Dossier
„
Die
Todesumstände des CDU-Politikers Walter Lübcke sind unklar. Was man
bisher weiß, ist, dass der Regierungspräsident von Kassel mit einem
Kopfschuss getötet wurde. Ebenfalls weiß man, dass Lübcke im Fadenkreuz
von AfD-Fans und artverwandten Idioten stand – und das bereits seit
2015, als er sich für die Aufnahme von Flüchtlingen in der
nordhessischen Provinz stark gemacht hatte. Schon damals erhielt er
Morddrohungen. Nicht wenige Beobachter vermuten nun das extrem rechte
Milieu hinter der Bluttat. Die Trauer um den ehemaligen Abgeordneten des
Hessischen Landtages in Wolfhagen, wo Lübcke zu Hause war, ist groß.
Das hält jedoch die Rechten nicht davon ab, grinsend das Mobiltelefon
zur Hand zu nehmen und ihrer Freude über den Tod des Lokalpolitikers im
World Wide Web freien Lauf zu lassen. Kostprobe: »Die Drecksau hat den
Gnadenschuss bekommen ! RESPEKT !«, schreibt einer auf Youtube. Ein
anderer auf Facebook: »Selbst schuld, kein Mitleid, so wird es Merkel
und den anderen auch ergehen.« Solche Kommentare sind kaum zu ertragen.
Sie zeigen, wie vergiftet der politische Diskurs in Deutschland
inzwischen ist. Anstatt Trauer zu bekunden, bricht sich der Hass auf
Andersdenkende immer weiter Bahn. Grenzen scheint es keine zu geben.
Mittendrin statt nur dabei ist die AfD. Auch dieses Mal…“ – aus dem
Kommentar „AfD ist mittendrin statt nur dabei“ von Christian Klemm am 04. Juni 2019 in neues deutschland online
über die Haßtiraden, die die verschiedenen rechten Strömungen
vereinigen. Siehe dazu auch weitere aktuelle Beiträge und die aktuelle
Entwicklung:
- Die Untersuchungen im Kasseler Nazimord weiten sich immer mehr aus – die NSU Akten bleiben trotzdem weiter „Geheim!“
„… Den Mord an Lübcke habe er schließlich wortlos durchgeführt – und
bereue diesen heute. Niemand müsse für seine Worte sterben, soll Ernst
den Ermittlern gesagt haben. Inzwischen zog er sein Geständnis zurück.
Zuvor aber hatte er noch Markus H. belastet: Dieser sei es gewesen, der
ihn zurück in die rechte Szene gelotst habe. Mindestens bis 2009 hatte
Ernst dort selbst aktiv mitgewirkt, auch schwere Gewalttaten verübt.
Dann habe er sich gelöst, habe sich auf seine Familie und seinen Job
fokussieren wollen, soll Ernst im Geständnis gesagt haben. Bis er wieder
auf seinen alten Bekannten Markus H. traf. Auch Markus H. hat eine
lange Szenevergangenheit. Fotos zeigen einen bulligen Mann mit
kurzgeschorenen Haaren. Schon in den neunziger Jahren soll er sich in
Kreisen der rechtsextremen Kleinpartei FAP bewegt haben. Später war er
Teil der Kasseler Kameradschaftsszene – und traf dort auf offenbar auf
Stephan Ernst. Beide beteiligten sich nach taz-Informationen noch 2009
an einem Angriff von Rechtsextremen auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund.
Vor gut fünf Jahren will Ernst dann zufällig wieder Markus H. getroffen
haben: bei seinem Kasseler Arbeitgeber, einem Hersteller von
Mobilitätstechnik. Der bestätigte am Montag, dass H. dort vor Jahren für
kurze Zeit als Leiharbeiter beschäftigt war. Laut Ernst nahm Markus H.
ihn 2015 auch mit zu der Bürgerversammlung von Lübcke. Ob die Aussage so
stimmt, ist unklar. Denn Ernst und H. waren auch gemeinsam Mitglieder
eines Kasseler Schützenvereins – und zwar seit gut zehn Jahren, wie
deren Vorsitzender Reiner Weidemann am Montag der taz sagte. Dennoch
verloren sich die beiden aus den Augen?…“ – aus dem Beitrag „Stephan Ernsts rechtsextremer Helfer“ von Konrad Litschko am 08. Juli 2019 in der taz online
über einen weiteren Baustein des allmählich zutage tretenden Netzes
rund auch um diesen Mord… Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen
Beitrag, in dem auch die weiterhin gesperrten NSU-Akten Thema sind:
- „Psycho-Framing im Fall Lübcke“ von Claudia Wangerin am 09. Juli 2019 in der jungen Welt , worin unterstrichen wird: „… Der
hessische Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) warnte derweil
davor, Stephan Ernst als psychisch labilen Einzeltäter abzutun. »Das
machen sie gern«, sagte Schaus, der Ernsts Namen aus dem
Untersuchungsausschuss zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU)
kennt, am Montag im Gespräch mit junge Welt. Seine Fraktion
fordert nach wie vor die Freigabe der hessischen Verfassungsschutzakten
mit NSU-Bezug, die nun aufgrund des öffentlichen Drucks »nur« noch bis
2044 gesperrt sind. Im Jahr 2014 waren die Akten zunächst für 120 Jahre
gesperrt worden. Im Koalitionsvertrag der 2018 bestätigten
»schwarz-grünen« Landesregierung war aber eine Überprüfung der
Einstufungspraxis vereinbart worden. Zwei weitere Festnahmen infolge des
Geständnisses von Ernst waren nicht mit einem Verdacht auf
Mittäterschaft bei dem Mord begründet worden, sondern mit mutmaßlichen
illegalen Waffengeschäften…“
- Geständnis hin, Geständnis her: Die Schlussfolgerung der Bundesregierung aus dem Mord heißt immer aufrüsten
„… Ernst habe seine Aussagen komplett zurückgezogen, bestätigte
dessen neuer Anwalt Frank Hannig der taz. Zu den Gründen, warum dies
geschah, wollte er sich nicht äußern. Hannig wurde nach eigener Auskunft
erst am Dienstag als neuer Verteidiger von Ernst beigeordnet. Zuvor
wurde dieser durch den hessischen Anwalt und NPD-Politiker Dirk
Waldschmidt vertreten. (…) Am jetzigen Dienstag wurde der 45-Jährige
nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof geflogen, um seinen Haftbefehl zu
erneuern. Der bisherige lief noch über das Amtsgericht Kassel. Bei der
Anhörung widerrief Ernst sein Geständnis. Der Bundesgerichtshof ließ
sich davon nicht beeindrucken: Er verhängte danach dennoch einen neuen
Haftbefehl gegen Ernst – wegen eines weiter bestehenden „dringenden
Tatverdachts des Mordes“…“ – aus dem Bericht „Verdächtiger widerruft Geständnis“ von Konrad Litschko am 02. Juli 2019 bei der taz online
zur veränderten Taktik des Mordwaffenbesitzers. Siehe dazu auch einen
Beitrag zur keineswegs widerrufenen Konsequenz der Bundesregierung:
- „Freibrief nach dem Schuss“ von Michael März am 03. Juli 2019 in der jungen Welt zur Haltung der Bundesregierung unter anderem: „… Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) nutzt den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten
Walter Lübcke, um sein seit längerer Zeit erklärtes Projekt, dem
Verfassungsschutz mehr Befugnisse und Personal zu überantworten,
voranzutreiben. Bereits im Mai, vor dem Tod Lübckes in der Nacht zum 2.
