Donnerstag, 7. Juni 2018
Machtpolitisches (Rüstungs-)Budget: Der EU-Haushaltsentwurf 2021-2027
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Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst in der jungen Welt vom 8.5.2018 unter dem Titel „Kreative Finanzierung“.
Am 2. Mai 2018 legten EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker und Haushaltskommissar Günther Oettinger den Entwurf für den nächsten „Mehrjährigen Finanzrahmen“ (MFR) der Europäischen Union vor. Das EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 soll knapp 1.280 Milliarden Euro und damit trotz ausfallender britischer Beiträge deutlich mehr als im vorherigen Zeitraum (1.087 Mrd.) betragen. Der Entwurf hat es vor allem aus vier Gründen in sich: Erstens sollen die innerhalb der EU verausgabten Mittel für die Agrar- und Sozialpolitik deutlich gekürzt werden. Zweitens wird beabsichtigt, die „Auslandsinstrumente“ unter machtpolitischen Gesichtspunkten zu bündeln. Drittens schlägt die Kommission die erstmalige – und eigentlich illegale – Einrichtung eines Budgetitels „Sicherheit und Verteidigung“ und damit faktisch eines EU-Rüstungshaushalts vor. Und viertens soll eine „Europäische Friedensfazilität“ außerhalb des EU-Budgets eingerichtet werden, um bislang existierende rechtliche Beschränkungen für die Finanzierung militärischer Vorhaben noch weiter zu umgehen.
Machtpolitisch irrelevant
Vor allem aufgrund der teils starken Etatsteigerungen in den außen- bzw. militärpolitischen Bereichen wurde bei den Ausgaben innerhalb der EU der Rotstift angesetzt. Betroffen sind besonders zwei Budgettitel: Gekürzt werden sollen einmal die EU-Agrarhilfen, die durchaus zu Recht immer wieder in die Kritik geraten sind, da sie die bäuerliche Landwirtschaft im globalen Süden hochgradig schädigen. Allerdings dürfte dies kaum die Ursache dafür sein, dass hier Gelder eingespart werden sollen. Bedeutsamer ist wohl, dass diese Ausgaben unter machtpolitischen Gesichtspunkten als relativ nachrangig eingestuft werden. Insgesamt sollen die Gelder in diesem Bereich im Schnitt um fünf Prozent gekürzt werden, was vor allem Frankreich (2014–2020: 54 Mrd. Euro) und Spanien (2014–2020: 34,58 Mrd.) treffen würde. Auch Deutschland (2014–2020: 34,7 Mrd.) müsste mit einer geringeren finanziellen Unterstützung rechnen, im Vergleich zu Größe und Wirtschaftsleitung aber in deutlich kleinerem Umfang.[1]
Auch den Kohäsionsfonds will die EU-Kommission von 63,4 Milliarden Euro im Zeitraum 2014 bis 2020 auf knapp 47 Milliarden deutlich zurückfahren. Dies wird ausschließlich zu Lasten der armen EU-Länder gehen, da diese Gelder laut Eigenangaben dafür gedacht sind, die eklatanten Wohlstandsgefälle innerhalb der EU schrittweise zu verringern: „Der Kohäsionsfonds wurde für EU-Staaten mit einem Bruttonationaleinkommen pro Einwohner unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts eingerichtet. Sein Ziel ist der Ausgleich der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.“[2]
Zusätzlich beabsichtigt die Kommission augenscheinlich, die Geldvergabe künftig stärker vom Wohlverhalten einzelner Mitgliedstaaten abhängig zu machen. Dies betrifft einmal die Flüchtlingspolitik: „Berlin hatte unterbreitet, die Mittelauszahlung stärker an Strukturreformen zu koppeln. Regionen, die sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen engagieren, sollen außerdem honoriert werden können. Das ist ein eindeutiges Signal Richtung Osteuropa, wo sich Länder wie Ungarn, Polen und Tschechien gegen die EU-Programme zur Flüchtlingsverteilung stemmen. Haushaltskommissar Oettinger hat bereits durchblicken lassen, dass er für beide Vorschläge offen ist.“[3] So unappetitlich man sie osteuropäischen Positionen in dieser Frage auch finden mag, dass Brüssel nun beabsichtigt, immer weiter in die Belange der Staaten hineinzuregieren ist ebenfalls alles andere als unproblematisch. Dies wird umso deutlicher, wenn man das zweite Vorhaben der Kommission in diesem Zusammenhang näher unter die Lupe nimmt. So berichtet das Nachrichtenportal German-Foreign-Policy.com, Oettinger beabsichtige zudem – wieder auf Basis einer Vorlage der Bundesregierung -, die Vergabe von Kohäsionsmitteln von der „Einhaltung rechtsstaatlicher Grundprinzipien“ abhängig zu machen. Wem das auf den ersten Blick einleuchten mag, der sollte sich die potenziell weitreichenden Folgen solcher Befugnisse vor Augen führen: „Aktuell wären potentiell Polen und Ungarn betroffen, die wegen verschiedener antidemokratischer Maßnahmen weithin scharf kritisiert werden. Auf lange Sicht handelt es sich allerdings um einen Präzedenzfall, der prinzipiell die Option denkbar erscheinen lässt, allgemein missliebige Schritte von EU-Staaten finanziell zu sanktionieren.