Im Dickicht des Sozialrechts
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»Ergänzende unabhängige Teilhabeberatungsstellen«: Hilfe unter Vorbehalt (Behindertentoilette in einer Zweigstelle der Bundesagentur für Arbeit)
Foto: dpa
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Margit Glasow ist freie Journalistin und Inklusionsbeauftragte der Partei Die Linke
Bernd M. ist in eine der neuen Beratungsstellen gekommen, begleitet von einer älteren Dame, einer Freundin seiner Mutter. Der Mittvierziger erzählt, dass er auf der Suche nach einer Arbeit ist, die seinen Bedürfnissen entspricht. Er ist gelernter Bürokaufmann. Da er aufgrund eines angeborenen Herzfehlers in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, hat er bisher nie eine feste Arbeitsstelle gefunden, sondern bekam nur verschiedene Maßnahmen von der Arbeitsagentur zugewiesen. Vor einigen Tagen hat sich seine Lebenssituation dramatisch verändert. Seine Mutter, bei der er immer noch lebt, musste aufgrund eines Schlaganfalls ins Krankenhaus. Wie es weitergeht, weiß er noch nicht. Nur, dass er vorerst allein zurechtkommen muss, obwohl es ihm Angst macht, ohne Begleitung die Wohnung zu verlassen.
Die Probleme, die Bernd M. in die Beratungsstelle geführt haben, betreffen nicht nur ihn. In der Regel haben die Ratsuchenden Fragen, die ihren Alltag betreffen: Wie organisiere ich mein Leben, wenn ich auf Unterstützung angewiesen bin? Wie gelingt es mir, persönliche Assistenz bewilligt zu bekommen? Wo finde ich eine barrierefreie Wohnung? Welche Nachteilsausgleiche kann ich beanspruchen, die mir helfen, eine Arbeitsstelle zu bekommen? Das Beratungsangebot soll bereits bestehende Strukturen der Rehabilitationsträger ergänzen und bei der Beantragung von Leistungen unterstützen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) finanziert das Programm mit 58 Millionen Euro jährlich.
Kleine Vereine benachteiligt
Um ein solches Beratungsangebot zu etablieren, ist ein langfristiger Prozess nötig. Ob dafür die vorgesehene Zeit bis 2022 ausreichen wird, bleibt abzuwarten. Zunächst muss das Angebot bekannt gemacht und als Chance begriffen werden, die eigene Lebenssituation tatsächlich verbessern zu können. Paragraph 32 des Sozialgesetzbuchs IX sieht vor, die »Beratung von Betroffenen für Betroffene besonders zu berücksichtigen«. Berater, die selbst behindert sind, kennen viele Probleme aus eigenem Erleben. Das schafft Verständnis und Vertrauen. In der Praxis fehlt es jedoch in vielen Beratungsstellen an sogenannten Peers, also »Selbstbetroffenen«, wie es in der Förderrichtlinie heißt. Bundesweit wurden mehr als 1.000 neue Arbeitsstellen geschaffen, in Voll- und Teilzeit. Wie viele davon Peers sind, ist nicht bekannt, darüber gibt es keine offiziellen Zahlen. Für behinderte Berater bietet das neue Programm eine Chance auf ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. In vielen ländlichen Regionen besteht allerdings Fachkräftemangel, weshalb nicht sicher ist, dass es genügend Bewerber gibt.
Fraglich ist zudem, inwieweit die Beratungsstellen in der Lage sind, wirklich unabhängig zu arbeiten. Immerhin befinden sich viele davon in der Trägerschaft von großen Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, die oft selbst Rehabilitationsleistungen erbringen. Im Gegensatz dazu gestaltete sich für viele kleine Vereine das Bewilligungsverfahren des BMAS schwierig, zum Beispiel um die geforderten Eigenmittel aufzubringen.
»Im Rahmen des Verfügbaren«
Ein entscheidendes Problem besteht darin, dass die neuen Beratungsstellen nur ein begrenztes Mandat haben. »Eine rechtliche Beratung sowie Begleitung im Widerspruchs- und Klageverfahren werden nicht geleistet«, heißt es in der Förderrichtlinie. Doch genau an dieser Stelle wäre Hilfe besonders nötig. Ratsuchende wenden sich insbesondere dann an eine Beratungsstelle, wenn etwas im Argen liegt und sie von den Leistungsträgern einen abschlägigen Bescheid erhalten haben. Sie erhoffen sich Aufklärung und Begleitung im Dickicht des Sozialrechts, zumal Selbsthilfeverbände über Juristen mit Behinderungen verfügen, die sich bestens auskennen.
Erfolgreich können die neuen Beratungsstellen nur dann sein, wenn sie sich in den Kommunen etablieren. Wenn zum Beispiel Menschen darin unterstützt werden sollen, eine Stelle zu finden, dann ist es nötig, Firmen über Nachteilsausgleiche zu informieren. Dazu braucht es kommunale Netzwerke, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Unter Umständen müssen weitere Institutionen einbezogen werden, etwa die Agentur für Arbeit, der Integrationsfachdienst oder die Industrie- und Handelskammer.
Ob das neue Angebot geeignet ist, die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, ist noch nicht abzusehen. Die Einrichtung der Beratungsstellen steht unter Finanzierungsvorbehalt. Laut Förderrichtlinie entscheiden die zuständigen Behörden darüber »aufgrund ihres pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel«.

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