Dienstag, 11. Dezember 2018

Hungerstreik inhaftierter Katalanen: Unabhängigkeitsbewegung bleibt Dorn im Auge der spanischen Justiz. Ein Gespräch mit Bàrbara Roviró

»Wie sollten wir einen fairen Prozess erwarten?«


Interview: Martin Dolzer
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Polizisten gehen in Barcelona gegen Demonstranten vor, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens aussprechen (29.9.18)
Bàrbara Roviró ist Mitglied im Vorstand des ANC Deutschland (Assemblea Nacional Catalana)
Die beiden inhaftierten katalanischen Aktivisten Jordi Sánchez und Jordi Turull befinden sich momentan im Hungerstreik. Worum geht es? Inzwischen haben sich noch zwei weitere politische Gefangene dem Hungerstreik angeschlossen, Joaquim Forn und Josep Rull. Mit dem Hungerstreik protestieren die vier gegen die Blockade des spanischen Verfassungsgerichts. Es weigert sich konsequent, die von ihnen eingereichten Beschwerden zu behandeln. Solange diese nicht beschieden werden, bleibt den Inhaftierten die Möglichkeit verwehrt, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Durch diese Verschleppung soll erreicht werden, dass nicht auf europäischer Ebene über die angeblich innere Angelegenheit Spaniens öffentlich beraten wird – und wie zu erwarten, ein Urteil gegen das spanische Vorgehen fällt.
Die vier Aktivisten wurden nach dem Referendum 2017 verhaftet. Aus welchem Grund?
Nach den Ereignissen im Herbst letzten Jahres sind insgesamt zwei Frauen und sieben Männer inhaftiert worden: zwei politische Aktivisten und sieben Angehörige der nach dem Unabhängigkeitsreferendum von Madrid abgesetzten katalanischen Regierung. Der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont und vier Ministerinnen und Minister seiner damaligen Regierung befinden sich seitdem im Exil. Weil sie das Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens vorbereitet und durchgeführt haben, sind sie allesamt der Rebellion, des Aufruhrs und der Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt.
Gibt es in Spanien eine breite Solidarität mit und Aktionen für die Gefangenen im Hungerstreik?
Eine große Solidaritätswelle ist in Spanien bislang bedauerlicherweise ausgeblieben, lediglich vereinzelte Stimmen der Unterstützung sind von dort zu vernehmen. In der breiten Öffentlichkeit wird das harte Vorgehen gegen die Unabhängigkeitsbewegung überwiegend begrüßt. In Katalonien dagegen hält die Unterstützungswelle für die politischen Gefangenen und jetzt für die Hungerstreikenden ungebrochen an. Menschen versammeln sich tagtäglich, um ihrer zu gedenken. Weitere Protestaktionen zur Solidaritätsbekundung sind geplant.
Kann man von fairen Verfahren sprechen?
Unter keinen Umständen! Die Unabhängigkeit der spanischen Justiz steht in Frage – insbesondere in der katalanischen Causa. Wie sollten wir einen fairen Prozess erwarten, wenn die Anklage ein verfälschtes Bild der Ereignisse des letzten Oktobers zeichnet? Bereits die lange Untersuchungshaft verhindert die angemessene Beratung und Vorbereitung des Prozesses durch die Angeklagten zusammen mit ihren Anwälten.
Hinzu kommt, dass die Gefangenen demnächst zurück in die Hauptstadt verlegt werden. Die Justizanstalten in der Umgebung von Madrid liegen weit entfernt vom Gericht, so dass jeden Tag beschwerliche Transporte anstehen werden. Und wie diese Transporte sich gestalten, haben wir bereits zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung dort erfahren: die Hände am Rücken gefesselt und ohne Anschnallgurt in fensterlosen Minibussen sitzend.
Was erwarten Sie von der EU und der Bundesregierung?
Kann sich die EU die Existenz von politischen Gefangenen erlauben? Kann man ernsthaft Ungarn, Polen oder die Türkei an den Pranger stellen, während in Spanien bei derartigen Menschenrechtsverletzungen weggesehen wird? Immer mehr Menschen in Europa schlagen bei dieser Involution der spanischen Demokratie die Hände über dem Kopf zusammen. Auch vereinzelte europäische Politiker finden klare Worte der Kritik, jüngst sogar eine Gruppe aus 40 EU-Parlamentariern. Dafür sind wir dankbar, es macht uns Mut. Wir arbeiten weiterhin daran, die EU-Staaten hier zum Eingreifen zu bewegen und Spanien für sein Vorgehen gegen die katalanischen Gefangenen und Exilierten zu verurteilen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft Spaniens und Kataloniens aus?
Ich träume davon, dass beide Seiten an einem Tisch sitzen und unter der Mediation Europas einen Weg aus der Krise aushandeln. Leider sehe ich aber keine Anzeichen für eine derartige Entwicklung und befürchte, dass der Konflikt uns länger beschäftigen wird. Einfach so verschwinden wird die Unabhängigkeitsbewegung jedenfalls nicht. Und am Ende sehe ich unsere Gefangenen und Exilierten in Freiheit, zurück in einem eigenständigen Katalonien.
https://www.jungewelt.de/artikel/345193.unabh%C3%A4ngigkeit-kataloniens-wie-sollten-wir-einen-fairen-prozess-erwarten.html

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