Einleitung
Über 70 Jahre lang war die Existenz der UdSSR eine der entscheidenden
Rahmenbedingungen der Weltpolitik, d.h. des Klassenkampfes auf internationaler und
nationaler Ebene und der Politik der kommunistischen Parteien. Die Zerschlagung der
Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten ab 1989 kam sowohl für die
Kommunisten, als auch für die westlichen Imperialisten unerwartet und stürzte die
kommunistische Bewegung in eine tiefe Krise, von der sie erst begonnen hat, sich zu
erholen. Bis heute ist die Frage, wie die Sowjetunion einzuschätzen ist, ob sie zu
verteidigen oder gar zu bekämpfen ist, eine zentrale Frage für die kommunistische
Bewegung. Für diese Frage ist wiederum entscheidend, ob die Sowjetunion als
sozialistischer Staat oder im Wesentlichen als eine Variante des Kapitalismus und
Imperialismus verstanden werden muss. Während manche trotzkistische Strömungen
schon in der Zeit nach Trotzkis Tod begannen, die Sowjetunion als
„staatskapitalistisch“ zu bezeichnen, übernahmen die KP Chinas und die Partei der
Arbeit Albaniens in den 1960ern die Auffassung, dass sich in der UdSSR nach dem
20. Parteitag 1956 ein Kapitalismus unter einer neuen Bourgeoisie herausgebildet
habe. Als Belege dafür sehen sie die Dominanz bestimmter revisionistischer
Auffassungen in der KPdSU ab 1956 und insbesondere die Kossygin-Reform von
1965, die nach ihrer Auffassung endgültig den Kapitalismus wieder eingeführt habe.
Der Großteil der kommunistischen Weltbewegung, darunter in der BRD die KPD und
später die DKP, hielt dagegen weiterhin daran fest, dass in der UdSSR, der DDR und
den anderen Staaten, die sich selbst als „real existierender Sozialismus“ bezeichneten,
tatsächlich weiterhin der Sozialismus aufgebaut wurde. Diese völlig gegensätzlichen
Standpunkte sollen hier wissenschaftlich untersucht werden.
Dabei wird sich die Analyse hier auf die Sowjetunion beschränken. Es gab zu
verschiedenen Zeitpunkten in nahezu allen Staaten mit sozialistischem
Selbstverständnis marktorientierte Wirtschaftsreformen: In Ungarn, der VR Polen, der
ČSSR, der DDR, Kuba, Nordkorea, Vietnam, der VR China, in Jugoslawien. Ob und
wann diese den Kapitalismus wieder einführten, oder dazu geführt hätten, wenn sie
nicht abgebrochen worden wären (wie z.B. in der ČSSR 1968), muss konkret
untersucht werden. Das würde hier den Rahmen bei Weitem sprengen. Eine
Einschätzung zu den Produktionsverhältnissen in der heutigen VR China hat der
Autor bereits an anderer Stelle geleistet (Spanidis 2017), aber natürlich muss auch
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dazu die Analyse vertieft werden. Die Sowjetunion war jedenfalls der erste, der
größte, ökonomisch und militärisch stärkste der Staaten, die nach eigenem Anspruch
den Sozialismus aufbauten. Von ihrer Entwicklung war die Entwicklung in den
meisten anderen Ländern des „real existierenden Sozialismus“ abhängig.
Zweitens wird sich die Analyse hier auf die zweite Variante der
„Staatskapitalismusthese“ konzentrieren, wonach der Übergang vom Sozialismus zum
Kapitalismus auf den 20. Parteitag 1956 datiert wird. Denn sofern gezeigt werden
kann, dass die Sowjetunion auch nach 1956 und bis in die 1980er noch sozialistisch
und nicht staatskapitalistisch war, dann dürfte dies erst recht für die Zeitspanne vor
1956 gelten, während derer die Planwirtschaft in der Sowjetunion aufgebaut wurde
und weitgehend ohne Marktelemente auskam.
Dieser Text ist natürlich nicht der erste, der versucht, diese Frage zu beantworten. In
besonderem Maße stützt er sich auf die Untersuchungen und das gesammelte
Datenmaterial von Albert Szymanski (1979), der ebenfalls die sowjetischen
Verhältnisse im Detail analysierte und zu dem Schluss kam, dass in der Sowjetunion
weiterhin der Sozialismus vorherrschte. Außerdem werden die Argumente einiger
Vertreter der „Staatskapitalismusthese“ (ab hier SKT) und der darauf aufbauenden
„Sozialimperialismusthese“ (SIT) dargestellt und diskutiert. Dazu wird sich die
Untersuchung vor allem auf westliche akademische, also bürgerliche Quellen zur
Sowjetunion stützen, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie der
Sowjetunion und dem Kommunismus allgemein nicht sympathisch gegenüberstehen.
Nach einer Vorstellung der SKT und SIT werden zuerst die ökonomischen
Veränderungen in der Sowjetunion nach dem 20. Parteitag der KPdSU untersucht;
dann die Frage beantwortet, ob die Sowjetunion kapitalistisch war; dann, ob die
Behauptungen der SIT zutreffend sind; dann, ob in der Sowjetunion die
demokratische Arbeiterkontrolle abgeschafft wurde und schließlich, welche
Produktionsweise in der Sowjetunion nach 1956 herrschte.
Varianten der Staatskapitalismus- und Sozialimperialismusthese
Die trotzkistische Variante der Staatskapitalismusthese
Trotzkisten, die die Sowjetunion und andere Länder, die sich den Aufbau des
Sozialismus auf die Fahnen geschrieben hatten, als „staatskapitalistisch“ verstehen,
berufen sich oft auf den britischen Trotzkisten Tony Cliff und sein Buch
„Staatskapitalismus in Russland“. Cliff verstand sich selbst als Anhänger Trotzkis,
ging aber über Trotzkis Position hinaus. Trotzki hatte die Auffassung, wonach die
Sowjetunion „staatskapitalistisch“ sei und die „Bürokratie“ sich zu einer neuen Klasse
entwickelt hat, in den meisten seiner Schriften zu dem Thema abgelehnt. Seine
Position dazu war allerdings widersprüchlich: Den angeblichen Bruch, der sich mit Stalins Antritt als Generalsekretär ereignet habe, bezeichnet er kurz vor seinem Tod
als „Kristallisierung einer neuen privilegierten Schicht, die Schöpfung eines neuen
Unterbaus für die ökonomisch herrschende Klasse.“ (zitiert nach Cliff 1955). Trotzki
sprach hier also doch von einer neuen herrschenden Klasse und einige seiner Schüler
wie z.B. Cliff berufen sich auf diesen Abschnitt.
Wer bei Cliff eine stringente Begründung für seine These sucht, wird enttäuscht
werden. Cliff zählt eine Reihe von (angeblichen oder tatsächlichen) Phänomenen in
der sowjetischen Gesellschaft auf, die den Übergang zum „Staatskapitalismus“
belegen sollen: Die Schwächung der Kontrolle der Arbeiter und Gewerkschaften über
die Betriebe, Erhöhung der Disziplin am Arbeitsplatz und im Militär, Zwangsarbeit,
niedriger Lebensstandard, harte Strafen für Eigentumsdelikte, Ungleichheit in der
Einkommensverteilung usw. usf. Er behauptet: „Die partielle Negation des
Wertgesetzes befreit jedoch die Wirtschaft nicht von diesem Gesetz. Im Gegenteil, die
Wirtschaft ist ihm als Ganze noch mehr unterworfen“. Ein Argument für diese nicht
gerade intuitive These, dass die teilweise Außerkraftsetzung des Wertgesetzes seine
Wirkung noch verstärken soll, findet man jedoch nicht. Und: „Trotz aller
Einschränkungen und Modifizierungen der Form, in der das Wertgesetz auftritt,
bleiben der Antagonismus zwischen Lohnarbeit und Kapital, die Mehrwertproduktion
und die Verhandlung von Mehrwert in Kapital bestehen“. Auch diese Behauptung
bleibt unbegründet: Wo er in der Sowjetunion die Produktion von „Mehrwert“ und
Akkumulation von Kapital entdeckt haben will, verrät Cliff nicht. Schließlich: „Im
Staatskapitalismus wie im Arbeiterstaat ist der Staat der Besitzer der
Produktionsmittel. Der Unterschied zwischen beiden Systemen kann nicht in der
Eigentumsform liegen“ (alle Zitate aus: Cliff 1955).
Zumal Cliff kaum Argumente für seine Position anführt, lässt sie sich schnell
widerlegen. Das soll daher an dieser Stelle schon getan werden, damit die
Untersuchung sich in den weiteren Kapiteln auf die zweite Variante der SKT
beschränken kann, die den Übergang zum Kapitalismus erst 1956 behauptet. Cliff
behauptet, in der Sowjetunion würde nicht der Sozialismus, sondern der Kapitalismus
herrschen, also eine ganz andere Produktionsweise. Bei den Eigentumsverhältnissen
gebe es allerdings keine Unterschiede, da auch im „Staatskapitalismus“ der Staat
Eigentümer der Produktionsmittel sei. Dies sei, so der Untertitel seines Buches, „eine
marxistische Analyse“. Die Auffassung des Marxismus ist jedoch die genau
entgegengesetzte: Produktionsweisen unterscheiden sich voneinander zuallererst
durch ihre Produktions- und Eigentumsverhältnisse, nicht durch den Grad der
Arbeitsdisziplin oder die Einkommensverteilung. Das Wertgesetz, dass Cliff in der
UdSSR unter Stalin am Werke sieht, hatte in Wirklichkeit nur wenig Spielraum. Die
Industriebetriebe unterstanden vollständig dem Kommando der Planungsbehörden, sie
bekamen Ressourcen zugewiesen und mussten damit verpflichtende Planziele erfüllen. Die Betriebe produzierten damit also nicht für den Profit, sondern zur
Erfüllung zentral vorgegebener Planziele, die wiederum danach bestimmt wurden,
was die Planbehörden als gesellschaftliches Bedürfnis ermittelt hatten. Dabei wurden
während der ersten Jahrzehnte die Planziele überwiegend in physischen Größen
(Tonnen, Quadratmeter etc.) vorgegeben. Der Output war das zentrale Planziel, für
seine Erfüllung wurden Boni ausgezahlt (Hanson 2003, S. 28). Es gab in der
Sowjetunion zu dieser Zeit also definitiv keinen Kapitalismus und Cliffs Begründung
seiner Behauptung entfernt sich weit vom marxistischen Verständnis der
kapitalistischen Produktionsweise. Seine Position kann nur als gravierende
revisionistische Abweichung bezeichnet werden.
Die Staatskapitalismusthese für die Sowjetunion nach 1956
Nach dem Tod Stalins 1953 und dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 ging die
Sowjetführung dann zuerst vorsichtige Schritte in Richtung eines stärker
marktbasierten Steuerungsmechanismus, dem dann 1965 eine umfassendere Reform
folgte (siehe nächstes Kapitel). Deshalb sind gewisse politische Kräfte, die sich auf
Stalin berufen, aber die Sowjetunion nach 1956 ablehnen, der Ansicht, die
Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse habe sich in der Sowjetunion in den
50ern ereignet.
Beispielsweise schreibt der „Kommunistische Aufbau“: „Der 20. Parteitag der
Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) im Jahr 1956 markiert den Punkt,
an dem die politischen Vertreter dieser neuen Ausbeuterklasse – eben die modernen
Revisionisten unter Führung Nikita Chruschtschows – ihre Machtergreifung
zementierten und ihre Politik offen in Richtung der Wiederherstellung des
Kapitalismus entwickelten.“. Nach ihrer Auffassung entwickelte sich (ähnlich wie bei
Cliff), die „Bürokratie“ zu einer neuen Klasse. Auch Stalin habe es versäumt,
„anzuerkennen, dass der Kampf gegen den Bürokratismus eine Form war, in der der
Klassenkampf in der Sowjetunion fortgeführt wurde und folglich wieder
Klasseninteressen aufeinander prallten“. Auf dem 20. Parteitag habe dann eine
revisionistische Gruppe die Macht übernommen. „Sie machten aus dem Sozialismus,
dem Todfeind des Kapitalismus, einen bürokratischen Staatskapitalismus, der eben
nur ein Konkurrent im Wettkampf um die Beherrschung der Welt wurde. Genauso wie
es heute Deutschland, die USA, China und Russland sind“. Es sei „eine neue
Kapitalistenklasse, die die ArbeiterInnen ausbeutete und sich den Mehrwert
aneignete, Ausrichtung der Produktion auf den Profit“ festzustellen. Der sowjetische
Staat „agiert als Gesamtkapitalist, er eignet sich den Mehrwert an und er verteilt den
Mehrwert unter die verschiedenen Angehörigen der neuen Kapitalistenklasse“. Diese
Verteilung des „Mehrwerts“ an die „neue Kapitalistenklasse“ habe sich durch hohe Gehälter für die Betriebsdirektoren und die Bindung der materiellen Boni für
Direktoren an die Gewinne des Betriebs (s.u.) vollzogen.
Der Gewinn sei zur hauptsächlichen Planvorgabe der Betriebe gemacht worden und
ein zunehmender Anteil an den Gewinnen sei in den Betrieben verblieben, statt an
den Staat abgeführt zu werden. Zudem seien die Produktionsmittel wieder in Waren
verwandelt worden. Es habe aber noch „Überbleibsel des Sozialismus“ gegeben, die
erst später beseitigt wurden, u.a. indem die Betriebe nun zu „finanziell eigenständigen
Betrieben“ gemacht wurden (Zitate aus: Kommunistischer Aufbau 2016).
Eine ähnliche, noch vehementere Auffassung vertritt auch die sogenannte
„Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD): „Auf dem XX. Parteitag
der KPdSU im Februar 1956 ergriff eine neue Bourgeoisie unter Führung
Chruschtschows die politische Macht in der Sowjetunion. Sie propagierte den
modernen Revisionismus und restaurierte schrittweise den Kapitalismus. Auf der
Grundlage dieses staatsmonopolistischen Kapitalismus neuen Typs bildete sich der
sowjetische Sozialimperialismus heraus. Er wurde neben den USA zu einer Brutstätte
der weltweiten Reaktion, Ausbeutung, neokolonialer Unterdrückung,
Umweltzerstörung und imperialistischer Kriegsvorbereitung.“. Die Länder des RGW
und Warschauer Paktes seien in „neokoloniale Abhängigkeit von der Sowjetunion“
gezwungen worden. Die Zerschlagung der Sowjetunion 1989-91, die die MLPD wie
die bürgerlichen Propagandisten als „wirtschaftlichen und politischen
Zusammenbruch“ bezeichnet, sieht sie nicht als Ende des Sozialismus: „Das war
Ausdruck des Bankrotts des modernen Revisionismus und verschärfte die Allgemeine
Krise des Kapitalismus.“. Damit wird in diesem „Zusammenbruch“ letztlich ein
positives Ereignis gesehen, denn mit einer Verschärfung der allgemeinen Krise des
Kapitalismus ist gemeint, dass die Bedingungen für die Weltrevolution weiter
heranreifen (Zitate aus: MLPD-Programm, Kapitel F).
Auch viele Organisationen, die sich als maoistisch verstehen, gehen ab einem
bestimmten historischen Punkt von der Existenz einer kapitalistischen Gesellschaft in
der Sowjetunion aus. So schreibt beispielsweise die maoistische KP Perus, auf die
sich auch maoistische Gruppen in Deutschland berufen, über den Kampf „gegen den
US-Imperialismus und den sowjetischen Sozialimperialismus, Papiertiger, die sich
um die Weltherrschaft streiten und die die Welt mit einem Atomkrieg bedrohen, der
zum einen verurteilt werden muß und auf den man sich zum anderen vorausschauend
vorbereiten muß, um ihm den Volkskrieg entgegenzusetzen und die Revolution zu
machen.“ (Kommunistische Partei Perus 1988).
Weitergehend ausgearbeitet ist die SKT und SIT in den bisher zitierten Texten
verschiedener politischer Organisationen nicht. Der Text des „Kommunistischen
Aufbau“ stützt sich im Wesentlichen auf zwei entsprechende tiefer greifende Analysen in den Büchern Willi Dickhuts, einem Mitbegründer und einflussreichen
Theoretiker der MLPD, sowie des britischen Hoxhaisten Bill Bland. Die
Argumentation dieser beiden Autoren soll daher im Folgenden dargestellt werden, um
sie im 4. Kapitel dann auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.
Willi Dickhut
Dickhut zufolge bekämpfte Stalin die Bürokratie, allerdings mithilfe des
bürokratischen Apparats selbst, weshalb nach seinem Tod die Bürokratie dann
trotzdem an die Macht kommen und den Kapitalismus restaurieren konnte. Es kam
zur „Selbstumwandlung der Bürokratie von Staatsdienern in Beherrscher des Staates“
(Dickhut 1988, S. 35; 40).
„In diesem Prozeß verwandelte sich die Bürokratie von einer kleinbürgerlichen
Schicht zu einer neuen bürgerlichen Klasse, deren ökonomische Basis eine
restaurierte kapitalistische Produktionsweise ist. Das bedeutet keine einfache
Wiedereinführung des Privatkapitals, sondern Errichtung eines bürokratischen
Monopolkapitalismus. Der Hauptwiderspruch dieser neuen kapitalistischen
Gesellschaftsordnung beruht auf gesellschaftlicher Produktion und
gesamtbürokratisch-kapitalistischer Aneignung. Der einzelne Bürokrat ist nicht
Privatkapitalist im alten Sinne, sondern die Gesamtheit der Bürokratie ist
Gesamtkapitalist, eine neue staatsmonopolistische Bourgeoisie. Sie betreibt als
herrschende neue bürgerliche Klasse eine bürgerliche Klassenpolitik zur Wahrung
der Gesamtinteressen des bürokratischen Kapitalismus. Diese Entwicklung ging
allmählich vor sich, wobei neben den neuen kapitalistischen Erscheinungen
Errungenschaften des Sozialismus bestehen blieben. Es war nämlich nicht möglich,
diese auf einmal zu liquidieren, ohne daß die werktätigen Massen dagegen
rebellierten“(S. 42).
Natürlich weiß auch Dickhut, dass in der Sowjetunion die Produktionsmittel weiterhin
Staatseigentum waren. Doch dieses Gegenargument lässt er nicht gelten: Die
entscheidende Frage sei, welche Klasse die Staatsmacht in der Hand halte und welche
Klasse somit über das staatliche Eigentum verfüge. Er erkennt an, dass die
sowjetische Wirtschaft doch irgendwie anders funktionierte als der westliche
Kapitalismus: „In der Sowjetunion kontrolliert der neue bürgerliche Staatsapparat
nicht nur gewisse Schlüsselstellungen der Wirtschaft, sondern nahezu das gesamte
Wirtschaftsleben. Hier wäre es also verfehlt, nach einzelnen Kapitalisten zu suchen.
(…) Die äußerlichen Merkmale der sozialistischen Wirtschaft (zentrale Planung
usw.) bleiben scheinbar (?) unangetastet. Bloß handelt es sich nicht mehr um ein
Staatsmonopol in den Händen des Proletariats, sondern um ein kapitalistisches
Staatsmonopol in den Händen der neuen Bourgeoisie“ (S.90f). Da aber ein
kapitalistisches Wirtschaftssystem nicht nach den gleichen Prinzipien geleitet werden könne wie ein sozialistisches, da es vom Drang nach höheren Profiten getrieben ist,
bestehe ein Drang, der die sowjetischen Führer zu Wirtschaftsreformen zwinge, die
immer offener kapitalistischen Charakter hätten. (S. 91). Nach Chruschtschows Sturz
hätten seine Nachfolger einen Teil seiner Politik rückgängig gemacht, aber am Kurs
der kapitalistischen Restauration festgehalten und ihn sogar noch beschleunigt (S.
117). Durch diese Reformen sei den Betrieben ein größerer Teil des Gewinns belassen
worden als zuvor, der u.a. der Bereicherung der Betriebsdirektoren diene (S. 108). Die
Einführung von Prämien für die Direktoren hätten den Zweck, die „Profitgier einer
Handvoll neuer Kapitalisten zur treibenden Kraft der Wirtschaft zu machen“ (S. 123).
Aber die Prämien seien nur ein nebensächlicher Kanal, über den sich die
„Bourgeoisie“ den Mehrwert aneigne: „Die hauptsächlichen Bereicherungsquellen
der neuen Bourgeoisie sind nicht die Prämien und Gewinne in den einzelnen
Betrieben, sondern der zentrale Staatshaushalt. (…) Die obersten Spitzen der neuen
Bourgeoisie sind nicht die Direktoren und Manager, die vom Gewinn der einzelnen
Betriebe schöpfen, sondern jene Funktionäre, Politiker und Technokraten im Partei-,
Staats- und Wirtschaftsapparat, die in Moskau oder anderen Zentren sitzen und den
Rahm von der Staatskasse schöpfen.“ (S. 140f). Die Höhe der Dividende, die jeder
einzelne „Kapitalist“ bekommt, hänge dabei nicht vom Aktienbesitz sondern von der
Position innerhalb der Staats- und Parteibürokratie ab und „in den Kreis der Besitzer
der Produktionsmittel“ komme man natürlich nur als Mitglied der KPdSU (S. 359).
Dieser „staatsmonopolistische Kapitalismus“ sei der Kapitalismus in seinem höchsten
Stadium, also Imperialismus. Irgendwie sei die Sowjetunion sogar noch
monopolkapitalistischer als der westliche Monopolkapitalismus: „weil in der
Sowjetunion die Konkurrenz auf dem Binnenmarkt noch weitgehender ausgeschaltet
ist als in den westlichen staatsmonopolistischen Ländern, (…) tritt hier die Tendenz
zur Stagnation und Fäulnis noch deutlicher zutage“ (S. 358). Auch hier bestehe
dementsprechend ein „Drang nach wirtschaftlicher Expansion, nach Kapitalexport
und nach Unterjochung anderer Länder, der Drang nach Aggression und Krieg, nach
Neuaufteilung der Welt“ (S. 203). Die „sowjetischen Sozialimperialisten“ würden
dabei aber dann irgendwie doch nicht dieselben Methoden anwenden wie die USImperialisten,
z.B. indem sie Kredite zu viel günstigeren Bedingungen vergeben. Das
sei aber ein „Betrugsmanöver“, „denn seinem Wesen nach unterscheidet sich der
Imperialismus der Sowjetführer keinen Deut von dem der USA“ (S. 205).
In den anderen sozialistischen Ländern wurde Dickhut zufolge unter dem Druck der
Sowjetunion selbstverständlich auch der Kapitalismus restauriert. In der DDR ging
die „Restauration des Kapitalismus verhältnismäßig einfach und unauffällig (!) vor
sich“ (S. 208). In Polen dagegen „mit besonderer Offenheit“, da die Kollektivierung
der Landwirtschaft weitgehend wieder rückgängig gemacht wurde (S. 209). Die
osteuropäischen Länder seien dann in der Folgezeit zu „Kolonien des Sozialimperialismus“ geworden (S. 218). Die Sowjetunion habe diese Länder in
Abhängigkeit gehalten, indem sie sie zur Spezialisierung auf bestimmte Güter
gezwungen habe, während nur sie selbst eine allseitig entwickelte Volkswirtschaft
hatte (S. 219).
Entscheidend für den Imperialismus ist nach Lenin bekanntlich der
Bedeutungsgewinn des Kapitalexports als Folge der monopolkapitalistischen
Überreife der Volkswirtschaft. Wenn die Sowjetunion eine „imperialistische
Supermacht“ war, muss man daher natürlich irgendwo auch Kapitalexport
nachweisen können. Und Dickhut hat ihn gefunden, nämlich in Form der Kredite, die
die Sowjetunion an andere Länder vergab: „Freilich können es die Sozialimperialisten
noch nicht wagen, in fremden Ländern Fabriken, Plantagen oder Bergwerke zu
errichten, die ausschließlich ihr Eigentum bilden, wie es bei den alten Imperialisten
üblich ist. Es gibt aber verschiedene Formen des Kapitalexportes. Der sowjetische
Kapitalexport läuft hauptsächlich über Kredite und Anleihen, eine Form, die bereits
zu Lenins Zeiten wohlbekannt war“ (S. 229). Außerdem beklagt er, die Sowjetunion
habe von ihren Partnern im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) überhöhte
Preise verlangt (S. 225).
