Kiew provoziert
Der seit dem Frühjahr schwelende Konflikt um den Zugang zum Asowschen Meer ist am Sonntag eskaliert. Das Nebenmeer des Schwarzen Meeres ist von Schiffen nur durch die Straße von Kertsch zu erreichen. Diese liegt zwischen dem russischen Festland und der Halbinsel Krim, die von Kiew nach wie vor als Bestandteil der Ukraine beansprucht wird.
Zwei Patrouillenboote der ukrainischen Marine und ein sie begleitender Schlepper versuchten am Sonntag, die Meerenge von Kertsch zu passieren. Als die russische Seite die Genehmigung dafür verweigerte, die ukrainischen Schiffe jedoch nicht abdrehten, rammte ein Schiff der russischen Küstenwache den ukrainischen Schlepper und machte ihn manövrierunfähig. Kurz danach kamen weitere ukrainische Schiffe – die offensichtlich in erreichbarer Nähe auf Position waren – zunächst aus Richtung des Asowschen Meeres ihren Landsleuten zu Hilfe; auch ihnen verweigerte Russland die Durchfahrt unter der Krim-Brücke. Russische Kampfflieger überflogen die ukrainischen Schiffe, woraufhin diese abdrehten. Ein weiterer ukrainischer Versuch, die Landsleute zu befreien, wurde von russischer Seite unter Schusswaffengebrauch abgewiesen. Am Ende des Tages lagen drei ukrainische Schiffe, darunter der beschädigte Schlepper, im Hafen von Kertsch auf der Krim fest. Mehrere ukrainische Seeleute wurden verletzt und im Krankenhaus der Stadt behandelt. Ihr Leben sei nicht in Gefahr, teilte die russische Seite mit.
Am Tag nach dem Zwischenfall zog die ukrainische Seite alle propagandistischen Register. Präsident Petro Poroschenko versetzte die Armee in volle Kampfbereitschaft und verhängte für zunächst 60 Tage den Kriegszustand. Noch am Montag nachmittag – nach jW-Redaktionsschluss – sollte das uk rainische Parlament zusammenkommen, um über die Bestätigung des Erlasses abzustimmen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse war mit einer Zustimmung zu rechnen. Die Verhängung des Kriegszustandes hat unter anderem die Folge, dass eine Reihe von Bürgerrechten außer Kraft gesetzt sind und keine Wahlen und Volksabstimmungen stattfinden können.
Der Westen verurteilte die Verschärfung des Konflikts, für die er Russland verantwortlich machte. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) forderte zwar beide Seiten zur »Deeskalation« auf, übernahm aber voll den ukrainischen Rechtsstandpunkt, dass sich der Zwischenfall vor der Küste der Krim in ukrainischen Hoheitsgewässern zugetragen habe. Die NATO sicherte Ki ew ihre Unterstützung zu und erklärte erneut, die »Annexion« der Krim sei völkerrechtswidrig gewesen. Alexander Neu, Außen- und Sicherheitspolitiker der Linkspartei im Bundestag, warnte am Montag im Deutschlandfunk davor, den Konflikt durch solche Parteinahmen anzuheizen. Als er im Verlauf des Gesprächs darauf verwies, dass der Westen als erster im Kosovo das Völkerrecht ignoriert habe, quittierte dies der Moderator mit dem Kommentar, diese Aussage sei eine »Riesenunverschämtheit gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern«.
Russland machte deutlich, dass es nicht vorhat, auf seinen Anspruch auf die Krim zu verzichten. Das Außenministerium erklärte, Moskau werde auch künftig mit aller Härte Versuche, seine Hoheitsgewässer und seine Souveränität über die Krim zu verletzen, zurückschlagen. Am Montag abend sollte der UN-Sicherheitsrat auf Antrag Russlands zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Außerdem soll sich das sogenannte Normandie-Format (Ukraine, Russland, BRD und Frankreich) zu einer Dringlichkeitssitzung treffen.
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