ wenig Spin schien das Erfolgsrezept zu sein. Selbst Sandplatzkönig Rafael Nadal änderte seine Taktik – zumindest bis zu seiner Finalniederlage, bei der er von Novak Djokovic in altbekannte Muster zurückgedrängt wurde – und spielte Angriffstennis mit Blick auf den schnellen direkten Punktgewinn.
Der Damenkonkurrenz taten die neuen Bälle unter den gegebenen Verhältnissen sichtlich gut. Groteskes Geschaufel und endlose Defensive, die im Finale 2018 zwischen Caroline Wozniacki und Simona Halep ihren mörderischen Höhepunkt fanden, waren abgemeldet. Beispielhaft waren Abräumarbeiten wie das 6:4, 6:1 der späteren Titelträgerin Naomi Osaka im Viertelfinale gegen Elina Switolina oder in der vierten Runde das 6:0, 6:2 der Überraschungshalbfinalistin Danielle Collins gegen Schaufelkünstlerin Angelique Kerber.
Das seltsamste Match des gesamten Turniers war zweifellos das Viertelfinale zwischen Serena Williams und Karolina Pliskova. Williams schlug bei 6:4, 4:6, 5:1, 40:30 zum Matchgewinn auf. Bei ihrem ersten Aufschlag wurde auf Fußfehler entschieden. Im folgenden Ballwechsel verstauchte sie sich den Knöchel, verlor prompt ihren Aufschlag schließlich das Match mit 5:7 im dritten Satz. Williams hatte zuvor Simona Halep ausgeschaltet. Somit war klar, dass das Finale zwischen Osaka und Petra Kvitova auch ein Duell um die Weltranglistenführung sein würde.
Kvitova hatte bereits das Vorbereitungsturnier in Sydney gewonnen und in ihrer Siegesserie von elf Matches lediglich einen Satz abgegeben. Osakas Weg ins Finale war schwieriger. Drei Sätze hatte sie im Turnierverlauf verloren. Es kam zu einem engen Endspiel – 7:6, 5:7, 6:4 – mit beinahe spiegelbildlichen Statistiken. Signifikante Unterschiede zugunsten von Osaka: ihr im Schnitt zehn km/h schnellerer erster Aufschlag (Linkshänderin Kvitova bevorzugt die etwas langsameren Slice-Aufschläge) und die Anzahl der returnierten Aufschläge (49 zu 37).
Trotz der sonstigen statistischen Ausgeglichenheit sah Osaka fast zu jedem Zeitpunkt wie die Siegerin aus, nachdem Kvitova bei 3:3 im ersten Satz drei Breakchancen in Folge nicht hatte nutzen können. Im Tie-Break gelang der in Florida aufgewachsenen Japanerin erstmals im Match ein Rückhandreturn die Linie entlang. Der Zeitpunkt konnte nicht glücklicher sein. Im dritten Satz nach frühem Break in Rückstand geraten, hatte die Tschechin nur eine einzige Chance zum Rebreak. Osaka wehrte sie mit einem As ab. Die lineare Präzision von Osaka triumphierte also über die Finesse von Kvitova, die in ihrer »zweiten Karriere« nach ihrer schweren Handverletzung durch einen Raubüberfall wie schon in ihrer »ersten« 2012 in Melbourne bei dem Versuch scheiterte, Weltranglistenerste zu werden. Ein unübersehbares Zeichen der Überlegenheit des Maschinellen über das tragisch Genialische. Osaka in ihrer abschließenden Pressekonferenz darüber, wie sie nach dem verlorenen zweiten Satz wieder die Kontrolle übernahm: »Ich fühlte mich irgendwie leer, so als wäre ich eine Art Roboter, der seine Befehle ausführt.« Die maschinelle Essenz von Osaka, die nun als 21jährige direkt nach den US Open auch die AO gewann. Exemplarisch für die Machtübernahme einer neuen Generation von Testosteron-Roboter-Babys mit kräftiger Kinnlade.
Der unfehlbarste Roboter dieser AO war dann allerdings doch wieder Novak Djokovic, der im gestrigen Herrenfinale Rafael Nadal mit maschineller Präzision 6:3, 6:2, 6:3 abfertigte.

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