Welche politischen Konsequenzen zieht Dickhut aus seiner Analyse? Im
Wesentlichen die, dass die Sowjetunion als Hauptfeind der Arbeiterklasse zu
bekämpfen sei: „Der Hauptwiderspruch in der Welt ist heute der zwischen dem
Sozialimperialismus und dem sozialistischen China.“ (S. 300). Überhaupt werde die
Arbeiterklasse in der Sowjetunion noch mehr unterdrückt als im Westen, weil die
sowjetischen Gewerkschaften – seiner Ansicht nach wohl im Gegensatz zu den
„freien“ Gewerkschaften im westlichen Kapitalismus – von der Bürokratie
kontrolliert würden (S. 369). Das sowjetische Proletariat müsse nun eine neue
kommunistische Partei in der Illegalität aufbauen, um die KPdSU zu stürzen (S. 371).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dickhuts Vorgehen darin besteht, anhand
von politischen und ideologischen Entwicklungen (der Machtantritt einer Gruppe, die
er als revisionistisch bewertet) die Gesellschaft eines Landes als kapitalistisch zu
bewerten. Da er aber weiß, dass Marxisten eine Gesellschaft nach der in ihr
vorherrschenden Produktionsweise bewerten, begibt er sich im zweiten Schritt auf die
Suche nach ökonomischen Entwicklungen, die seine vorgefasste Schlussfolgerung
bestätigen könnten. Von den Tatsachen beirren lässt sich Dickhut dann allerdings
nicht: Findet er in einem Land weitgehende Wirtschaftsreformen, die den
sozialistischen Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse abschwächen, wie z.B.
in Polen, verweist er triumphierend auf diese und spricht von einer „offenen“
Konterrevolution. Herrscht in dem Land dagegen weiterhin eine zentrale
Planwirtschaft vor, handelt es sich für ihn um eine „versteckte“ und unbemerkte kapitalistische Konterrevolution, wie z.B. in der DDR. Findet er keine Kapitalisten
vor, erklärt er einfach die staatliche Verwaltung zur Kapitalistenklasse usw. Wie es
überhaupt möglich sein soll, dass eine Konterrevolution stattfindet, aber niemand
etwas davon bemerkt und sich die ökonomischen Verhältnisse nicht wesentlich
verändern, das bleibt sein Geheimnis.
Bill Bland
Eine etwas andere Herangehensweise findet sich bei Bill Bland. Bland versucht
nämlich zumindest, die „kapitalistische Restauration“ im Detail anhand ökonomischer
Veränderungen im Wirtschaftssystem der Sowjetunion nachzuweisen. Allerdings
analysiert er kaum die wirklichen ökonomischen Verhältnisse, sondern bezieht sich
überwiegend auf Aussagen sowjetischer Ökonomen oder Politiker.
Bland behauptet, anders als Dickhut, die zentrale Wirtschaftsplanung in der UdSSR
sei mit der Kossygin-Reform abgeschafft worden. Die Reform habe die zentralen
Direktiven, die die Betriebe erhielten, reduziert und in freiwillige Richtlinien
verwandelt. Da die Pläne der Betriebe sich ständig änderten, sei die Aufstellung eines
umfassenden Fünfjahresplans nicht mehr möglich gewesen (Bland 1995, Kapitel
1). Der Profit sei mit der Reform dann als neuer Regulator der Produktion eingeführt
worden, indem die Betriebe ihre finanziellen Mittel selbst erwirtschaften und darüber
hinaus einen Profit realisieren sollten. „Unter dem neuen System der Kostenrechnung
allerdings ersetzte der Profit, der nun als ‚wichtigstes Kriterium der Effizienz eines
Betriebs‘ dargestellt wurde, die zentralisierte Wirtschaftsplanung als Regulator der
gesellschaftlichen Produktion“ (Kapitel 2, Übersetzung Th.S.).
Der Profit werde über den Verkauf der Waren realisiert, dadurch müssten die Betriebe
die Produktion ihrer Waren auf den Markt ausrichten. Als Käufer und Verkäufer der
Waren stünden die Betriebe damit in Konkurrenz zueinander. Weil die Betriebe ihre
Produktionspläne an den Markt anpassen, müssten sie zu so kapitalistischen Praktiken
wie Marktforschung und Werbung übergehen (Kapitel 3). 1965 wurde zudem
beschlossen, dass Betriebe für die von ihnen genutzten produktiven Investitionsgüter
zahlen müssen, statt sie wie bisher kostenlos zugewiesen zu bekommen, womit laut
Bland die Produktionsmittel wieder zur Ware wurden (Kapitel 4).
Das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln sei ebenfalls abgeschafft worden, weil
der Betrieb laut dem Statut über die Sozialistischen staatlichen
Produktionsunternehmen (am 4.10.1965 vom Ministerrat angenommen) die
Eigentumsrechte am Betriebsvermögen ausübte. Nach diesem Statut hatten Betriebe
auch das Recht, überschüssige Ausrüstung an andere Unternehmen zu verkaufen. Der
Betriebsdirektor hatte zudem das Recht, im Namen des Betriebs zu handeln und sein Eigentum und seine Finanzmittel zu verwalten (Kapitel 6). Damit seien die
Betriebsdirektoren zu den Eigentümern der Produktionsmittel des Betriebs geworden.
Der Unterschied zu den Managern in westlichen Ländern bestehe nur darin, dass der
sowjetische Betriebsdirektor durch den Staat statt durch die Shareholder ein- und
abgesetzt wird und dass er zudem nur so lange Profite aus dem Betrieb ziehen könne,
wie er auf seinem Posten ist (Kapitel 7). Nach der Reform von 1965 hätten die
Betriebe zudem relativ frei ihre Arbeiter einstellen und feuern können (Kapitel 8). Da
die Arbeiter enteignet worden und die Produktionsmittel der neuen Klasse der
„Sowjetkapitalisten“ übertragen worden seien, hätten sie keine Subsistenzmittel mehr
und müssten ihre Arbeitskraft an die neue Kapitalistenklasse verkaufen. Die
Arbeitskraft sei also wieder eine Ware (Kapitel 9 & 10).
In dem neuen System versuchte man, die Preise gemäß dem realen Arbeitsaufwand
festzulegen. Dabei gibt die zentrale Planbehörde Basispreise und Normen vor, aber
die Betriebe konnten in einem bestimmten Rahmen konkrete Preise festlegen.
Dadurch sei eine zentrale Planung unmöglich geworden (Kapitel 14).
Der Profit in der Sowjetökonomie sei genauso definiert wie im Kapitalismus, nämlich
als Differenz zwischen Preis und Produktionskosten. Damit würden selbst die
sowjetischen Planer zugeben, dass in der UdSSR Mehrwert existiere (Kapitel 17).
Über die Anreizfonds werde dieser Mehrwert an die Manager der Betriebe ausgezahlt,
indem der Staat die Höhe der Boni festlegt und die Boni durch einen Staatsfunktionär
bestätigen muss (Kapitel 18). Der andere Teil der Profite floss in Investitionen
(Kapitel 28).
Bland versucht, die Konzentration und Zentralisation des Kapitals in der UdSSR mit
Daten nachzuweisen. Er verweist dabei auf die politische Entscheidung der
sowjetischen Planer, größere Betriebe anzustreben und damit Skalenökonomien
(Kostenersparnis durch Betriebsgröße) zu erreichen. Die Konzentration der
Produktion sei in der Sowjetunion sogar viel größer als in den westlichen Ländern.
Die Zentralisation des Kapitals werde aktiv durch den Staat vorangetrieben, indem
wenig profitable Betriebe durch einen Beschluss staatlicher Behörden in andere
integriert werden. In der Verringerung des Management-Personals infolge dieser
Konzentrationsprozesse sieht Bland dann einen Beleg für eine Verkleinerung der
Kapitalistenklasse aufgrund von Konzentrationsprozessen (Kapitel 30). Dadurch sei
ein sowjetisches Monopolkapital entstanden: Bland beruft sich hierbei auf den
Zusammenschluss von Betrieben zu horizontalen Verbünden desselben
Produktionszweigs oder Kombinate, die Betriebe einer Produktionskette
zusammenschließen (Kapitel 31). Als die sowjetischen Planer beschlossen, die
Investitionsrate zu senken, sieht Bland darin den Ausdruck der gesetzmäßigen
Stagnationstendenz im Monopolkapitalismus (Kapitel 28). Wenn es aufgrund von Fehlplanungen zu Überschussproduktion kommt, die dann exportiert werden kann
oder wenn zur Erwirtschaftung von Devisen bestimmte Produktionszweige in der
UdSSR für den Export entwickelt werden, dann sieht Bland darin die gesetzmäßige
Tendenz des Kapitalismus zur Überproduktion (Kapitel 34).
Natürlich geht Bland auch von einer Ausbeutung der Arbeiterklasse aus. Diese belegt
er damit, dass Einkommen ungleich verteilt werden und dass die Funktionäre der
KPdSU umfangreiche Privilegien genossen (Kapitel 33). „Die heutige Sowjetunion
hat die Klassenstruktur einer typischen kapitalistischen Gesellschaft“ (Kapitel 35).
Dementsprechend könne auch die KPdSU als herrschende Partei nur die Interessen
der Kapitalistenklasse vertreten, bzw. genauer gesagt nicht der gesamten
Kapitalistenklasse sondern nur noch der mächtigsten Monopolgruppen (Kapitel 36 &
37). Blands Schlussfolgerung: “Auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus ist der
heutige sowjetische Staat daher, auch wenn er sich mit roten Fahnen schmückt, ein
faschistischer Staat neuen Typs, in dem die heutige Kommunistische Partei im
Wesentlichen so funktioniert, wie es die faschistischen Parteien im faschistischen
Italien, in Nazideutschland und im falangistischen Spanien taten.“ (Kapitel 37).
Hier kann man zusammenfassen, dass Bland, teilweise im Gegensatz zu Dickhut,
nachweisen will, dass die Sowjetunion im Wesentlichen eine normale kapitalistische
Gesellschaft ist. Diese funktioniere ökonomisch genauso wie der westliche
Kapitalismus und diene der Aneignung des Mehrprodukts durch einzelne
Kapitalisten, während Dickhut Zuflucht zu der Konstruktion der Bürokratie als
„Gesamtkapitalisten“ nimmt.
Auch wenn eine umfassendere Überprüfung der SKT erst im 4. Kapitel dieses Textes
erfolgt, ist hier schon darauf hinzuweisen, dass Blands Argumentation durchweg
unsauber und unwissenschaftlich ist. Wie im weiteren Verlauf an einigen Stellen
gezeigt werden wird, folgen seine Schlussfolgerungen in der Regel nicht aus den
Belegen, die er anführt, manchmal belegen diese sogar das Gegenteil. Er führt zudem
an vielen Stellen die Diskussionen zwischen sowjetischen Ökonomen als Belege an,
von denen aus er auf reale ökonomische Strukturen schließt, obwohl es sich teilweise
nur um Reformvorschläge handelte. Seine Argumentation ist insgesamt wenig
originell, denn sie besteht darin, für bestimmte Prozesse in der Sowjetunion
entsprechende Vergleiche in kapitalistischen Gesellschaften zu suchen, die mit diesen
eine formelle Ähnlichkeit haben, sich aber dem Inhalt nach grundsätzlich
unterscheiden können.
Die Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion nach dem Tod Stalins
Wirtschaftsreformen der Ära Chruschtschow (1953-64)
Um die These zu prüfen, dass nach Stalins Tod die Sowjetunion wieder kapitalistisch
geworden sei, sollte zuerst ein Überblick über die wirtschaftlichen Reformen
hergestellt werden, die in den 1950ern und 60ern beschlossen wurden.
Zu einschneidenden ökonomischen Veränderungen kam es in den Jahren nach Stalins
Tod vorerst noch nicht. Während der Chruschtschow-Ära wurden einzelne
Maßnahmen zur Reform der Planwirtschaft beschlossen, die jedoch keine
grundsätzliche Neuausrichtung des gesamten Wirtschaftssystems beinhalteten.
Vielmehr bereiteten sie eine solche Neuausrichtung vor und diese erfolgte dann 1965,
also bereits nach dem Rücktritt Chruschtschows, im Rahmen der sogenannten
Kossygin-Reform.
In der Phase der rapiden Industrialisierung der Sowjetunion, während der Stalin
Generalsekretär der kommunistischen Partei war, kam es zu enorm hohen
Wachstumsraten der Industrie. Dieses Wachstum hatte zu einem hohen Grad
extensiven Charakter, d.h. durch immer höheren Einsatz von Ressourcen und
Arbeitskräften wurde ein stetig wachsender Output erzielt. Das bedeutete
zwangsläufig, dass die Grundlagen für dieses Wachstum nicht unbegrenzt lange
vorhanden sein würden und dass es ab einem bestimmten Punkt notwendig sein
würde, zu einem intensiveren Wachstumspfad überzugehen, der die weitere
Produktivkraftentwicklung vor allem durch Produktivitätssteigerungen,
Verbesserungen der Qualität, Verbreiterung der Produktpalette usw. forcieren würde.
Bereits zu Beginn der 50er verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum deutlich: Von
8,9% jährlich im Zeitraum 1946-50 auf nur noch 4,9% 1951-55. Dieses Niveau wurde
dann durch die 1960er hindurch gehalten und sank ab den 70ern deutlich ab (Hanson
2003, S. 5).
Die sich abzeichnenden ökonomischen Probleme verlangten nach Antworten. Vor
dieser Aufgabe hätte jede sowjetische Führung gestanden. Allerdings sind
Problemlösungen in einer Gesellschaft nie etwas Neutrales. Sie nützen der einen
Klasse und gehen auf Kosten der anderen, sie festigen eine Produktionsweise und
verhindern eine andere. Stalin hatte am Ende seines Lebens in die ökonomischen
Debatten sowjetischer Ökonomen interveniert und sich gegen eine Ausweitung der
Ware-Geld-Beziehungen im Rahmen der sozialistischen Planwirtschaft
ausgesprochen. Insbesondere wandte er sich gegen den Vorschlag einiger Ökonomen,
die Maschinen-Traktoren-Stationen an die Kolchosen zu verkaufen. Er sah darin eine
Stärkung der Kolchosen als separaten Eigentümern, eine Ausweitung der
Warenwirtschaft und damit einen Rückschritt auf dem Weg zum Kommunismus
(Huar 2002, S. 155f; Schnehen 2016, S. 58f). Es wurde zudem eine umfassende
ideologische Kampagne gegen die Thesen des Vorsitzenden der Staatlichen
Planungskommission Wosnessenski und anderer Ökonomen geführt, die argumentierten, das Wertgesetz sei notwendiger Regulator der Produktion im
Sozialismus (Brar 2007, S. 167f).
Die neue Führung um Chruschtschow suchte dagegen die Lösung der Probleme in der
Stärkung der Entscheidungsautonomie der Betriebe und damit verbunden dem
Ausbau von Marktbeziehungen. Zwei Bereiche sind hier hervorzuheben: Erstens
wurden alle Zwangslieferungen der Bauern aus ihrem privaten Anbau abgeschafft und
die Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) in der Landwirtschaft an die
Kollektivfarmen (Kolchosen) und Staatsfarmen (Sowchosen) verkauft (Hanson 2003,
S. 57). Dies bedeutete, dass die private landwirtschaftliche Produktion im Rahmen der
kollektivierten Landwirtschaft einen größeren Spielraum erhielt, weil die Bauern ihre
Produkte nun vollständig selbst auf dem Markt verkaufen konnten. Der Verkauf der
MTS an die Landwirtschaftsbetriebe bedeutete zum einen für diese eine hohe
finanzielle Belastung bzw. Verschuldung, die sie nun durch zukünftige Gewinne
abtragen mussten (Hanson 2003, S. 57). Zum anderen wurde damit ein wichtiges
ökonomisches Instrument des Staates, um auf dem Land durch die Bereitstellung von
Gerät und ausgebildetem Personal zu seiner Bedienung die Planumsetzung und
Effizienzsteigerung zu steuern, aufgegeben (Schnehen 2016, S. 55f).
Zweitens begann gegen Ende von Chruschtschows Amtszeit in der Industrie ein
Pilotprojekt in zwei Textilbetrieben (Bolschewitschka und Majak), das später auf
einige Hundert Betriebe in der Konsumgüterindustrie ausgeweitet wurde. Die beiden
Betriebe wurden von allen Outputzielen „befreit“ und konnten selbstständig mit
Zulieferern und Abnehmern Kaufverträge abschließen. Sie stellten ihre Produktion
daraufhin auf solche Produkte um, die auf Grundlage der staatlich festgelegten Preise
möglichst hohen Gewinn versprachen (Hanson, S. 96; Adam S. 40).
Schließlich begann unter Chruschtschow, gefördert von der Partei- und Staatsführung
eine Diskussion um ökonomische Reformen, in der die wirtschaftspolitischen
Auffassungen Stalins grundlegend angegriffen und Reformen in Richtung einer
Ausweitung der Ware-Geld-Beziehungen gefordert wurden. Der vermutlich
einflussreichste Diskussionsbeitrag in diesem Rahmen erschien am 9.9.1962 in der
zentralen Parteizeitung Prawda, ihr Autor war Jewsej Liberman. Liberman schlug ein
System der Planwirtschaft vor, in dem die Betriebe weiterhin staatliches Eigentum
bleiben und verpflichtende Zielvorgaben erhalten sollten, aber zentraler Teil dieser
Vorgaben das Realisieren eines Gewinns sein sollte. Aus diesem Gewinn sollten die
Betriebe ihre Investitionen, aber auch die Boni für Arbeiter und Manager finanzieren
(Liberman 1962).
Die Vorschläge Libermans und die Kossygin-Reform von 1965
Libermans Beitrag beinhaltete im Wesentlichen schon die Grundsätze der großen
Reform, die dann 1965 unter der neuen Führung Breschnews und Kossygins
beschlossen wurde. Die Ära Chruschtschows kann somit als vorbereitende Periode für
umfassendere Änderungen gesehen werden, die erst danach folgten. In diese Ära
fielen auch weitere Projekte der Parteiführung um Chruschtschow, die hier nicht
besprochen werden, wie das riesige Neulandprogramm, die Dezentralisierung der
Wirtschaftsverwaltung auf die Republikebene und Auflösung der Industrieministerien
(eine Maßnahme, die mit der Kossygin-Reform 1965 wieder rückgängig gemacht
wurde) sowie Großinvestitionen in die Chemieindustrie.
Politische Voraussetzung für die Abkehr von den bisher praktizierten strikt
planwirtschaftlichen Methoden war, Stalin und die Ergebnisse seiner
Regierungsperiode umfassend zu diskreditieren und diejenigen Führungskader, die
weiterhin seiner politischen Linie folgten, aus dem Weg zu räumen. Ersteres erreichte
Chruschtschow im Wesentlichen durch seine „Geheimrede“ auf dem 20. Parteitag der
KPdSU, in der er zahlreiche Unwahrheiten über seinen Vorgänger verbreitete (Furr
2014). Letzteres erreichte er durch die Absetzung und Ermordung Lawrentij Berijas
1953 und einige Jahre später die (unblutige) Entfernung von Molotow, Kaganowitsch
und Malenkow aus dem Politbüro der Partei. Damit war der Weg frei für
Chruschtschows Kurs und nicht zuletzt auch für ein langsames Umsteuern in
wirtschaftspolitischer Hinsicht.
Die Kossygin-Reform wurde auf dem Plenum des Zentralkomitees der KPdSU im
September 1965 nach einem Bericht von Ministerpräsident Alexej Kossygin
beschlossen. Mit der Reform veränderten sich die Mechanismen der Planumsetzung
erheblich: Die Zahl der Planziele, die den Betrieben vorgeschrieben wurde, wurde
von 38-40 auf neun reduziert – darunter befanden sich auch das Volumen des
Warenabsatzes des Betriebs, sein Gewinn und seine Rentabilitätsrate. (Adam 1989, S.
41). Bisher war der Produktionsoutput Hauptindikator der Betriebe gewesen, der nun
nur noch eine nachgeordnete Bedeutung hatte (Hanson 2003, S. 104).
Jedem Betrieb wurde eine Steuer auf seine investierten Produktionsmittel auferlegt,
um einen Anreiz zum sparenden Umgang mit Investitionsgütern zu schaffen. Diese
Steuer musste der Betrieb aus seinem Gewinn entrichten, ebenso wie die
Rückzahlung von Zinsen für Investitionskredite der Staatsbank. Zudem wurden drei
Fonds in jedem Betrieb geschaffen: Ein Bonusfonds, aus dem materielle Boni für die
Arbeiter und Betriebsleitung ausgezahlt wurden; ein Fonds, aus dem der Betrieb
soziale und kulturelle Dienstleistungen an seine Arbeiter bezahlte und schließlich ein
Entwicklungsfonds, aus dem produktive Investitionen finanziert wurden. Alle drei
Fonds waren ganz oder teilweise abhängig von den Indikatoren Warenabsatz (d.h.
Verkaufszahlen) und Gewinn oder Rentabilität (Adam 1989, S. 42f). Damit wurden ein erfolgreicher Absatz und die Realisierung eines Gewinns zu den zentralen
Maßstäben für den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs. Die neuen Indikatoren waren
aber selbst an die zentral vorgegebenen Pläne gebunden: Die Anreizfonds wurden aus
Profiten gespeist, die wiederum von Normen abhingen, die von den Ministerien
festgelegt wurden (Schroeder 1971, S. 40). Die Betriebe bekamen zudem das Recht,
überschüssige Produktionsmittel zu verkaufen, um damit zusätzliche Investitionen zu
finanzieren (Schroeder 1971, S. 44).
Indem die Betriebe die Finanzmittel für die Modernisierung ihrer Anlagen nun selbst
erwirtschaften mussten, wurde ein Teil der volkswirtschaftlichen Investitionen von
der zentralstaatlichen auf die betriebliche Ebene verlagert, also dezentralisiert.
Allerdings mussten diese Investitionen natürlich in die Produktionspläne der Betriebe
einbezogen werden. Diese Pläne konnten die Betriebe jedoch nur vorschlagen, sie
mussten dann von der übergeordneten staatlichen Behörde bestätigt werden. Auch
durch die Kreditvergabe der Staatsbank konnte das Investitionsvolumen staatlich
gesteuert werden (Adam 1989, S. 41f; 49). Sowieso konnten die Betriebe kaum selbst
entscheiden, was sie produzierten, weil der Produktmix durch den zentralen Plan
vorgeschrieben war und nur das Mengenverhältnis der Hauptgüter im Produktmix von
den Betrieben bestimmt werden konnte (Hanson 2003, S. 104).
Außerdem schuf die Reform die Möglichkeit horizontaler Austauschbeziehungen
zwischen Betrieben – das heißt, dass die Betriebe untereinander Verträge über Käufe
und Verkäufe schließen konnten, also direkt miteinander handelten. Allerdings waren
sie dabei an die vorgeschriebenen Planziele gebunden und die Handelspartner wurden
vom Plan festgelegt, sodass die Betriebsleitungen also nur in einem sehr begrenzten
Rahmen selbst Entscheidungen über solche Handelsbeziehungen treffen konnten
(Adam 1989, S. 44). Die Großhandelspreise wurden weiterhin vom zentralen Plan
festgelegt und wurden nun so angepasst, dass ein durchschnittlich arbeitender Betrieb
Gewinne machen konnte (Hanson 2003, S.103).
Soweit die Theorie. In der Praxis wurde die Reform nur unvollständig umgesetzt.
Ursprünglich war es so gedacht gewesen, dass mit der Umstellung der gesamten
Industrie auf das neue System der Entwicklungsfonds im Betrieb 5,5-6% des Stocks
der Anlageinvestitionen ausmachen sollte. In Wirklichkeit betrug dieser Anteil dann
aber nur 2-3%, da die Industrieministerien einen Teil der Fonds einbehielten, um
zentralisierte Investitionen zu tätigen und außerdem die Betriebe dazu verpflichtet
wurden, sich an Investitionen des zentralen Plans wie Straßenbau zu beteiligen. In der
Planperiode 1966-70, die auf die Reform folgte, überstieg der zentrale
Investitionsplan die vorhandenen Mittel. Da aber zentralisierte Investitionen
prinzipiell Vorrang hatten, blieb für die dezentralisierten Investitionen der Betriebe
kaum Spielraum. Auch der Bankkredit als Quelle der Investitionsfinanzierung blieb in seiner Bedeutung hinter den Erwartungen zurück und betrug z.B. 1968 nur 3,4% der
Modernisierungsinvestitionen (Adam 1989, S. 50). Die Bedeutung der horizontalen
Handelsbeziehungen zwischen den Betrieben war ebenfalls in der Praxis begrenzt. Da
die Betriebe weiterhin umfassende Pläne über Produktion und Materialzuweisungen
vorgeschrieben bekamen, wodurch ein Großteil des Outputs bereits fest in den
Verteilungsplänen eingeplant war, blieb den Betrieben nur wenig, mit dem sie
überhaupt zusätzlichen Handel hätten treiben können. „Und ein Betrieb, der
versuchte, die in seinem Produktionsentwicklungsfonds akkumulierten Rubel in neue
Ausrüstung oder eine Gebäudeerweiterung zu investieren, stieß auf ein Problem: Alle
(oder fast alle) Ausrüstung und Baumaterialien waren in den bestehenden
Allokationsplänen bereits zugewiesen; sie hatten bereits eine Adresse.“ (Hanson
2003, S. 106).
Ursprünglich war die volle Umsetzung der Reform für die Jahre 1966-68 geplant
gewesen. In Wirklichkeit verlief die Umsetzung langsamer und erst Ende 1970 war
die Reform weitgehend umgesetzt worden – in dem Sinne, dass 90% der Betriebe mit
92% des Outputs (wie unvollständig auch immer) auf das neue System umgestellt
worden waren (Schroeder 1971, S. 38).
