Dienstag, 15. Januar 2019

[8. und 9. Januar 2019] Zwei Tage Generalstreik in Indien: Beinahe 200 Millionen Menschen beteiligt!


Dossier

Es werden bei jedem Generalstreik gegen die indische Regierung mehr: Am 8. Januar 2019 beteiligten sich rund 200 Millionen MenschenDer erneute Generalstreik, zu dem 10  Gewerkschaftsverbände in Indien für den 8. und 9. Januar 2019 aufgerufen haben, hat am ersten Tag – wie immer in Indien – in verschiedenen Bundesstaaten unterschiedliche Auswirkungen gehabt. Durchgehend aber ist eine massive Beteiligung, sowohl in den verschiedenen Branchen des öffentlichen Dienstes (obwohl es mehrere Regierungen verschiedener Bundesstaaten gab – wie etwa Westbengalen oder Tamil Nadu – die offene Drohungen äußerten und konkrete Maßnahmen gegen eine Streikbeteiligung organisierten), als auch in der Privatindustrie und im informellen Sektor. Wie schon beim letzten Generalstreik gegen die Modi-Regierung war auch dieses Mal eine öffentlich sichtbare Beteiligung der Menschen, die im informellen Sektor arbeiten müssen, ein wesentlicher Grund für die erfolgreiche Mobilisierung, sollen sich doch nach verschiedenen Angaben bis zu 200 Millionen Menschen am Streik beteiligt haben und noch beteiligen. Der Katalog von 12 Forderungen, auf den sich die Verbände geeinigt haben, umfasst den Verzicht auf die aktuell anstehende erneute antigewerkschaftliche Gesetzgebung ebenso, wie etwa Mindestlohn und Mindestrente für Alle, sowie eine Begrenzung der Leiharbeit auf maximal 12 Monate. Solche Forderungen führten dazu, dass sich diesmal auch verschiedene bäuerliche Organisationen dem Streik anschlossen, die bereits im Verlauf des Jahres 2018 verschiedentlich große Proteste organisiert hatten. Siehe zum Generalstreik in Indien aktuelle Beiträge, chronologische Berichtsseiten und Dokumente globaler Verbände:
Der Generalstreik: 200 Millionen gegen die indische Regierung und ihre Geschenke an das Kapital New 
Am Mittwoch beteiligten sich Dutzende Millionen Arbeiter in Indien am zweiten Tag des 48-stündigen landesweiten Proteststreiks gegen die verhassten, investorenfreundlichen „Reformen“ der Regierung der Hindu-chauvinistischen Bharatiya Janatha Party (BJP). Die kapitalistischen Medien versuchten großteils, den Streik totzuschweigen. Von breiten Teilen der Arbeiterklasse, sowohl aus den so genannten formellen, als auch aus den informellen Sektoren, wurde er jedoch unterstützt. Zudem setzte sich der Streik über die Spaltung durch Religion und Kasten hinweg, mit der die Kapitalistenklasse jahrzehntelang die soziale Unzufriedenheit in reaktionäre Kanäle gelenkt hatte. Die große Beteiligung ist ein Ausdruck der wachsenden Wut der Arbeiterklasse auf die Regierung von Premierminister Narenda Modi, die vom Großkapital gestützt wird. In ihrer viereinhalbjährigen Amtszeit hat sie den jahrzehntelangen Angriff auf die indische Arbeiterklasse, die eine der größten der Welt ist, drastisch verschärft. Sie hat brutale Sparmaßnahmen durchgeführt, Privatisierungen forciert, Zeitarbeit gefördert, Umwelt- und Arbeitsschutzstandards ausgehöhlt und der arbeitenden Bevölkerung umfassende Steuererhöhungen aufgezwungen. Eine zentrale Rolle im Streik spielten die Kohlebergarbeiter, die Postbeschäftigten und die Dockarbeiter. Auch die Beschäftigten in Banken, Versicherungsfirmen, Telekommunikations- und Transportunternehmen und die Arbeiter der Teeplantagen nahmen teil. Den streikenden Arbeitern der staatseigenen Industriezweige schlossen sich ihre Kollegen in internationalen Konzernen wie Bosch, Toyota, Volvo, CEAT, Crompton