“[4] Für eine Sanktionierung solle Oettinger zufolge eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat erforderlich sein. Da Deutschland und Frankreich nach dem „Brexit“ hier fast über eine Sperrminorität verfügen, würde ihnen dies künftig eine noch umfassendere Einflussnahme auf ärmere Länder ermöglichen.
Bündelung der Außenpolitik
Schon seit Jahren schreibt sich die EU auf die Fahnen, nach außen hin einen „umfassenden Ansatz“ (Comprehensive Approach) anzustreben. Entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitische Instrumente sollen dabei „kohärent“ zur Durchsetzung von EU-Interessen eingesetzt werden. Bislang wehren sich vor allem Vertreter der Entwicklungspolitik noch halbwegs erfolgreich dagegen, komplett vor den Karren staatlicher Machtpolitik gespannt zu werden. Sie pochen statt dessen darauf, ihre Gelder seien der unmittelbaren Armutsbekämpfung und nicht irgendwelchen anderen Anliegen vorbehalten. In früheren EU-Haushalten ermöglichten eigene Finanzierungsinstrumente dem Bereich der Entwicklungspolitik – wo gewollt – noch einen gewissen Grad an Autonomie, auch wenn spätestens seit der Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes im Jahr 2010 sicherheitspolitische Akteure und damit Interessen immer mehr Einfluss auf die Geldverteilung nehmen. So warnte etwa Concord, ein Zusammenschluss entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen, im Februar 2018 in einem Bericht: „Während heute immer weniger Hilfe in den am wenigsten entwickelten Ländern geleistet wird, setzt die EU zunehmend Entwicklungsgelder zugunsten nationaler und außenpolitischer sowie sicherheitspolitischer Interessen ein.“[5]
Der EU-Haushaltsentwurf sieht nun vor, das „Nachbarschaftsinstrument“ (ENI), das „Entwicklungsinstrument“ (EZI) und das „Instrument für Internationale Zusammenarbeit“ mit einem Gesamtbudget von 89,5 Milliarden Euro zusammenzuführen. Der Tendenz, Entwicklungshilfegelder primär nach strategisch-interessenpolitischen Gesichtspunkten zu vergeben, dürfte hierdurch weiter Vorschub geleistet werden. So kritisierte etwa Martina Fischer von „Brot für die Welt“: „Dieser Zuschnitt gibt Anlass zur Besorgnis, dass entwicklungspolitische Instrumente, die sich mit langfristigen Maßnahmen auf die Überwindung von Armut sowie wirtschaftliche und soziale Perspektiven in den bedürftigsten Ländern richten sollten, mehr und mehr ihrem eigentlichen Zweck entfremdet werden und dass die Mittel vorrangig solchen Ländern zugute kommen, die bereit sind, mit der EU in der Abdichtung von Grenzen und Migrationsabwehr zu kooperieren.“[6]
Um die absehbaren Folgen dieser Politik für das EU-Zentrum abzumildern, sollen zudem bedeutend mehr Mittel für die Migrationsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden. So beabsichtigt die Kommission, die Zahl der Mitarbeiter der Grenzkontrollagentur Frontex von aktuell 1.200 bis 2027 auf satte 10.000 aufzustocken. Dementsprechend soll auch das Budget für „Migration und Grenzmanagement“ von 12,4 Milliarden im letzten Haushalt auf knapp 35 Milliarden Euro anwachsen.[7]
„Military Schengen“
Als wäre das nicht schon problematisch genug, verbirgt sich der eigentliche Knackpunkt des Haushaltsentwurfes hinter dem Budgettitel „Sicherheit und Verteidigung“. Dabei handelt es sich um ein echtes Novum, war es bislang doch nur unter größten Mühen möglich, das EU-Budget für Militärausgaben zu nutzen. Der Grund hierfür findet sich in Artikel 41(2) des Lissabon-Vertrages, der es – eigentlich – verbietet, Ausgaben der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ mit „militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt zu bestreiten, sofern der Europäische Rat nicht einstimmig anderes beschließt. Lange pochte vor allem Großbritannien auf eine strikte Auslegung dieses Artikels, doch mit seinem absehbaren Abtreten von der EU-Bühne scheinen nun nahezu alle rechtlichen und finanziellen Dämme zu brechen.
