Britische Sozialdemokraten stellen auf ihrem Parteitag in Liverpool ihr Wirtschaftsprogramm vor
Von Christian Bunke, Manchester![]()
Sozialdemokratisches Konzept: Labour-Schattenfinanzminister John McDonnell stellt sein Wirtschaftsprogramm vor (Liverpool, 24.9.2018)
Foto: Phil Noble/REUTERS
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Der Labour-Parteitag fand in Liverpool statt. Doch über die von Labour geführte Stadtregierung der 1980er Jahre sollte man dort nicht sprechen. Diese weigerte sich, sich dem Kürzungsdiktat Margaret Thatchers zu unterwerfen, ließ Tausende Wohnungen, Parks und Schwimmbäder bauen. Das dafür benötigte Geld holte sie sich mit einer Massenbewegung von Zehntausenden Menschen im Rücken von London.
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Weitaus wichtiger ist aber das Wirtschaftsprogramm, das bei dem Parteitag vorgestellt wurde. Kurzfristige Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen, denn derzeit herrscht Unruhe im Vereinigten Königreich. Deswegen plant Labour mit einem jederzeit beginnenden Wahlkampf.
Kurz vor dem Beginn des Parteitags veröffentlichte der unter anderem der von Einzelgewerkschaften finanzierte Thinktank »Institute for Public Policy Research« eine Umfrage zur derzeitigen ökonomischen Lage: 64 Prozent der unter 35jährigen halten die Weise für unfair, wie die Wirtschaft funktioniert. 72 Prozent von ihnen geben an, dass das Land im vergangenen Jahrzehnt unfairer geworden sei. 83 Prozent der britischen Gesamtbevölkerung glauben, dass die Wirtschaft nur für Menschen funktioniere, die in wohlhabende Familien hineingeboren wurden. Und für 74 Prozent der Befragten funktioniert die Wirtschaft nicht für jene, die in Armut aufwachsen müssen.
Daran knüpfte die Rede John McDonnells an. Der wirtschaftspolitische Sprecher und Schattenfinanzminister erklärte am Montag, Labour plane eine »noch nie dagewesene Umverteilung der Macht im Land«. Die Partei werde dies auch gegen den Widerstand der Eliten durchkämpfen. Es könne nicht sein, dass vier Millionen Kinder im sechstreichsten Land der Erde in Armut leben müssten. So sei auch der »Brexit« zu verstehen: »Es war eine Abstimmung gegen das britische Establishment und die Eliten«, sagte McDonnell.
Eine Labour-Regierung werde gewerkschaftliche Rechte für alle arbeitenden Menschen garantieren, egal in was für einem Beschäftigungsverhältnis sie sich befinden. Labour plane zudem die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von zehn Pfund pro Stunde. Damit übernimmt McDonnell eine Forderung des linken Flügels der britischen Gewerkschaftsbewegung. Außerdem wolle man gesetzlich gegen die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen vorgehen.
Wie schon im vergangenen Jahr versprach McDonnell auch beim Parteitag in Liverpool die Verstaatlichung von Wasser, Strom, Post und Gas. Dazu legte Labour erstmals ein Dokument vor, das diese Idee am Beispiel der Wasserversorgung konkretisiert: Diese soll durch ein Gesetz verstaatlicht und in kommunale Strukturen überführt werden. Zusätzlich soll ein Schutz gegen zukünftige Privatisierungsversuche festgeschrieben werden.
Labour möchte zudem demokratische Verwaltungsstrukturen festlegen. So soll die örtliche Organisation der Wasserversorgung in den Händen paritätisch besetzter »Vorstände« liegen. Sie sollen aus Kommunalpolitikern, Gewerkschaftern sowie Vertretern von Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen bestehen. Alle Tagungen dieser Vorstände sollen öffentlich abgehalten und live im Internet übertragen werden. Außerdem sollen alle von der Wasserversorgung produzierten Dokumente online veröffentlicht werden.
Neben diesen Plänen verkündete McDonnell diverse Maßnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten wohl als sozialpartnerschaftlich bezeichnet worden wären. Unter den Bedingungen des neoliberalen Kapitalismus führen sie aber zu Schnappatmung in den Chefetagen der Konzerne. Demnach möchte Labour ein Drittel der Plätze in Unternehmensvorständen für Gewerkschaftsvertreter reservieren. Zusätzlich soll ein »inklusiver Eigentumsfonds« eingeführt werden. Dieser soll zehn Prozent des Firmeneigentums in die Hände der Belegschaft legen. Aus dem Fonds erwirtschaftete Gewinne sollen zudem zur Finanzierung des öffentlichen Sektors und der Gesundheitsversorgung herangezogen werden. Um dieses und andere Projekte zu verwirklichen, konnte Labour den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz als Berater gewinnen.
Das britische Bürgertum ist vom neuen Wirtschaftsprogramm der Labour-Partei entsetzt. Carolyn Fairbairn, die Generaldirektorin des größten britischen Unternehmerverbandes CBI, nannte McDonnells Vorschläge »ein Diktat gegen die Arbeitgeber«. In ihrer am Montag abend veröffentlichten Stellungnahme drohte sie mit einem Investitionsboykott durch die Großunternehmen: »Dieses Programm wird Investoren nur dazu ermuntern, ihre Taschen zu packen. Dadurch werden jene am meisten getroffen, die es sich am wenigsten leisten können.«

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