Manche Teile der Reform wurden faktisch überhaupt nicht umgesetzt. Das galt z.B.
für die geplante Umstellung auch der Industrieministerien auf Selbstfinanzierung, was
nur in einem einzigen von Dutzenden Ministerien umgesetzt wurde (Schroeder 1971,
S. 39).
In einer Umfrage von 1970 unter Betriebsdirektoren sagten 56% der Befragten aus,
dass die Entscheidungsautonomie der Betriebe nicht bedeutend höher sei als vor der
Reform. Dieses Ergebnis ist sicherlich auch in dem Lichte zu sehen, dass viele
Direktoren sich eine höhere Autonomie vom Plan gewünscht hätten und deshalb
unzufrieden waren. Außerdem sahen immerhin 44% deutlich erhöhte
Entscheidungsspielräume für ihr Management. Trotzdem verweist auch dieses
Ergebnis auf die eher begrenzten Auswirkungen der Reform für das Planungssystem
(Schroeder 1971, S. 43).
Schließlich wurden Teile der Reform wieder rückgängig gemacht, weil die erhofften
wirtschaftlichen Erfolge ausblieben und im Gegenteil durch die Reform neue
Probleme entstanden waren (s.u.). So wurden 1971 den Betrieben wieder
verpflichtende Ziele für das Wachstum der Arbeitsproduktivität auferlegt und die
Boni der Direktoren daran gebunden. 1973 wurde dasselbe mit Planzielen für die
Verbesserung der Produktqualität nachgeholt. 1976 bekamen die Ministerien wieder
mehr Spielraum, die bonusbestimmenden Ziele für die Betriebe zu bestimmen. 1981
wurden die Betriebe durch ein kompliziertes Maßnahmenpaket auf stärkere
Sparsamkeit bei der Verwendung von Rohmaterialien verpflichtet (Schroeder 1990, S. 38). Damit wurden die Bedeutung des Gewinns als Indikator und der
Entscheidungsspielraum der einzelnen Betriebe schrittweise wieder eingeschränkt und
die Befugnisse der zentralen Planbehörden dementsprechend wieder ausgeweitet.
Schon in der Theorie sollte die Reform die Marktbeziehungen bei weitem nicht so
stark ausweiten, wie es die Wirtschaftsexperimente in der späten ChruschtschowPeriode
mit einigen Betrieben getan hatten. In der Praxis blieb das Gewicht des
zentralen Plans gegenüber den dezentralisierten betrieblichen Entscheidungen und
Ware-Geld-Beziehungen noch wesentlich höher.
Eine Einschätzung der Auswirkungen der Kossygin-Reform
Die Kossygin-Reform hatte das erklärte Ziel, Anreize für Effizienzsteigerungen zu
schaffen. Dieses Ziel verfehlte sie auf ganzer Linie. Zwar wurde für ein paar Jahre der
Trend zur Verlangsamung des Wachstums gebremst und in geringem Maße auch das
Wachstum der Produktivität gestärkt. Allerdings waren das teilweise auch einfach
statistische Effekte – durch hohe Abschreibungen und Abstoßung überschüssigen
Inventars stieg statistisch gesehen die Produktivität ohne Veränderungen im
Produktionsablauf – und hatte ansonsten andere Gründe: Besseres Wetter und daher
bessere Leistung der Landwirtschaft und eine erhöhte organisatorische Stabilität des
Planungssystems (Schroeder 1971, S. 44f). Anders als die ökonomisch und politisch
verheerenden Reformen der Chruschtschow-Zeit führte die Kossygin-Reform nämlich
immerhin nicht zu einem heillosen Verwaltungschaos, sondern trug durch die
Wiedereinführung zentralstaatlicher Industrieministerien und zentralisierte
Verwaltung von Betrieben durch Schaffung von Produktionsverbünden zu dessen
Behebung bei.
Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass der Effekt der Kossygin-Reform auf
das sowjetische Wirtschaftssystem politisch und ökonomisch negativ war, also das
sozialistische System unterminierte. Politisch, weil sich damit die revisionistische
Auffassung von der „sozialistischen Warenproduktion“ und dem Wertgesetz als
Regulator der Produktion im Sozialismus endgültig durchsetzte und in den folgenden
Jahrzehnten immer weiter an Einfluss gewann. Damit wurden die Gesetzmäßigkeiten
der sozialistischen Produktionsweise, die zentrale Planung der Produktion und
Verteilung der Güter entsprechend den wachsenden Bedürfnissen der Gesellschaft,
ignoriert bzw. theoretisch verwässert. Sowjetische Ökonomen wie Liberman,
Gatowski, Leontiew usw. gingen fälschlicherweise davon aus, dass Elemente wie
Gewinn und Warentausch widerspruchsfrei in das System einer sozialistischen
Planwirtschaft integrierbar seien, obwohl das Prinzip der Planwirtschaft gerade in die
gegenteilige Richtung weist: Ausrichtung der Produktion an einem gesellschaftlichen
Gesamtplan und nicht an den Gewinnerwartungen der Einzelbetriebe. Es ist wenig überraschend, dass solche Fehlkonzeptionen auch ökonomisch negative
Auswirkungen haben, da sie das sozialistische System untergraben. Der bürgerliche
Ökonom Wladimir Kontorowitsch hat diesen Zusammenhang bereits sehr
scharfsinnig analysiert, als die Sowjetunion noch existierte. Kontorowitsch schätzt
ein, dass der Effekt der Kossygin-Reform auf das Wachstum vermutlich negativ war.
Indem das Gewinnziel für die Betriebe stark aufgewertet wurde und die Zahl der
Produkte, für die der Ministerrat Outputziele festlegte, gesenkt wurde, ergaben sich
für die Betriebsdirektoren neue Möglichkeiten, ihr Planziel zu erreichen, indem man
den Produktmix hin zu teureren Produkten verschob und neue Produkte mit höheren
Preisen einführte. Solches Verhalten hatte jedoch mit den Bedürfnissen der
sowjetischen Gesellschaft und Wirtschaft nichts zu tun, weil es nur an den staatlich
festgelegten Preisen orientiert war.
Zweitens legte die Reform wenig Gewicht auf technischen Fortschritt, indem immer
weniger Boni für Innovationen ausgezahlt wurden. Damit sank die Rate der
Produktivitätssteigerungen durch Produktivität (Kontorovich 1988, S. 310).
Drittens, und das ist wahrscheinlich der entscheidende Punkt, gerieten mit der Reform
zwei gegensätzliche Prinzipien der Wirtschaftssteuerung, nämlich zentrale Planung
und Steuerung durch den Markt, in ständigen Konflikt miteinander. Die teilweise
Dezentralisierung der Investitionen lenkte Investitionen von zentral vorgesehenen
Verwendungen ab, die aber ein wichtiges Mittel der Planungsbehörden waren, um ein
wirtschaftliches Gleichgewicht sicherzustellen. Die Zuweisung einer geringeren
Anzahl physischer (also in Gebrauchswerten statt Preisen ausgedrückten) Outputziele
zog nach sich, dass Angebot und Nachfrage für die betreffenden Produkte, für die es
keine zentralen Vorgaben mehr gab, dann gar nicht mehr geplant ausgeglichen
werden konnten. Ständige Missverhältnisse zwischen Produktionszahlen und realem
Bedürfnis waren somit unvermeidlich. Die Einführung aggregierter Planziele in
Geldgrößen (Profite und Verkäufe) beschädigte daher die Konsistenz des Plans
(Kontorovich 1988, S. 312f). Kontorowitsch argumentiert daher, dass keineswegs die
unvollständige administrative Umsetzung der Reform dafür verantwortlich war, dass
sie die wirtschaftliche Leistung nicht verbesserte, sondern dass dadurch im Gegenteil
die Sowjetunion vor Schlimmerem bewahrt wurde. Denn die sowjetischen Planer
versuchten gerade deshalb die Umsetzung der Reform vielfach zu verzögern,
abzuschwächen oder ganz zu verhindern, weil sie darin zu Recht eine Gefährdung des
Planungsgleichgewichts sahen (Kontorovich 1988, S. 314).
Als Zwischenfazit sollte hier festgehalten werden, dass die Kossygin-Reform das
System der sowjetischen Planwirtschaft auf verschiedene Weise unterminierte, indem
sie einerseits anti-planwirtschaftlichen wirtschaftstheoretischen Auffassungen
Auftrieb gab und andrerseits die Konsistenz der Planwirtschaft unterminierte. Die getroffenen Maßnahmen trugen nicht zu einer Lösung der zweifellos vorhandenen
ökonomischen Probleme bei. In den folgenden Jahrzehnten suchte nur noch eine
Minderheit sowjetischer Ökonomen (oder Informatiker wie Viktor Gluschkow) und
kommunistischer Funktionäre nach Lösungen dieser Probleme auf Grundlage einer
Festigung der Planwirtschaft.
Zweitens muss aber auch festgehalten werden, dass die Reform die Grundpfeiler der
Planwirtschaft nicht berührte und dass ihr realer Effekt auf das Funktionieren der
sowjetischen Ökonomie durch ihre sehr unvollständige Umsetzung eingeschränkt
wurde. Eine genauere Untersuchung der sowjetischen Planwirtschaft im folgenden
Kapitel wird diese Feststellung bestätigen.
War die Sowjetunion ab einem bestimmten Zeitpunkt kapitalistisch?
Die Fragestellung
Bei der Kapitelüberschrift handelt es sich um die entscheidende Frage, die der Artikel
beantworten will. Es versteht sich von selbst, dass hier die letzten Jahre des Bestehens
der Sowjetunion ausgeklammert sind, denn dass die sowjetische Gesellschaft 1991
zum Kapitalismus übergegangen war, ist Konsens. Die Frage, um die es geht, ist
jedoch, wann dieser Übergang stattgefunden hat. Hat die Konterrevolution in der
UdSSR Ende der 80er gesiegt oder bereits früher? Es gibt im Wesentlichen zwei
Positionen, die von einem früheren Zeitpunkt der Konterrevolution ausgehen: Zum
einen die trotzkistische Strömung um Cliff, die politische Durchsetzung Stalins gegen
seine politischen Gegenspieler in der kommunistischen Partei in den 20er Jahren als
den entscheidenden Bruch sieht. Zum anderen verschiedene an Mao Tse-tung oder
Enver Hoxha orientierte Strömungen, für die der 20. Parteitag der KPdSU 1956 und
die politökonomischen Veränderungen in den Folgejahren, dabei besonders die
Reform von 1965, diesen Zeitpunkt der Rückkehr zum Kapitalismus markieren.
Marxistisch formuliert besteht die Frage darin, welche ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten in der Sowjetunion vorherrschend waren. Waren das die
kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten, die Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus oder die
einer ganz anderen Produktionsweise?Die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise (KPW) wurden von
Marx im „Kapital“ umfassend analysiert und im Anschluss daran die Analyse für das imperialistische Stadium des Kapitalismus von Lenin weitergeführt. Sie können hier
nicht umfassend entwickelt oder erklärt werden, sondern werden aus Platzgründen nur
kurz dargestellt.
Der Grundwiderspruch der KPW ist der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher
Produktion und privater Aneignung der Produkte. Das bedeutet, dass im Kapitalismus
die Produktion einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang bildet und nur noch
als solcher funktionieren kann, aber gleichzeitig das Privateigentum an
Produktionsmitteln sich zunehmend als Fessel einer rationalen Anwendung der
Produktionsmittel, also für die Entwicklung der Produktivkräfte erweist.
Die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise
Das ökonomische Grundgesetz der KPW ist das Mehrwertgesetz: Die Kapitalisten
eignen sich durch die Ausbeutung der Arbeitskraft den Mehrwert an und
akkumulieren ihn. Die Wirkung dieses Gesetzes wird durch die Konkurrenz zwischen
den Kapitalisten durchgesetzt. Durch die verallgemeinerte Durchsetzung der KPW,
d.h. durch das immer universellere Wirken des Mehrwertgesetzes wird auch dem
Wertgesetz historisch erstmalig zu allgemeiner Geltung verholfen. Denn das
Wertgesetz, die Regulierung der Austauschverhältnisse, also der Verteilung der
produzierten Werte letztlich nach Maßstab der gesellschaftlich notwendigen
Arbeitszeit, wirkte in vorkapitalistischen Produktionsweisen nur in gesellschaftlichen
Randbereichen. Erst mit der Entstehung des Kapitalismus reguliert es allgemein die
Produktion und den Austausch – und bringt selbst seine eigenen Modifikationen
hervor, sodass es letztlich nur noch über Vermittlungsschritte zum Ausdruck kommt.
Bereits Marx analysiert im dritten Band des „Kapital“, wie sich historisch durch die
Konkurrenz die Tendenz zum Ausgleich der Profitraten durchsetzt, was die
Preisrelationen dauerhaft verändert, wodurch nicht mehr die Warenwerte, sondern die
„Produktionspreise“ die Warenpreise bestimmen. Die Akkumulation des Kapitals ist
gleichbedeutend mit der ständigen Konzentration von immer größeren
Produktionsmitteln unter demselben Kommando. Ergänzt wird diese
Konzentrationstendenz durch die – ebenso zwingend gesetzmäßige – Tendenz zur
Zentralisation des Kapitals durch Zusammenschluss kleinerer Kapitale zu größeren
Einheiten. Konzentration und Zentralisation schlagen logisch und historisch an einem
bestimmten Punkt in das Monopolkapital um, das zu einem gewissen Grad die Preise
höher setzen und damit dauerhaft monopolistische Extraprofite durch einen
Werttransfer aus den nicht-monopolisierten Sektoren zugunsten der Monopole
realisieren kann. Damit kommt es zu einer erneuten Modifikation und
Weiterentwicklung der Gesetzmäßigkeiten
Im monopolistischen Stadium des Kapitals wird der Ausgleich der Profitraten dann
auf Dauer eingeschränkt und es bilden sich zur Realisierung monopolistischer Extraprofite Monopolpreise heraus. Das Monopol wird immer mehr zur Schranke der
weiteren Entwicklung der Produktivkräfte und ruft dadurch verschärfte Rivalitäten,
Krieg und Reaktion hervor.
Das „in jeder Beziehung (…) wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie“
(MEW 42, S. 641) ist für Marx schließlich das Gesetz vom tendenziellen Fall der
Profitrate: Der Anteil des in Maschinen, Rohstoffe usw., d.h. in „tote Arbeit“
investierten Kapitals nimmt im Kapitalismus gegenüber dem, das in „lebendige
Arbeit“, also Löhne für die Arbeiter investiert wird, ständig zu. Dadurch dass immer
mehr Kapitalmassen durch immer weniger Arbeitskraft in Bewegung gesetzt werden,
aber gleichzeitig nur die menschliche Arbeit wertschaffend ist, sinkt der Anteil des
Mehrwerts im Verhältnis zum investierten Kapital – die Profitrate fällt tendenziell mit
der Entwicklung des Kapitalismus.
Wirkten die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten in der Sowjetunion?
Wenn die Sowjetunion kapitalistisch war, müssten alle diese Gesetze in der
sowjetischen Ökonomie gewirkt haben. Mehr als das: Die grundlegende
Funktionsweise und Entwicklung der sowjetischen Ökonomie müsste von diesen
Gesetzen beherrscht und bestimmt gewesen sein. Die Untersuchung zeigt jedoch, dass
dies auf kein einziges dieser ökonomischen Gesetze zutrifft.
Der kapitalistische Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und
privater Aneignung wirkte in der Sowjetunion nicht. Im Sozialismus hat die
Produktion, wie schon im reifen Kapitalismus, gesellschaftlichen Charakter, d.h. sie
funktioniert nur als gesellschaftlicher Zusammenhang, als Summe ihrer Teile.
Allerdings ist im Gegensatz zum Kapitalismus auch die Aneignung gesellschaftlich,
da die Produkte dem Staat gehören, der sie wiederum den Bereichen Investition und
Konsum zuteilt. Genau das war der Fall in der Sowjetunion: Die Betriebe und ihre
Produkte gehörten dem Staat, ihre Verteilung war ebenso wie ihre Produktion einem
zentralen, gesamtgesellschaftlichen Plan untergeordnet.
Es gab zwar in der Sowjetunion auch Privateigentum und private Produktion, diese
waren jedoch in ihrem Umfang sehr beschränkt: Legale Privatproduktion gab es in
Form eines gesetzlich stark regulierten kleinen Landbesitzes, der zum großen Teil für
den eigenen Konsum bearbeitet wurde. Die Arbeit von Künstlern war ebenfalls
teilweise privat. Zudem gab es eine rechtliche Grauzone für verschiedene
Dienstleistungen, z.B. Reparaturarbeiten, die oft privat angeboten wurden. Schließlich
waren natürlich alle Formen der kriminellen Wirtschaftstätigkeit „privat“, also
beispielswiese Erpressung, Prostitution, Hehlerei, Schwarzbrennerei usw. Der
absolute Großteil der Produktion in Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen
war allerdings staatlich und direkt geplant (Hanson 2003, S. 13). Diese Formen der
kriminellen Ökonomie wuchsen in den 60ern, 70ern und 80ern massiv an. Sie wurden
zu einem immer größeren Problem für die Planwirtschaft, weil sie erstens zu einem
ständigen Ressourcenabzug aus der formellen, geplanten Wirtschaft führten (die
bedeutendste Form der Wirtschaftskriminalität war der Diebstahl und Verkauf von
Staatseigentum) und zweitens die Entstehung eines (illegalen) Kleinbürgertums
ermöglichten, das ein Interesse an der Wiedereinführung des Kapitalismus
entwickelte. Der Umfang dieser Aktivitäten ist naturgemäß schwer zu schätzen, aber
alle Schätzungen sind sich einig, dass sie schließlich enorme Ausmaße annahmen und
nach den 50ern immer stärker anwuchsen. Roger Keeran und Thomas Kenny messen
in ihrem herausragenden Buch diesen Entwicklungen eine entscheidende Rolle bei
der Schaffung der materiellen Voraussetzungen der Konterrevolution bei
(Keeran/Kenny 2010, S. 62ff).
Die Staatsbetriebe gehörten aber weder den Parteifunktionären noch den
Betriebsdirektoren, die von den Vertretern der SKT als „neue Bourgeoisie“
bezeichnet werden. Betriebsdirektoren verwalteten die Betriebe lediglich als deren
rechtliche Repräsentanten im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Bestimmungen
sowie der Planvorgaben und im Einklang mit den Institutionen der Arbeiterkontrolle.
Die Betriebe waren nicht ihr Eigentum, sie konnten über das Betriebsvermögen nicht
frei verfügen. Sie konnten die Betriebe nicht verkaufen, nicht an einen anderen
Produktionsstandort, in eine andere Branche oder gar in ein anderes Land verlagern
und schon gar nicht an ihre Nachkommen vererben. Wenn Bland also behauptet, das
Betriebseigentum sei durch die Reform von 1965 an die Direktoren übergegangen, so
ist dies vollkommen falsch.
Die Direktoren selbst wurden vom Staat ein- und wieder abgesetzt und hatten die
Funktion leitender Angestellter (Statut über den Sozialistischen Staatlichen
Produktionsbetrieb 1966, künftig: Statut 1966, S. 23). Von Managern im
Kapitalismus, die die Rolle von „fungierenden Kapitalisten“ spielen, unterschieden
sie sich dadurch, dass sie nicht von den Aktionären eingesetzt wurden und deren
Rendite vermehren mussten, sondern dem Staat und der Partei für die Planerfüllung
rechenschaftspflichtig waren.
Die Aktivitäten des Betriebs waren im Wesentlichen durch den zentralen Plan
vorgeschrieben, wobei die Spielräume für die Direktoren nach 1965 lediglich etwas
größer waren. Im Artikel 29 des „Statuts über den Sozialistischen Staatlichen
Produktionsbetrieb“ von 1966, das nach der Kossygin-Reform die Pflichten der
Betriebe regelte, wurde festgehalten: „Verfehlt ein Betrieb die Erfüllung seiner
Ablieferungspläne und Aufgaben, ist dies eine grobe Verletzung er staatlichen
Disziplin, wofür die verantwortlichen Funktionäre entsprechend den festgelegten
Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden“ (Statut 1966, S. 16). Zur Erarbeitung der Pläne hieß es in den Artikeln 43 und 44: „Der Betrieb wird ausgehend von seinen
Zielzahlen – mit breiter Partizipation seiner Arbeiter und Angestellten und im
Einklang mit den Bedürfnissen der Volkswirtschaft seine Beziehungen zu Kunden,
Verkaufs- und Handelsorganisationen sowie zu den Bedingungen für die weitere
Entwicklung dieser Beziehungen – langfristige und jährliche Planentwürfe erarbeiten,
die alle seine Operationen abdecken und in Einklang mit den festgelegten Indizes
stehen. Die übergeordnete Behörde wird gemeinsam mit dem Betrieb die langfristigen
und jährlichen Planziele für die festgelegten Indizes bestätigen.“ (Statut 1966, S. 17).
Vereinfacht ausgedrückt bedeutete dies: Der Betrieb bekam von der Planungsbehörde
Zielzahlen zugewiesen. Er erarbeitete dann Pläne mit verschiedener Zeitdauer für die
Erfüllung der Vorgaben. Diese Pläne wurden von der staatlichen Planungsbehörde
bestätigt (oder eben nicht) und waren ab dann verpflichtend für den Betrieb. Rechtlich
verantwortlich und damit auch rechenschaftspflichtig war der Betriebsdirektor.
Auch nach 1965 blieb eine Reihe von Planindikatoren also streng verpflichtend für
die Betriebe, darunter das Volumen des verkauften Outputs, das Volumen der
zentralisierten Investitionen, Ziele für die Entwicklung neuer Technologie, die
Zuweisung materieller Inputs der Produktion, Lohnfonds (d.h. die Summe der
auszahlbaren Löhne) und der Betriebsgewinn. Nur auf der Grundlage der strikten
Einhaltung dieser Vorgaben konnten die Betriebe für andere Ziele unabhängige Pläne
erstellen (Bor 1967, S. 33). Dass mit der Reform das Volumen der Verkäufe statt des
Produktionsvolumens zum zentralen Indikator wurde, bedeutete keine wesentlich
erhöhte Entscheidungsautonomie für die Betriebe, weil fast die gesamte Produktion
bereits zu festen Preisen einem Ziel zugewiesen wurde und der Betrieb daher nur
selten zwischen mehreren Kunden wählen konnte (Hanson 2003, S. 106).
Grundsätzlich wurden verschiedene Pläne nach Wirtschaftssektor (Industrie,
Bauwesen, Technologieentwicklung usw.), Aggregationsgrad (Betrieb, Kolchose,
Verbund, Ministerium, Abteilung usw.) und Dauer („operativ“, d.h. ein Tag bis
mehrere Monate; „laufend“ für ein bis zwei Jahre, „langfristig“ für 5-7 Jahre,
„allgemein“ für 15-20 Jahre) aufgestellt. Alle diese Plantypen hingen natürlich
miteinander zusammen, durften nicht in Widerspruch zueinander geraten und bildeten
somit ein einziges Plansystem (Bor 1967, S. 38). Grundsätzlich war die Planung in
der Produktion von Investitionsgütern strikt durchgeplant und verbindlich im Detail
vorgegeben. In der Konsumgüterindustrie hingegen hatten die Betriebe eine höhere
Entscheidungsautonomie bezüglich des Sortiments der Produktion, ohne dass
übergeordnete Organe jeden Schritt absegnen mussten. Sie bekamen lediglich stärker
aggregierte (also allgemeinere) Zielzahlen vorgeschrieben, die im Detail von den
Betrieben selbst im Detail aufgeschlüsselt werden konnten. Verbindlich dem
Zentralplan untergeordnet waren selbstverständlich auch die Betriebe der
Konsumgüterindustrie (Bor 1967, S. 47). Blands Behauptung, ein zentraler Plan sei in der Sowjetunion nicht mehr möglich
gewesen, ist somit absolut falsch und ergibt sich auch nicht aus den Aussagen
sowjetischer Autoren, die er dafür zitiert. In Wirklichkeit bringen diese Autoren nur
zum Ausdruck, dass die ausgeweiteten Entscheidungsbefugnisse der einzelnen
Betriebe die Aufstellung eines zentralen Plans erschwerten und zwangsläufig zu
Inkonsistenzen führten. Die allseits bekannte Tatsache, dass in der Sowjetunion der
zentrale Plan trotzdem weiterhin die Produktion regulierte und verbindliche Vorgaben
für die Betriebe aufstellte, stellen sie selbstverständlich nicht infrage.
Zum Begriff des „Staatskapitalismus“
Nun sind diese Tatsachen weithin bekannt, weshalb einige Vertreter der SKT
Zuflucht nehmen zur begrifflichen Konstruktion eines „Staatskapitalismus“. Dieser
sei irgendwie kein normaler Kapitalismus gewesen, da es ja offensichtlich kein
privates Kapital gab. Bei Dickhut ist deshalb die Rede davon, dass der Staat als
„Gesamtkapitalist“ fungiert hätte. Der Staat eignete sich demnach also den
„Mehrwert“ an und verteilte ihn an die „neue Bourgeoisie“ aus Direktoren und
Funktionären. Kann es einen solchen „Kapitalismus“ geben?