Juni, waren Details aus dem Entwurf für ein »Gesetz zur Harmonisierung
des Verfassungsschutzrechts« öffentlich geworden. Dieser sah unter
anderem die digitale Überwachung von Kindern, aber auch Journalisten,
die zu den Berufsgeheimnisträgern gehören, ohne Richterbeschluss vor.
Die Pläne stießen unter anderem im Justizministerium auf Widerstand und
sollen nun überarbeitet werden. Seinen Vorstoß untermauerte Seehofer am
Dienstag mit dem erstmaligen Besuch des »Gemeinsamen Extremismus- und
Terrorismusabwehrzentrums« (GETZ) im Kölner Bundesamt für
Verfassungsschutz. Das GETZ ging aus dem »Gemeinsamen Abwehrzentrum
Rechtsextremismus« (GAR) hervor, dass nach dem Auffliegen des »NSU«
gegründet wurde. Sein Tätigkeitsfeld wurde 2012 unter anderem auf
»Linksextremismus« erweitert. Erwartungsgemäß forderte Seehofer am
Dienstag mehr Personal und Befugnisse für den Inlandsgeheimdienst,
insbesondere im Internet, und vergaß auch nicht, den Anlass seiner
Visite zu betonen: »Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind«, sagte er
laut AFP…“
- Ein Geständnis als Verteidigungslinie für ein Nazi-Netzwerk. In Kassel. Und in Dortmund. Und wo noch?
„… Stephan E., 45 Jahre alt, zweifacher Familienvater, schwieg
eisern. Alle Versuche der Ermittler, ihn zu vernehmen, blieben zunächst
erfolglos. Er gab nichts zu, er stritt nichts ab. Nur Schweigen. Bis zum
Dienstag dieser Woche. Da erklärte Stephan E., der in der
Justizvollzugsanstalt in Kassel inhaftiert ist, ganz plötzlich, er wolle
mit der Polizei reden. Was dann in einer acht Stunden währenden
Vernehmung folgte, war ein Geständnis: Stephan E. gab zu, den Kasseler
Regierungspräsidenten Walter Lübcke in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni
erschossen zu haben – auf dessen Terrasse in dem kleinen Ort
Wolfhagen-Istha. Der CDU-Politiker saß in seinem Gartenstuhl und rauchte
eine Zigarette, als ihn die Kugel in den Kopf traf. Kurz oberhalb des
rechten Ohrs. (…) Fast vier Jahre sollten allerdings noch bis zu der Tat
vergehen, und warum dies so ist, wann Stephan E. genau den Tatplan
fasste, ob er ihn mit anderen besprach und sogar ausführte, gehört zu
den noch offenen Fragen des Verfahrens. Stephan E. sagte aus, bereits
seit langer Zeit über eine Tat gegen Lübcke nachgedacht und sich damit
beschäftigt zu haben. Es sei kein spontaner Beschluss gewesen. Für ihn
habe die Bürgerversammlung eine große Rolle gespielt. Dort habe Lübcke
nicht etwa erklärt, als Regierungspräsident müsse er Flüchtlinge
aufnehmen und versorgen. Er habe das ausdrücklich gutgeheißen…“ – aus dem Beitrag
„Ein vorbestrafter Gewalttäter und viele Fragen“ von Florian Flade,
Georg Mascolo und Ronen Steinke am 26. Juni 2019 in der Süddeutschen
Zeitung online
über das überraschende Geständnis des braunen Mörders. Siehe dazu und
zu verschiedenen Netzwerken vier weitere aktuelle Beiträge:
- „Hinweise
auf NSU-nahes Terrornetzwerk in Kassel“ von Markus Decker, Jan
Sternberg und Jörg Köpke am 27. Juni 2019 in der FR online zu den bereits jetzt weiteren Festgenommenen und den eingeübten – und wohl nicht wirklich unbeobachteten – Strukturen: „… Je
mehr über den Mörder von Walter Lübcke und sein Umfeld bekannt wird,
desto schlimmer wird der Alptraum. Die neuesten Erkenntnisse legen nahe,
dass sich der Täter Stephan E. in einem Unterstützerumfeld bewegt hat,
das in Kassel seit der Zeit des Nationalsozialistischen Untergrunds
(NSU) besteht. Er hat bei der Planung seines Mordes von
Neonazistrukturen profitiert, die auch nach dem Ende der
rechtsterroristischen Mordserie weiter bestanden. So hat Stephan E. sich
Waffen beschafft, versteckt und teilweise mit ihnen gehandelt. E.
gestand den Ermittlern, dass er neben der Tatwaffe auch zahlreiche
andere Schusswaffen besitze – darunter eine Pumpgun und eine
Maschinenpistole vom israelischen Typ Uzi. E. offenbarte auch die
Verstecke – er hatte die Waffen auf dem Gelände seines Arbeitgebers
vergraben. Die Tatwaffe vom Kaliber 9 Millimeter war nicht darunter.
