Dienstag, 27. November 2018

Wegen Feuerzeugwurfs: Richter inszeniert Prozess gegen Mitglied der Oury-Jalloh-Initiative

»Gefährliche Flugbahn«


Von Susan Bonath
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Demonstranten am dritten Todestag von Oury Jalloh vor dem Landgericht in Dessau-Roßlau (7.1.2008)
»Herr Verteidiger, das tut hier nichts zur Sache«, ruft der Dessauer Amtsrichter Jochen Rosenberg in den Saal. Da dauert der dritte Verhandlungstag am vergangenen Freitag noch keine zehn Minuten. Es geht um »versuchte gefährliche Körperverletzung«, konkret um den Wurf eines Feuerzeuges. Richter Rosenberg wird Anwalt Felix Isensee noch öfter bei der Befragung des Polizisten Torsten D. unterbrechen. Genau genommen: ungefähr bei jeder zweiten Frage. Diesmal wollte Isensee, der das angeklagte Mitglied der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« Michael S. vertritt, von D. wissen: »Haben Sie Ihre Aussage vor Gericht mit Ihren Kollegen abgesprochen, und sind Sie mit weiteren Zeugen zur Verhandlung gekommen?«
Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau wirft S. den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung vor. Er soll bei der Demonstration zum Gedenken an den elften Todestag von Oury Jalloh in Dessau am 7. Januar 2016 leere Feuerzeuge so vor die Tür der Staatsanwaltschaft geworfen haben, dass er mit einem Wurf beinahe die davorstehenden Beamten am Kopf getroffen hätte (siehe jW vom 25.10.). Sie hätten mit einer »Meidbewegung« ausweichen müssen. Zuvor hatte die Oury-Jalloh-Initiative zu diesem symbolischen Akt aufgerufen. Jalloh verbrannte 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, Indizien sprechen für einen Mord durch Beamte. Erst nach Ende der Demonstration setzten Beamte S. fest und nahmen seine Personalien auf. Im Januar 2017 widersprach S. einem Strafbefehl über 750 Euro, der ihn deshalb ereilt hatte.
Richter Rosenberg kritisiert an diesem Tag auch Fragen der Verteidigung, die angeblich bereits früher in ähnlicher Weise gestellt oder vom Zeugen beantwortet worden seien. Zum Beispiel als es um die Wurfintensität oder die Anzahl der Feuerzeuge geht. Wieder andere Fragen würgt der Richter als »zu allgemein gehalten« oder »nicht präzise genug« ab. Auch bei der Bitte Isensees, der Zeuge möge den Ort des Geschehens doch einmal skizzieren, interveniert Rosenberg: »Wir sind hier nicht im Kunstunterricht!« Es folgt das immer gleiche Prozedere: Der Anwalt beantragt einen Gerichtsbeschluss dazu, ob er eine Frage stellen darf. Der Richter lässt protokollieren, gibt den Beteiligten die Gelegenheit zur Einlassung – eine Formalität –, und lehnt ab.
So geht es drei Stunden lang. Am Ende weiß man: Der Zeuge hat keine Ahnung, ob eines oder mehrere Feuerzeuge eine »gefährliche Flugbahn« genommen hatten, wie es an diesem Tag heißt. Und: Der Angeklagte S. sei den Polizisten deswegen aufgefallen, weil er so bürgerlich gewirkt habe. Ansonsten stellt sich die Befragung im wesentlichen als ein Disput zwischen Verteidiger und Richter dar. Am Ende platzt Isensee der Kragen. »Wir können hier nicht verhandeln, wenn Sie, Herr Vorsitzender, ständig für den Zeugen antworten«, rügt er. Und: »Sie verhindern hier, dass Widersprüche in den Aussagen aufgedeckt werden können.«
Zwischendurch wird es einem Zuschauer zu bunt. »Befragen Sie doch gleich den Richter«, heißt es in Richtung Verteidigung. Rosenberg wird laut. »Ihre Personalien!« fordert er. Der Mann muss nach vorne gehen. Der Richter droht: »Auf Zwischenrufe stehen bis zu 1.000 Euro Ordnungsgeld oder eine Woche Erzwingungshaft.« Gegen 13 Uhr entlässt Rosenberg den Polizisten D. und mahnt: »Das Gericht schließt gleich.« Eine weitere Zeugin soll zum übernächsten Termin am 19. Dezember wiederkommen. Insgesamt sind acht Verhandlungstage angesetzt, fünf stehen noch aus, Verlängerung möglich.
Am ersten Prozesstag hatte bereits ein Reporter der Mitteldeutschen Zeitung, Thomas S., ausgesagt. Er habe nichts von der behaupteten Aggressivität erlebt und keine gezielten Würfe gegen Beamte mitbekommen, erklärte er. Im Gegenteil: Die Demonstration sei »eher langweilig« gewesen, so dass er schon überlegt habe, was er dazu überhaupt schreiben solle. »Ich weiß nicht so richtig, warum hier überhaupt verhandelt wird«, so der Journalist Ende Oktober.

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