Montag, 12. November 2018

Südostasien und der Handelskrieg: ASEAN-Staaten müssen auf aggressives US-Gebaren gegen China reagieren

Machtkampf um »Indopazifik«


Von Jörg Kronauer
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Der Einkreisung entgegenwirken: Eröffnung eines Marinemanövers von China und ASEAN-Staaten am 22. Oktober in Zhanjiang
Hintergrund Woche der Gipfel
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Fünf Gipfeltreffen, diverse bilaterale Zusammenkünfte zahlreicher Staats- und Regierungschefs, dabei Debatten über regionale und über globale Konflikte, vielleicht sogar Fortschritte bei der Gründung des größten Freihandelsblocks der Welt: Asien steht eine ereignisreiche Woche bevor. Vom südostasiatischen ASEAN-Gipfel, der am Sonntag in Singapur begann, bis zum Gipfel der Pazifikanrainer Ende dieser Woche in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua-Neuguinea, reichen die Veranstaltungen, zu denen unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin, Chinas Ministerpräsident Li Keqiang und US-Vizepräsident Michael Pence erwartet werden. Nicht präsent sein werden die Staaten Westeuropas, die Mitte Oktober den Asien-Europa-Gipfel in Brüssel abgehalten haben. Die Gespräche werden in dieser Woche wohl vor allem um den Konflikt kreisen, der vermutlich die kommenden Jahre prägen wird: um den pazifischen Machtkampf zwischen China und den USA. Auf dem ASEAN-Gipfel wird es unter anderem um den US-Handelskrieg gegen China gehen, den die Trump-Administration nicht nur angezettelt hat, sondern zur Zeit auch eskalieren lässt. In den Mitgliedsländern der Organisation »Association of Southeast Asian Nations« ruft dies Sorgen hervor. Die Volksrepublik und die Vereinigten Staaten sind die wichtigsten Abnehmer ihrer Exporte; zudem sind einige ASEAN-Länder, Singapur und Malaysia etwa, eng in multinationale Lieferketten eingebunden. Schrumpfen die Volkswirtschaften der USA und Chinas wegen des Handelskriegs, dann schadet das den südostasiatischen erheblich. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass einige in China ansässige Unternehmen inzwischen begonnen haben, ihren Handel mit den USA über Tochterfirmen in Südostasien abzuwickeln oder sogar Standorte in ASEAN-Staaten zu verlegen, um den US-Strafzöllen sowie den chinesischen Gegenzöllen zu entgehen. Der Aufbau vor allem arbeitsintensiver Werke in Südostasien anstatt in China entspricht einer seit Jahren zu beobachtenden Tendenz, die daraus resultiert, dass die Löhne in der Volksrepublik steigen und man in Vietnam, in Thailand oder Myanmar billiger produzieren kann. Der Handelskrieg beschleunigt diese Entwicklung jetzt ein wenig. Das gleicht allerdings die Schäden durch den amerikanisch-chinesischen Konflikt nicht aus.
Die ASEAN-Staaten dringen daher seit dem Sommer verstärkt darauf, das Freihandelsabkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) abzuschließen. Das RCEP soll die ASEAN sowie sechs Länder, mit denen der südostasiatische Staatenbund jeweils bereits Freihandelsabkommen vereinbart hat – Japan, Südkorea, China, Indien, Australien und Neuseeland –, zu einem einzigen Freihandelsblock machen. Dieser würde dann etwa 3,4 Milliarden Menschen umfassen, die ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 25 Billionen US-Dollar erwirtschafteten – annähernd ein Drittel des globalen BIP. Das RCEP ist seit Jahren stark von Beijing gefördert worden, um eine Alternative zum geplanten Pazifik-Freihandelsabkommen TPP zu schaffen, das als Handelsblock gegen die Volksrepublik konzipiert war. Mit einem indirekten Hinweis auf die harte Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump sagte Chinas Vizeaußenminister Chen Xiaodong am Sonntag, ein