Bereits 2014 soll er angefangen haben, sich Waffen zu beschaffen, die
Tatwaffe kaufte er 2016, drei Jahre, bevor er den tödlichen Schuss auf
Walter Lübcke abfeuerte. Zwei Männer wurden wegen des Verdachts der
Beihilfe zum Mord festgenommen, der Vermittler und der Verkäufer der
Tatwaffe. Der 64-jährige Elmar J. aus dem Landkreis Höxter hat die
Pistole verkauft – über ihn weiß man nicht viel. Er gilt als
Einzelgänger, lebt im Anbau einer leeren Gaststätte mitten im Örtchen
Natzungen im Landkreis Höxter, 50 Kilometer von Kassel entfernt. Über
den Vermittler weiß man mehr. So viel, dass sich hinter dem Mord an
Walter Lübcke ein Abgrund auftut – und in diesem Abgrund sind die
verdrängten Strukturen des NSU zu sehen. Der 43-jährige Markus H. soll
den Kontakt zwischen dem kaufwilligen E. und dem Verkäufer im
Gaststättenanbau hergestellt haben. Hermann Schaus kennt den Namen
Markus H. nur allzu gut. In den Akten des NSU-Untersuchungsausschusses
des hessischen Landtags hat der Linken-Obmann ihn immer gelesen. Nachdem
der NSU am 6. April 2006 in Kassel Halit Yozgat in seinem Internetcafé
erschossen hatte, wurde auch H. vom BKA befragt. Er soll das Mordopfer
gekannt haben. Nach seinem rechtsextremen Hintergrund fragten die
Ermittler damals nicht…“
- „Fall Lübcke: Mutmaßlicher Mörder mit Verbindungen in Dortmunds Naziszene“ bereits am 17. Juni 2019 bei der Autonomen Antifa 170 über ein Netzwerk nicht nur in Kassel, sondern auch in Dortmund: „… Wie
die Tagesschau und andere Medien berichten, soll der Neonazi Stephan E.
den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begangen
haben. Der Täter ist kein Unbekannter: Bereits vor 10 Jahren wurde er
beim Überfall mehrerer hundert Nazis auf die Demo des Dortmunder DGB zum
1. Mai festgenommen. 400 Neonazis zogen damals – organisiert vom
„Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO) – ohne Anmeldung durch die
Dortmunder Innenstadt und griffen Teilnehmende der DGB-Demo an. Der NWDO
wurde schließlich im August 2012 verboten, nachdem seine Mitglieder in
den Folgejahren zahlreiche weitere schwere Gewalttaten begangen hatten.
Verschwunden sind die Neonazis in Dortmund deswegen jedoch nicht. Unter
neuem Namen machen dieselben Kader in der Partei „Die Rechte“ bis heute
regelmäßig wegen Übergriffen auf Menschen, die nicht in ihre Ideologie
passen, Schlagzeilen. Wesentlich brisanter sind die Verbindungen zur
rechten Terrorgruppe „Combat 18“, über die E. verfügen soll. Combat 18
(auch: C18) versteht sich als bewaffneter Arm der verbotenen
Rechtsrock-Vereinigung „Blood and Honour“ und verfolgt die Strategie des
„führerlosen Widerstands“. Sie propagieren Mordanschläge auf politische
Gegner*innen – der Mord an Walter Lübcke würde durchaus in dieses
Konzept passen. Dortmund hat sich in den letzten Jahren zu einem Hotspot
im Netzwerk der Rechtsterrorist*innen entwickelt. Mehrere Mitglieder
von C18 wohnen in Dortmund und sind hier politisch aktiv. Robin
Schmiemann, der länger inhaftiert war, weil er bei einem Überfall auf
einen Supermarkt auf einen Kunden schoss und ihn schwer verletzte, lebt
in Dortmund. Schmiemann war Teil einer C18-Zelle, die Mitte der 2000er
Jahre in Dortmund aktiv war, und bekennt sich bis heute mit T-Shirts und
Tattoos zu der Gruppierung. Er nimmt regelmäßig an den Demonstrationen
der Partei „Die Rechte“ teil – die Leute, mit denen zusammen E. die
Dortmunder DGB-Demo angriff. Beim letzten Dortmunder Aufmarsch am 25.
Mai hatte er die zweifelhafte „Ehre“, vor Beginn des Marsches eine
EU-Fahne auf der Straße auszubreiten, über die die Teilnehmer*innen dann
hinüberliefen. Schmiemann wurde überregional als Brieffreund des
NSU-Mitglieds Beate Zschäpe bekannt…“
- „International aktives braunes Netzwerk“ von Horst Freire am 27. Juni 2019 beim Blick nach Rechts zu denselben Netzwerken nicht nur in Kassel oder Dortmund, sondern auch in Kanada: „… Vor
dem Verbot der deutschen B&H-Sektion im Jahr 2000 knüpfte und
pflegte der Sänger, Gitarrist und Dudelsackspieler David Allen Surette
mit dem Szene-Namen „Griffin“ Kontakte zu internationalen
B&H-Gefolgsleuten, speziell auch in Deutschland. Seither gilt der
frühere Kopf der kanadischen Band „Stonehammer“ (Toronto) als bestens
vernetzt in der Rechtsrock-Szene. Seit etlichen Jahren hat er sich in
Berlin und Brandenburg niedergelassen, verdingt sich zum Teil als
Tätowierer. Erst vor wenigen Tagen trat er als Opener beim „Schild- und
Schwert-Festival“ von Thorsten Heise im sächsischen Ostritz auf, konnte
die spärliche Besucherzahl vor der Bühne Beobachtungen zufolge aber
nicht von den Sitzen reißen. Als derzeit wohl umtriebigste
Rechtsrock-Band aus Kanada ist „Legitime Violence“ aus Quebec anzusehen.