Die militärischen Teile des Budgettitels „Sicherheit und Verteidigung“ gliedern sich in zwei große Bereiche: Beachtliche 6,5 Milliarden Euro sollen für „Militärische Mobilität“ (bekannter unter dem Schlagwort „Military Schengen“) eingestellt werden.[8] Künftig soll dabei in enger Abstimmung mit dem wohl am Standort Ulm geplanten NATO-Logistikzentrum die schnelle Truppenverlegung innerhalb Europas – und mit Blick auf Russland insbesondere an die Ostflanke – „verbessert“ werden. Bereits im November 2017 schlugen die Kommission und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in einer „Gemeinsamen Mitteilung“ vor, hierfür Gelder der des EU-Budgets für „Transeuropäische Verkehrsnetze“ zu verwenden, das zum sogenannten Finanzinstrument „Connecting Europe Facility“ (CEF) gehört.[9] Anschließend wurden Ende März 2018 in einem „Aktionsplan für Militärische Mobilität“ zahlreiche Probleme identifiziert, die den raschen Truppentransport behindern. Unter anderem wurden Straßen, Brücken und Zugstrecken genannt, die den Belastungen durch militärische Schwertransporte vielfach nicht gewachsen seien, weshalb hier umfangreiche Investitionen erforderlich wären.[10] In der dazugehörenden Pressemitteilung hieß es: „Bis 2019 wird die Kommission ermitteln, welche Teile des transeuropäischen Verkehrsnetzes für Militärtransporte geeignet sind. Dabei geht es auch um die notwendige Modernisierung der bestehenden Infrastruktur (z. B. Höhe oder Tragfähigkeit von Brücken). Hierzu wird eine Liste vorrangiger Projekte erstellt. Die Kommission wird die Möglichkeit einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung dieser Projekte im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen berücksichtigen.“[11]
Genau dies wurde nun umgesetzt: Zwar laufen die anvisierten 6,5 Milliarden wie erwähnt unter dem Budgetitel „Sicherheit und Verteidigung“, sie sollen aber dem Instrument „Connecting Europe Facility“ zugeordnet werden. Laut Eigenaussage beabsichtigt die EU, mit der CEF „Wachstum, Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit durch gezielte Infrastrukturinvestitionen auf EU-Level zu fördern“.[12] Nichts davon wird jedoch durch Infrastrukturmaßnahmen gewährleistet, die aus rein militärischen Gesichtspunkten finanziert werden. Faktisch wird damit wohl sogar eine deutliche Reduzierung der für militärisch nicht „sinnvolle“ Infrastrukturinvestitionen zur Verfügung stehenden Gelder einhergehen. Waren zwischen 2014 und 2020 noch 24,05 Milliarden Euro für Investitionen in die Transportinfrastruktur eingestellt, sollen es im nächsten Haushalt nur noch 14,725 Milliarden sein. Die 6,5 Milliarden für „Military Schengen“ müssen hier wohl hinzuaddiert werden.
