Sonntag, 11. November 2018

Journalismus von unten: Englisches Stadtmagazin Salford Star kämpft ums Überleben. Ein Gespräch mit Stephen Kingston

»Unabhängigkeit, um glaubwürdig zu sein«


Interview: Christian Bunke
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Das Hochglanzmagazin von unten steht vor dem aus: Spezialausgabe des Star (Frühjahr 2015)
Stephen Kingston ist Gründer des Magazins Salford Star
Über ein Jahrzehnt war der Salford Star ein unverzichtbares Medium der Gegenöffentlichkeit in der englischen Arbeiterstadt Salford. Die Publikation wurde für ihren Investigativjournalismus mit zahlreichen Medienpreisen ausgezeichnet. Nun droht das Aus. Mit einer Soli-CD wird dringend nötiges Geld gesammelt. Wie läuft der Verkauf?
Es läuft sehr gut, wir haben nur noch 20 CDs übrig. Die Reaktionen aus der Nachbarschaft waren überwältigend. Am 18. November gibt es ein Solidaritätskonzert. Auf der CD ist Musik von lokalen Bands. Manche wie »The Moods« werden derzeit in den USA berühmt, andere fangen gerade erst an.
Im November machen wir zudem in einem leerstehenden Ladenlokal im Einkaufszentrum eine »eine Million Pfund«-Auktion. Für je ein Pfund verkaufen wir eine Mülltonne voller gebrochener Versprechen der Stadtverwaltung. Es gibt einen Pflasterstein von Ringo Starrs Haus in Liverpool und lauter Zeug mit Autogrammen lokaler Berühmtheiten wie zum Beispiel Ben Kingsley. Und für eine Million Pfund verkaufen wir den Hauptpreis, den Salford Star selbst. Die ganzen Miethaie, Spekulanten und die Stadtregierung würden gerne sehen, dass wir verschwinden. Jetzt können sie sich den Traum erfüllen, indem sie uns kaufen. Sollte jemand tatsächlich so dumm sein, das zu machen, gründen wir uns mit der Million als »Salford Superstar« neu.
Sie haben sich im Verlauf Ihrer Geschichte viele Feinde gemacht. Warum wurde das Magazin ursprünglich gegründet?
Wir haben uns gegründet, als die Stadtverwaltung eine Reihe von Häusern in der Stadt niederreißen wollte. Die Bewohner wollten eine eigene Stimme gegen die Politiker und Geschäftsleute haben. Wir haben dann gedacht: Salford ist eine große Stadt, sie braucht ein großes Magazin. Also sind wir auf Hochglanzpapier mit 100 Seiten und riesigen Farbfotos erschienen. Kein Community-Magazin hat jemals so etwas gemacht. Als das Magazin 2006 erstmals erschien, war es, als ob eine Bombe explodierte. Alle haben es gelesen. Es war sehr kontrovers. 20 Minuten nach Veröffentlichung hat mich der Bürgermeister angerufen und zusammengeschissen. Da wussten wir, wir haben es richtig gemacht.
Auf welche Geschichten sind Sie im Rückblick besonders stolz?
Wir haben viele Sachen aufgedeckt, die sonst geheim geblieben werden. Zum Beispiel, dass viele Bauherren der Stadt Geld zahlen, damit sie keinen leistbaren Wohnraum errichten müssen. So sind der Stadt 1.000 bezahlbare Wohnungen und 40 Millionen Pfund entgangen. Durch unsere Intervention wird das nun geändert.
Außerdem haben wir von Anfang an den Kampf gegen die Schiefergasförderung in unserer Nachbarschaft begleitet. Dann sind da die kleinen Sachen. Wir konnten einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Kind, die in einer Wohnung ohne Wasser und Strom mit kaputtem Dach leben mussten, ein neues Zuhause verschaffen, indem wir dem Eigentümer sagten: Entweder die Familie kriegt ein neues Haus, oder wir veröffentlichen das. Uns geht es nicht immer um die große Geschichte, sondern darum, den Menschen hier zu helfen und dafür zu sorgen, dass sich die Leute mit politischem Einfluss richtig verhalten. Einer unserer Leser, der sich gemeinsam mit anderen gegen die Aufwertung seines Viertels wehrt, bezeichnete uns als sein Megaphon. Das liebe ich!
In den letzten Monaten sind viele neue Publikationen rund um die Labour-Partei und Jeremy Corbyn entstanden. Sehen Sie sich als Teil davon?
Absolut nicht! Wir brauchen Unabhängigkeit, um glaubwürdig zu sein. Unsere Stadtregierung sagt, dass sie für Corbyn ist. Gleichzeitig lässt sie leistbaren Wohnraum planieren und Einrichtungen für Kinder mit Behinderungen schließen, während 200 Millionen für neue Luxusbürotürme ausgegeben werden. Außerdem schließt die Stadt Wirtschaftsabkommen mit repressiven Regimes ab. Was ist das für ein Sozialismus? Wir haben der Stadtverwaltung wegen dieser Heuchelei letztes Jahr den »Corbynista des Jahres«-Preis verliehen. Wir müssen eigenständig sein, sonst können wir die politisch Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft ziehen, egal welcher Partei sie angehören.

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