Bei einer Europa-Tournee 2015 durch Frankreich, Spanien, Italien und
Großbritannien kam die 2008 gegründete Combo in Kontakt mit
rechtsextremen deutschen Bands und B&H-Aktivisten, auch wenn
offiziell andere Veranstalter wie zum Beispiel „CasaPound“ aus Italien
oder die Kampfsportmarke „Pride“ aus Frankreich als Veranstalter
agierten…“
- „Todeslisten“,
Leichensäcke, Ätzkalk: Nazi-Gruppe bereitete weitere Angriffe vor“ von
Jörg Köpke (RND) am 28. Juni 2019 in den Kieler Nachrichten online über die Pläne dieser – und anderer – Netzwerke unter anderem: „… Nach
RND-Informationen stammt die dreiseitige, handgeschriebene Aufstellung
von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung „Nordkreuz“. Die
Bundesanwaltschaft ermittelt seit August 2017 gegen Mitglieder dieses
Netzwerkes wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen
Straftat. „Nordkreuz“ gehören mehr als 30 sogenannte Prepper an, die
über den Messenger-Dienst Telegram miteinander verbunden sind und sich
auf den „Tag X“ vorbereiten – den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung
durch eine Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge und die
anschließende Liquidierung politischer Gegner. Die meisten Personen der
Chat-Gruppe stammen aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter
sind mehrere ehemalige sowie ein aktives Mitglied des
Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamtes (LKA)
Mecklenburg-Vorpommern. Alle Mitglieder von „Nordkreuz“ haben Zugang zu
Waffen, verfügen über Zehntausende Schuss Munition und sind geübte
Schützen. Gegen drei der Männer ermittelt parallel die
Staatsanwaltschaft Schwerin. Ihnen wird vorgeworfen, seit April 2012
illegal rund 10.000 Schuss Munition sowie eine Maschinenpistole aus
Beständen des LKA abgezweigt zu haben. Die Beschuldigten bestreiten,
„Todeslisten“ angelegt und Ermordungen geplant zu haben. In
Sicherheitskreisen heißt es dagegen, die Vorbereitungen auf den „Tag X“
seien mit „enormer Intensität“ betrieben worden. Die „Prepper“ hätten
unter Zuhilfenahme von Dienstcomputern der Polizei knapp 25.000 Namen
und Adressen zusammengetragen. Dabei handele es sich in den
allermeisten Fällen um Personen aus dem regionalen Umfeld der „Prepper“,
bevorzugt Lokalpolitiker von SPD, Grünen, Linken und CDU, die sich als
„Flüchtlingsfreunde“ zu erkennen gegeben und Flüchtlingsarbeit geleistet
hätten…“
- Auf ewig unvollendet: Die Abgrenzung der CDU – nach Rechts
„… Denn in Ordnung war hier auch vor der AfD, vor Pegida, vor den
ganzen Bernds und Björns gar nichts. Damals, als noch steif und fest
behauptet wurde, dieses Land habe kein handfestes Problem mit rechtem
Gedankengut. Der Unterschied zu damals ist: Die Rechten sind heute klar
sichtbar – und das stört. Die breite liberale (meist weiße)
Öffentlichkeit wäre wohl schon zufrieden, würde die AfD einfach wieder
unsichtbar. Verständlich. Aber was ist mit jenen Bürger_innen, die sich
auch dann täglich mit strukturellem Rassismus, mit Rechtsextremen, mit
Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, vermeintlicher Herkunft oder
Religion herumschlagen müssen? Selbst wenn es keine Partei mehr geben
sollte, die rechts von der Union steht, wird es immer noch Wähler_innen
geben, die rechts von der Union stehen. Wenn die Union sich wirklich
gegen Rechtsextremismus abgrenzen will, dann muss sie es nicht nur da
tun, wo es endet – bei einem Mord an einem Politiker aus den eigenen
Reihen –, sondern auch da, wo es anfängt: bei der Vorstellung, dass es
Menschen gibt, die mehr wert sind als andere. Und diese Vorstellung
findet sich eben nicht nur in der AfD. Sondern auch in der CDU…“ – aus dem Kommentar „Die CDU ist Teil des Problems“ von Saskia Hödl am 24. Juni 2019 in der taz online zur sehr späten Abgrenzung der CDU-Vorsitzenden nach dem Lübcke-Mord. Siehe dazu auch weiteren Beitrag
- „Eine Parteichefin in der Klemme“ von Daniela Vates am 25. Juni 2019 in der FR online zur Abgrenzungsübung – und auch Afdler zitierend, die über die reale Zusammenarbeit vor Ort sprechen: „… Der
CDU-Politiker Werner Lübcke ist auf der Terrasse seines Wohnhauses
erschossen worden, unter Verdacht steht ein Rechtsextremer. Der
CDU-Vorstand legt eine Gedenkminute ein. Dann wird über politische
Konsequenzen diskutiert. Das Wort Penzlin fällt nicht, aber es geht um
die Zusammenarbeit mit der AfD. Dazu hat die Partei eigentlich eine
klare Beschlusslage. Die CDU lehnt Koalitionen „oder ähnliche Formen der
Zusammenarbeit“ mit der AfD ab, hat der Bundesparteitag im Dezember
beschlossen. Aber am Montag scheint es angeraten, das noch mal
schriftlich zu bekräftigen. Kramp-Karrenbauer hat schon reagiert in der
vergangenen Woche, mit etwas Verzögerung, aber dann deutlich. Die AfD
trage dazu bei, dass Hemmschwellen so sinken, „dass sie augenscheinlich
in pure Gewalt umschlagen“, hat sie gesagt. Es könne also „keine Form
der Zusammenarbeit mit der AfD geben“. Es scheinen nicht alle zu hören.
In Sachsen-Anhalt, wo in zwei Jahren gewählt wird, schreiben zwei
Vize-Fraktionschefs der Landtagsfraktion ein Papier, in dem sie fordern,
„das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“. Eine Kooperation mit der
AfD müsse möglich sein, finden sie. Das ist eine Umdrehung mehr als in
Sachsen, wo Ministerpräsident Michael Kretschmer, der eine
Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat, sich von einem
Politik-Professor beraten lässt, der für Kommunikationsbereitschaft
plädiert. Wie viel Kraft also hat Kramp-Karrenbauer, wie entschlossen
ist Kretschmer?…“
- Demonstration in Kassel – und die Frage nach der lauten stille in den Reihen der CDU
„… Der Protest war kurzfristig organisiert, da finde ich 2.500
Menschen in Kassel ein gutes Zeichen. Aber im Grunde hätten es noch viel
Menschen sein müssen, die auf die Straße gehen, und zwar überall in
diesem Land. Ich finde es viel zu still gerade. [Was heißt das?] Auch
Kassel wirkte anfangs wie gelähmt. Ich kann das auf der einen Seite
verstehen, auf der anderen aber nicht. Gerade die CDU verstehe ich
nicht. Viele der Christdemokraten haben geschwiegen, als Herr Lübcke
sich in den letzten Jahren für Geflüchtete einsetzte und dafür von
Rechten angefeindet wurde. Nun wurde Lübcke – einer von ihnen –
erschossen, und sie schweigen wieder. (…) Es braucht jetzt ein hartes
Vorgehen der Behörden gegen rechtsextreme Strukturen. Hier wurde ja
genau versagt nach dem NSU-Terror. Trotz vieler Versuche der Anwälte von
Halits Familie und den anderen Betroffenen wurden die Unterstützer des
Trios bis heute nicht aufklärt, obwohl klar ist, dass sich das Trio in
einem Netzwerk von rund 40 V-Leuten und Nazis bewegte. Nach dem
NSU-Urteil konnten Angeklagte, bekennende Nazis, frei aus dem Gericht
spazieren. Und hessische Verfassungsschutzakten wurden für 120 Jahre
weggeschlossen. Darüber haben sie in der Nazi-Szene doch gelacht! Auch
der Tatverdächtige im Fall Lübcke, Stefan E., ist kein Einzeltäter, da
bin ich überzeugt. Deshalb müssen nun die rechten Strukturen wirklich
aufgeklärt werden, auch nochmal der Mord an Halit. Und die gesperrten
Akten müssen offengelegt werden…“ das sind Antworten von Ayse Gülenc auf die Fragen von Konrad Litschko in dem Gespräch „„Darüber lachen die doch““ am 23. Juni 2019 in der taz online über die bisherigen Reaktionen auf den Mord in Kassel
- Ob mit oder ohne die geschredderten oder gesperrten Akten
des Verfassungsschutzes: Jeder wusste, dass der Verdächtige im Mordfall
Lübcke aktiver Nazi war
„Die Kasseler Kneipe “Stadt Stockholm” war jahrelang Treffpunkt der
Neonazi-Szene. Auch Stephen E., der mutmaßliche Mörder von Walter
Lübcke, verkehrte hier – zum Ärger der Gastwirte. Das 17 Jahre alte Foto
ihrer Gaststätte, das gerade deutschlandweit die Runde macht, würde
Claudia Hauck am liebsten löschen lassen. Es zeigt ein Dutzend
Rechtsextremer vor der Kneipe „Stadt Stockholm“ am Entenanger in der
Kasseler Innenstadt. Gut zu erkennen auf dem Foto ist Stephan E., der am
Samstag festgenommen wurde, weil er den Regierungspräsidenten Walter
Lübcke ermordet haben soll. Das Foto dokumentiert, wie sich Neonazis am
30. August 2002 für eine Auseinandersetzung mit linken
Gegendemonstranten wappnen. Anlass war eine Wahlkampfveranstaltung der
NPD. Dabei hält Stephan E. einen Stuhl als Wurfgeschoss in der Hand. Die
anderen Rechtsextremisten haben sich mit Stöcken und Steinen bewaffnet.