Kronjuwel Rüstungsfonds
Noch viel weitreichender als „Military Schengen“ ist allerdings das zweite Element des Budgetstrangs „Sicherheit und Verteidigung“, der geplante „Europäische Verteidigungsfonds“ (EVF). Die Einrichtung dieses Fonds wird direkt aus dem in der EU-Globalstrategie vom Juni 2016 formulierten Anforderungsprofil abgeleitet, die EU müsse „militärische Spitzenfähigkeiten“ für „autonome“ – also unabhängig von der NATO und damit den USA durchführbare – Militärinterventionen nebst der hierfür erforderlichen industriellen Kapazitäten aufbauen: „Die Mitgliedsstaaten [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss. […] Eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und eine glaubwürdige GSVP.“[13]
Auf dieser Grundlage legte die EU-Kommission am 30. November 2016 mit dem „Verteidigungs-Aktionsplan“ einen im Dezember 2016 vom EU-Rat grundsätzlich gebilligten Vorschlag vor, für die Dauer der nächsten EU-Haushaltsperiode 2021 bis 2027 einen Europäischen Verteidigungsfonds bestehend aus einem Forschungs- und einem Entwicklungsbudget einzurichten. Am 7. Juni 2017 präsentierte die Kommission dann weitere Einzelheiten: Die Forschungsgelder sollen komplett und die Entwicklungskosten zu 20 Prozent, bei Pesco-Projekten (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit): 30 Prozent, dem EU-Budget entnommen werden können – den Rest müssten die Mitgliedsstaaten beisteuern. Außerdem soll der Start des Fonds unter dem Titel „Europäisches Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich zwecks Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation in der Verteidigungsindustrie der EU“ um zwei Jahre auf 2019 vorverlegt werden. Vorgeschlagen wurde dafür bis einschließlich 2020 den Betrag von 2,59 Milliarden Euro bereitzustellen (590 Mio. aus dem EU-Budget, der Rest von den Mitgliedsstaaten).[14]
Um die offensichtliche Kollision dieses Vorhabens mit Artikel 41(2) zu umgehen, bedient sich die Kommission eines Tricks: Kurzerhand wurden die Gelder für die Rüstungsentwicklung auf die Rechtsgrundlage von Artikel 173 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) gestellt. Dadurch wurden sie zu Maßnahmen zur Wettbewerbsförderung umdeklariert, die im Gegensatz zu militärischen Vorhaben der „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ aus dem EU-Haushalt bezahlt werden können.[15]
Allerdings ist es – eigentlich – untersagt, Ausgaben, die überwiegend einem bestimmten Zweck (hier: militärischer Kapazitätsaufbau) dienen, auf eine andere Rechtsgrundlage (hier: Wettbewerbs- bzw. Forschungsförderung) zu stellen.[16] Und in diesem Fall ist es im Prinzip recht eindeutig, dass der EVF keineswegs vorrangig der Wettbewerbsförderung dient, sondern primär die Umsetzung der militärpolitischen Ziele im Auge hat, die in der EU-Globalstrategie ausgegeben wurden. So schreibt auch die Berichterstatterin für das Europäische Parlament: „Mit dem Programm soll die Autonomie der Europäischen Union in Verteidigungsfragen gestärkt werden. Diese strategische Autonomie ist notwendig, damit die Union auf globaler Ebene über Handlungsfreiheit verfügt, und sie kann nur über eine bessere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Unternehmen gestärkt werden.“[17]
Selbst der EVF-Verordnungsvorschlag der Kommission ist eigentlich recht eindeutig. Gleich zu Beginn wird betont, „Verteidigungspolitik“ sei von der Kommission „zu einem Handlungsschwerpunkt erklärt“ worden. Dies erfordere „gemeinsame Investitionen in den Ausbau der Sicherheit und in die Kooperation auf allen Ebenen“. Hierfür sei es wiederum nötig, die „Wettbewerbsfähigkeit“ der Industrie zu verbessern: „Damit Europa mehr Verantwortung für seine Verteidigung übernehmen kann, ist es von grundlegender Bedeutung, in der gesamten Verteidigungsindustrie der Europäischen Union die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Innovation zu fördern.“ Um wirklich keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, schreibt die Kommission in aller Deutlichkeit, was Zweck und was Mittel ist: „Grundlage für die Einrichtung des Programms bilden die Bestimmungen von Artikel 173 AEUV. Sein übergeordnetes Ziel wird darin bestehen, die Kapazitäten der Verteidigungspolitik der Union im Hinblick auf die Aspekte Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu stärken, indem Maßnahmen in ihrer Entwicklungsphase gefördert werden.“[18]