und Samsonite an. Die zahlreichen Berichte über gewaltsame Zusammenstöße, Entlassungen und Verhaftungen von streikenden Arbeitern verdeutlichen die scharfen Klassenspannungen und die brutale Reaktion der Arbeitgeber und Regierungen. In mehreren Bundesstaaten, u. a. in Westbengalen und Tamil Nadu, streikten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, obwohl ihnen die Regierung mit Entlassungen, Lohnkürzungen und anderen Disziplinarstrafen drohten…„ aus dem Beitrag „Indien: Wachsende soziale Wut entlädt sich in zweitägigem Streik“ am 11. Januar 2019 bei wsws externer Link (Korrespondentenbericht), in dem auch noch eine Reihe weiterer (weitgehend erfolgloser) Repressionsversuche berichtet werden. Zum Generalstreik in Indien ein Beitrag über die peinliche Rolle bundesdeutscher Medien, zwei aktuelle Berichte vor Ort:
  • „Stell dir vor, es ist Streik …“ von Vanessa Fischer am 10. Januar 2019 in neues deutschland externer Link thematsiert das Schweigegelübde bundesdeutscher Medien so: „… und keine*r kriegt es mit. In Indien könnte sich in dieser Woche der größte Streik in der Geschichte der Menschheit ereignet haben – 200 Millionen Beschäftigte sollen dort nach Angaben von Gewerkschaften am Dienstag und Mittwoch ihre Arbeit niedergelegt haben. Insgesamt zehn Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen. In Bildungseinrichtungen war es ebenso zu Komplettausfällen gekommen wie bei der Bahn, im Banken- und im Postwesen. Davon können die Vorsitzenden der zwei größten deutschen Gewerkschaften, Frank Bsirske (ver.di) und Jörg Hofmann (IG Metall), wohl nur träumen. Dennoch, die mutmaßliche Sensation blieb von den deutschen Medien weitestgehend unbemerkt. Das mag auch daran gelegen haben, dass keine der großen Nachrichtenagenturen über die Streiks in Indien berichtete. Da Zeitungen aber nicht mehr über ein weltweites Netz von Korrespondent*innen verfügen, stützen sie sich für ihre Auslandsberichterstattung meist auf Meldungen der Nachrichtenagenturen. Deren Korrespondent*innen recherchieren vor Ort und geben die gesammelten Informationen möglichst neutral an die Kunden in Deutschland weiter, die dafür bezahlen. So werden die Themen, die in den Medien erscheinen, also in gewissem Maß auch von den Agenturen mitbestimmt: Themen, die nicht von ihnen aufgegriffen werden, schaffen es letztendlich oft auch nicht in deutsche Medien. Auf Nachfrage erklärte ein Vertreter der größten deutschen Nachrichtenagentur (dpa) am Mittwoch dem nd, sie habe nicht über den Streik berichtet, da die Zahl der Streikenden für sie nicht verifizierbar gewesen sei. Daneben sei es weder zu größeren Ausschreitungen noch zu Todesfällen gekommen, der Generalstreik daher als irrelevant erachtet worden…
  • „Bharat Bandh: Why Workers Brought India to a Halt for Two Days“ von Akhil Kumar am 10. Januar 2019 bei The Wire externer Linkist einer der verschiedenen Versuche, die Bedeutung dieser zweitägigen Massenstreik-Bewegung zu analysieren. Dazu werden knappe Aussagen der SprecherInnen der vier größten Gewerkschaftsverbände des Landes denen gegenüber gestellt, die der Vertreter des regierungsgewerkschaftlichen BMS-Verbandes äußerte, als er alles eine rein politische Kampagne nannte. Übereinstimmend wird dagegen von den anderen befragten festgehalten, dass gerade die zentralen Forderungen wie Mindestlohn und Mindestrente, Einschränkung der Zeitarbeit und Verteidigung gewerkschaftlicher Rechte im Rahmen des 12 Punkte Programms zum Streik es gewesen seien, die besonders mobilisierend gewirkt hätten.