Hauck kann sich noch gut an Stephan E. erinnern, denn der Neonazi war
nicht nur an diesem Tag mit seinen Kumpels im „Stadt Stockholm“ zu Gast.
Die Gaststätte, die ihren Namen dem schwedischen König verdankt, der
hier im 18. Jahrhundert übernachtet haben soll, galt jahrelang als
Treffpunkt der rechten Szene. (…) Oft mittendrin: Stephan E., der auch
in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt war. Trotzdem war Hauck
erstaunt, als sie am Montag erfuhr, dass der 45-Jährige verdächtigt
wird, Walter Lübcke erschossen zu haben. Über die Tat wird auch an ihrer
Theke geredet. „Wir haben noch einige Gäste, die den Stephan von früher
kennen. Die sagen alle: Der war das nicht, zumindest nicht allein.“ Für
Hauck ist Stephan E. nicht der Typ, der etwas organisieren kann: „Aufs
Gymnasium hätte der nicht gehen können. Das war immer nur ein
Mitläufer.“ Die Ansagen seien damals vor allem von Mike S. gekommen, der
als einer der Köpfe der Kasseler Neonazi-Szene gilt…“ – aus dem Bericht
„In dieser Kasseler Kneipe trafen sich Stephan E. und die Neonazis“ von
Florian Hagemann, Ulrike Pflüger-Scherb und Matthias Lohr am 20. Juni
2019 in HNA online über Stadtgespräche in Kassel… Siehe weitere Aktualisierungen zum Fall:
- „Die braunen Schläfer erwachen“ von Sascha Lobo am 19. Juni 2019 bei Spiegel online unterstreicht: „… In
der niederländischen Studie steht, es komme auf “das breitere, radikale
Milieu” an. Die im Raum stehende These möchte ich erweitern: Nicht nur
das Milieu, sondern auch größere gesellschaftliche Stimmungen können auf
rechtsextreme Attentäter ermutigend wirken. Die Manifeste des
norwegischen Massenmörders von 2011 und des australischen Massenmörders
von Christchurch 2019 deuten darauf hin. In beiden Fällen wurde
zunächst ein gesellschaftlicher Handlungsdruck imaginiert, der sich in
einen persönlichen Handlungsdrang verwandelte, bevor der Entschluss zur
Tat gefasst wurde. Bei beiden haben soziale Medien eine entscheidende
Rolle gespielt. Der Norweger hat Passagen aus bekannten, rechtsextremen
Blogs in sein Manifest eingebaut. Das ist die wahrscheinliche Verbindung
zwischen der rechten Hetze in sozialen Medien und der Aktivierung von
braunen Schläfern, der Tag der Abrechnung sei gekommen oder müsse mit
einer aufrüttelnden Tat herbeigeführt werden: der Tag X. Der
Massenmörder von Christchurch wollte ausdrücklich an diesem Tag
provozieren. Genau in dieser Weise haben auch die kürzlich aufgedeckten,
rechtsextremen Netzwerke in Bundeswehr und Polizei gearbeitet, die
zehntausend Schuss Munition sammelten. Weil sie auf den einen Tag
warteten, der die Geschichte Deutschlands verändern soll…“
- „Schredder laufen wieder“ von Claudia Wangerin am 20. Juni 2019 in der jungen welt zur üblichen Verwaltungsarbeit beim VS unter anderem: „…Das
hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat schon während der
Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) eine obskure
Rolle gespielt und einen Teil seiner Akten dazu für 120 Jahre sperren
lassen – am Mittwoch äußerten Oppositionspolitiker auch im Mordfall
Walter Lübcke einen Vertuschungsverdacht gegen das Amt. Angeblich gibt
es im LfV keine Personalakte mehr über den mutmaßlichen Mörder des
Kasseler Regierungspräsidenten – dies berichtete am Mittwoch der Hessische Rundfunk.
Der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) erinnert sich aber,
dass dem NSU-Untersuchungsausschuss im Jahr 2015 Akten vorlagen, in
denen sich »ein geheim eingestuftes Dokument mit relevanten
Informationen« zu dem heute dringend tatverdächtigen Neonazi Stephan
Ernst befand. Der Geheimdienst lasse medial verbreiten, dass Akten beim
LfV fünf Jahre nach der letzten aktenkundigen Tätigkeit des Betroffenen
aus Datenschutzgründen gelöscht werden müssten, so Schaus – das sei aber
im Fall Ernst nicht korrekt. Schaus verwies auf das wegen der
NSU-Ermittlungen 2012 erlassene Löschmoratorium für Akten, die die
rechte Szene betreffen – und bekanntlich habe sich Ernst 2009 am
Überfall auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt. Der heute
45jährige Ernst, dessen DNA an der Kleidung des Anfang Juni erschossenen
Walter Lübcke gefunden wurde, war bereits 1993 wegen eines versuchten
Rohrbombenanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft verurteilt worden…“
- „Aufgaben der Zivilgesellschaft“ von Sebastian Bähr am 20. Juni 2019 in neues deutschland online kommentiert: „… Daraus
ergeben sich Aufgaben: Die Zivilgesellschaft muss den Behörden im Fall
Lübcke auf die Finger schauen und die Ermittlungen kritisch begleiten.
