Samstag, 14. Dezember 2019

Atempause für die CDU (Conrad Taler)

Was auf den ersten Blick wie ein Sieg von Annegret Kramp-Karrenbauer über Friedrich Merz aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als mühsam errungene Atempause. Nichts ist endgültig ausgestanden für die CDU. Weder die Kritiker der Parteivorsitzenden noch die der Bundeskanzlerin wagten sich in Leipzig aus der Deckung. Kramp-Karrenbauer hatte sie mit einem kühnen Schachzug mattgesetzt: »Wenn ihr der Meinung seid«, rief sie den Delegierten zu, »dass der Weg, den ich mit euch gehen möchte, nicht der ist, den ihr für den richtigen haltet, dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns auch heute beenden. Hier und jetzt und heute.«

Vor die Entscheidung gestellt, Farbe bekennen zu müssen, zuckten selbst die schärfsten Kritiker zurück und flüchteten sich erleichtert in langanhaltenden Beifall für die Geschmähte, allen voran Friedrich Merz, der als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet war. Artig bedankte er sich bei der Parteivorsitzenden für ihre »mutige und nach vorn weisende« Rede. Die CDU sei im Gegensatz zur SPD »strukturell loyal«, sagte er. Sie stehe zu ihrer Parteiführung, und sie stehe zur Bundesregierung«, deren Erscheinungsbild Merz noch Tage davor als grottenschlecht hingestellt hatte. Das galt in erster Linie Angela Merkel, die ihrem Erzrivalen jetzt applaudierte.

Die Rede der Parteivorsitzenden enthielt, abgesehen von dem eingangs erwähnten Coup, keinen einzigen neuen Gedanken. Kein Wort zu der drängenden Frage, wie der immer tiefer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich zu Leibe gerückt werden könnte. Selbst mit den Ursachen der katastrophalen Stimmenverluste ihrer Partei hielt sich Kramp-Karrenbauer nicht lange auf. Sie sagte auch nichts zu ihrem kürzlich geäußerten Vorschlag, das deutsche Sozialsystem umfassend zu reformieren. Schon im nächsten Jahr sollen nach ihren Worten alle Sicherungssysteme daraufhin geprüft werden, was man an Leistungen künftig gewährleisten wolle. Dabei liegt schon heute jede zweite Altersrente unter 900 Euro. Betroffen sind 9,4 Millionen Menschen.

Durchgesetzt hat sich die CDU-Vorsitzende auch gegenüber der Jungen Union, die eine Urwahl der künftigen Kandidatin für das Amt der Bundeskanzlerin gefordert hatte. Damit ist der Weg frei für Annegret Kramp-Karrenbauer, sich um die Nachfolge von Angela Merkel zu bewerben. Wahrscheinlich wird sie, um innerparteiliche Kritiker zu beschwichtigen, nicht auf die Mithilfe von Friedrich Merz verzichten. Viele in der CDU erwarten von ihm, dass er Wähler von der AfD zurückholt. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat als Gastredner auf dem Leipziger Parteitag Friedrich Merz ein Hintertürchen offengehalten. »Mir ist es am Ende egal, wer Kandidat war«, sagte er unter donnerndem Applaus. »Ich will, dass 2021 der Kanzler oder die Kanzlerin von der Union gestellt wird.« Haupt-herausforderer seien die Grünen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kommentierte den Leipziger Parteitag mit den Worten, die CDU entferne sich mit Frau Kramp-Karrenbauer aus der Mitte der Gesellschaft. Themen wie die Gleichstellung der Frau, etwa durch eine Quote, würden unter ihrer Führung gestoppt. An der Großen Koalition scheint die SPD allerdings bis zum bitteren Ende festhalten zu wollen. Davon, dass sich die CDU nicht von einem Mann distanziert, der – wie Friedrich Merz – sich und seine Generation nicht mehr für Auschwitz und die deutsche Vergangenheit in Haftung nehmen lassen will, spricht in der SPD sowieso niemand. Wohin das führt, erlebten wir dieser Tage. Einer Vereinigung von Naziopfern, die sich die Bekämpfung von Neonazismus und Antisemitismus zum Ziel setzt, wurde die Gemeinnützigkeit abgesprochen, während die dem Nationalsozialismus wesensverwandte NPD die gerichtliche Erlaubnis erhielt, öffentlich für ihre Ziele zu demonstrieren.

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