Marx jedenfalls hat diese Frage eindeutig beantwortet: „Begrifflich ist
die Konkurrenz nichts als die innre Natur des Kapitals, seine wesentliche
Bestimmung, erscheinend und realisiert als Wechselwirkung der vielen Kapitalien
aufeinander, die innre Tendenz als äußerliche Notwendigkeit. Kapital existiert und
kann nur existieren als viele Kapitalien (…)“ (MEW 42, S. 327, Markierungen i.O.).
Marx betont hier richtigerweise: Einen Kapitalismus ohne private Kapitalisten kann
es nicht geben. Die Konkurrenz der Kapitale ist kein Randaspekt der KPW, auf die
der Kapitalismus im Sonderfall auch verzichten könnte. Nur über die Konkurrenz der
„vielen Kapitalien“ kann sich das Wertgesetz überhaupt durchsetzen. Denn der Wert
ist nicht einfach nur ein Maßstab zum Vergleich unterschiedlicher Produkte
miteinander, er ist das zugrundeliegende Gesetz, das den Austausch zwischen
privaten, d.h. voneinander isolierten und miteinander konkurrierenden Produzenten
auf dem Markt bestimmt. Erst in der Wechselwirkung zwischen den miteinander
konkurrierenden Kapitalen kann sich die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als
Maßstab des Austausches durchsetzen. Dieser Vorgang, so betont Marx, geschieht
nicht bewusst, sondern als blindwirkendes Gesetz: „Die verschiednen Proportionen,
worin verschiedne Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Maßeinheit reduziert
sind, werden durch einen gesellschaftlichen Prozeß hinter dem Rücken der
Produzenten festgesetzt“ (MEW 23, S. 60). Die KPW ist somit aufgrund ihrer
fundamentalen Gesetzmäßigkeiten notwendigerweise
eine anarchische Produktionsweise ohne bewusst planendes Zentrum. Eine zentrale
Planung des gesamtwirtschaftlichen Chaos ist nur sehr begrenzt möglich und zwar in dem Sinne, dass die Bedingungen der Konkurrenz bestimmten Rahmenbedingungen
unterworfen werden. Eine Abschaffung der Konkurrenz bedeutet hingegen
zwangsläufig die Abschaffung des Kapitalismus. Der Staat kann nur als
Gesamtkapitalist fungieren, wenn es auch Einzelkapitalisten gibt, deren
konkurrierende Einzelinteressen im Staat zu einem Gesamtinteresse zusammengefasst
werden. Dies bedeutet eindeutig, dass es einen „Staatskapitalismus“ in diesem Sinne,
also ohne privates Kapital, nicht geben kann. Die Auffassung, dass es mithilfe des
Staates möglich wäre, den anarchischen Charakter der KPW (und damit auch seine
Krisenentwicklung) zu überwinden, ohne den Kapitalismus selbst zu überwinden,
entspricht der revisionistischen Idee des „organisierten Kapitalismus“, wie sie Rudolf
Hilferding vertrat. So erklärte Hilferding vor dem Parteitag der SPD 1927:
„Organisierter Kapitalismus bedeutet in Wirklichkeit den prinzipiellen Ersatz des
kapitalistischen Prinzips der freien Konkurrenz durch das sozialistische Prinzip
planmäßiger Produktion“ (zitiert nach Zilkenat 2017). Bekanntlich bildete diese
Auffassung die theoretische Grundlage für die Verabschiedung der Sozialdemokratie
vom Kampf um die Revolution.
Wert und Mehrwert
Das Wertgesetz spielte in der sowjetischen Ökonomie nur eine untergeordnete Rolle:
in der informellen Schattenwirtschaft, also gerade da, wo die Staatsmacht die
Kontrolle verloren hatte; und ansonsten in der geplanten formellen Ökonomie nur
insoweit, wie die Produzenten über den Austausch ihrer Produkte selbst entscheiden
konnten. Das war jedoch nur sehr eingeschränkt der Fall, da Volumen, Gegenstand
und Preise des Austauschs staatlich festgelegt waren: Die Betriebe konnten nach der
Kossygin-Reform zwar die Entscheidung selbst treffen, welche materiellen Inputs sie
in welcher Menge kaufen wollten, allerdings waren die Preise weiterhin zentral
festgelegt. Der Entscheidungsspielraum der Direktoren war auch dadurch
eingeschränkt, dass das Volumen der Verkäufe (bis 1965 war es das Volumen der
Produktion gewesen), die physischen Mengen der Hauptgüter im Produktmix, die
Summe zentralisierter Investitionsfonds, die der Betrieb bekam und viele weitere
Elemente weiterhin zentral vorgegeben wurden (Hanson 2003, S. 103). Somit konnten
die Betriebe nur selbst entscheiden, wie genau sie die Planvorgaben erfüllten,
nicht ob sie sie erfüllen mussten.
Das Wertgesetz drückt sich darin aus, dass der Wert, also die gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit einer Ware ihren Preis bestimmt. In der Sowjetunion waren
die Preise, wie bereits erwähnt, Teil des zentralen Plans. Das staatliche Plankomitee Gosplan und das Staatskomitee für Preise gaben allgemeine verpflichtende Regeln für
die Berechnung von Kosten und Preisen heraus. Außerdem bestätigten sie die
Großhandels- und Einzelhandelspreise der wichtigsten Waren und Dienstleistungen.
Viele Großhandelspreise (für den Handel zwischen Betrieben) wurden aber auch
dezentral von den Ministerräten der Unionsrepubliken oder regionalen Komitees der
Sowjets festgesetzt. In bestimmten Fällen wurden die Großhandelspreise nach den
vorgegebenen Regeln von den Betrieben selbst bestimmt (Bor 1967, S. 171f). Damit
wurde eine zentralisierte Preisfestsetzung mit einer gewissen Autonomie der
Republiken und Betriebe kombiniert. Durch die Vorgaben waren jedoch große
Abweichungen bei der Preissetzung, die das Plangleichgewicht empfindlich gestört
hätten, kaum möglich. Die wichtigsten Entscheidungen und Rahmensetzungen lagen
beim Gosplan. Das Wertgesetz konnte unter diesen Umständen keine vorherrschende,
sondern nur eine eindeutig untergeordnete Rolle spielen.
Weil die Preise nicht über den Markt, also nicht durch das Wertgesetz gebildet
wurden, sondern zentral festgelegt waren, blieb das Preisniveau über lange Zeit
gleich. Inflation ist eine Gesetzmäßigkeit des Monopolkapitalismus, weil das
Monopolkapital ständige Preiserhöhungen durchsetzen kann. In der Sowjetunion
stiegen die Preise nicht. Die Einzelhandelspreise für sämtliche Konsumgüter lagen
1975 nur um 1% höher als 1955 (Szymanski 1979, S. 43). Das entspricht einer
jährlichen Inflationsrate von knapp über 0%. In einer kapitalistischen Ökonomie wäre
eine so niedrige Inflation, vor allem über einen Zeitraum von 20 Jahren, ein großes
ökonomisches Problem, weil ein solches Niveau gefährlich nah an der Deflation ist.
In der Sowjetunion gab es dieses Problem offensichtlich nicht, da die Preise über
lange Zeiträume nicht angepasst wurden.
Wurde in der Sowjetunion im marxistischen Sinne ein Mehrwert produziert und
verteilt? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich eigentlich bereits aus dem letzten
Abschnitt. Mehrwert setzt die Existenz von Wert voraus, denn Mehrwert ist nichts
anderes als die Differenz zwischen dem Wert der produzierten Waren und dem
vorgeschossenen Kapital, also den Ausgaben für Maschinen, Rohstoffe, Löhne usw.
Der Mehrwert ist das Ziel der Produktion im Kapitalismus, weil kapitalistische
Unternehmen durch die Konkurrenz ständig zum Akkumulieren, also zur ständigen
Ausweitung und Verbesserung ihrer Produktion gezwungen sind. In einer zentral
geplanten Ökonomie ohne Privateigentum an Produktionsmitteln existiert für die
Produktion von Mehrwert keine Grundlage. Denn die Betriebe müssen dann zwar
immer noch einen Überschuss produzieren, allerdings ist die Höhe dieses
Überschusses geplant und bildet sich nicht über das Wertgesetz, also über die
Konkurrenz heraus. Die Produktion eines Überschusses, also marxistisch gesprochen
eines Mehrprodukts, ist in jeder Gesellschaft notwendig, in der „Produktion auf erweiterter Stufenleiter“ (Marx), also eine Weiterentwicklung der Gesellschaft
stattfinden soll.
Dieses Mehrprodukt nimmt nur unter ganz bestimmten Bedingungen die Form von
Mehrwert an. Nämlich dann, wenn es erstens die Form von Wert hat, also das
Mehrprodukt für den Verkauf auf dem Markt produziert wurde, und wenn zweitens
Produktion und Aneignung getrennt sind. Von Mehrwert kann also nur dann
gesprochen werden, wenn es eine Bourgeoisie gibt, die das Mehrprodukt durch
fremde Arbeit produzieren lässt, um es sich dann selbst anzueignen. In der
Sowjetunion war keine der beiden Bedingungen erfüllt. Der „Profit“ in der
Sowjetunion war hauptsächlich eine Rechnungsgröße der Planung und nicht, wie im
Kapitalismus, Ausdruck der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere. Um Profit
im Marxschen Sinne, als Geldausdruck des Mehrwerts, handelte es sich nicht. Solche
„Profite“ gab es in der sowjetischen Planwirtschaft in den Betrieben von Anfang an.
Sie wurden nicht erst 1965 eingeführt, auch wenn sie erst damit zu einem der
zentralen Planindikatoren wurden. In der Sowjetunion war der „Profit“ definiert als
Differenz zwischen dem Preis des Produkts und den für den Betrieb anfallenden
Produktionskosten (Bor 1967, S. 182). Allerdings waren sowohl die Preise der
Produkte, als auch das Volumen der verkauften Produkte, als auch die
Produktionskosten Teil der Planvorgaben. Wurden diese Vorgaben erfüllt, ergab sich
der „Profit“ rechnerisch von selbst.
Da es in der Sowjetunion keinen Mehrwert gab, konnte es auch kein „Kapital“ im
marxistischen Sinne geben. Natürlich tätigten die Betriebe weiterhin Investitionen
und erweiterten den Umfang ihrer Produktion. Das tun allerdings auch sozialistische
Betriebe zwangsläufig. Aber es gab keinen Drang zur immer weiteren Akkumulation
von Profit als Selbstzweck.
Zur Rolle des „Profits“ in der Sowjetunion – Gab es eine „neue Bourgeoisie“?
Bei den Vertretern der SKT ist große ideologische Verwirrung dadurch entstanden,
dass durch die Kossygin-Reform der „Profit“ wieder eine zentrale Zielgröße der
betrieblichen Planerfüllung wurde. Wie jedoch gezeigt wurde, war das, was hier
„Profit“ oder „Gewinn“ genannt wurde, kein Profit im kapitalistischen Sinne, wie ihn
Marx im „Kapital“ analysiert hatte. Die Höhe des „Profits“ wurde in der
Planwirtschaft ebenfalls zentral geplant, also den Betrieben vorgegeben. Und
selbstverständlich wurde der „Profit“ auch nicht privat angeeignet und akkumuliert.
Er wurde zu einem großen Teil an den Staatshaushalt abgeführt. Der Teil, der im
Betrieb verblieb, wurde für Bonuszahlungen an Arbeiter und Direktoren, soziale und
kulturelle Leistungen für die Arbeiter, sowie einen Teil der Investitionen verwendet.
Der Großteil der Investitionen wurde aber weiterhin vom zentralen Plan getätigt. Nur
20% der produktiven Investitionen sollten dezentralisiert, also von den Betrieben selbst getätigt werden, allerdings war es in der Praxis aus verschiedenen Gründen
noch weniger. Die restlichen 80% der Investitionen wurden unmittelbar von den
Planbehörden getätigt (Schroeder 1971, S. 44). Bland versucht anhand dieser Frage
das Gegenteil zu beweisen, indem er darauf verweist, dass auch die zentralisierten
Investitionen teilweise aus den eigenen Fonds der Betriebe finanziert wurden (Bland
1995, Kapitel 28). Dabei unterschlägt er aber den viel entscheidenderen Punkt,
nämlich dass dies umgekehrt bedeutet, dass 80% der Investitionen, und eben auch der
Investitionen die aus akkumulierten Mitteln der Betriebe finanziert wurden,
unmittelbar zentral geplant waren und nur 20% einer gewissen
Entscheidungsautonomie der Betriebe unterlagen – allerdings auch diese im Rahmen
umfassender und detaillierter bindender Planvorgaben.
Der „Profit“ der Betriebe diente also im Wesentlichen der Finanzierung des
Staatshaushalts und der zentral geplanten Investitionstätigkeit, statt von
Privatpersonen angeeignet zu werden.
Jewsej Liberman, der geistige Vater der Kossygin-Reform, begründete die neue
Bedeutung die dem „Profit“ beigemessen wurde folgendermaßen: „Warum wähle ich
den Profit als Indikator? Weil der Profit alle Aspekte der Operation (des Betriebs)
verallgemeinert, inklusive der Qualität des Outputs. Die Preise besserer Artikel
müssen entsprechend höher sein als die von veralteten Artikeln, die ihrem Ziel nicht
voll entsprechen.“ (Liberman 1965, S. 38f). Liberman hat recht damit, dass der
„Profit“ unter dem neuen Planungssystem das Ziel erfüllen sollte, Qualitäts- und
Produktivitätssteigerungen besser in die Planung der Produktion einfließen zu lassen.
Er hat ebenfalls recht damit, dass diese neue Rolle des „Profits“ nicht die
Wiedereinführung des Kapitalismus bedeutete. Dass die Reform trotzdem in die
falsche Richtung ging, steht auf einem anderen Blatt (s. Kapitel 3).
Die Agenturen der zentralen Planung verteilten den produzierten Überschuss eben
nicht nach Profitkriterien auf die verschiedenen Branchen und Betriebe, wie es im
Kapitalismus zwangsläufig passieren würde, sondern nach dem Kriterium des
gesellschaftlichen Nutzens. So wurden beispielsweise seit den 50ern immer mehr
Ressourcen in die Landwirtschaft investiert, um angesichts deren chronischer
Effizienzprobleme die Ernährung der Gesellschaft sicherzustellen (Hanson 2003, S.
113).
Zwar hatten die Betriebe durch die Kossygin-Reform das Recht bekommen,
überschüssige Maschinen, Ausrüstung und sonstiges Material zu verkaufen und einen
Teil des Erlöses in den Fonds für produktive Investitionen zu leiten. Ziel dieser
Maßnahme war es, nicht ausgelastete Produktionskapazitäten abzubauen und in
produktive Investitionen umzuwandeln. Dieses Recht bezog sich jedoch nicht auf die
Produktionsmittel des Betriebs im Allgemeinen und war laut Betriebsstatut nur dann möglich, wenn die übergeordneten Behörden nicht bereits selbst eine Neuzuweisung
der überschüssigen Materialien vornahmen (Statut 1966). Der Umfang solcher
Verkäufe nahm nie mehr als 1% des gesamten Transfers von Investitionsgütern in der
sowjetischen Ökonomie an (Szymanski 1979, S. 44). Das bedeutet, dass mehr als
99% der Produktionsmittel weiterhin vom Staat zentral zugewiesen wurden. Zwar
mussten die Betriebe nun auch für diese Mittel bezahlen, allerdings wurden die Preise
nicht auf dem Markt gebildet und Umfang sowie Kosten der Investitionen waren
ebenfalls weitgehend durch die Planvorgaben vorgeschrieben. Der „Kauf“ von
Produktionsmitteln durch die Betriebe war damit im Wesentlichen ein
Verwaltungsakt im Rahmen der zentralen Planung. Unter diesen Bedingungen davon
zu sprechen, dass die Produktionsmittel zur Ware geworden seien, wie es Bland tut,
ist kaum ernst zu nehmen.
Auch das Argument, dass über die Boni die Direktoren sich den „Mehrwert“
angeeignet hätten (Bland 1995, Kapitel 18, Dickhut 1988, S. 123), muss
zurückgewiesen werden. Die Direktoren waren, wie gezeigt wurde, Angestellte im
staatlichen Wirtschaftsapparat und wurden vom Staat für ihre Arbeit bezahlt.
Grundsätzlich traf dasselbe für die manuellen Arbeiter des Betriebs zu. Die Gehälter
der Direktoren waren im Durchschnitt höher als die der Industriearbeiter, allerdings
nicht wesentlich. Ein führender Betriebsdirektor verdiente Mitte der 60er, Boni nicht
eingerechnet, 190-400 Rubel im Monat. Das lag 1,2 bis 2,7mal über dem
Durchschnittsgehalt eines Arbeiters. Allerdings gab es auch unter manuellen
Arbeitern Gehaltsunterschiede. So verdiente ein Bergarbeiter 210 Rubel, also mehr
als die geschäftsführenden Direktoren vieler Betriebe. Die Tendenz der
Einkommensverteilung war zudem die einer stetigen Angleichung: 1956 verdienten
die oberen 10% der Beschäftigten noch 4,4mal so viel wie die unteren 10%, 1964 war
der Faktor nur noch 3,6, 1970 3,2 (Szymanski 1979, S. 63f). Die Boni der Direktoren
sind hier nicht eingerechnet, machten aber nur ca. 25-30% ihres Einkommens aus,
ändern also nicht grundsätzlich die Größenordnung. Zudem bekamen auch Arbeiter
Boni für gute Leistungen, die einen wichtigen Teil ihres Einkommens ausmachten.
Daher ist nicht davon auszugehen, dass sich durch Boni das Bild grundsätzlich
verändert (Szymanski 1979, S. 69). Wenn die Direktoren eine „neue Bourgeoisie“
gewesen wären, wäre es doch sehr merkwürdig, dass sie nicht sehr viel mehr als ihre
Arbeiter verdienten und ihre eigenen Einkommen ständig an die der Arbeiter
anglichen, statt ihre Macht zur Selbstbereicherung zu nutzen.
Waren dann die Partei- und Staatsfunktionäre die „neue Bourgeoisie“, die sich den
Mehrwert aneignete? Auch das lässt sich kaum ernsthaft behaupten. Ein Minister der
UdSSR verdiente durchschnittlich viermal so viel wie ein normaler Arbeiter
(Szymanski 1979, S. 66). Solche Unterschiede waren nicht irrelevant und führten
natürlich zu Unterschieden im Lebensstandard. Sie entsprechen in der heutigen BRD etwa der Größenordnung des Einkommensunterschieds zwischen einem schlecht
bezahlten Arbeiter im sozialen Bereich und einem angestellten Oberarzt im
Krankenhaus. Kein Marxist würde diese Unterschiede für klein oder irrelevant
erklären, aber ebenso würde kein Marxist staatlich angestellte Ärzte als die „neue
Bourgeoisie“ bezeichnen, die sich den Mehrwert aneignet. Die höchsten Gehälter, die
allerdings nur an sehr wenige Personen ausgezahlt wurden, erhielten in der
Sowjetunion weder Funktionäre noch Direktoren, sondern berühmte Künstler und
Wissenschaftler mit bis zu 1500 Rubeln (Szymanski 1979, S. 64).
Ohnehin sind aber die Einkommensunterschiede in der Sowjetunion nur begrenzt
aussagekräftig. Sie erscheinen in der Statistik tendenziell höher als sie sind, weil
zahlreiche grundlegende Konsumgüter, z.B. Nahrungsmittel und Wohnung stark vom
Staat subventioniert wurden und außerdem viele Dienstleistungen, wie Bildung,
Gesundheit, Kultur, Sport, Kinderbetreuung usw. entweder ganz kostenlos oder sehr
billig zur Verfügung gestellt wurden. Dieser „Soziallohn“ machte 1940 23% des
Einkommens der Arbeiter aus, in den 60ern dagegen schon 35% (Szymanski 1979, S.
67f). Damit wurden die Einkommensunterschiede weiter eingeebnet, weil auf diese
Güter des täglichen Bedarfs jeder den gleichen Zugriff hatte.
Manchmal wird das gegenteilige Argument vorgebracht: Die sozialen Unterschiede in
der Sowjetunion seien in Wirklichkeit größer gewesen als die
Einkommensunterschiede suggerieren, weil Funktionäre einen privilegierten Zugang
zu „Luxus“-Konsumgütern wie Autos gehabt hätten. Statistisch gibt es für einen
solchen Effekt allerdings keinerlei Anzeichen. So besaßen Betriebsdirektoren 2,5mal
so oft Autos wie Arbeiter in der Industrie, was in etwa dem Lohnunterschied
entspricht (Szymanski 1979, S. 68).
Soziale Ungleichheit ist wohl kaum ein besonderes Merkmal des Kapitalismus – sie
hat in allen entwickelten und auch in primitiven Gesellschaften existiert.
Entscheidend ist aus Sicht des Marxismus die Form, über die Ungleichheit vermittelt
wird, d.h. die Art und Weise der Aneignung des Mehrprodukts. Ist die ungleiche
Verteilung Ausdruck ausbeuterischer Eigentumsverhältnisse oder ist sie eine
begrenzte und vorübergehende Erscheinung in einer noch unfertigen sozialistischen
Gesellschaft? In Gesellschaften, die auf Ausbeutung beruhen, wird die Ungleichheit
eben durch die Ausbeutung, und weil die Ausbeuterklasse auch den Staat kontrolliert,
ständig neu hervorgebracht. In der Sowjetunion geschah das über den Plan und die
Unterschiede wurden schrittweise verringert. Wer ungleiche Einkommen bereits als
Beweis für die Existenz einer Ausbeuterklasse akzeptiert, hat sich nicht nur vom
Marxismus verabschiedet, indem er die Einkommenshöhe statt des Verhältnisses zu
den Produktionsmitteln für das entscheidende Kriterium erklärt, sondern er müsste
auch zu dem Schluss kommen, dass in der Stalin-Periode die „neue Bourgeoisie“ viel ausgeprägter war als später unter Breschnew, als die soziale Ungleichheit deutlich
geringer war.
War die Arbeitskraft in der Sowjetunion eine Ware?
Zentrales Kennzeichen der KPW ist, dass die Arbeitskraft in ihr zur Ware wird.
Hierin unterscheidet sich der Kapitalismus von anderen ausbeuterischen
Produktionsweisen. Im Kapitalismus sind Arbeiter, weil sie kein Eigentum an
Produktionsmitteln haben, zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen. Es entsteht ein
Arbeitsmarkt, auf dem sich Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft gegenübertreten.
Dieser Arbeitsmarkt ist durch die Gesetze der Konkurrenz und durch das
Kräfteverhältnis zwischen den Klassen bestimmt, weshalb die Zahlung der Löhne
keinem zentralen Plan folgen kann. In kapitalistischen Ökonomien gibt es strukturelle
Arbeitslosigkeit, oder, wie Marx es ausdrückte, eine „industrielle Reservearmee“.
Diese Reservearmee produziert der Kapitalismus, weil das Kapital ständig nach
profitablen Anlagemöglichkeiten sucht, aber nicht genügend solche Möglichkeiten
findet, um alle arbeitssuchenden Proletarier einzustellen. Vollbeschäftigung kann es
immer nur in historischen Ausnahmesituationen geben, wenn aufgrund eines sehr
günstigen Zusammentreffens von verschiedenen Faktoren eine außergewöhnlich
starke Kapitalakkumulation möglich wird. Auch dann wird in dieser Phase des
Wachstums zwangsläufig die nächste Krise vorbereitet, die damit einhergeht, Arbeiter
auf die Straße zu setzen.
Die Reservearmee ist zudem notwendig für das Kapital, um die Löhne der gesamten
Arbeiterklasse durch die Konkurrenz der Arbeitslosen nach unten zu drücken.
In der Sowjetunion gab es keine industrielle Reservearmee. Unfreiwillige
Arbeitslosigkeit von arbeitsfähigen Menschen war in der Sowjetunion praktisch
inexistent. Sie betrug etwa 0,5% der erwerbstätigen Bevölkerung, was in bürgerlichen
ökonomischen Begriffen als Vollbeschäftigung gilt. Sie war zudem ausschließlich
kurzfristiger Natur: Ein Arbeiter, der aus welchem Grund auch immer seinen
Arbeitsplatz wechseln musste, konnte für einen sehr kurzen Zeitraum als arbeitslos
gelten, bis er seine neue Anstellung gefunden hatte. Es handelte sich um die Art von
Arbeitslosigkeit, die auch im Sozialismus unvermeidbar ist und auch kein
gesellschaftliches Problem darstellt. Längerfristige Arbeitslosigkeit in größerem
Maßstab existierte in der UdSSR nicht, weil das Ziel der Produktion eben nicht der
Profit, sondern die Befriedigung von gesellschaftlichen Bedürfnissen war. Deshalb
gab es keinen dauerhaften Überschuss an Arbeitskräften, sondern im Gegenteil eine
dauerhafte Knappheit. Steigerungen der Arbeitsproduktivität führten nicht wie im
Kapitalismus zur Entlassung von Arbeitern ins Elend, sondern dienten dem stetig
steigenden Lebensstandard, der Arbeitszeitverkürzung, der besseren
Landesverteidigung usw. Freiwillige Arbeitslosigkeit galt als sozialer Parasitismus und war illegal (Hanson 2003, S. 172, 241). Das Recht auf einen Arbeitsplatz war für
jeden Bürger der Sowjetunion in der Verfassung verankert und auch real umgesetzt.