Der „abgespeckte“ Rüstungshaushalt soll baldmöglichst verabschiedet werden, er wird allerdings 2019 und 2020 zunächst durch Umschichtungen aus anderen Haushaltstiteln befüllt. Erst mit dem nächsten EU-Budget soll dann ein „richtiger“ Rüstungshaushalt eingerichtet werden. Ursprünglich schlug die Kommission vor, zwischen 2021 und 2027 jährlich 500 Mio. Euro für die Erforschung und eine Milliarde Euro für Entwicklung von Rüstungsgütern im EU-Budget einzustellen. Rechnet man hinzu, dass die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, 80 Prozent der Entwicklungskosten zu tragen, ergibt sich so ein Gesamthaushalt von bis zu 38,5 Milliarden Euro. Im Haushaltsentwurf wurde augenscheinlich noch einmal nachgelegt: Er sieht für 2021 bis 2027 insgesamt 4,1 Milliarden Euro für die Erforschung und 8,9 Milliarden für die Entwicklung von Rüstungsgütern vor. Diese 13 Milliarden Euro müssen um die Beiträge der Mitgliedsstaaten ergänzt werden, woraus sich bei Ausschöpfung aller Gelder ein Budget von 48,6 Milliarden Euro ergibt. Addiert man hier dann auch noch „Military Schengen“ hinzu, dann hat die Kommission mit ihrem Vorschlag faktisch rund 55 Milliarden Euro zusätzliche Rüstungsgelder aus dem Hut gezaubert, die in dieser Form bislang nicht existent waren!
Allerdings steht das Vorhaben – vorsichtig formuliert – rechtlich doch auf wackliger Grundlage. Aus diesem Grund behauptet die Kommission, das Verbot aus Artikel 41(2) würde sich ohnehin nur auf die Finanzierung von Militäreinsätzen beziehen. Und das scheint auch so ziemlich der einzige Bereich, der aktuell tatsächlich – noch – nicht direkt über das EU-Budget finanziert werden soll. Doch selbst hierfür schlägt die Kommission am Rande des EU-Haushaltsentwurfs mit der „Europäischen Friedensfazilität“ (EFF) eine „kreative“ Lösung vor.
EU-Kriegsfazilität
Schon lange wird versucht, die Kosten für die Aufrüstung und die Kriege „befreundeter“ Drittstaaten sowie die für eigene Militärinterventionen zu „Europäisieren“. Wegen der beschriebenen rechtlichen Beschränkungen sind derlei Versuchen aber bislang relativ enge Grenzen gesetzt, wie zwei Autoren des „Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik“ (DIE) bemängeln: „Ein Grundproblem ist dabei, eine stabile, vorhersagbare Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Dies hat sich aufgrund der rechtlichen Beschränkungen bei der Finanzierung von Militäraktivitäten aus dem EU-Haushalt als schwierig erwiesen. Dieses Dilemma lässt sich nur mit einem außerbudgetären Instrument wie der EPF lösen, das die legitime Anforderung erfüllt, Friedensmissionen zu unterstützen und gleichzeitig eines der Grundprinzipien der EU einhält.“[19]
Die bereits erwähnte „Europäische Friedensfazilität“ soll diese Quadratur des Kreises hinbekommen, da sie außerhalb des EU-Haushalts angesiedelt sein und damit nicht den Bestimmungen aus Artikel 41(2) unterliegen soll. Angekündigt wurde das Vorhaben von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini bereits im Dezember 2017: „Ich würde die Schaffung einer neuen Europäischen Friedensfazilität vorschlagen, die gemeinsam mit unseren Mitgliedsländern finanziert und verwaltet wird. Dies würde auch die Planung und Umsetzung unserer Militärmissionen deutlich effizienter gestalten und unsere Partner darin unterstützen, unsere gemeinsamen sicherheitspolitischen Herausforderungen zu bewältigen.“[20]
Auch hier greift der EU-Haushaltsentwurf die Vorarbeiten auf, indem parallel auch die Planungen für diverse „Nebenhaushalte“ veröffentlicht wurden. Demzufolge soll die EFF im Zeitraum 2021 bis 2017 mit 10,5 Milliarden Euro befüllt werden. Geradezu entlarvend ist die – positive – Bewertung des Vorhabens durch die beiden DIE-Autoren derzufolge Artikel 41(2) „das Selbstverständnis der EU als europäisches Friedensprojekt ausdrückt“, dieses aber immer stärker „mit den Anforderungen an das außenpolitische Engagement der EU kollidiert.“ Und weiter: „Die Realität des Engagements in konfliktbetroffenen Ländern schafft dennoch das pragmatische Bedürfnis, Artikel 41(2) im Interesse der Schwächsten zu umgehen. Die vorgeschlagene Europäische Friedensfazilität könnte dieses alte Dilemma lösen, wenn die Idee richtig umgesetzt wird.“[21]
Anmerkungen
[1] https://ec.europa.eu/agriculture/cap-in-your-country_en
[2] http://ec.europa.eu/regional_policy/de/funding/cohesion-fund/
[3] Haushaltskommissar Oettinger will trotz Brexit mehr Geld ausgeben, MDR, 02.05.2018.
