Dienstag, 13. November 2018

Polnische Regierung feiert Unabhängigkeitstag und vereinnahmt Faschisten. Aufmarsch in Warschau

Rechts plus ganz rechts


Von Reinhard Lauterbach, Poznan
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Grußwort an Nationalisten: Polens Präsident Andrzej Duda eröffnet am Sonntag den »Unabhängigkeitsmarsch« in Warschau
Der »Unabhängigkeitsmarsch« rechter Gruppen in Warschau hat am Sonntag mit weit mehr als 200.000 Teilnehmern eine Rekordbeteiligung erreicht. Die Veranstaltung verlief im Qualm unzähliger bengalischer Feuer unter einem Meer weiß-roter Nationalfahnen, gezeigt wurden aber auch faschistische Symbole wie Keltenkreuze und hakenkreuzähnliche Sonnenräder sowie Parteifahnen des »Nationalradikalen Lagers« (ONR), der »Allpolnischen Jugend« und der italienischen »Forza Nuova«.
Reporter des antifaschistischen Portals oko.press berichteten, der »Unabhängigkeitsmarsch« sei diesmal ruhiger verlaufen als im vergangenen Jahr. Damals waren offen rassistische Transparente gezeigt und antifaschistische Gegendemonstranten nicht nur beschimpft, sondern auch tätlich angegriffen worden. Eine antifaschistische Gegendemonstration versammelte etwa 5.000 meist junge Teilnehmer und wurde durch starke Polizeikräfte von den Rechten getrennt.
Zu dem vergleichsweise zivilen Erscheinungsbild des Marsches dürften zwei Entwicklungen beigetragen haben: Der harte Kern der Faschistenszene war nicht nach Warschau gekommen, sondern hatte nach Wroclaw mobilisiert. Dort versammelten sich knapp 10.000 Rechte und hörten sich Hetzreden über den »Kampf gegen Kommunisten und Zionisten« für das »weiße, katholische Polen« an. Hauptredner war der ehemalige Priester Jacek Miedlar, der wegen allzu offen vorgetragener faschistischer Einstellungen aus dem geistlichen Stand entfernt worden war.
Vor allem aber dürfte ein Deal der Rechten mit der Regierung eine Rolle gespielt haben. Nachdem wochenlang nicht klar gewesen war, wer wo demonstrieren würde, hatten sich Vertreter des Innenministeriums, der Präsidialkanzlei und der Veranstalter des »Unabhängigkeitsmarsches« am späten Freitag abend auf eine gemeinsame Demonstration der Staatsspitze und der Faschisten geeinigt. Präsident Andrzej Duda eröffnete den Marsch gegen 15 Uhr, von Qualm umwölkt, mit einer kurzen Rede, die er in die rechte Grußformel »Ruhm und Ehre den Helden« münden ließ. Das verlieh der ganzen Veranstaltung einen quasi­staatlichen Charakter.
Anschließend setzte sich zuerst ein zahlenmäßig überschaubarer Regierungsblock in Bewegung. Geschützt von zahlreichen Militärpolizisten und begleitet von Panzerfahrzeugen, marschierte die Staatsführung und die Spitze der Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS). Erst eine halbe Stunde später zogen, in optischer Distanz zur Regierung, die Rechten los. Die Parolen waren dieselben wie in Wroclaw.
Ob alle der Hunderttausenden Teilnehmer tatsächlich Faschisten waren, wurde von Reportern bezweifelt. Nach ihren Schilderungen blickten große Teile des Publikums bei den faschistischen Parolen betreten zu Boden und skandierten sie jedenfalls nicht mit. So weit, die Demonstration aus Protest zu verlassen, ging die Distanz dieser Leute andererseits aber auch nicht. So konnten die Organisatoren des rechten Marsches sich die Rekordbeteiligung zugute halten.
Die faktische Schirmherrschaft der Staatsführung über den rechten Marsch ist ein vorgezogenes Koalitionsangebot für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Die PiS will nach ihren eher bescheidenen Ergebnissen bei den jüngsten Kommunalwahlen offensichtlich die nationalistische Szene als Wählerreservoir und deren politische Vertretung, die Partei »Kukiz 15«, als potentiellen Koalitionspartner gewinnen.
Am Samstag hatte die PiS-Führung den Personenkult um den 2010 umgekommenen Zwillingsbruder von Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Lech, auf einen neuen Höhepunkt getrieben. Auf dem zentralen Pilsudski-Platz war ein doppelt lebensgroßes Denkmal des früheren Präsidenten enthüllt worden, das selbst die Statue von Staatsgründer Jozef Pilsudski überragt. Jaroslaw Kaczynski erklärte, sein Bruder müsse noch viele weitere Denkmäler sowie ein eigenes Museum erhalten. Schon jetzt gibt es in Polen 140 davon. Wenn man alle Gedenksteine und -tafeln für den Flugzeugabsturz von Smolensk mitzählt, sind es 460.
Am Rande der offiziellen Jubiläumsfeierlichkeiten eröffnete Exregierungschef Donald Tusk, ohne es ausdrücklich zu erklären, seinen Präsidentschaftswahlkampf für 2020. Trotz seiner Funktion als EU-Ratspräsident von Präsident Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit keinem Wort der Begrüßung gewürdigt, legte er einen Kranz am Denkmal des Unbekannten Soldaten nieder und wünschte Polen anschließend »weitere mindestens 100 Jahre in Glück und Frieden«.

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