Doch nicht nur das Recht auf irgendeinen Arbeitsplatz war gegeben, auch das Recht
auf Beibehaltung des gegebenen Arbeitsplatzes war weitgehend gesichert und nur
wenigen Einschränkungen unterworfen. Die Kündigung eines Arbeitsplatzes, was
dann aber nicht Arbeitslosigkeit bedeutete, sondern den Transfer an einen anderen
Arbeitsplatz, war nur unter bestimmten Bedingungen möglich: Z.B. wenn der Betrieb
liquidiert wird und die Arbeiter daher an einen anderen Arbeitsplatz transferiert
wurden, wenn ein Arbeiter systematisch seine Pflichten nicht erfüllt oder in
exzessivem Maße die Arbeit schwänzte. Doch selbst dann konnte nicht, wie im
Kapitalismus, der Betriebsdirektor die Entlassung einfach aussprechen, sondern
musste dafür die Zustimmung des lokalen und des Betriebskomitees der
Gewerkschaft einholen. Und selbst dann konnte der Arbeiter das Arbeitsgericht
anrufen, um seinen Arbeitsplatz zurückzufordern. Die Arbeitsgerichte waren nicht
wie in kapitalistischen Ländern Instrumente zur Durchsetzung der Klassenherrschaft
über die Arbeiter. Deshalb bekamen in etwa 50% der Prozesse die Arbeiter Recht und
erhielten in diesem Fall ihre Einstellung zurück (Szymanski 1979, S. 49f).
All diese Fakten ignoriert Bland, wenn er unter Berufung auf das Betriebsstatut
behauptet, damit seien Entlassungen von Arbeitern in der Sowjetunion regulär
möglich geworden. Dort steht allerdings eindeutig: „Der Direktor (…) wird Personal
in Übereinstimmung mit dem geltenden Arbeitsrecht einstellen und entlassen.“ (Statut
1966, S. 23). Genau dieses geltende Arbeitsrecht, das Bland „übersieht“, war es aber,
das Entlassungen wie im Kapitalismus nicht erlaubte.
Da es in der Sowjetunion also keinen Arbeitsmarkt gab (d.h. keine Konkurrenz unter
den Arbeitern trotz freier Wahl des Arbeitsplatzes), sondern einen rechtlich
verankerten und real umgesetzten Anspruch auf Arbeit, da die Arbeiter nicht auf den
Verkauf ihrer Arbeitskraft und damit auf die Willkür der Kapitalisten angewiesen
waren, sondern ihre Arbeit der Gesellschaft zur Verfügung stellten und dafür mit
einem Anteil am ständig steigenden gesellschaftlichen Reichtum „entlohnt“ wurden,
kann man nicht davon sprechen, dass die Arbeitskraft eine Ware war. Was in Form
des „Lohns“ ausgezahlt wurde, hatte nur formelle Ähnlichkeit mit dem
kapitalistischen Lohn, war aber sozial und ökonomisch gesehen etwas ganz anderes.
Konzentration, Zentralisation und Krisenzyklen?
Weil in der Sowjetunion dem Wertgesetz kaum ein legaler Raum zur Entfaltung
gelassen wurde, konnten sich die darauf beruhenden Gesetzmäßigkeiten des
Kapitalismus erst recht nicht entwickeln – und zwar nicht einmal ansatzweise. Das
Wertgesetz führt, wo es sich tatsächlich entfalten kann, gesetzmäßig zur
Konzentration und Zentralisation des Kapitals: Manche Betriebe akkumulieren
erfolgreich Kapital, während andere scheitern (Konzentration); aus der
ungleichmäßigen Entwicklung ergibt sich die Möglichkeit zur Übernahme von
Kapital anderer Betriebe (Zentralisation). In der Sowjetunion waren alle
Entscheidungen zur Zusammenführung oder Aufspaltung von Produktionseinheiten
(beispielsweise die Einführung von Produktionsverbünden) rein politische
Entscheidungen, die nicht die Erzielung irgendwelcher Monopolprofite, sondern die
bessere Planbarkeit der Produktion zum Ziel hatten. Die Schaffung großer
Unternehmensgruppen in industriellen Verbünden, die 1973 dekretiert wurde,
verfolgte lediglich den Zweck, eine weitere Schicht in der Planungshierarchie
einzuführen. Die Produktionsverbünde oder Industrieverbünde sollten dadurch einige
Details der Planung für die in ihnen zusammengeschlossenen Betriebe übernehmen,
von denen man annahm, dass sie auf zentralisierter Ebene nur schwierig planbar
waren. Außerdem hatten viele Betriebe bisher aufgrund von
Versorgungsschwierigkeiten ihre eigenen Teile und Komponenten produziert, statt
diese von anderen Betrieben zu beziehen. Die Verbünde sollten nun erreichen, dass
die Versorgung der Betriebe innerhalb des Zusammenschlusses effizienter geregelt
werden konnte und die Betriebe sich daher wieder auf ihre eigenen Aufgaben
konzentrieren konnten (Hanson 2003, S. 144). Offensichtlich handelte es sich dabei
um (vermutlich sinnvolle) Veränderungen des Planungssystems, die nur auf einer sehr
allgemeinen Ebene etwas mit der kapitalistischen Tendenz zur Konzentration und
Zentralisation des Kapitals zu tun hatten: In dem Sinne, dass mit der Entwicklung der
Produktivkräfte die steigende Vergesellschaftung der Produktion einhergeht,
unabhängig von der herrschenden Produktionsweise. Dass es sich hier um etwas ganz
anderes handelte als die kapitalistische Konzentration und Zentralisation zeigt sich
auch daran, dass der stärkere Zusammenschluss der Produktion nicht mit einer
Verringerung der Zahl des Verwaltungspersonals, also der angeblichen „Kapitalisten“
einherging. Ganz im Gegenteil stieg 1966-85 die Zahl der Industrieministerien von 31
auf 57 und das Personal der staatlichen Verwaltung um 82% (Schroeder 1990, S. 38).
Bland verweist richtigerweise darauf, dass die Konzentration der Produktion in der
UdSSR noch viel stärker war als in den westlichen kapitalistischen Ländern. Er hält
diese Tatsache für einen Beleg für den ausgeprägt reifen monopolkapitalistischen
Charakter der Sowjetunion. In Wirklichkeit belegt er damit jedoch genau das
Gegenteil: Die Sowjetunion befand sich, was den Entwicklungsstand der
Produktivkräfte anging, immer auf einem deutlich niedrigeren Stand als z.B. die USA,
die BRD oder Japan. Wäre die Sowjetunion kapitalistisch gewesen, würde man unter
diesen Umständen erwarten, dass auch der Konzentrationsgrad der Produktion
deutlich niedriger sein müsste als in den kapitalistischen Ländern, da die
Konzentration und Zentralisation des Kapitals im Wesentlichen von der Entwicklung
der Produktivkräfte gesetzmäßig vorangetrieben wird. Dass in der UdSSR die Zahl der Betriebe geringer, ihre Größe und die Zahl der Arbeiter pro Betrieb jedoch höher
waren als in den westlichen Ländern, das liegt eben daran, dass sie eine zentral
geplante und keine kapitalistische Ökonomie war.
Da die Produktionsmittel sich in der Sowjetunion nicht in Kapital verwandelten,
jedenfalls nicht in dem Sinne wie Marx diesen Begriff verwendet, da es
dementsprechend keine Tendenz zur Konzentration und Zentralisation geben konnte,
bildete sich natürlich auch kein Monopolkapital heraus. Im Kapitalismus ist das
Monopol ein Entwicklungsstadium des Kapitals, das gesetzmäßig entsteht und zur
dominierenden Form kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse wird.
Das Monopolkapital unterscheidet sich dadurch vom nichtmonopolistischen Kapital,
dass es aufgrund seiner Beherrschung bestimmter Bereiche der Produktion und
Verteilung in der Lage ist, innerhalb gewisser Grenzen die Preise permanent
heraufzusetzen. Damit kann es einen Fluss des Mehrwerts vom nichtmonopolistischen
hin zum monopolistischen Kapital erzwingen und einen dauerhaft erhöhten
Monopolprofit erzielen. In der UdSSR waren Preise jedoch zentral geplant und
festgelegt und stiegen dauerhaft nicht an. Auch die „Gewinne“ waren zentral geplant.
Ein Monopolkapital ist unter diesen Bedingungen unvorstellbar.
Im Kapitalismus kommt es gesetzmäßig zu zyklischen Krisen. Im Kapitalismus
produziert die Akkumulation des Kapitals ständig Faktoren, die einer weiteren
ökonomischen Expansion im Wege stehen (Verteuerung des konstanten Kapitals und
der Löhne, Disproportionen zwischen den Sektoren, Produktion über die
gesellschaftliche Nachfrage hinaus usw.). Deshalb folgt jedem Aufschwung eine
Krise und ein Abschwung. In diesen wird Kapital in Waren- und Geldform vernichtet
und es wird ein Teil der Arbeiterklasse in die industrielle Reservearmee gestoßen.
Wäre die Sowjetunion kapitalistisch gewesen oder ab einem bestimmten Zeitpunkt
geworden, müsste sich in ihr ebenfalls ein Krisenzyklus herausgebildet haben. Der
Zeitraum zwischen 1956 und Ende der 80er ist jedenfalls zu lang, um einen
unterbrechungsfreien kapitalistischen Aufschwung darstellen zu können. Allerdings
ist die Faktenlage eindeutig. Der ökonomische Output stieg in der Sowjetunion seit
Kriegsende fast jedes Jahr bis 1990. Nur 1963 und 1979 kam es aufgrund schwerer
Missernten, also aufgrund von klimatischen Faktoren, zu Einbrüchen (Hanson 2003,
S. 241). Einen Konjunkturzyklus gab es in der Sowjetunion nicht, Wirtschaftskrisen
auch nicht, sondern ein mehr oder weniger lineares Wachstum (siehe Grafik 1). Diese
Feststellung alleine reicht aus, um zu beweisen, dass die Sowjetunion keine
kapitalistische Gesellschaft im marxistischen Sinne gewesen sein kann. Wer
umgekehrt behauptet, die Sowjetunion wäre kapitalistisch gewesen, sagt damit im
Grunde aus, dass ein krisenfreier Kapitalismus möglich ist. Für diese bürgerliche
Position gibt es jedoch weder theoretisch noch empirisch irgendeine ernstzunehmende
Grundlage.
Grafik 1: Sowjetisches Bruttonationalprodukt 1940-1992, kopiert aus Hanson 2003,
S. 242.
Wo es keinen Warentausch zwischen unabhängigen Unternehmen und keine
Konkurrenz zwischen den Betrieben gibt, gibt es auch keinen Raum für den
Ausgleich der Profitraten zu einer Durchschnittsprofitrate. Die „Profitrate“ in der
Sowjetunion war, wie erwähnt wurde, eine Größe des zentralen Plans und kein blind
wirkendes Gesetz. Weil die „Gewinne“ und „Profitraten“ der Betriebe rechnerische
Größen waren, die letztlich politisch festgelegt wurden, und damit nicht Ausdruck
von angeeignetem Mehrwert, gab es in der Sowjetunion auch kein Gesetz des
tendenziellen Falls der Profitrate. Ob die Profitrate in einem gegebenen Zeitraum
stieg oder fiel, war eine Planungsentscheidung. Im Kapitalismus ist es dagegen
unmöglich, eine Profitrate politisch festzulegen, weil sie auf der Verwertungsdynamik
des Kapitals beruht, die als blindwirkendes Gesetz weitgehend außerhalb der
Reichweite der politischen Macht liegt und von der Gesamtheit der
Gesetzmäßigkeiten der KPW bestimmt wird – Gesetzmäßigkeiten, die in der
Sowjetunion keine Wirkung hatten.
Das Ergebnis der Untersuchung lässt sich also schnell zusammenfassen: Die
Sowjetunion war keine kapitalistische Gesellschaft. Sie war weder
„staatskapitalistisch“, noch „bürokratisch kapitalistisch“, noch sonst irgendwie
kapitalistisch.
War die Sowjetunion „sozialimperialistisch“?
Die Fragestellung
Nach dem Bruch zwischen der KPdSU und der KP Chinas sowie der Partei der Arbeit
Albaniens wurde von der chinesischen und albanischen Führung, sowie den an ihnen
orientierten politischen Kräften auch die These eines sowjetischen
„Sozialimperialismus“ vertreten. Die Behauptung, die Sowjetunion sei nicht nur
kapitalistisch, sondern auch imperialistisch gewesen, ist eine logische Konsequenz
aus der SKT. Nach dem marxistisch-leninistischen Kapitalismusverständnis bringt der
Kapitalismus den Imperialismus als sein höchstes Stadium gesetzmäßig hervor. Wäre
nun die Sowjetunion tatsächlich kapitalistisch gewesen, so wäre zu erwarten gewesen,
dass sie auch imperialistische Züge entwickelt hätte.
Das müsste dann natürlich anhand der ökonomischen Struktur der Sowjetunion
nachgewiesen werden. Von Imperialismus kann ohne das Monopolkapital nicht
sinnvollerweise gesprochen werden, da, wie Lenin gezeigt hat, die Monopole Träger
der internationalen Expansion des Kapitals, Ursache seiner Stagnation und Ausdruck
der Fäulnis der kapitalistischen Produktionsweise sind. Wie gezeigt wurde, versucht
deshalb z.B. Bland, die kapitalistischen Entwicklungsgesetze der Konzentration und
Zentralisation des Kapitals in der Sowjetunion zu entdecken. Die absurden
Verrenkungen, zu denen er sich dabei versteigt, wurden im vorigen Kapitel aufgezeigt
und widerlegt. Es wurde ebenfalls gezeigt, wie damit die Argumentation bezüglich
eines sowjetischen Monopolkapitals automatisch in sich zusammenfällt.
Wenn die UdSSR als imperialistisch bezeichnet wird, werden oft noch weitere
ökonomische Argumente herangezogen, vor allem die Behauptung einer
ökonomischen Ausbeutung anderer Länder. Imperialistische Staaten profitieren
aufgrund von monopolistischen Extraprofiten von der Ausbeutung der Arbeit in
weniger entwickelten kapitalistischen Ländern. Durch die Monopolstellungen ihres
Kapitals und die höhere Produktivkraftentwicklung, zwei eng miteinander
zusammenhängenden Faktoren, können sie einen ständigen Werttransfer aus den
weniger entwickelten Ländern in die imperialistischen Zentren bewirken. Um ihre
erhöhten monopolistischen Profitraten aufrechtzuerhalten, kämpfen die Imperialisten
untereinander um Absatzmärkte, billige Rohstofflieferungen und
Anlagemöglichkeiten. Nach den Behauptungen der SIT tat die Sowjetunion genau
dasselbe: Auch beim „Sozialimperialismus“ der Sowjetunion herrsche „der Drang
nach wirtschaftlicher Expansion, nach Kapitalexport und nach Unterjochung anderer
Länder, der Drang nach Aggression und Krieg, nach Neuaufteilung der Welt“
(Dickhut 1988, S. 203).
Die Behauptung, die Sowjetunion hätte Länder innerhalb ihrer „Einflusssphäre“
ökonomisch ausgebeutet, sollte also gesondert untersucht werden.
Wurde Osteuropa von der Sowjetunion „ausgebeutet“?
Diese Ausbeutung müsste sich vor allem in den Handelsbeziehungen der UdSSR mit
den osteuropäischen Ländern nachweisen lassen. Diese Länder waren im Rat für
gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) mit der Sowjetunion wirtschaftlich integriert
und sie waren die wichtigsten Handelspartner der Sowjetunion. Tatsächlich behauptet
z.B. Dickhut eine ökonomische Ausbeutung Osteuropas durch die Sowjetunion: Diese
Länder seien zu „Kolonien des Sozialimperialismus“ geworden (Dickhut 1988, S.
218).
Nun gibt es zahlreiche westliche bürgerliche Studien zu den Wirtschaftsbeziehungen
innerhalb des RGW. Bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler, d.h. politische Gegner
der Sowjetunion, konnten allerdings keinerlei Anzeichen einer „Ausbeutung“
Osteuropas durch die UdSSR entdecken. Ganz im Gegenteil herrschte weitgehende
Einigkeit unter ihnen, dass in der Tat umgekehrt die Sowjetunion enorme
ökonomische Kosten in Kauf nahm, um ihre osteuropäischen Verbündeten zu
unterstützen (Crane 1986, 60). Im RGW wurde der Handel nicht mit den Preisen des
kapitalistischen Weltmarktes abgewickelt, sondern auf Grundlage eines komplizierten
Preissetzungssystems. Dieses System begünstigte erstens die Preise für verarbeitete
Industriegüter und drückte die Preise für Rohstoffe und Energieträger nach unten. Die
Sowjetunion importierte aus Osteuropa aber vor allem Industrieprodukte und
exportierte vorwiegend Rohstoffe und Energieträger in diese Länder. Damit hatte die
Zusammensetzung ihres Außenhandels genau die umgekehrte Struktur wie die
typischen Außenhandelsprofile imperialistischer Länder.
Auch auf dem kapitalistischen Weltmarkt entwickelten sich die terms of
trade(Austauschverhältnisse) zwischen Industriegütern und Rohstoffen ebenfalls
zugunsten der Industriegüter, was ein wichtiger Mechanismus war, mit dem die
entwickelten imperialistischen Länder ihre ökonomische Vorherrschaft befestigen
konnten. Im RGW, wo die Preise sich nicht nach den kapitalistischen Marktgesetzen
entwickelten, sondern politisch ausgehandelt wurden, war diese Tendenz allerdings
noch stärker ausgeprägt und damit noch ungünstiger für die Sowjetunion (Lavigne
1983, 136; Hanson 2003, S. 156). Hinzu kam zweitens eine Orientierung an der
Entwicklung der Weltmarktpreise, indem die Handelspreise innerhalb des RGW am
Durchschnitt der Welthandelspreise der jeweils vorherigen fünf Jahre ausgerichtet
wurden. Dadurch setzten sich kurzfristige Preisschwankungen nur gedämpft und mit
zeitlicher Verzögerung durch. Insbesondere führte das dazu, dass die Sowjetunion
von den rapiden Ölpreissteigerungen von 1973 und 1979/80 in ihrem Handel mit
Osteuropa nur sehr begrenzt profitieren konnte, während den osteuropäischen Ländern ein großer Teil der Belastungen durch den hohen Ölpreis erspart blieb.
Besonders galt dies für die DDR und die Tschechoslowakei, die aufgrund von
1966/67 geschlossenen Abkommen weiterhin billiges Öl zu den unveränderten
Preisen von vor 1975 erhielten, also gar keine weiteren Preiserhöhungen hinnehmen
mussten. Dadurch gingen der Sowjetunion riesige Exportgewinne verloren, die sie
realisiert hätte, wenn sie das Öl stattdessen auf dem kapitalistischen Weltmarkt
verkauft hätte (Lavigne 1983, 138). Doch selbst die Verbesserungen der terms of
trade, die für die Sowjetunion innerhalb des RGW-Regelwerks möglich gewesen
wären, reizte sie nicht aus. Denn die oben beschriebene gleitende Preisformel hätte
der SU 1975-80 immerhin eine Verbesserung ihrer (sehr ungünstigen) terms of
trade um 40% gewähren müssen, während die reale Verbesserung nur 21% betrug
(Lavigne 1983, 139). In der vorherigen Periode (1955-74) hatten sich allerdings
die terms of trade für die Sowjetunion aufgrund der Preisentwicklung bei
verschiedenen Warengruppen um 20% verschlechtert, sodass die Ölpreiserhöhung
lediglich ungefähr die vorherige Größenordnung wiederherstellte (Lavigne 1983, S.
136).
Dieses Handelssystem innerhalb des RGW war Mitte der 50er geschaffen worden.
Seit Kriegsende hatte bis dahin ein anderes System bestanden, wonach die Güter
gemäß der jeweils durchschnittlich aufgewendeten Arbeitszeit getauscht wurden.
Dieses System führte aber für die osteuropäischen Länder zu eher ungünstigen
Tauschbeziehungen und erzeugte einigen Unmut in diesen Ländern, weshalb es durch
das neue System ersetzt wurde, von dem die osteuropäischen Länder eindeutig
profitierten (Szymanski 1989, S. 105).
Die Sowjetunion hatte mit den osteuropäischen Ländern die meiste Zeit über enorme
Handelsüberschüsse. Diese betrugen 2,5 Mrd. Rubel in der Periode 1966-70, 1971-73
gab es ein Defizit von ca. 1,7 Mrd. Rubel für die UdSSR, dann 1975-80 enorme
Überschüsse von fast 6 Mrd. Rubeln. 1981 war der sowjetische Überschuss bei über 3
Mrd. Rubeln oder 13% der sowjetischen Exporte angekommen. Diese Überschüsse
waren aber keineswegs wie bei imperialistischen Ländern (z.B. der BRD) Ausdruck
ihrer ökonomischen Dominanz auf Kosten anderer Länder. Denn sie führten nicht zu
einem Werttransfer aus Osteuropa in die Sowjetunion. Der Handel im RGW wurde in
einer nicht-konvertiblen RGW-Währung verrechnet, weshalb die sowjetischen
Handelsüberschüsse außerhalb des RGW wertlos waren. Solange die osteuropäischen
Handelspartner also die angehäuften sowjetischen Überschüsse nicht ihrerseits mit
Handelsüberschüssen abbauen würden – wozu es nie gekommen ist – waren die
sowjetischen Handelsüberschüsse nichts anderes als enorm umfangreiche
ökonomische Transfers an die anderen RGW-Länder (Lavigne 1983, 140).
Ein weiterer Mechanismus, der die osteuropäischen Länder auf Kosten der
Sowjetunion ökonomisch begünstigte, waren Kredite in sowjetischen Rubeln. Diese
wurden in aller Regel langfristig und zu sehr niedrigen Zinsen gewährt. Oft war die
Rückzahlung dann sogar noch verhandelbar, wurde über noch längere Fristen
gestreckt oder ganz gestrichen. Der Umfang solcher Kredite, von denen vor allem die
Empfängerländer auf Kosten der Sowjetunion profitierten, nahm rapide zu: Von
insgesamt ca. 4 Mrd. Rubeln ausstehender sowjetischer Kredite an Osteuropa im Jahr
1977 auf 14,6 Mrd. Rubel 1983. Besonders die DDR und Volksrepublik Polen
profitierten davon. Schließlich erhielt die VR Polen aufgrund des Anstiegs
antikommunistischer Aktivitäten in dem Land 1981 einen hohen Kredit in
ausländischer Devisenwährung von den RGW-Banken und der Sowjetunion. Weil die
Sowjetunion selbst diese Devisen durch eigene Exporte erwirtschaften musste,
handelte es sich um einen besonders bemerkenswerten Fall ökonomischer
Unterstützung (Crane 1986, 32).
Obwohl die Wirtschaftsleistung der Sowjetunion hinter der der USA zurückblieb,
leistete die Sowjetunion durch günstige Handels- und Kreditbedingungen allein an
Osteuropa und Kuba Wirtschaftshilfen, die sämtliche Wirtschaftshilfen der USA
deutlich übertrafen. 1971-83 flossen über diesen Weg aus der Sowjetunion insgesamt
153,6 Mrd. US$ an die osteuropäischen Verbündeten und Kuba, aber nur 109,83 Mrd.
US$ an Wirtschaftshilfen aus den USA an alle ihre Verbündeten (Crane 1986, S. 14,
beide Zahlen in Preisen von 1984). Auch andere sozialistische Länder wie z.B.
Nordvietnam profitierten von solchen Wirtschaftshilfen aus der Sowjetunion. Nach
einer viel zitierten Schätzung betrugen die zusätzlichen Kosten, d.h. Begünstigungen,
im Handel mit den osteuropäischen Länder für die Sowjetunion im Zeitraum 1970-84
ungefähr ein Drittel bis die Hälfte des gesamten Umfangs der sowjetischen Exporte.
Diese Zahlen wurden teilweise als zu hoch kritisiert, aber auch niedrigere
Schätzungen zeigen, dass die Sowjetunion immense Kosten in Kauf nahm, um
verbündeten Ländern ökonomisch unter die Arme zu greifen (Crane 1986, S. 6).
Dickhut wirft der Sowjetunion vor, durch gemeinsame Investitionsprojekte Kapital in
die von ihr angeblich „unterjochten“ Länder zu exportieren. Darin meint er einen
Beweis zu erkennen, dass die Sowjetunion sich ebenso verhalte wie die
imperialistischen Länder. In Wirklichkeit exportierte die Sowjetunion kein Kapital.