Dies bedeutet, eine Versteifung der Ermittler auf eine Einzeltäter-These
zu verhindern, für die Offenlegung der NSU-Akten einzutreten,
Recherchen von Journalisten und Antifaschisten zu berücksichtigen. Es
bedeutet auch, Bedrohte zu informieren, zu schützen und ihnen zuzuhören.
Abseits der Ermittlungen ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig.
Viele Bürger nehmen rechten Terror nicht ernst, weil sie bisher nicht
zu seinen Opfern gehörten. Andere denken immer noch, dass es trotz
rechter Anschläge legitim ist, auf Rechtsaußen mit Dialog- und
Bündnisangeboten zuzugehen. Gerade aus dieser vermeintlichen Akzeptanz
ziehen dabei militante Neonazis ihre Zuversicht…“
- Die Täter von Kassel: Das nächste mörderische Netzwerk wurde übersehen – oder gefördert?
„… Auffallend ist, dass selbst dem Untersuchungsausschuss, der
jahrelang die gewalttätige Kasseler Neonazi-Szene durchleuchtete, keine
Informationen über den Anschlag in Hohenstein-Steckenrodt zur Verfügung
gestellt worden waren, der von einem Neonazi begangen wurde, der
spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in Kassel wohnte. Die
vergangenen Jahre soll Ernst in Süddeutschland gelebt haben. Erst vor
kurzem sei er, so heißt es, wieder nach Kassel gezogen. Es deutet
derzeit einiges darauf hin, dass Ernst zum Netzwerk «Combat 18»
mindestens Kontakte unterhielt. Möglicherweise war er dort tiefer
eingebunden. Eine zentrale Person des deutschen «Combat 18»-Ablegers ist
der ehemalige Kasseler Stanley Röske, mit dem Ernst spätestens seit den
frühen 2000er Jahren bekannt ist. Exif hat erst im Jahr 2018 seine
Recherchen über dieses terroristisch ambitionierte neonazistische
Netzwerk offen gelegt. Es ist offensichtlich, dass dieses Netzwerk von
Spitzeln verschiedener Behörden und Geheimdienste durchsetzt ist und
deswegen seit Jahren von den Behörden, allen voran vom
Verfassungsschutz, klein geredet und „an der langen Leine“ laufen
gelassen wird…“ – aus dem (laufend ergänzten) Beitrag „Tatverdächtiger im Fall Lübcke ist bekannter Neonazi“ am 17. Juni 2019 bei Exif-Recherche zum nächsten Einzeltäter… Siehe dazu eine kleine aktuelle Beitragssammlung:
- „Mordfall
Lübcke: Polizei liegen angeblich Hinweise auf weitere Täter vor“ von
Ulrich Weih und Melanie Bäder am 18. Juni 2019 in der FR online meldete unter anderem: „… Bereits
im Haftbefehl gegen Stephan E., den eine Richterin des Amtsgerichts
Kassel am Samstag ausgestellt hatte, hieß es, es gebe “Hinweise auf
Mittäter oder Mitwisser”. Bei der Durchsuchung der Wohnung von Stephan
E. entdeckten die Ermittler demnach einen weiteren Autoschlüssel, der im
CD-Fach eines Radios im Gäste-WC versteckt war. Dieser gehört zu einem
Fahrzeug der Marke Skoda, das Stephan E. kurz vor der Tatnacht von einem
Familienmitglied übernommen haben soll. Er habe das Auto für den
Verwandten verkaufen sollen. Nach Angaben der Ehefrau von Stephan E. ist
dies zwischen dem 2. und 4. Juni auch geschehen. Bis jetzt konnte
dieses Auto nicht gefunden werden…“
- „Erweiterte Toleranz für Rechtsterrorismus?“ von Tomasz Konicz am 18. Juni 2019 bei telepolis zu Herren wie Gauck in der aktuellen Entwicklung: „… Ganz
viel, so wörtlich, “erweiterte Toleranz” gegenüber der Neuen deutschen
Rechten forderte jüngst auch der ehemalige Bundespräsident Joachim
Gauck. Man könne doch nicht eine ganze Partei zum “Feind erklären”,
klagte das ehemalige Staatsoberhaupt der Bundesrepublik mit tolerantem
Blick auf die AfD. Damit würde man nur die Anhängerschaft der Neuen
Rechten “noch weiter in eine Trotzreaktion” treiben, so Gauck. Die
aufschäumende rechte Gewalt geht somit einher mit Bemühungen, die Neue
Rechte als eine neue Normalität des deutschen politischen Spektrums zu
etablieren. Insbesondere am breiten rechten Rand der CDU, der sich seit
2017 in der sogenannten “Werteunion” formiert, scheinen diese Bemühungen
forciert zu werden. Ziel scheint letztendlich die Normalisierung einer
schwarz-Braunen Koalition zu sein. Dies hat ein unumstrittener Experte
für die Normalisierung rechter Gewalt, der ehemalige
Verfassungsschutzchef Maaßen, jüngst explizit öffentlich formuliert. In
einem Interview wollte das prominente Mitglied der Werteunion eine
Koalition der CDU mit der AfD nicht mehr ausschließen. (…) Im Licht
dieser Auseinandersetzungen innerhalb der CDU, wo offensichtlich die
Bereitschaft zu Schwarz-Braun zunimmt, scheinen die wütenden Angriffe
der AfD auf Lübcke nicht nur ideologisch motiviert zu sein, da dieser
“christliche Werte” über den völkischen Wahn der Neuen rechten stellte,
sondern auch machtpolitisch. CDU-Politiker, die – im Gegensatz zu einem
Herrn Gauck – ihre christlichen Werte ernst nehmen, stellen schlicht ein
politisches Hindernis bei der von der AfD-Führung anvisierten Koalition
mit der CDU dar. Dieses politische Kalkül, die Schwächung des
gemäßigten Flügels des deutschen Konservatismus, motiviert die verbalen
Attacken von AfD und Pegida auf die “Volksverräter” in der CDU – die nun
von militanten Nazis buchstäblich exekutiert worden sind. Letztendlich
handelte es sich bei dem Mord an Lübcke um einen rechten Terrorakt, der
all jene Kräfte im deutschen Konservatismus einschüchtern soll, die
Schwarz-Braun im Weg stehen. Lübcke war ein Hindernis auf dem Weg zu
Schwarz-Braun, die Angst, die dieser Terrorakt in sein politisches
Milieu hineinträgt, soll dazu beitragen, es zu paralysieren…“
- „„Wir
schießen den Weg frei“ – bereitet die AfD-Sprache den Boden für rechten
Terror mit?“ von Katja Thoorwarth am 19. Juni 2019 in der FR online zu Zusammenwirken: „… Die
Liste lässt sich beliebig lang fortsetzen, Youtube hat es bislang nicht
für nötig befunden, hier moderierend einzugreifen. Auch die hessische
AfD-nahe Politikerin Erika Steinbach hatte den Hass auf Lübcke neu
angeheizt. „Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen, bevor
sie ihre Heimat aufgeben!“, tweetete sie im Februar dieses Jahres.
