Grabkerzen und Jagdparolen
Teilnehmer der Gegendemonstration zum Aufzug von »Wir für Deutschland« am Freitag abend in Berlin
Foto: Christian-Ditsch.de
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Das rechte Bündnis »Wir für Deutschland« konnte am Abend des 9.
November, wie geplant, seinen »Trauermarsch für die Toten von Politik«
in Berlin durchführen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte kurz zuvor
die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts bestätigt, das Verbot
der Demonstration an diesem historischen Datum aufzuheben. Damit wurde
einem Eilantrag der Rechten gegen die Entscheidung von Innensenator
Andreas Geisel (SPD) stattgegeben. Geisel hatte das Verbot damit
begründet, dass der Aufzug »in eklatanter Weise den Sinn und
moralisch-ethischen Stellenwert dieses Gedenktages negieren« würde. »Ich
bin auch nach der Gerichtsentscheidung überzeugt davon, dass wir das
nicht zulassen sollten an einem Tag, an dem die Welt auf Berlin schaut«,
hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme Geisels. Zwar gelte die
Entscheidung des OVG, sie sei aber »kein Freifahrtschein für
Rechtsextremisten«. 80 Jahre zuvor hatten Mitglieder und Sympathisanten
von Hitlers NSDAP deutschlandweit jüdische Geschäfte zerstört,
Synagogen angezündet, Jüdinnen und Juden angegriffen, einige von ihnen
öffentlich gedemütigt, andere verletzt oder ermordet.
Auf dem
Fronttransparent von »Wir sind Deutschland« wurde am Freitag abend
mehreren Parteien und Organisationen – von der CDU bis zur Partei Die
Linke und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) – vorgeworfen: »Sie
brachten uns den Terror«. Begründet wurde dies in Wortbeiträgen mit der
jeweiligen Haltung zur Flüchtlingspolitik. Mindestens rund 100
Teilnehmer versammelten sich – zum Teil mit Grabkerzen – am frühen Abend
am Hauptbahnhof. Dort wurden sie am Washingtonplatz nach
Veranstalterangaben von 5.000 Gegendemonstranten mit »Nazis raus«-Rufen
erwartet. Der Aufzug des rechten Bündnisses konnte nur mit erheblicher
Verzögerung losgehen. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 1.200
Beamten im Einsatz, die Gleise auf dem Hauptbahnhof wurden von
Bundespolizisten abgesichert.
Ein anderes Kräfteverhältnis zeigte sich am Tag darauf in Magdeburg
in Sachsen-Anhalt: Dort konnte am Samstag ein Fackelmarsch von rund 700
Neonazis stattfinden. Auf einem ihrer Transparente war neben der Parole
»Antideutsche aus dem Land jagen!« die Silhouette eines Jägers mit
Gewehr und Hund zu sehen. Nach einem Bericht, den die
Mitteldeutsche Zeitung
am Sonntag morgen online veröffentlichte, riefen sie Parolen wie »Hier
marschiert der nationale Widerstand« und riefen zur Solidarität mit der
Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck auf. Die Gegendemonstranten lagen
dem Bericht zufolge zahlenmäßig etwa gleichauf. Die Polizei setzte nach
eigenen Angaben drei Hundertschaften ein, die laut einer Sprecherin
trotz tumultartiger Szenen die Lage unter Kontrolle hatten. (jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/343349.80-jahre-danach-grabkerzen-und-jagdparolen.html
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