Sie beteiligte sich an Investitionsprojekten, die in Zusammenarbeit mit verbündeten
Ländern durchgeführt wurden, allerdings gingen die dadurch geschaffenen
Produktionsanlagen nach Abschluss des Projekts in das Eigentum des Landes über, in
denen sie gebaut wurden. Ohnehin waren die meisten dieser Projekte in der
Sowjetunion selbst: Es handelte sich überwiegend um die Schaffung von
Produktionskapazitäten zur Ressourcenförderung, an denen die osteuropäischen
Länder sich beteiligten und ihren Investitionseinsatz dann in Form kostenloser Rohstofflieferungen erstattet bekamen. Von diesen Projekten profitierten zumeist
beide Seiten. Mit imperialistischem Kapitalexport hatten sie kaum etwas gemein
(Crane 1986, S. 11). Auch die Vertreter der SIT bemerken natürlich, dass die
Sowjetunion im Gegensatz zu den imperialistischen Ländern keinen inneren Drang
zum Kapitalexport entwickelte, weil eben ihre Wirtschaft ganz anderen
Gesetzmäßigkeiten folgte. Sie biegen sich die Fakten jedoch entsprechend zurecht,
indem sie die Kreditvergabe als hauptsächliche Form des sowjetischen Kapitalexports
darstellen (Dickhut 1988, S. 225). Es wurde jedoch gezeigt, dass die Sowjetunion
Kredite zu sehr niedrigen Zinsen und langfristig vergab. Es ging ihr dabei nicht, oder
höchstens sehr nachrangig um finanzielle Gewinne, sondern um die Förderung der
wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Verbündeten. Daran hatte sie selbstverständlich
auch ein Eigeninteresse, da sie politische Unruhen und Instabilität bei ihren
Verbündeten vermeiden wollte. Diese Motivation zeigt sich auch daran, dass nach
jeder politischen Krise in einem osteuropäischen Land die Sowjetunion ihre
Lieferungen in das betreffende Land deutlich steigerte: 1957 nach Polen und Ungarn,
1968 in die CSSR, 1971, 1976, 1980/81 wiederum nach Polen, das zudem 1981, wie
bereits erwähnt, durch einen hohen Kredit unterstützt wurde, um angesichts des
Anwachsens der konterrevolutionären Opposition das System zu stabilisieren (Crane
1986, S. 32).
Schließlich behaupten Vertreter der SIT, dass die Sowjetunion ihre Verbündeten
„gezwungen“ hätte, sich auf bestimmte Güter zu spezialisieren, während sie selbst
eine ausgeglichene und allseitige Volkswirtschaft entwickelt hätte (Dickhut 1988, S.
219). Auch diese Darstellung ist nicht haltbar. Denn erstens wurden die
osteuropäischen Länder des RGW von niemandem zu einer Spezialisierung ihrer
Produktion gezwungen. Es gab lediglich nicht-verbindliche Spezialisierungsverträge,
die eine Absprache innerhalb des RGW im Sinne einer effizienteren Arbeitsteilung
ermöglichen sollten. Zweitens führte diese Arbeitsteilung auch für die Sowjetunion
nicht zu einer „allseitigen Volkswirtschaft“, sondern zu einer Spezialisierung auf die
Lieferung von Öl, Gas und anderen Rohmaterialien. Und drittens ist eine Absprache
zur Arbeitsteilung offensichtlich nicht dasselbe wie „Ausbeutung“, vor allem wenn
sie, wie im RGW, allen Beteiligten nützt (Crane 1986, S. 12). Zwischen
sozialistischen Ländern, und als solche verstanden sich die RGW-Staaten, ist es nicht
unbedingt erstrebenswert oder möglich, dass jedes Land jeden Produktionszweig
eigenständig entwickelt. Das wäre im Gegenteil mit hohen Kosten und
Effizienzverlusten verbunden. Es war damit im Interesse aller beteiligten Länder, und
nicht nur der Sowjetunion, dass sie bestimmte Warengruppen zu günstigen
Bedingungen von ihren Verbündeten beziehen konnten, statt sie selbst zu
produzieren. Von einer ökonomischen Ausbeutung Osteuropas durch die Sowjetunion kann also
nicht ernsthaft die Rede sein. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Sowjetunion
und ihren verbündeten Ländern wirkten sich in der Bilanz stark zugunsten der
Letzteren und auf Kosten der UdSSR aus. Die sowjetische Führung war zu einem
hohen Grad bereit, diese Kosten zu tragen, um ihre Verbündeten wirtschaftlich und
politisch zu stabilisieren und damit auch nach außen die Überlegenheit des
Sozialismus demonstrieren zu können. Allerdings wurde das Ausmaß, in dem die
Sowjetunion durch ihre großzügigen Wirtschaftshilfen ausblutete, in den 1980ern
zunehmend als untragbare Belastung empfunden. Auf dem RGW-Gipfel von 1984
erklärte die sowjetische Delegation daher, sie wolle eine Veränderung ihrer
Wirtschaftsbeziehungen mit Osteuropa. Vor allem forderte sie eine Veränderung der
sehr ungünstigen Austauschbeziehungen zugunsten der Sowjetunion und eine
Verringerung der sowjetischen Handelsüberschüsse. Eine Veränderung des
Preissetzungssystems im RGW wurde, trotz der Nachteile für die Sowjetunion, nicht
angestrebt (Crane 1986, S. VI).
Wurden andere Länder von der Sowjetunion „ausgebeutet“?
Auch mit verbündeten Ländern außerhalb Osteuropas folgte der Handel einem
ähnlichen Muster. Beschränken wir uns aus Platzgründen auf das Beispiel Kuba: Die
UdSSR kaufte einen großen Teil der kubanischen Exporte, die zu einem Großteil aus
Zucker bestanden. Die Sowjetunion lieferte dagegen viele verarbeitete
Industrieprodukte. Damit ähnelte der sowjetisch-kubanische Handel anders als der in
Osteuropa von den Warengruppen her eher dem typischen Austausch zwischen
entwickelten und unterentwickelten kapitalistischen Ländern. Der Unterschied ist aber
auch hier, dass es zu keiner Ausbeutungsbeziehung und zu keinem ungleichen Tausch
zugunsten der Sowjetunion kam. Denn in ihrem Austausch mit Kuba zahlte die
UdSSR Preise, die teilweise weit über den Weltmarktpreisen lagen. 1960-70 lagen die
gezahlten Preise immer höher als die Weltmarktpreise, mit Ausnahme von 1963. 1968
betrugen sie das 5,5fache des Weltmarktpreises. Indem die Sowjetunion Kuba einen
konstanten Preis zahlte, schirmte sie das Land von den destruktiven Schwankungen
auf dem Weltmarkt weitestgehend ab. Für die Sowjetunion war dieser Handel sehr
unvorteilhaft, weil sie den Kubanern hohe Preise zahlte, weil sie einen ständigen
Handelsüberschuss verzeichnete und weil ihre Schiffe oft mit sehr viel mehr Fracht
nach Kuba fahren mussten, als sie wieder zurück in die Sowjetunion bringen konnten.
Dadurch blieb ein großer Teil der Ladekapazität der sowjetischen Frachter ungenutzt.
Die ständigen Handelsdefizite Kubas gegenüber der Sowjetunion wurden mit
sowjetischen Krediten zu günstigen Konditionen ausgeglichen. 1972 gab es eine
erneute Aushandlung der Schulden: Die Kubaner mussten ihre alten Schulden sowie
auch neu aufgenommene Kredite nun erst ab 1986 über 25 zurückzahlen, und das
auch noch zinsfrei (Tsokhas 1980, S. 330). Darüber hinaus unterstützte die Sowjetunion auch anderweitig beim Aufbau der kubanischen Wirtschaft, etwa durch
die Entsendung von Spezialisten und Hilfe beim Aufbau bestimmter Industriezweige
sowie Verbesserung der Planungsmethoden (Tsokhas 1980, S. 340ff). Wurde Kuba
also von der Sowjetunion ausgebeutet? Löste die Sowjetunion die USA als neue
imperialistische Macht in Kuba ab? Wohl kaum.
Fidel Castro traf in einem Interview 1974 folgende richtige Einschätzung dazu: „Wie
könnte man die Beziehungen, die wir mit der Sowjetunion haben, mit denen
vergleichen, die mit den USA existierten? Die Sowjetunion hat uns günstige
Zahlungsbedingungen gegeben, sie hat uns geholfen, anderswo Kredite zu bekommen
und brachte die größte Rücksicht für uns in finanziellen Fragen auf. Den USA
hingegen gehörte die kubanische Wirtschaft. Den Sowjets gehört nicht eine einzige
Mine in Kuba, kein einziger Betrieb, keine einzige Zuckerfabrik. Alle natürlichen
Ressourcen, alle Industrien, alle Produktionsmittel sind in unseren Händen.“ (zitiert
nach Tsokhas 1980, S. 328).
Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion
nicht auch fragwürdige Aspekte hatten. Die hohe Spezialisierung auf
Zuckerproduktion hatte zwar einerseits ökonomische Vorteile, wie jede
Spezialisierung, erhöhte aber auch die Abhängigkeit vom sowjetischen Markt, die die
Kubaner sehr schmerzhaft zu spüren bekommen sollten, als später unter Gorbatschow
die Handelsbeziehungen praktisch über Nacht abgebrochen wurden. Mit
„Ausbeutung“ hat all das jedoch wenig zu tun.
Wie sahen die Beziehungen der Sowjetunion mit kapitalistischen Ländern aus? Auch
an einige unterentwickelte kapitalistische Länder zahlte die Sowjetunion
Wirtschaftshilfen. Es handelte sich dabei vor allem um Länder in der Nachbarschaft
der Sowjetunion (Indien, Iran, Syrien, Türkei usw.) oder um Länder, deren
Regierungen politisch im Gegensatz zu den westlichen Imperialisten standen
(Ägypten, Algerien, Chile usw.). Diese Hilfen an kapitalistische Länder hatten zu
über 95% die Form von Exportkrediten, d.h. Warenlieferungen gegen spätere
Bezahlung, die meist über 12 Jahre gestreckt werden konnte, aber auch dann oft
verlängerbar war. Oft wurden auch hier die Schulden gestrichen. Die Rückzahlung
der Kredite war in der Regel in Form von Produkten derjenigen Betriebe möglich, die
mit sowjetischer Hilfe neu aufgebaut wurden. Das hatte zudem den Vorteil, dass
dadurch diesen Ländern ein Absatzmarkt für ihre Güter entstand, was auf dem
kapitalistischen Weltmarkt oft kaum möglich war. Das sowjetische Vorgehen stand
im Gegensatz zur „Wirtschaftshilfe“ westlicher Länder, die die Rückzahlung von
Krediten in Dollars forderten. Dadurch waren die unterentwickelten Länder dazu
gezwungen, ihre Wirtschaft auf Exporte an die imperialistischen Staaten auszurichten
(Szymanski 1979, S. 152f).
Hinzu kommt, dass die Sowjetunion auch in ihrem Handel mit unterentwickelten
kapitalistischen Ländern in der Regel relativ großzügige Konditionen anbot. So
wurden beispielsweise indische Exporte in die Sowjetunion mit höheren Preisen
bezahlt als auf dem Weltmarkt (Szymanski 1979, S. 157ff). Die VR China stellte sich
selbst als Führungsmacht der um ihre Befreiung kämpfenden Völker der „Dritten
Welt“ dar und diffamierte die Beziehungen der Sowjetunion zu diesen Ländern als
„sozialimperialistisch“. In Wirklichkeit unterschied sich die chinesische
Wirtschaftshilfe an die unterentwickelten Länder qualitativ jedoch kaum von der
sowjetischen (Szymanski 1979, S. 156). In beiden Fällen kann von Imperialismus
keine Rede sein.
Die Sowjetunion war in ihrem Außenhandel mit dem nichtsozialistischen Teil der
Welt natürlich auch den Gesetzmäßigkeiten des weltweiten Kapitalismus
unterworfen. Sie konnte z.B. die Preise ihrer Exporte nicht willkürlich herabsetzen,
weil sie ja umgekehrt für Importe aus kapitalistischen Ländern auch reguläre Preise
zahlen musste. Die Sowjetunion nutzte gewisse Spielräume aus, um ihren
Handelspartnern in der „Dritten Welt“ möglichst günstige Bedingungen bieten zu
können. Ihr Außenhandel fand aber nicht völlig außerhalb der gegebenen, vom
Imperialismus dominierten Weltmarktbedingungen statt. Diese imperialistische
Wirtschaftsordnung hatte die Sowjetunion jedoch nicht geschaffen, sondern sich im
Gegenteil ihren Umsturz auf die Fahnen geschrieben. Die Ausbeuter der Völker der
Welt und skrupellosen Verteidiger der globalen Ausbeuterordnung waren und bleiben
bis heute die imperialistischen Staaten und nicht die Sowjetunion.
Die Außenpolitik der Sowjetunion
Die Sowjetunion unterstützte auf der ganzen Welt Bewegungen, die sich gegen die
Ausbeutung und Ausplünderung der Arbeiterklasse und anderen unterdrückten
Schichten auflehnten. Sie unterstützte den Kampf des ANC und der südafrikanischen
Kommunisten gegen das reaktionäre Apartheid-Regime, einschließlich des Aufbaus
bewaffneter Einheiten. Dasselbe galt für die angolanische Befreiungsbewegung
MPLA, die nach Schätzungen der CIA 1975-1985 aus der Sowjetunion Militärhilfe
im Umfang von 4 Mrd. US$ und die Unterstützung von bis zu 1700 militärischen
Beratern für ihren Kampf gegen Südafrika und seine Verbündeten erhielt (CIA 1985,
S. 7). Der Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes gegen den US-Imperialismus
wurde ebenfalls umfangreich unterstützt. Laut CIA lieferte Moskau 1965-70 an
Nordvietnam allein zum Aufbau seines Luftabwehrsystems Rüstungsgüter im Wert
von 1,4 Mrd. US$ (CIA 1971). Die nordvietnamesische Luftabwehr wurde dadurch so
schlagkräftig, dass die USA im Luftkrieg gegen Nordvietnam und im Vietnamkrieg
insgesamt über 3700 Kampfflugzeuge und über 4800 Kampfhubschrauber verloren
(Feldbauer 2013, S. 60). Außerdem wurden große Mengen an Panzern, Artillerie, Flugzeugen, Hubschraubern, Infanteriewaffen und Munition an Nordvietnam
geliefert, die mit diesen Waffen die Befreiungsbewegung in Südvietnam ausrüsteten
und schließlich den Sieg gegen den US-Imperialismus und die Diktatur in Südvietnam
ermöglichten. Die Liste der Beispiele, bei denen die Sowjetunion mit hohem
Aufwand fortschrittliche, antiimperialistische und revolutionäre Bewegungen
unterstützt und aufgebaut hat, ließe sich fortsetzen.
Natürlich wird man auch Beispiele für fragwürdige außenpolitische Entscheidungen
der sowjetischen Führung finden. Diese können hier nicht im Einzelnen diskutiert
werden. Kommunisten können und müssen kritisieren, dass die Außenpolitik der
UdSSR, ebenso wie die der anderen sozialistischen Länder, in vielen Fällen
inkonsequent war. Tatsächlich vermischten sich in ihr machtpolitische Erwägungen
zur Förderung der eigenen staatlichen Interessen mit dem Interesse an der
Unterstützung sozialistischer oder antiimperialistischer Bewegungen. Diese waren
nicht immer identisch und oft überwog der erste Aspekt den zweiten – das war aber
nichts Neues, denn seit ihren Anfängen musste die UdSSR außenpolitische
Kompromisse eingehen, die teilweise bittere Folgen für die Betroffenen hatten. So die
Zusammenarbeit mit der kemalistischen Türkei, womit die Sowjetunion die
ethnischen Säuberungen mit ermöglichte; so auch die Haltung im Griechischen
Bürgerkrieg, wo man von einer militärischen Unterstützung der Kommunisten absah
und generell der Verzicht auf eine Offensivtaktik nach dem 2. Weltkrieg in Europa,
bis hin zu fragwürdigen Entscheidungen wie der Anerkennung der zionistischen
Staatsgründung 1947. Teilweise wurden auch bürgerliche nationale
Befreiungsbewegungen von Moskau unterstützt wie beispielsweise die Regierung
Nassers in Ägypten, die Baath-Partei in Syrien, Sukarno in Indonesien usw., was auch
mit der revisionistischen Theorie des „nichtkapitalistischen Entwicklungswegs“
gerechtfertigt wurde, wonach der Weg zum Sozialismus auch ohne Diktatur des
Proletariats und die Führung einer KP möglich sein sollte. Trotzdem kann insgesamt
keine Rede davon sein, dass die Sowjetunion die revolutionären Bewegungen auf der
Welt verraten hätte, denn in der Regel stand sie an der Seite der
Befreiungsbewegungen. Und mit „Imperialismus“ hat die Feststellung
problematischer außenpolitischer Handlungen der Sowjetunion schon gar nichts zu
tun.
Gab es einen „sowjetischen Sozialimperialismus“?
Der Hinweis darauf, dass die Sowjetunion in Vietnam, Kuba und anderen Ländern der
Dritten Welt eigene Interessen verfolgte, kann wohl kaum als Argument für die SIT
herangezogen werden. Denn zum einen dürfte es schwierig fallen, überzeugend zu
belegen, dass die Sowjetunion nur aus Eigeninteressen handelte und die ideologischpolitischen
Überzeugungen der Handelnden dabei keine Rolle spielten, bzw. nur vorgeschoben waren, um eine expansive Außenpolitik zu rechtfertigen. Es weist
insgesamt nichts darauf hin, dass die sowjetischen Führungskader dieser Zeit wie
Breschnew, Kossygin, Gromyko, Andropow usw. nicht auch von der
kommunistischen Idee überzeugt gewesen wären, wenn auch bereits mit deutlichen
revisionistischen Einflüssen und tendenziell abnehmender Intensität dieser
Überzeugungen. Zweitens wäre aus Sicht der SIT ja gerade zu erklären, warum die
Sowjetunion bei der Verfolgung ihrer Eigeninteressen tendenziell auf der Seite der
weltweiten Kämpfe um Fortschritt und Befreiung stand, im krassen Gegensatz zu den
USA (oder anderen imperialistischen Mächten), die überall fast ausnahmslos die
Reaktion bis hin zum Faschismus unterstützt und selbst praktiziert haben. Nimmt man
Lenins Imperialismustheorie ernst, dann bedeutet der Imperialismus politisch „Drang
nach Gewalt und Reaktion“ (LW 22, S. 273). Der reaktionäre Charakter des
Imperialismus nach „innen“ und „außen“ ist in der Tat eine gesetzmäßige
Notwendigkeit, weil das Monopolkapital die Überlebtheit der kapitalistischen
Produktionsweise zum Ausdruck bringt und permanent verschärft. Es produziert
Stagnation, Überakkumulation und Hemmnis des technischen Fortschritts, weshalb
die Expansion nach außen und damit der Konflikt zu konkurrierenden Monopolen
notwendige Folge sind. Wäre die Sowjetunion in ihrer gesellschaftlichen Struktur mit
den imperialistischen Staaten gleichzusetzen oder lediglich eine
„staatskapitalistische“ Variante davon, dann müssten sich bei ihr dieselben politischen
Konsequenzen zeigen: die Unterstützung der weltweiten Reaktion auf ganzer Linie
und der ständige Angriff auf den Lebensstandard der Werktätigen im eigenen Land.
Wie gezeigt wurde, war die vorherrschende Tendenz in der Sowjetunion zu beiden
Fragen das genaue Gegenteil. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Sowjetunion
keineswegs imperialistisch war.
Die SIT beruht auf erstaunlicher theoretischer Begriffslosigkeit und Abwendung von
marxistischen Analysen. Dass der qualitative Unterschied der sowjetischen
Gesellschaftsordnung zum Imperialismus, unabhängig davon wie man eine bestimmte
politische Führung oder bestimmte politische Maßnahmen in der SU bewertet, nicht
begriffen wird, zeigt ein unterentwickeltes Verständnis vor allem vom Kapitalismus
und Imperialismus.
Wie gezeigt wurde, tauschte die Sowjetunion in ihrem Außenhandel vor allem
Rohstoffe gegen industriell gefertigte Produkte. Typisch für imperialistische
Ausbeutungsbeziehungen ist dagegen das umgekehrte Verhältnis: Während die
entwickelten imperialistischen Länder komplexe, kapital- und technologieintensive
Waren exportieren, bekommen sie von den unterentwickelten Ländern vor allem
Ressourcen und Waren von niedriger Verarbeitungsstufe. Das ermöglicht ihnen hohe
Monopolprofite. Wenn man also meint, „Imperialismus“ vor allem in den
Handelsbeziehungen erkennen zu können, dann müsste man eher zu dem Schluss kommen, dass die Sowjetunion als Führungsmacht des RGW von der DDR, der
CSSR und der VR Polen „ausgebeutet“ wurde als umgekehrt. Diese Aussage wäre
offensichtlich ebenfalls absurd. Der Grund ist, dass Ausbeutung nur auf der
Grundlage antagonistischer Klassenverhältnisse stattfinden kann, wohingegen in den
Ländern des RGW ganz andere ökonomische Gesetze wirkten. Die Behauptung, dass
die Sowjetunion ihre Verbündeten „ausgebeutet“ hätte, hat also keinerlei Beziehung
zur Realität. Sie spielt durch ihre antisowjetischen Faktenverdrehungen dem
bürgerlichen Antikommunismus und insbesondere den osteuropäischen Nationalisten
in die Hände.
War die Sowjetunion eine „Diktatur“?
Die Fragestellung
Marxisten können an die Frage, ob ein Staat eine „Diktatur“ ist oder nicht, nicht
klassenneutral herangehen. In einem grundsätzlichen Sinne ist jeder Staat eine
Klassendiktatur und der wesentliche Unterschied zwischen ihnen hängt von der Frage
ab, welche Klasse über welche die Macht ausübt. Das bedeutet nicht, dass es nicht
auch wichtige Unterschiede z.B. zwischen der bürgerlichen Demokratie oder einem
Militärregime und dem Faschismus geben würde, aber all diesen Formen ist
gemeinsam, dass sie die Diktatur des Kapitals über die Arbeiterklasse zum Ausdruck
bringen. Der Sozialismus hingegen ist die Diktatur des Proletariats und damit die
Herrschaft der unmittelbaren Produzenten, der Werktätigen. Sozialismus setzt damit
in einem ganz anderen Sinne als die bürgerliche Demokratie, nämlich im Sinne
umfassender Kontrolle der Massen über das gesellschaftliche Leben, die Produktion
und den Staat, eine demokratische Gesellschaft voraus. Die Sowjetunion, so hören wir
dagegen oft, sei aber eine Diktatur gewesen, in der es keine Meinungsfreiheit und
keine Demokratie gegeben habe. Besonders autoritär (oder „totalitär“) sei es unter
Stalin gewesen. Diese Auffassung stellt den Standard in der bürgerlichen Propaganda
dar, aber auch die verschiedenen trotzkistischen Strömungen vertreten sie im
Wesentlichen. Maoisten oder andere, entweder an Mao oder Enver Hoxha orientierte
Strömungen, vertreten dagegen meistens die Position, dass bis zu Stalins Tod in der
Sowjetunion das Proletariat die Macht ausübte, aber danach die proletarische
Demokratie abgeschafft wurde.
In der Sowjetunion unter der Führung Stalins gab es tatsächlich, entgegen der
Propaganda von einer „totalitären Diktatur“, vielfältige Formen der
Massenmobilisierung, der offenen Diskussion über den Aufbau des Sozialismus und
der Mitbestimmung (für eine detailliertere Darstellung und entsprechende
Literaturnachweise siehe Kubi 2015). Das kann hier nicht dargestellt werden und ist
auch nicht Thema. Stattdessen soll es hier darum gehen, ob in der Sowjetunion nach
1956 das Proletariat entmachtet wurde.
Wir haben gesehen, dass in der UdSSR nach 1956 nicht die Bourgeoisie an der Macht
war, da auch gar keine Bourgeoisie existierte. Viele Trotzkisten erkennen diese
Tatsache an, bestreiten aber trotzdem, dass in der Sowjetunion die Arbeiterklasse
herrschte – während die ökonomischen Grundlagen des Sozialismus erhalten blieben,
sei die politische Macht von der Bürokratie ausgeübt worden. Um diese
Behauptungen zu überprüfen, ist es erforderlich, sich die Formen der Machtausübung
und der politischen Entscheidungsprozesse in der Sowjetunion genauer anzusehen.
Politische Partizipation in der Sowjetunion
In der Sowjetunion war es bekanntlich nicht möglich, bei Wahlen zwischen mehreren
Parteien zu wählen. Man stimmte nicht für Parteien, sondern für oder gegen
Kandidaten. Dabei wurde jeweils ein Kandidat für ein zu besetzendes Amt aufgestellt.