Zahlreiche Reaktionen bezogen sich auf Walter Lübcke – „ Landesverrat.
An die Wand mit dem. Hat ja direkt die Antwort bekommen…“ war neben
einem Galgen eine der Reaktionen, die sich laut „t-online.de“ im Juni
noch unkommentiert auf Facebook und Twitter fanden. Weiteres
prominentes Beispiel ist Akif Pirincci. Der türkische Autor, bekannt für
seine rechten Hetztiraden, hatte 2015, kurz nach Lübckes Rede, von
Politikern im Kontext der Flüchtlingspolitik als den „Gauleitern des
eigenen Volkes“ gesprochen. Beispielhaft war für ihn Walter Lübcke:
„Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem
Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die
Ausreise empfehlen kann“, wird er aus einer „Pegida“-Rede zitiert.
Systematisch wurde in den letzten Jahren gegen einen Mann gehetzt, der
aufgrund seiner humanitären Haltung nun wohl Opfer eines Neonazis wurde.
Umso erstaunlicher, dass ein Kommentator der „Dresdner Neusten
Nachrichten“ sich an „kaltblütige Anschläge der RAF“ erinnert fühlte.
Mittlerweile wurde die Überschrift um die NSU ergänzt, jedoch sei an
dieser Stelle auf eine Statistik des Terrorismusexperten Daniel Köhler
verwiesen, den der „Deutschlandfunk“ im März 2018 veröffentlichte: Seit
1971 geschahen in Deutschland 229 rechtsterroristische Morde, 123
Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge, 12 Entführungen und 174
bewaffnete Überfälle durch 92 rechtsterroristische Gruppen und
Einzelpersonen…“
- „Trauern um Walter Lübcke“ von Jagoda Marinic am 17. Juni 2019 in der taz online kommentiert: „… Man
kann bei einem politischen Mord (und allem Anschein nach war es ein
politischer Mord) nicht zwei Wochen für die öffentliche Trauer auf Stand
by schalten, nur um keine falschen Debatten auszulösen. Vor allem wenn
die Ursache für die falschen Debatten schon an sich untragbar ist:
Drohungen, die Menschen über sich ergehen lassen müssen, wenn sie sich
in diesem Land für Nächstenliebe und die Umsetzung des geltenden
Asylrechts starkmachen. Die „Schonfrist“ für die öffentliche
Aufarbeitung gilt meist insbesondere dann, wenn rechtsextreme Milieus
nicht vorschnell beschuldigt werden sollen. Angeblich um die Spaltung
der Gesellschaft nicht voranzutreiben. Demokratie kann sich Geduld
dieser Art nicht leisten. Jeder politische Mord erfordert umgehend
Parteinahme und Schutz, ganz gleich welche Motive noch zu ergründen
sind. Als am 16. Juni 2016 die britische Politikerin Jo Cox ermordet
wurde, gestattete sich Großbritannien zu trauern, auch wenn die
Hintergründe noch offen waren. Ihr Mörder galt zunächst lediglich als
psychisch gestört. Im Nachhinein wurden Verbindungen in die Neonaziszene
bekannt…“
- „»Direkte Linie« zum Mord“ von Claudia Wangerin am 19. Juni 2019 in der jungen Welt über einige Beweggründe der extrem seltsamen Haltung der CDU zum Mord an ihrem Mitglied: „… In
der CDU sorgten die Erkenntnisse zum Mord an ihrem Parteimitglied
Lübcke Anfang der Woche für fundamental unterschiedliche Reaktionen.
Michael Brand, Mitglied im Innenausschuss des Bundestags, sagte am
Dienstag im Deutschlandfunk, er sehe »eine direkte Linie von
der grenzenlosen Hetze« von AfD-Politikern wie Björn Höcke »zu Gewalt
und jetzt auch zu Mord«. Max Otte, Mitglied des rechtskonservativen
CDU-Flügels »Werteunion« und Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen
Desiderius-Erasmus-Stiftung, hatte zunächst getwittert, der »Mainstream«
habe jetzt »eine neue NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht so aus, dass
der Mörder ein minderbemittelter Einzeltäter war, aber die Medien
hetzen schon jetzt gegen die ›rechte Szene‹, was immer das ist«. Später
löschte er den Eintrag und bezeichnete ihn als Fehler…“
- „Wie Lübcke zum Ziel rechter Hetze wurde“ von Zita Zengerling am 17. Juni 2019 in der SZ online zur Vorgeschichte des Mordes: „… Der
getötete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war seit Jahren
Opfer von Hetze und Drohungen. Der Hass gegen ihn ging vor allem von
einer Aussage aus, die eigentlich ein Appell an christliche Werte sein
sollte. Auf einer Bürgerversammlung im hessischen Lohfelden hatte Lübcke
im Oktober 2015 über eine Erstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete
gesprochen. Immer wieder war er dabei durch Zwischenrufe unterbrochen
worden. Schließlich entgegnete Lübcke den Störern, dass er stolz auf das
ehrenamtliche Engagement und das Vertreten christlicher Werte in der
Flüchtlingshilfe sei: “Wer diese Werte nicht vertritt, der kann
jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das
ist die Freiheit eines jeden Deutschen”, sagte der Behördenleiter. Es
folgte ein Raunen im Zuschauerraum, Pfiffe und Buhrufe, jemand rief,
Lübcke solle verschwinden. Auch wenn es im Bericht der
Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) zu der Veranstaltung
hieß, dass die Stimmung nicht kippte und die dem Flüchtlingsthema
aufgeschlossenen Besucher in der Überzahl gewesen seien, wurde ein Video
mit Lübckes Satz noch am selben Tag auf Youtube hochgeladen. Darunter
sammelten sich Kommentare mit Beleidigungen, Rücktrittsforderungen und
Todeswünschen: “So eine Drecksau!!”, schrieb ein User, ein anderer