Abschluss würde die «Herausforderungen durch Unilateralismus und Protektionismus angehen», die regionale Integration fördern und ein offenes, regelbasiertes Handelssystem schaffen. US-Präsident Donald Trump hat TPP bekanntlich gekippt, und sein Handelskrieg scheint die ASEAN-Staaten nun dem RCEP zuzutreiben. Jedenfalls erklärten die Mitglieder des Bündnisses Anfang August, »in einer Zeit wachsender Unsicherheit im Welthandel« müsse es »eine Priorität« sein, die Verhandlungen über das Abkommen rasch abzuschließen. Fortschritte werden vom RCEP-Gipfel diese Woche in Singapur erhofft.
Würde sich die Waage in Asien mit Fortschritten beim RCEP ökonomisch ein Stück in Richtung China neigen, so setzen die Vereinigten Staaten einmal mehr aufs Militär. Vizepräsident Michael Pence wird nach einem Zwischenstopp in Japan zum US-ASEAN-Gipfel in Singapur eintreffen, bevor er erst nach Australien und dann nach Port Moresby weiterreist, wo er am Wochenende eine Rede zu Washingtons neuer »Indopazifik-Strategie« halten will. Im Kern geht es darum, im Kampf gegen China nicht nur auf die alten Verbündeten Japan und Australien sowie auf einzelne Staaten Südostasiens, etwa die Philippinen, zu setzen, sondern Indien stärker einzubeziehen. In Washington macht man sich Hoffnungen, das könne gelingen, weil New Delhi sich traditionell als asiatischen Rivalen Chinas begreift. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist nicht einfach. Sie haben beispielsweise Territorialstreitigkeiten bis heute nicht beigelegt. Allerdings ist Indien nicht scharf darauf, Washingtons Erfüllungsgehilfen zu spielen. Es besteht auf einer eigenständigen Politik. So will es zum Beispiel das russische S-400-Raketenabwehrsystem kaufen, ein Schritt, den die Trump-Admini­stration im Falle Chinas mit Sanktionen belegt hat.
US-Vizepräsident Pence will nun in Singapur mit dem indischen Premierminister Narendra Modi verhandeln – und hofft, dass New Delhi sich nicht nur auf eine engere Militärkooperation mit Washington, Tokio und Canberra einlässt, eine Art Einkreisung Chinas also, sondern dass es auch bei den RCEP-Verhandlungen blockiert. Zusätzlich will er den ASEAN-Ländern als Alternative zum RCEP Geschäfte mit US-Konzernen nahelegen. Allerdings ist nicht ganz klar, wieso das plötzlich ein Erfolgsrezept sein soll, denn schließlich stand denen in Südostasien jahrzehntelang nicht viel entgegen. US-Außenminister Michael Pompeo hat kürzlich angekündigt, Washington stelle 113 Millionen US-Dollar für Infrastruktur- und Konnektivitätsprojekte im »Indo-Pazifik« bereit; verglichen mit den Milliardensummen, die Beijing für die »Neue Seidenstraße« springen lässt, ist das ein Witz. Kurz darauf hat Pompeo allerdings mitgeteilt, die Trump-Administration werde das Zweieinhalbfache – rund 300 Millionen US-Dollar – für militärische und militärpolitische Zwecke dort investieren. Und er will in dieser Woche die Territorialstreitigkeiten um die zahlreichen Inseln und Inselgruppen im Südchinesischen Meer zum Thema machen: Sie gelten als Chance, die ASEAN und China zu entzweien.
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Immerhin hat sich die Sprecherin des US-Vizepräsidenten bei so vielen ern­sten Themen einen gewissen Sinn für Humor bewahrt. Pence werde in dieser Woche, bekräftigte sie, »die Botschaft übermitteln, dass Autoritarismus, Aggression und die Missachtung der Souveränität anderer Nationen im Indopazifik von den Vereinigten Staaten nicht geduldet werden«. Das sollte gegen China gerichtet sein. Aus dem Mund einer US-Regierungssprecherin klingt es allerdings kurios.
https://www.jungewelt.de/artikel/343345.weltwirtschaft-machtkampf-um-indopazifik.html

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