Dieses Verfahren war vor 1956 dasselbe, da der Versuch Stalins und einiger anderer
Parteiführer, Wahlen mit mehreren konkurrierenden Kandidaten einzuführen, 1936
gescheitert war (Getty 1991).
In der bürgerlichen Gesellschaft sind die grundlegenden Fragen des gesellschaftlichen
Lebens den Erfordernissen der Kapitalakkumulation unterworfen, weshalb eine
umfassende Herrschaft der Massen über alle Lebensbereiche gar nicht möglich ist.
Bürgerliche „Demokratie“, also der Schein, dass das Volk in der kapitalistischen
Gesellschaft die politischen Prozesse bestimmt, kann deshalb nur durch formelle
Wahlprozesse erzeugt werden und besteht nach bürgerlichem Verständnis auch
hauptsächlich im Wahlvorgang selbst bzw. in der Auswahl zwischen verschiedenen
bürgerlichen Parteien. Aus dieser Sicht muss natürlich das politische System der
Sowjetunion völlig undemokratisch erscheinen.
Bedeutet das beschriebene Wahlverfahren automatisch, dass es in der Sowjetunion
Entscheidungen nicht demokratisch zustande kamen? Der Blick auf den Ablauf der
politischen Prozesse in der UdSSR spricht nicht für diese Schlussfolgerung. Fangen
wir bei den Wahlen zu den Sowjets an. Zunächst war auch im Wahlprozess selbst ein
Element der Mitbestimmung enthalten, da es auch möglich war, gegen einen
Kandidaten zu stimmen. Wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten einen Kandidaten
verwarf, war dieser nicht gewählt und der Posten musste in einem neuen
Wahlvorgang mit einem anderen Kandidaten besetzt werden. 1965 wurden auf diesem
Weg 208 Kandidaten für die lokalen Sowjets abgelehnt.
Viel wichtiger ist jedoch, dass der Wahlvorgang nur der letzte Schritt eines viel
längeren Auswahlprozesses war. Die Kandidaten wurden auf den Versammlungen der
Werktätigen und ihrer Massenorganisationen aufgestellt, nachdem sie ihre politischen Standpunkte darlegen konnten und diskutiert wurden. Jeder auf diesen Treffen hatte
das Recht, Kandidaten vorzuschlagen. Dieser Prozess war keine Besonderheit der
Sowjetunion, sondern fand sich auch in anderen sozialistischen Staaten, einschließlich
der VR China (Szymanski 1979, S 81f).
Die Wahlen zu den Sowjets waren jedoch nur einer von vielen Mechanismen der
demokratischen Kontrolle. So wurde die Arbeit der Sowjets durch permanente
Kommissionen unterstützt und kontrolliert, an denen sich viele weitere Personen
beteiligten und darüber Einfluss auf die Entscheidungsfindungen ausübten. In den
Diskussionen innerhalb der Sowjets wurden somit sehr viele Meinungen geäußert und
berücksichtigt, bevor eine konkrete Maßnahme beschlossen wurde (Szymanski 1979,
S 82).
Die wesentlichen Foren für öffentliche Debatte, Kritik und Meinungsbildung waren
die Massenmedien, ergänzt durch spezialisierte Zeitschriften und Konferenzen. Die
beiden landesweiten Zeitungen Prawda und Iswestija waren wichtige Foren für
widerstreitende Positionen. Insgesamt war die sowjetische Presse voll von
öffentlichen Debatten über ein sehr breites Spektrum von Themen: Von
ökonomischen und rechtlichen Reformen über Probleme der Landwirtschaft und
Umweltverschmutzung bis zur Kritik an Funktionären und inkompetenter
Wirtschaftsverwaltung. Tatsächlich konnten nicht alle Positionen in der Presse
geäußert werden, was Ansatzpunkt für die bürgerlichen Vorwürfe der mangelnden
Meinungsfreiheit ist: Die Existenz der kommunistischen Partei, der Sozialismus als
System, der Kommunismus als Ziel und die Persönlichkeiten der obersten Staats- und
Parteiführer waren weitgehend von der Kritik ausgenommen. Einzelne politische
Maßnahmen waren es nicht (Szymanski 1979, S. 83f). Diese Debatten reichten tief in
die sowjetische Sozialstruktur. Jeder hatte die Möglichkeit, sich an ihnen zu
beteiligen. Zwar konnten nicht alle Leserbriefe und Artikel aus den Massen
veröffentlicht werden, da ihre Anzahl viel zu groß dafür war. Allein 1970 erhielt die
Prawda ca. 360.000 Briefe und die Iswestija 500.000. Sofern sie nicht veröffentlicht
wurden, leiteten die Zeitungen sie an die entsprechenden Staatsorgane weiter, die von
der Kritik betroffen waren und rechtlich verpflichtet waren, auf Vorschläge und
Beschwerden binnen 15 Tagen zu reagieren. Die Zeitungen waren aber nicht nur
Foren und Vermittler der öffentlichen Diskussion, sondern selbst Akteure der Kritik.
Journalisten suchten aktiv nach Korruption, Inkompetenz der Betriebsleitungen oder
Partei- und Staatsfunktionäre und gingen kritischen Hinweisen aus den Massen nach.
Beschwerden hatten oft Konsequenzen, bis hin zur Strafverfolgung und
Disziplinarmaßnahmen gegen Funktionäre. Versuche, die Kritik zu unterdrücken,
wurden selbst in der Presse skandalisiert (Szymanski 1979, S. 85). Während die großen Zeitungen natürlich von einer festen Redaktion verwaltet
wurden, erarbeiteten die Arbeiter eigene Wandzeitungen, die in Läden,
Industriebetrieben, Bildungseinrichtungen und Farmen ausgehängt wurden und die
Ansichten, Vorschläge und Kritik der Massen zum Ausdruck brachten (Szymanski
1979, S. 86)
Der Entscheidungsfindungsprozess verlief also im Wesentlichen so, dass es einen
Gesetzesvorschlag gab, dann eine Periode sehr umfassender öffentlicher Diskussion
stattfand, dann eine überarbeitete Version des Gesetzes verabschiedet wird, die die
Ergebnisse der Kritik mit umsetzt (Szymanski 1979, S. 84).
Die sowjetischen Verfassungen, die die Grundlagen des politischen und
gesellschaftlichen Systems festlegten, entstanden als Ergebnis breiter demokratischer
Diskussionsprozesse. Das war bei der Verfassung von 1936 der Fall, wo etwa 51
Millionen Menschen an 500.000 Diskussionstreffen über die Verfassung teilnahmen,
eine lebendige und kontroverse Diskussion führten und viele Änderungen am Entwurf
durchsetzen konnten (Getty 1991, S. 24ff). Es galt aber auch 1977, als die
Sowjetunion laut Bland und anderen längst zu einem „faschistischen Staat“ geworden
war. Nach der Veröffentlichung des Verfassungsentwurfes fand eine umfassende
Volkaussprache statt, an der über 140 Millionen Menschen beteiligt waren. Aus
diesen Diskussionen gingen ca. 400.000 Änderungsvorschläge hervor, die zu
Änderungen im endgültigen Verfassungstext führten. Insbesondere waren zu geringe
Möglichkeiten der Mitbestimmung kritisiert worden, was zu einer deutlichen
Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten in der endgültigen Fassung führte: Die
Befugnisse der Betriebskollektive wurden auf den überbetrieblichen Bereich
ausgedehnt, ihre pädagogische Funktion betont und die Art ihrer Mitwirkung
präzisiert (Höhmann/Seidenstecher 1980, S. 20; 25)
Geringere Gesetzesverstöße wurden vor Genossengerichten verhandelt, die 1959
eingerichtet wurden und aus Bürgern bestanden, die von den Massenorganisationen
gewählt wurden. Die Lebensbedingungen in den Häuserblocks wurden von den
Einwohnern selbst über gewählte Komitees verwaltet. Die Sowjets wurden durch
Kommissionen der Volkskontrolle überwacht, deren Aufgabe die Inspektion von
Unternehmen und öffentlichen Institutionen ist und Aufdeckung von Missbräuchen
war. Diese Kommissionen wurden auf allen Ebenen von den Sowjets eingerichtet und
agierten mit staatlicher Autorität. 1975-76 arbeiteten bereits 9,4 Mio. Menschen in
diesen Kommissionen mit, während es 1963-64 noch 4,3 Mio. waren (Szymanski
1979, S. 87).
Das Militär der Sowjetunion verstand sich als Organ zur Verteidigung der Arbeiterund
Bauernmacht, in der Zeit des Systemkonflikts zunehmend auch als Teil der
internationalen revolutionären Kräfte und zur Hilfestellung an Befreiungsbewegungen im internationalen Maßstab (Szymanski 1989, S. 112). Neben der regulären Armee
gab es jedoch auch unmittelbarere Formen der Bewaffnung der Arbeiterklasse in
Form der Volksmilizen und Volkspolizei. Diese Einheiten bekamen seit den 50ern
zunehmend Befugnisse zugesprochen und wuchsen zahlenmäßig an. 1970 bestanden
die Volksmilizen aus sechs Millionen freiwilligen Sowjetbürgern unter Waffen
(Szymanski 1989, S. 87). In den osteuropäischen Ländern des Warschauer Paktes gab
es in den Betrieben eine Bewaffnung der Arbeiter, wie beispielsweise die
„Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ in der DDR.
Die Beteiligung von Arbeitern und Bauern an den verschiedenen Organen der
Sowjetmacht stieg stetig an. Der Anteil der einfachen Arbeiter und Bauern an den
Abgeordneten des Obersten Sowjets stieg (nach eng gefasster Definition der beiden
Gruppen) von 11% 1954/55 auf 36% 1972/73 an. Bei den Stadtsowjets stieg der
Anteil der Arbeiter von 27,7% auf 59,5%. In der Partei stieg der Arbeiteranteil von
32% auf 40,7% (Hough 1976, S. 11). Gleichzeitig stieg der Bildungsstand dieser
Bevölkerungsgruppen weiterhin stark an, wodurch die Voraussetzungen, um sich
politisch zu beteiligen gerade für Industriearbeiter und Bauern besser wurden (Hough
1976, S. 13). Auch die Regierung rekrutierte sich im Wesentlichen aus den
werktätigen Schichten: Von den 47 Regierungsministern der UdSSR 1966 kamen
40% aus dem Industrieproletariat, 27% aus der Bauernschaft; die Eltern von 15%
waren niedere Angestellte und nur 18% kamen aus der Intelligenz. Das
Zentralkomitee und Politbüro der KPdSU waren zu ca. 90% aus Menschen mit
bescheidenem sozialem Hintergrund zusammengesetzt (Szymanski 1979, S. 74).
Westliche bürgerliche Politikwissenschaftler gehen in dieser Zeit daher von einer
tendenziell steigenden politischen Partizipation der Volksmassen im sowjetischen
System aus. Jerry Hough kommt zu dem Schluss, dass viele Formen der Partizipation
in der UdSSR mit den Beteiligungsformen in bürgerlichen „Demokratien“ im Westen
vergleichbar sind (Hough 1976, S. 14f). Dabei unterschlägt er jedoch den
wesentlichen Unterschied zwischen beiden Systemen: In kapitalistischen Ländern
bedeutet Mitbestimmung nur politische Integration in das Ausbeutersystem, da die
zentralen Entscheidungen den Zwängen der Kapitalakkumulation folgen und von
einer kleinen Zahl von Mitgliedern der herrschenden Klasse getroffen werden. Den
Klassengegensatz und die Klassenherrschaft kann die bürgerliche „Demokratie“ nie
abschaffen. In der Sowjetunion gab es dagegen, wie gezeigt wurde, keine
Ausbeuterklasse, die den Staatsapparat kontrollierte. Die betriebliche Demokratie
hatte damit einen ganz anderen Charakter: Es ging dabei nicht um die Herstellung des
„sozialen Friedens“, um die kapitalistischen Abläufe reibungsloser zu machen,
sondern um die Einbeziehung der Massen in die Verwaltung der vergesellschafteten
Produktion. Die zentrale Planung orientierte sich im Allgemeinen an
gesellschaftlichen Bedürfnissen, und dass dieser Charakter auch im konkreten Einzelfall gewahrt blieb, sollte durch die Kontrollrechte der Arbeiter im Betrieb
gesichert werden.
Partizipation der Arbeiter im Betrieb
Die Arbeiterkontrolle über die Produktion war in vieler Hinsicht sicherlich
ausbaufähig, aber sie war real und hatte grundsätzlich anderen Charakter als die
„betriebliche Mitbestimmung“ in einigen kapitalistischen Ländern. Ein zentraler
Mechanismus der Arbeiterkontrolle waren die Gewerkschaften. Die Mitgliedschaft in
ihnen war nicht verpflichtend, trotzdem waren ca. 95% aller Arbeiter
Gewerkschaftsmitglieder (Szymanski 1979, S. 55). Das von den Arbeitern gewählte
Gewerkschaftskomitee hatte umfassende Befugnisse. Eine Entlassung von
Arbeitskräften war nur mit seinem ausdrücklichen Einverständnis möglich
(Höhmann/Seidenstecher 1980, S. 27). Das Komitee organisierte
Mitgliederversammlungen, Produktionsberatungen und Konferenzen, auf denen die
Werktätigen über Aspekte des betrieblichen Lebens berieten. Die Betriebsleitung war
verpflichtet, Kritik und Vorschläge der verschiedenen Arbeiterversammlungen
innerhalb eines begrenzten Zeitraums zu prüfen und dann Bericht über umgesetzte
Änderungen zu erstatten. Die Gewerkschaft schloss einen Kollektivvertrag mit der
Betriebsleitung, in dem die Arbeitsbedingungen, die Mitbestimmung, soziale und
Wohnbedingungen der Arbeiter und viele andere Fragen beschlossen wurden. Die
Umsetzung war für die Betriebsleitung verpflichtend und Verstöße wurden bestraft,
während sich für die Arbeiter und die Gewerkschaftsgliederungen nur „politischmoralische
Verpflichtungen“ ohne rechtliche Bindung daraus ergaben. Dieses
Ungleichgewicht entstand deshalb, weil die Kollektivverträge in erster Linie
Instrumente zur Kontrolle der Betriebsleitung durch die Arbeiter darstellen sollten
und nicht umgekehrt.
Das Komitee hatte insgesamt umfassende Rechte zur Kritik und zum Einbringen von
Vorschlägen und in einigen Bereichen das alleinige Entscheidungsrecht: Das galt vor
allem für die Verwaltung der Sozialversicherung, Erholung und Freizeitgestaltung,
Kulturveranstaltungen sowie die medizinische Betreuung, die alle aus betrieblichen
Mitteln finanziert wurden (Höhmann/Seidenstecher 1980, S. 31f; 35; Szymanski
1979, S. 53f).
Das Betriebsstatut erlegte jedem Betrieb hierbei weitreichende Verpflichtungen auf:
„Der Betrieb wird dem Betriebs-, Fabrik- oder lokalen Komitee der Gewerkschaft
kostenlos Gebäude, Anlagen, Strukturen, Gärten und Parks zur Verfügung stellen, die
ihm gehören oder von ihm gemietet werden, die kulturellen, erziehungsmäßigen,
gesundheitlichen, Kultur- oder Sportaktivitäten des Betriebspersonals und ihrer Familien dienen, sowie Camps der Jungpioniere (…). Der Betrieb wird kostenlos
seine medizinischen und sanitären Institutionen, die Anlagen inklusive Heizung,
Beleuchtung, Wasserversorgung, Schutzmaßnahmen, Reinigung und Reparaturen, die
Kantine und andere Einrichtungen der Nahrungsversorgung auf seinem Gelände oder
in seinem Eigentum im Dienste des Personals zur Verfügung stellen“ (Statut 1966, S.
14).
Betriebe mussten technische Entwicklungspläne (OTM-Pläne) aufstellen, die u.a.
beinhalteten, welche neuen Güter produziert werden, welche Maschinerie eingeführt
wird, welche modernisiert wird, welche Arbeitsbedingungen herrschen sollen usw.
Diese Pläne wurden am Arbeitsplatz selbst erarbeitet und das gesamte Personal
beteiligte sich daran. Das Personal untersuchte dann auch Vorschläge für technische
Neuerungen und die wichtigsten davon gingen an die Produktionskonferenzen. Der
Planentwurf für den Betrieb wurde dann am Arbeitsplatz, den
Personalversammlungen und in den Parteigruppen diskutiert, bevor er dem
Management zur Bestätigung vorgelegt wurde (Bor 1967, S. 51f).
Über die Ständigen Produktionsberatungen, die in allen größeren Betrieben
verpflichtend stattfanden, wurde von den Arbeitern und ihren Organisationen
(Gewerkschaftsorganisationen, Parteiorganisationen, Massenorganisationen) an der
Ausarbeitung der Produktionspläne der Betriebe und Maßnahmen der Planumsetzung
mitgewirkt (Höhmann/Seidenstecher 1980, S. 39). Aus anderen Institutionen wie z.B.
den Arbeitsbrigaden und der Gegenplanbewegung ergaben sich weitere Formen der
Arbeiterkontrolle und der Mitbestimmung (Höhmann/Seidenstecher 1980, S. 29f;
46f).
Die Arbeiterkontrolle über die Betriebe wurde damit über eine Vielzahl von
Mechanismen organisiert. Sie wurde 1956 nicht abgeschafft, sondern man versuchte
sogar, sie weiter auszuweiten. So wurden 1957 die Produktionskonferenzen wieder
eingeführt, der Betriebsparteigruppe mehr Einfluss gegenüber dem Management
gegeben und den Gewerkschaften das Recht zum Schließen kollektiver
Betriebsvereinbarungen verliehen (Szymanski 1979, S. 54ff).
Insgesamt führt die Untersuchung des politischen Systems und der ökonomischen
Entscheidungsmechanismen in der Sowjetunion zu dem Schluss, dass die von
antisowjetischen Autoren (egal ob von links oder rechts) vertretene Position, dass es
sich bei der Sowjetunion um eine Diktatur einer Bürokratie über und gegen das Volk
handelte, nicht haltbar ist. Sicherlich gab es Mängel in der Ausübung der
Arbeiterkontrolle über Staat und Wirtschaft, sowohl was den Buchstaben des
Gesetzes als auch was die reale Umsetzung angeht. Die Fragen, wo die proletarische
Demokratie in der Sowjetunion begrenzt wurde, an welchen Stellen sie zu einem
formalen Ritual erstarrte, was jeweils die Ursachen dafür waren und wie solche Fehlentwicklungen zur Zerschlagung der Sowjetunion beigetragen haben, müssen
umfassend, kritisch und ehrlich untersucht werden. Die antikommunistisch verzerrte
Sichtweise, wonach die UdSSR einfach nur eine „bürokratische Diktatur“ gewesen
oder 1956 dazu geworden sei, verhindert eine solche wissenschaftliche Beschäftigung
jedoch.
Im Wesentlichen waren trotz der genannten Einschränkungen die politischen
Institutionen in der Sowjetunion solche, die die Arbeiterklasse sich selbst gegeben
hatte, um eine Produktion und einen entsprechenden politischen Überbau in ihrem
eigenen Interesse zu schaffen.
Welche Produktionsweise herrschte in der Sowjetunion vor?
Die Fragestellung
In den vorherigen Kapiteln wurde dargelegt, warum die Sowjetunion auch nach 1956
nicht als kapitalistischer Staat betrachtet werden kann. Allerdings wurde bisher offen
gelassen, welche Produktionsweise in der Sowjetunion nun tatsächlich vorherrschte.
Es ist offensichtlich, dass die Sowjetunion in keinerlei Hinsicht als kapitalistisch zu
charakterisieren war. War sie deshalb automatisch sozialistisch? Oder herrschte in ihr
eine andere, möglicherweise noch unbekannte Produktionsweise vor, die weder
kapitalistisch, noch sozialistisch war? Die zweite Position scheint z.B. Lebowitz zu
vertreten, wenn er in der Sowjetunion keine sozialistischen, sondern
„avantgardistische“, also durch die Vorherrschaft der kommunistischen Partei
geprägte Produktionsbeziehungen (vanguard relations of production) am Werke sieht
(Lebowitz 2012).
Eine solche Position ließe sich nur dann vertreten, wenn man begründen könnte, dass
mit der „Bürokratie“ eine neue herrschende Klasse entstanden ist. Ist dies nicht der
Fall, gibt es also keine andere Klasse als die der unmittelbaren Produzenten, die über
die Produktionsmittel herrscht, wird also die Arbeiterklasse nicht ausgebeutet, dann
müssen wir von sozialistischen Produktionsverhältnissen ausgehen.
Die Frage der sowjetischen Bürokratie
Wer behauptet, dass 1956 (oder zu einem anderen Zeitpunkt) die „Bürokratie“ an die
Macht gekommen sei, muss zunächst einmal folgende Frage beantworten: Wo lag der
grundlegende Unterschied zwischen der Bürokratie vor und nach 1956, sodass man
von einem Wechsel der Produktionsverhältnisse und der politischen Macht sprechen
kann? Allein durch einen personellen Führungswechsel und einen ideologischen
Kurswechsel kann das nicht passiert sein. Im marxistischen Verständnis hängen
politische und ökonomische Macht zwingend zusammen, d.h. der Aufstieg einer neuen Klasse zur Macht muss sich auch in grundlegenden ökonomischen
Umwälzungen ausdrücken, so wie es bei den bürgerlichen Revolutionen oder der
Oktoberrevolution der Fall war. Gerade diese grundlegenden Umwälzungen hat es
aber 1956 und in den Folgejahren nicht gegeben, wie oben gezeigt wurde. Zwar gab
es relevante Veränderungen des Planungssystems, aber diese vollzogen sich innerhalb
des Rahmens der zentralen Planwirtschaft.
Manchmal ziehen sich die Vertreter der SKT darauf zurück, dass die Übernahme der
Parteiführung durch eine revisionistische Gruppierung um Chruschtschow den Bruch
mit dem Sozialismus und damit den Übergang zu einer Art Staatskapitalismus
bedeutet habe. Diese Auffassung ist allerdings blanker Idealismus. Der Sozialismus
ist nicht einfach ein System von Ideen, sondern eine Produktionsweise. Es können
keine sinnvollen Aussagen über eine Gesellschaftsform getroffen werden, indem man
sich nur auf die Ideen der politischen Führer bezieht. Umgekehrt würde schließlich
auch niemand davon sprechen, dass unter den Volksfrontregierungen in Spanien oder
Frankreich die Diktatur des Proletariats herrschte, weil die kommunistischen Parteien
an der Regierung beteiligt waren. Entscheidend ist eben die ökonomische Basis, deren
Ausdruck der Überbau ist.
Was war also die „Bürokratie“ in der Sowjetunion? Eigentümer der Produktionsmittel
war sie nicht und damit auch keine eigene Klasse. Sie war ebenso wie die
Industriearbeiter beim Staat angestellt. Aufgrund ihrer höheren Einkommen kann von
einer sozialen Schicht (oder mehreren) gesprochen werden, die mit bestimmten
Entscheidungsbefugnissen ausgestattet war. Widerspricht das grundsätzlich dem
Anspruch der Sowjetunion, eine sozialistische Gesellschaft gewesen zu sein?
Nur Vertreter eines utopistischen Sozialismusbegriffs können diese Frage bejahen.
Denn so richtig es ist, dass im Sozialismus die ökonomischen Unterschiede zwischen
produktiven und Verwaltungsaufgaben schrittweise abgeschafft werden müssen, so
klar ist auch, dass dies nicht sofort geschehen kann und dass es zahlreiche Tätigkeiten
gibt, für die spezialisierte Kenntnisse erforderlich sind.
In jedem bisherigen Staat hat eine Bürokratie immer den Zielen und dem Charakter
dieses Staates gedient, sie war also an eine bestimmte politische Programmatik mit
bestimmtem Klasseninhalt gebunden. Dieser Inhalt ergibt sich aus der herrschenden
Produktionsweise, auch wenn es dabei gewisse Spielräume für unterschiedliche
Modelle und konkurrierende Fraktionen gibt. In der Sowjetunion war die herrschende
Produktionsweise die zentrale Planwirtschaft, und der Erfüllung der Ziele dieser
Wirtschaftsweise diente auch die Verwaltungsschicht. Das tat sie nicht immer
effizient und nicht immer uneigennützig, aber dennoch tat sie es, weil sie es musste.
Wenn sich ab einem gewissen Zeitpunkt aus den Reihen dieser Schicht Interessen
herausgebildet haben, die eine Rückkehr zum Kapitalismus anstrebten, dann widerspricht das nicht der Feststellung, dass der Charakter der bürokratischen Schicht
darin bestand, Verwaltungsaufgaben für die Planwirtschaft auszuführen. Im Gegenteil
entwickelten sich diese prokapitalistischen Bestrebungen ja gerade als fundamentaler
Gegensatz zum herrschenden planwirtschaftlichen System. Denn im sowjetischen
System diente die Tätigkeit der „Bürokratie“ eben nicht ihrer Selbstbereicherung und
war im Wesentlichen nicht ihre freie Entscheidung, sondern durch vielfältige Formen
der Arbeiterkontrolle und durch die zentralen Planziele vorgegeben.