kommentierte “Aufhängen!”, und ein User, der sich “kein Nazi” nennt,
schrieb: “Gott sei Dank war ich da nicht mit dabei, denn sonst würde ich
jetzt wegen einer Straftat im Knast sitzen!“…“
- „Der Mord an Walter Lübcke“ am 17. Juni 2019 bei der Antifa Pinneberg fasst zusammen: „… Seit
Jahren wird von Rassit*innen und organisierten Faschis*innen aller
Couleur gedroht und gehetzt, von Sarrazin (SPD), Palmer (Grüne), Maaßen
(CDU), Erika Steinbach, „Identitätre Bewegung“, „Alternative für
Deutschland“, „Pegida“, „NPD“ und“ Dritter Weg“. Ein Teil dieser Szene
sieht sich spätestens seit 2015 im Krieg gegen die Regierung und gegen
alle anderen Menschen die nicht in ihr Weltbild passen. Die Antifa
Bonn/Rhein-Sieg berichtet treffend nach dem Attentat auf Henriette Reker
Oberbürgermeisterin von Köln durch Frank Steffen einem Nazi der in den
90er in der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP)
organisiert war. „Die menschenverachtenden Täter der 90er Jahre wurden
juristisch kaum verfolgt und ihre Taten wurden durch die Justiz als
Taten von „verrückten Einzeltätern“ verklärt und entpolitisiert. Dass
die Nazis der 1990er Jahre zu einem Teil immer noch das gleiche
Gedankengut haben bemerken wir zum Beispiel bei dem Waffenhändler Ralf
Tegethoff, der Mitorganisator des jährlich stattfindenden
Naziaufmarsches in Remagen ist und Ausbilder der inzwischen verboten
Kameradschaft Aktionsbüro Mittelrhein war. Der ehemalige
Chefnazischläger Norbert Weidner ist heute in der rechtsextremen
Burschenschaft der Raczeks zu Bonn aktiv…“
- Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten: Verdächtiger mit Nazi-Aktivitäten…
„… Im Fall des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten
Walter Lübcke verdichten sich die Hinweise, dass es sich um einen
Anschlag mit politischem Hintergrund handeln könnte. Nach Angaben der
Polizei wurde am Samstag ein 45 Jahre alter Mann unter dringendem
Tatverdacht festgenommen. Gegen ihn wurde mittlerweile Untersuchungshaft
verhängt. Nach F.A.Z.-Informationen handelt es sich um eine Person, die
früher in der rechtsextremistischen Szene aktiv war Geprüft wird
derzeit, inwieweit der Mann dort jüngst noch aktiv war. Der Verdächtige
soll über eine DNA-Spur identifiziert worden sein, die am Tatort
gefunden wurde. Offenbar war der Mann einschlägig bekannt. Wie die
Staatsanwaltschaft Kassel und das hessische Landeskriminalamt am Sonntag
mitteilten, wurde der Verdächtige am frühen Samstagmorgen gegen zwei
Uhr festgenommen. Nähere Informationen zu der Person machten sie
zunächst nicht. Sie wollen sich an diesem Montag zu den möglichen
Hintergründen der Tat äußern…“ – aus dem Artikel „Dringender Tatverdacht gegen Rechtsextremisten im Mordfall Lübcke“ von Katharina Iskandar am 16. Juni 2019 im FAZ.net , worin auch noch die Möglichkeit einer „längeren Liste“ potenzieller Mordopfer Thema ist.
- „Walter Lübcke: AfD Kreisverband verhöhnt getöteten Regierungspräsidenten“ von Katja Thorwarth am 04. Juni 2019 in der FR online hebt dazu hervor: „… Die
AfD Kreis Dithmarschen nahm den Tod des Politikers zum Anlass, um zu
demonstrieren, wes Geistes Kind sie ist: „Mord???? Er wollte nicht mit
dem Fallschirm springen…“ hieß es auf Facebook – mit einem einigermaßen
unzweideutigen Verweis auf den Suizid von Jürgen Möllemann 2003.
Verantwortlich für die Seite zeichnet laut Impressum Mario Reschke. Der
ruderte Stunden später zurück, ein jeder solle „… Halbsätze selbst zu
Ende denken…“ entsprechend sei jeder „auch für seine Gedanken selbst
verantwortlich“. Häme oder Spott wies er weit von sich. Reschke, der
seit 1. April 2017 den Vorsitz des AfD-Kreisverbandes stellt, ist in der
rechten Szene kein Unbekannter. Er soll der Reichsbürgerbewegung nahe
stehen, dass er ein Waffennarr zu sein scheint, legt ein einschlägiges
Bild von ihm auf der mittlerweile stillgelegten Facebookseite Ma Reschke
nahe. Dort posierte er öffentlich sichtbar mit geschwellter Brust und
einer Maschinenpistole. Ebenso archiviert sind antisemitische Posts und
Verschwörungstheorien…“
- „Fall Lübcke: Sanitäter soll Tatort verändert haben“ bis zum 05. Juni 2019 in der FR online ist eine Chronologie zu dem Mord, in der es unter anderem heißt: „… Im
Rahmen der Ermittlungen prüft die Staatsanwaltschaft Kassel auch die
Hasskommentare im Netz, in denen Rechtsextreme den getöteten
Regierungspräsidenten, der sich mit seiner Haltung gegenüber
Flüchtlingen im rechten Lager viele Feinde gemacht hat, verhöhnen. Die
Ermittler prüfen jeden einzelnen Kommentar auf „strafrechtliche
Relevanz“, so Thöne. Beleidigung, Störung des öffentlichen Friedens und
die öffentliche Aufforderung zu Straftaten kämen als Delikte in
Betracht. (…) Auch nach Lübckes Tod kommt es noch zu geschmacklosen
Kommentaren und Verhöhnungen im Netz von einschlägiger
Seite. Rechtsextreme zeigen offene Freude über die Tat. In den sozialen
Medien finden sich zahlreiche Grenzüberschreitungen: “Die Drecksau hat
den Gnadenschuss bekommen! RESPEKT!”, schreibt etwa ein “Franz
Brandwein” auf YouTube. Auf Facebook kommentiert ein Nutzer “Selbst
schuld, kein Mitleid, so wird es Merkel und den anderen auch ergehen“…“
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