Zwei Tage Generalstreik in Indien: Beinahe 200 Millionen Menschen beteiligt!

„Zweitägiger Generalstreik in Indien“ von Thomas Berger am 08. Januar 2019 in neues deutschland externer Link gibt einen ersten Überblick über die Streikauswirkungen: „Wenige Tage erst ist das neue Jahr alt, da setzt Indiens traditionell starke Gewerkschaftsbewegung ein weiteres deutliches Zeichen des Protestes insbesondere gegen Gesetzesänderungen, die die gewerkschaftliche Organisation und Interessenvertretung der Beschäftigten in den Betrieben zukünftig erschweren soll. Der Unmut ist groß, immer wieder in den gut viereinhalb Regierungsjahren haben sich die Gewerkschaftsdachverbände zu gemeinsamen Großaktionen gegen die mit der seit 30 Jahren größten Mehrheit im Parlament ausgestatteten hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) bereitgefunden. Zahlreiche Bankfilialen bleiben die beiden Tage geschlossen, weil sich auch deren Gewerkschaften dem Streikaufruf angeschlossen haben, der von Kommunisten, Reformisten, Frauengewerkschaften, dem Verband, der der Oppositionspartei des Nationalen Kongresses nahesteht und selbst von einem Gewerkschaftsverband, der der BJP nahesteht, breite Unterstützung erfährt. Selbst die Beschäftigten in den Atomkraftwerken, organisiert in Einzelgewerkschaften, beteiligen sich an dem Ausstand, lassen teilweise nur eine Notbesatzung Dienst schieben. Ihnen geht es vor allem darum, dass ein neues Rentensystem für ihre Branche zurückgenommen wird. Ebenso streiken Dockarbeiter oder die Beschäftigten der Versicherungsbranche. Da auch die Gewerkschaften im Transportsektor mit von der Partie sind, sowohl aus dem organisierten wie dem unorganisierten Bereich, leidet der Verkehr. Zumal der der Marxistischen Kommunistischen Partei Indiens nahestehende Bauernverband angekündigt hat, sich ebenfalls zu beteiligen und stellenweise Bahngleise zu blockieren – in Indien ein durchaus übliches Mittel bei solchen Protestaktionen. Da alle ihre Dachorganisationen sich dem Streikaufruf der nationalen Gewerkschaftsbünde angeschlossen haben, erscheinen auch viele Beschäftigte von regierungsamtlichen Stellen und Behörden auf nationaler wie regionaler Ebene die beiden Tage nicht zur Arbeit. Im südindischen Tamil Nadu hat die dortige Regionalregierung bereits im Vorfeld mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht. Fest angestellte Mitarbeiter könnten mit Gehaltsverlusten und einer Verwarnung davonkommen, Teilzeit-Beschäftigte und Tagelöhner allerdings müssten sich auf den Verlust ihres Jobs einstellen, wenn sie mitstreiken, so Girija Vaidyanathan, oberste Vertreterin der Verwaltung im Bundesstaat…“
„Streik gegen Modi“ von Aditi Dixit und Silva Lieberherr am 08. Januar 2019 in der jungen welt externer Link hebt zu den Streikgründen und Streikforderungen  hervor: „Das Wahljahr 2019 wird in Indien mit einem landesweiten Streik eingeläutet. Am heutigen Dienstag beginnt der zweitägige Ausstand, zu dem nach den Gewerkschaften nun auch Bauernorganisationen mobilisieren. Diese Demonstration der Stärke und Solidarität zeigt die Wut und Empörung über die konzernfreundliche, menschenfeindliche Politik der Regierung von Premierminister Narendra Modi. Bei seinem Amtsantritt betonte Modi, dass er sich für die Beschäftigten einsetzen wolle. Die Politik der regierenden hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) untergräbt indes die Rechte der Arbeiter und richtet sich gegen die Interessen der Beschäftigten. (…)Mit dem Streik münden die Proteste in ihren ersten Höhepunkt. Zehn der zwölf großen Gewerkschaften unterstützen den Ausstand, zwei regierungsnahe Organisationen haben sich dem verweigert. Auch fast alle unabhängigen Vereinigungen der Angestellten mobilisieren zu der Arbeitsniederlegung. Zusammen repräsentieren die Verbände die Beschäftigten in allen Industrie- und Dienstleistungszweige im formellen und informellen Sektor. Die Gewerkschaften haben zwölf Hauptforderungen ausgearbeitet, die von einer strengeren Durchsetzung des Arbeitsrechts über die Erhöhung der Mindestlöhne bis hin zu Maßnahmen für allgemeine soziale und Ernährungssicherheit reichen…
Labour News India“ externer Link (Facebook) ist eine Seite, die die Meldungen und Berichte verschiedener Verbände „vor Ort“ verbreitet, inklusive zahlreicher Fotos und Videoberichten. Auch die verschiedenen Angriffe auf Streikende sind hier laufend Thema. Ebenso werden auch Beiträge verschiedener gewerkschaftsnaher politischer Organisationen und Gruppierungen dokumentiert, wie auch Veröffentlichungen selbstorganisierter Basisgruppen aus verschiedenen indischen Bundesstaaten…
„Bharat Bandh enters second day, two students injured in stone pelting in Howrah“ am 09. Januar 2019 bei Scroll.India externer Link ist eine kontinuierlich aktualisierte Tageschronologie (hier von Tag 2 des Streiks), worin auch von den Auseinandersetzungen am ersten Streiktag berichtet wird, die im Bundesstaat Rajasthan zu 50 Verletzten geführt haben, als sich Streikende und ihre Unterstützungsgruppen gegen einen weiteren Polizeiangriff zur Wehr setzten. Wie in anderen Chronologien auch ist der Streik im öffentlichen Nahverkehr Bombays ein zentrales Thema, wo sich 32.000 Beschäftigte beteiligen.
„#Workers Strike back“ am 08. und 09. Januar 2019 bei Labourstart externer Link ist die aktuelle „India Edition“ des Portals offizieller Gewerkschaften,  die am ersten Streiktag knapp 40 Einzelmeldungen über den Streikverlauf in verschiedenen Bundesstaaten veröffentlichte.
„India: mass worker protests against government ahead of elections“ am 07. Januar 2019 beim Internationalen Gewerkschaftsbund ITUC externer Link ist die Solidaritätserklärung der Föderation mit dem Streik in Indien, aus der auch die Problematik indirekt deutlich wird, die viele gewerkschaftliche Aktionen in Indien haben: Die Orientierung auf kommende Wahlen macht deutlich, dass eben indische Gewerkschaften in aller Regel – und bis auf wenige, eher neuere Ausnahmen – parteipolitisch geführt werden…
„WFTU solidarity statement with All India general strike“ am 04. Januar 2019 ist die Solidaritätserklärung des Weltgewerkschaftsbundes externer Link mit dem indischen Generalstreik, die einer ähnlichen Logik folgt, wie die des IGB, vor allem die jeweils eigenen angeschossenen Verbände besonders hervor zu heben…

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