War die Sowjetunion sozialistisch?
Der Sozialismus ist für den Marxismus kein fertiger Zustand, sondern ein ständig
fortschreitender Entwicklungsprozess. Die Sowjetunion bezeichnete sich selbst auch
bewusst als sozialistisch und nicht als kommunistisch, um den Unterschied zwischen
einem noch frühen Entwicklungsstadium der neuen Gesellschaft und dem Ziel der
Entwicklung zu verdeutlichen. Marx beschrieb den Sozialismus als eine Gesellschaft,
„wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder
Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der
alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt“ (MEW 19, S. 21). Dennoch ist
hier bereits der Kapitalismus überwunden, die Produktionsmittel sind
vergesellschaftet und werden nach einem zentralen Plan verwaltet. Die grundlegende
ökonomische Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Produktionsweise ist die zentral
geplante Steigerung der Produktivkräfte mit dem Ziel der immer
Bedürfnisbefriedigung auf immer höherem Niveau.
Diese Kriterien waren in der Sowjetunion bis Ende der 80er erfüllt: Die Sowjetunion
blieb eine zentrale Planwirtschaft, die entscheidenden Produktionsmittel waren
vergesellschaftet, die Planung richtete sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen aus.
Dabei gab es zahlreiche Mängel, sowohl in der Planerstellung und -umsetzung, als
auch in Fragen der proletarischen Demokratie und auf anderen Gebieten. Die
Sowjetunion war keine „perfekte“ sozialistische Gesellschaft, eine solche gibt es aber
auch nicht. Trotzdem war sie eine sozialistische Gesellschaft, ein Arbeiterstaat und
eine zentrale Planwirtschaft, in der die Bedürfnisse der Gesellschaft, und dabei vor
allem der Industriearbeiter und Bauern, das Ziel der Produktion waren. Da auch nach
1956 die grundlegenden Errungenschaften der Revolution erhalten blieben und in
vieler Hinsicht sogar trotz revisionistischer Fehlorientierungen in anderen Fragen
weiter ausgebaut wurden, wäre es weiterhin möglich gewesen, über politische und
wirtschaftliche Reformen Mängel und Fehlentwicklungen zu korrigieren.
Entsprechende Bestrebungen gab es immer wieder.
Die KPdSU war schließlich kein homogener revisionistischer Block, sondern in sich
widersprüchlich. Das ergab sich daraus, dass sie einerseits beanspruchte, die Vorhut
in einer sozialistischen Gesellschaft zu sein, aber andrerseits auf verschiedenen
Gebieten (politische Strategie, Staatsverständnis, Friedensfähigkeit des
Imperialismus, Wirtschaftspolitik usw.) in Widerspruch zum Marxismus-Leninismus
geriet. Der vorherrschende Kurs war damit nicht unumstritten und der Weg, der
schließlich zur Restauration des Kapitalismus führte, nicht geradlinig. So erschien
1983 im theoretischen Zentralorgan der Partei ein Artikel eines Ignatowski, der
wichtiger Funktionär der zentralen Planungsbehörde Gosplan war. Ignatowski rief zu
einer umfassenden Rückkehr zu Planzielen in physischen Größen auf, kritisierte die
Nutzung von Wertgrößen als Planindikatoren und argumentierte im Allgemeinen
gegen die Verwendung des Marktmechanismus im Sozialismus. Solche
Positionierungen waren keine Einzelfälle, auch wenn sie in der Minderheit blieben
(Hanson 2003, S. 167).
Die Aufgabe der Kommunisten in der Sowjetunion war damit weiterhin der Kampf
um die korrekte Linie zum Aufbau des Sozialismus, auch und gerade wenn die
Orientierung der Parteiführung falsch war. Die Aufgabe der Kommunisten war auch
hier der Kampf gegen opportunistische und revisionistische Verzerrungen des
Marxismus-Leninismus, bei gleichzeitiger Verteidigung des sozialistischen Systems,
das in der UdSSR weiterhin Bestand hatte. Es handelte sich schließlich um Mängel
bei der Umsetzung des Sozialismus, die im Rahmen des Sozialismus korrigierbar
gewesen wären – ganz im Gegenteil zum Kapitalismus, bei dem nicht einzelne
Mängel zu korrigieren sind, sondern das System als Ganzes durch eine Revolution
gestürzt werden muss.
Schließlich muss festgehalten werden, dass es einen Unterschied zwischen
revisionistischen und konterrevolutionären Kräften und Tendenzen gibt. Der
Revisionismus bedeutet die Aufgabe wesentlicher Bestandteile des MarxismusLeninismus.
Damit stellt er ein Hindernis für den Aufbau der kommunistischen
Bewegung und des Sozialismus dar und bereitet in sozialistischen Gesellschaften
einen günstigen Boden für die Konterrevolution. Das bedeutet aber noch nicht, dass
eine kommunistische Partei, die von revisionistischen Abweichungen durchzogen ist,
leichtfertig als „konterrevolutionär“ bewertet werden kann. Vielmehr ist es wichtig,
die Widersprüchlichkeit solcher Parteien zu verstehen, die revisionistische
Degeneration nicht als einen einmaligen Moment, sondern einen graduellen Prozess
zu verstehen und den Revisionismus entsprechend zu bekämpfen, ohne das
sprichwörtliche Kind mit dem Bade auszuschütten. Das gilt auch für die KPdSU und
die SED: Während revisionistische Auffassungen in diesen Parteien Verbreitung
fanden, waren sie weiterhin über Jahrzehnte auf den Aufbau und die prinzipielle
Verteidigung des Sozialismus orientiert. Sie waren damit im Grundsatz weiterhin revolutionäre Parteien, auch wenn dieser revolutionäre Charakter zunehmend
ausgehöhlt wurde. Erst im Verlauf der zweiten Hälfte der 1980er setzten sich
konterrevolutionäre Kräfte in diesen Parteien durch, die den Kurs in Richtung
Kapitalismus einschlugen.
Schlussbetrachtung
1987-91: Die wirkliche Konterrevolution
Der Kapitalismus war in Russland bzw. der späteren Sowjetunion durch die
Oktoberrevolution abgeschafft worden und erhob erst Ende der 1980er sein hässliches
Haupt wieder. Das Volk der Sowjetunion merkte diesen Unterschied sehr wohl.
Während es 1956 einen ideologischen Kurswechsel gab, blieb der Sozialismus
erhalten und sorgte für ständig verbesserte Lebensbedingungen der Bevölkerung.
Auch wenn es auf einigen Gebieten schleichend bergab ging und die sozialistische
Macht irgendwann nicht mehr in der Lage war, sich an veränderte Bedingungen
anzupassen, blieb diese Entwicklung widersprüchlich. Der Ausbau revolutionärer
Errungenschaften auf manchen Gebieten (z.B. Ausbau sozialer Rechte und formeller
Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung) ging einher mit Rückschritten auf
anderen Gebieten.
Ganz anders stellten sich die Vorgänge Ende der 80er dar. Nachdem sich die
konterrevolutionäre Gruppe in der Parteiführung um Gorbatschow und Jakowlew in
den innerparteilichen Kämpfen durchgesetzt hatte, nahmen die „Reformen“ ab 1987
zunehmend offen prokapitalistischen und antisozialistischen Charakter an. In diesem
Jahr wurde mit dem „Gesetz über Individuelle Arbeitsaktivität“ eine neue Form der
„Kooperativen“ beschlossen, die in Wirklichkeit eine kaum verhüllte Legalisierung
von Privatunternehmen und damit die Wiedereinführung der Ausbeutung darstellten.
Die Zahl dieser oftmals eng mit dem kriminellen Milieu verflochtenen Unternehmen
explodierte schnell. Ende 1988 beschäftigten sie schon etwa eine Million
Lohnarbeiter, Ende 1989 schon fünf Millionen (Keeran/Kenny 2010, S. 139). Im
Dezember 1987 beschloss das Politbüro, dass der Staat in Zukunft nicht mehr wie
bisher alle Produkte der Industriebetriebe abkaufen würde, sondern nur noch 50%.
Die andere Hälfte mussten die Betriebe damit von einem Tag auf den anderen auf
dem Markt verkaufen. Damit stürzte die Parteiführung die Volkswirtschaft ins Chaos
und in eine halsbrecherische Talfahrt, von der sie sich nicht mehr erholen würde
(Keeran/Kenny 2010, S. 160). Auf politischer Ebene war die 19. Parteikonferenz im
Juni 1988 eine entscheidende Wegmarke der Konterrevolution: Antikommunistische
Parteien wurden legalisiert, der Führungsanspruch der KPdSU gestrichen und
Gorbatschow bekam neue exekutive Befugnisse, mit denen er autoritär regieren konnte. Wenige Monate später wurde das Sekretariat des Zentralkomitees aufgelöst
und damit die Parteiführung ihrer Arbeitsfähigkeit beraubt. (Keeran/Kenny 2010, S.
149). Außenpolitisch wurden die Verbündeten fallengelassen und ein einseitiges
Zugeständnis nach dem anderen an den US-Imperialismus gemacht. Am 25.
Dezember 1991 wurde die rote Fahne über dem Kreml das letzte Mal eingeholt. Was
Hitler und Generationen westlicher Imperialisten nicht geschafft hatten, war einer
rechten Gruppierung in der Führung der kommunistischen Partei gelungen: Die
Sowjetunion, der erste, mächtigste, größte und langlebigste sozialistische Staat der
Geschichte, war endgültig zerschlagen. Die Rechnung dafür zahlte die Arbeiterklasse,
die ihren Staat nicht erfolgreich verteidigt hatte: Mit dem Kapitalismus entstand sofort
auch die Arbeitslosigkeit wieder. Mit der Konterrevolution fielen in den 90ern in
Osteuropa und der Sowjetunion praktisch über Nacht 150 Millionen Menschen unter
die Armutsgrenze (Keeran/Kenny 2010, S. 10).
Revisionistischer „Antirevisionismus“
Die vermeintlich „antirevisionistische“ Haltung der Gruppierungen, die die
Sowjetunion als „staatskapitalistisch“ und „sozialimperialistisch“ analysieren, erweist
sich in Wirklichkeit selbst als revisionistisch. Grundlage dieser Thesen ist ein falsches
und unzureichendes Verständnis davon, was Kapitalismus und Imperialismus sind.
Wer meint, in der Sowjetunion „Kapitalismus“ zu entdecken, kann diese Position nur
entweder aus völliger Unkenntnis der realen gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem
Staat, oder aber aus einem falschen, nicht-marxistischen Verständnis vom
Kapitalismus heraus entwickelt haben. Die Abkehr vom Marxismus geht bei einigen
Vertretern dieser These so weit, dass der Marxsche Begriff der kapitalistischen
Produktionsweise faktisch völlig aufgegeben wird und ersetzt wird durch einen
Begriff, wonach „Kapitalismus“ ein inhaltsleeres Schlagwort für alle Länder ist, die
man politisch ablehnt. Oberflächliche Analogien zum Kapitalismus wie die
Verwendung von „Gewinnen“, „Löhnen“, „Märkten“ usw. werden als Beleg für die
Existenz des „Staatskapitalismus“ herangezogen, obwohl sie auf der Grundlage der
sozialistischen Produktionsweise in der Sowjetunion einen ganz anderen sozialen
Inhalt, eine ganz andere ökonomische Funktion hatten. Diese Sichtweise ist im Kern
bürgerlich, denn sie geht nicht vom marxistischen Begriff der Produktionsweise aus,
der es ermöglicht, die Gesetzmäßigkeiten einer Gesellschaftsformation anhand der in
ihr vorherrschenden Eigentumsverhältnisse zu analysieren; stattdessen bedient sich
diese Sichtweise eines ähnlichen Kapitalismusbegriffs, wie er im bürgerlichen Begriff
„Marktwirtschaft“ enthalten ist. In diesem bürgerlichen Denken werden anstelle einer
ganzheitlichen Analyse der Struktur- und Entwicklungsgesetze der Produktionsweise
eben nur einzelne darin wirkende Mechanismen (Märkte, Konkurrenz usw.) hervorgehoben, ohne sie in den Kontext der gesellschaftlichen Beziehungen, d.h. der
Ausbeutung einer Klasse durch eine andere zu stellen. Ganz ähnlich geht die SKT
vor, wenn sie bestimmte Veränderungen des Planungsmechanismus durch die
Kossygin-Reform (Aufwertung des Planindikators „Gewinn“, Stärkung von
Beziehungen zwischen den Betrieben usw.) mit einem Übergang zum Kapitalismus
verwechselt, obwohl die Grundlagen der sozialistischen Produktionsweise
offensichtlich weiterhin Bestand hatten.
Auch der Sozialismusbegriff, der hinter diesen Vorstellungen steht, ist falsch, da ihm
ein moralisierender Begriff von Sozialismus als einer idealen Gesellschaft zugrunde
liegt, wo nicht mehr die herrschende Produktionsweise als das entscheidende
Unterscheidungsmerkmal herangezogen wird. Damit findet im Grunde ein
Zurückfallen hinter den wissenschaftlichen Sozialismus, in utopische
Sozialismusvorstellungen statt.
Weil diese Thesen selbst revisionistisch sind, haben sie zum Verständnis der
Geschichte der kommunistischen Bewegung und der Gründe für die Verbreitung des
Revisionismus in ihr nichts beizutragen. Im Gegenteil stehen sie gerade einer
wissenschaftlichen und selbstkritischen Analyse der Geschichte des Kommunismus
entgegen. Indem der sowjetische Sozialismus nicht mehr als solcher anerkannt wird,
ist es auch unmöglich, die Fehler beim Aufbau dieses Sozialismus richtig zu
analysieren und einzuordnen. Damit ist auch der Weg dahin versperrt, sich Gedanken
für die Zukunft zu machen, wie solche Fehler vermieden werden können und wie auf
bestimmte Probleme in Zukunft bessere Antworten gefunden werden können.
Da die SKT und die SIT nichts mit der historischen Realität zu tun haben, sind sie
natürlich auch nicht plausibel gegenüber den Massen vermittelbar und verstricken
sich in offensichtliche Widersprüche: Wie kann es sein, dass es angeblich
„kapitalistische“ Staaten gab, die jahrzehntelang keine Krisen und keine
Arbeitslosigkeit kannten, in denen auch die anderen kapitalistischen Gesetze nicht
galten, in denen die wirtschaftliche Entwicklung den Volksmassen zugute kam, die
die Gleichstellung der Geschlechter und Nationalitäten förderten und weltweit nicht
Reaktion und Krieg, sondern revolutionäre Befreiungsbewegungen förderten? Wenn
all das angeblich in einem „kapitalistischen“, einem „sozialimperialistischen“ oder
sogar „faschistischen“ Staat möglich sein soll, wozu sollte man dann den Sozialismus
überhaupt noch brauchen?
Politische Folgen der Staatskapitalismus- und Sozialimperialismusthese
Politisch führen diese Thesen dazu, dass man dem ersten und wichtigsten
proletarischen Staat der Geschichte die kritische Solidarität entzieht und sich in die
bequeme Haltung zurückzieht, den sowjetischen Sozialismus nicht mehr gegen seine Feinde verteidigen zu müssen. Die Sowjetunion, und besonders in Deutschland auch
die DDR, sind aber nicht ohne Grund weiterhin die Lieblingsfeindbilder und der
schlimmste Albtraum der Bourgeoisie. In diesen Ländern wurde die Macht des
Kapitals gebrochen, die Möglichkeit einer anderen und trotz all ihrer Mängel sehr viel
besseren Gesellschaft wurde praktisch bewiesen. Die Errungenschaften des
sowjetischen Sozialismus für die Arbeiterklasse waren enorm und wurden bis in die
1980er durchgängig weiter ausgebaut. 1950-1980 stieg der Pro-Kopf-Verbrauch an
Konsumgütern jährlich um etwa 3%. Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln pro
Person stieg von durchschnittlich 2030 Kalorien pro Person 1929, also vor der
Einrichtung der zentralen Planwirtschaft, auf 3400 Kalorien 1970 (Allen 2003, S.
132f; 136). Jeder hatte einen sicheren Job, umfassende Rechte am Arbeitsplatz,
garantierten Urlaub mit kostengünstigen Freizeitangeboten und eine sichere Zukunft.
Wohnraum und Güter des täglichen Bedarfs waren stark verbilligt, damit jeder sie
sich leisten konnte. Das Bildungs- und Gesundheitswesen war kostenlos und auf
hohem Niveau. Der Bildungsstand der Sowjetbürger war der höchste der Welt
gemessen an der Zahl der Bücher die man besaß und las, der Häufigkeit von
Besuchen in Museen, Theatern, Konzerten usw. Den Analphabetismus, der 1917 noch
allgegenwärtig war, hatte die Sowjetunion in den 80ern praktisch ausgerottet.
Insgesamt handelte es sich trotz mancher negativer Auswüchse um eine Gesellschaft
mit hoher sozialer Gleichheit (Keeran/Kenny 2010, S. 2ff). All das wurde erreicht,
obwohl die Sowjetunion den furchtbarsten Krieg und die schwersten Zerstörungen der
Menschheitsgeschichte erlebte und danach für vier Jahrzehnte in ein Wettrüsten
gegen die führende Militärmacht der Welt gezwungen wurde. Kein kapitalistisches
Land hätte solche Errungenschaften möglich gemacht. Sie sind historisch einzigartig
und die einzig plausible Erklärung dafür ist die Überlegenheit des Sozialismus als
System.
Die Sowjetunion stellte auch keinen „neuen Imperialismus“ dar, sondern blieb bis zu
ihrer Zerschlagung durch die Konterrevolution ein Verbündeter der internationalen
kommunistischen Bewegung, der revolutionären und antiimperialistischen
Befreiungsbewegungen, der Arbeiterbewegung und anderen fortschrittlichen Kräfte
auf der Welt. Selbst der vergleichsweise hohe Lebensstandard der Arbeiterklasse in
den Nachkriegsjahrzehnten in Westeuropa war unter anderem ein Ergebnis der
Existenz des Sozialismus: Weil in Osteuropa und der Sowjetunion der Sozialismus als
reales Gegenmodell existierte, mussten die Imperialisten soziale Zugeständnisse an
die Arbeiterklasse machen, um den kommunistischen Einfluss in der Klasse
zurückzudrängen. Bezeichnend ist auch, dass sich an der feindseligen Haltung der
Imperialisten gegenüber der Sowjetunion nach 1956 nichts Grundsätzliches änderte.
Den antikommunistischen Strategen in Washington, Bonn, London usw. war nämlich,
im Gegensatz z.B. zu den Anhängern der KP Chinas, sehr wohl bewusst, dass die Sowjetunion weiterhin ein sozialistischer Staat war und allein durch ihre Existenz
eine tödliche Gefahr für den Imperialismus darstellte. Während ein Großteil der an
China oder Albanien orientierten Strömungen bis heute an den falschen Positionen
der SKT und SIT festhalten, haben sich einzelne Personen und Organisationen später
davon distanziert. Ein positives Beispiel in diesem Sinne ist der berühmte USamerikanische
Revolutionär Harry Haywood, der in den 1980ern die Linie Maos und
der KP Chinas, wonach in der Sowjetunion der Kapitalismus restauriert worden sei
und diese sich zum „Sozialimperialismus“ und Hauptfeind der Völker entwickelt
hatte, als idealistisch kritisierte und verwarf (Haywood 1984).
Wer die antikommunistische Propaganda gegen die UdSSR, die DDR und die anderen
Länder nicht offensiv bekämpft, sondern vor ihr zurückweicht, indem er in die Hetze
einstimmt, der überlässt das Feld der Geschichtspolitik den Lügen und Verzerrungen
der herrschenden Klasse. Wer allen Ernstes die Sowjetunion mit dem Faschismus und
mit Nazideutschland im Besonderen gleichsetzt (vgl. Bland 1995, Kapitel 37),
überholt selbst die rechtesten Varianten der Totalitarismustheorie von rechts.
Ausgerechnet diejenigen, die sich selbst zu Verteidigern der Linie Stalins stilisieren,
haben damit dem gigantischen Aufbauwerk, das unter der Führung von Stalin von den
Massen und Millionen von Kommunisten geleistet wurde, die Unterstützung
entzogen. Statt sich an die Seite derjenigen Kommunisten zu stellen, die in kritischer
Solidarität den Kampf um die Korrektur von falschen Entwicklungen geführt haben,
orientierten sie auf den „revolutionären“ Sturz der vermeintlichen „neuen
Bourgeoisie“, d.h. auf den Sturz der KPdSU und der Arbeitermacht. Einige von ihnen
unterstellen dem Volk und den Kommunisten der Sowjetunion, die unter
unvorstellbaren Opfern das faschistische Regime des Vernichtungskriegs und
fabrikmäßigen Massenmords in Deutschland gestürzt haben, selbst einen
faschistischen Staat vom Typ des deutschen Faschismus geschaffen zu haben. In den
schlimmsten Fällen haben diese Kräfte sich offen auf die Seite der Konterrevolution
gestellt und die Zerschlagung des Sozialismus durch den Imperialismus 1989/90 als
Befreiungstat gefeiert (z.B. die MLPD, s.o.). Damit befinden sie sich in dieser Frage
objektiv auf einer Linie mit den westlichen imperialistischen Zentren, die die
Zerstörung der Sowjetunion bis heute verständlicherweise als Sieg historischen
Ausmaßes feiern. Diese Tatsache ist auch der Grund dafür, weshalb der Geheimdienst
der BRD und anderer westeuropäischer Länder die Ausbreitung verschiedener „prochinesischer“,
d.h. antisowjetischer Strömungen aktiv gefördert hat, um der
Sowjetunion und der DDR als ihren Hauptfeinden zu schaden. Während in den 50ern
und 60ern jedes Jahr etwa 17 Millionen Druckmaterialien aus der DDR vom
westdeutschen Geheimdienst als staatsgefährdend abgefangen wurden, förderte der
Staat gezielt die Verbreitung chinesischer Propagandamaterialien unter den
westdeutschen Kommunisten (Jacoby 2017).
Fazit
Der Revisionismus, der sich in der Sowjetunion und der internationalen
kommunistischen Bewegung zunehmend durchgesetzt hat und bis heute zahlreiche
kommunistische Parteien auf der Welt prägt, muss kritisiert und bekämpft werden. Er
ist ein Hindernis, wenn nicht das grundlegende Hindernis überhaupt, für den
Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung und einen erneuten Anlauf zum
Sozialismus. Erst recht gilt dies jedoch für die Variante des Revisionismus, die in
diesem Text analysiert und kritisiert wurde: Den von der KP Chinas und der Partei
der Arbeit Albaniens propagierten antisowjetischen Revisionismus in Form der
Staatskapitalismusthese. Wenn eine Kraft sich als kommunistische Partei versteht,
dabei aber nicht imstande ist, eine sozialistische Gesellschaft von einer
kapitalistischen zu unterscheiden, muss ihre wissenschaftliche Grundlage infrage
gestellt werden. Der Wiederaufbau der kommunistischen Partei kann jedoch nicht auf
einer unwissenschaftlichen Grundlage wie der Staatskapitalismusthese erfolgen,
sondern nur durch die wissenschaftliche Anwendung und Weiterentwicklung des
Marxismus-Leninismus.
Es geht dabei nicht darum, die historischen Verdienste der KP Chinas beim
sozialistischen Aufbau in China oder die Rolle Maos in der Chinesischen Revolution
in Abrede zu stellen. Ähnliches gilt für Enver Hoxha und Albanien. Es geht auch
nicht darum, alle politischen Kräfte, die sich daran orientieren, pauschal als
konterrevolutionär zu charakterisieren. Aber wo sie sich von der wissenschaftlichen
Methode des Marxismus entfernt haben, müssen sie dafür kritisiert werden.
Der Wiederaufbau einer marxistisch-leninistischen Partei setzt schließlich auch eine
Selbstkritik unserer Strömung an den Fehlern der KPdSU und der mit ihr
verbundenen kommunistischen Parteien voraus. Diese Selbstkritik, die nicht zuletzt
auch eine Analyse der Ursachen der Konterrevolution einschließen muss, muss
geleistet werden und auf diesem Gebiet ist noch viel zu tun.
Diejenigen Strömungen, die im Anschluss an die KP Chinas und Partei der Arbeit
Albaniens eine feindliche Haltung gegenüber der Sowjetunion und den anderen
sozialistischen Ländern eingenommen haben oder die revisionistischen Thesen über
„Staatskapitalismus“ und „Sozialimperialismus“ verteidigt haben, müssen allerdings
erst recht eine umfassende Selbstkritik üben. Dazu würde vor allem gehören, einen
wissenschaftlichen marxistischen Standpunkt zum sozialistischen Aufbau in der
Sowjetunion, den osteuropäischen und anderen sozialistischen Staaten zu entwickeln,
den Sozialismus in diesen Ländern als historische Realität anzuerkennen und ihn in
kritischer Solidarität gegen die Verleumdungen des Klassengegners zu verteidigen.
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