[4] Der Weltmacht-Etat, German-Foreign-Policy.com, 03.05.2018.
[5] CONCORD: Security Aid: Fostering development, or serving European donors’ national interest, Brüssel, Februar 2018.
[6] Martina Fischer : EU-Budget für Stabilität und Frieden in Abwicklung, Brot für die Welt, 18.4.2018.
[7] Angesichts dessen, was die Kommission meint für ein „umfassendes“ Kontrollsystem zu benötigen, erscheint dies sogar vergleichsweise bescheiden: „Für ein vollständiges EU-Grenzmanagementsystem bräuchte es 100000 EU-Bedienstete sowie erhebliche Ausrüstung, die mit derjenigen der USA oder Kanadas vergleichbar ist. Dafür wären einschließlich aller nationalen Ausgaben für den Grenzschutz über einen Zeitraum von sieben Jahren rund 150 Mrd. EUR erforderlich.“ (Ein neuer, moderner mehrjähriger Finanzrahmen für eine Europäische Union, die ihre Prioritäten nach 2020 effizient erfüllt, COM(2018) 98 final, Brüssel, 14.2.2018)
[8] Insgesamt dürfte für »militärische Mobilität« noch deutlich mehr ausgegeben werden. In den 6,5 Milliarden sind weder die Ausgaben für ein parallel laufendes Pesco-Projekt noch die der NATO etwa für das geplante Logistikhauptquartier in Ulm eingepreist, deren Höhe aktuell allerdings noch unklar sind.
[9] Improving Military Mobility in the European Union, JOIN(2017) 41 final, Brussels, 10.11.2017.
[10] Action Plan on Military Mobility, JOIN(2018) 5 final, Brussels, 28.3.2018.
[11] Europäische Kommission: Aktionsplan zur militärischen Mobilität: EU unternimmt Schritte in Richtung einer Verteidigungsunion, – Pressemitteilung, Brüssel, 28. März 2018.
[12] https://ec.europa.eu/inea/en/connecting-europe-facility
[13] Rat der Europäischen Union: Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln ‑ Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (EUGS), Brüssel, 28.6.2016.
[14] Vgl. Lösing, Sabine/Wagner, Jürgen: Rüstung ohne Rechtsgrundlage, in: Blätter für deutsche und internationale Politik,10/2017, S. 41-44.
[15] Ganz ähnlich soll die Rüstungsforschung wohl auf der Rechtsgrundlage der Forschungspolitik nach Artikel 179 AEUV gestellt werden.
[16] Hier die entsprechende Rechtsprechung des EUGH: „Ergibt die Prüfung eines Unionsrechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert.“ (Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) in der Rechtssache C 263/14, 14. Juni 2016)
[17] Françoise Grossetête: Berichtsentwurf über den Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung des Europäischen Programms zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich zwecks Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation in der Verteidigungsindustrie der EU (COM(2017)0294 – C8-0180/2017 – 2017/0125(COD)).
[18] Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung des Europäischen Programms zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich zwecks Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation in der Verteidigungsindustrie der EU, Brüssel, den 7.6.2017, COM(2017) 294 final, S. 2 und 6.
[19] Julian Bergmann/Mark Furness: Eine Europäische Friedensfazilität könnte einen pragmatischen Beitrag zur Friedensförderung weltweit leisten, Deutsches Zentrum für Entwicklungspolitik. Analysen und Stellungnahmen 7/2018.
[20] Zit. nach ebd.
[21] Ebd.
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