Elitäre Jugendkultur
Faschistoide Aktivisten inszenieren sich als »hip«: »Identitärer« Aufmarsch in Berlin (Juni 2017)
Foto: Christian Mang/Reuters
|
Andreas Speit (Hrsg.):
Das Netzwerk der Identitären. Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten.
Ch.-Links-Verlag, Berlin 2018, 262 Seiten, 18 Euro
Sie bringen
Transparente mit ihren Symbolen und Losungen an öffentlichen Gebäuden an
und chartern ein Schiff, um im Mittelmeer die Rettung von Flüchtlingen
zu sabotieren. Veranstaltungen, die ihnen ideologisch nicht passen,
stören sie und befördern nach Kräften Aktivitäten rechtsgerichteter
Popkultur. Und sie bemühen sich, linke Aktionsformen medienwirksam zu
imitieren, wobei sie sich für keine Provokation zu schade sind. Ganz
offen verbreiten sie rassistische Inhalte mit dem erklärten Ziel einer
»Kulturrevolution von rechts«. Die Rede ist von den sogenannten
Identitären, einer »neurechten« Strömung in Europa, die in den letzten
Jahren mehrfach für Schlagzeilen sorgte. Der Journalist Andreas Speit,
regelmäßiger Autor der Taz und als Experte für die extreme
rechte Szene in der BRD bekannt, hat im Ch.-Links-Verlag einen
Sammelband mit Texten herausgegeben, die sich mit dem Netzwerk
beschäftigen.Speit, der selbst mehrere Beiträge beigesteuert hat, beschreibt im sehr lesenswerten Vorwort des Bandes die Ursache für das Aufkommen neurechter Strömungen im Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte und zitiert dazu auch mehrere weiterführende Untersuchungen. Die Zumutungen des weitgehend unregulierten Marktes hätten einen radikalen Individualismus befördert, der jedes solidarische Miteinander unterlaufe und letztlich eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hervorgebracht habe. Diese Entwicklung sei durch die zunehmende Auflösung stabiler geopolitischer Strukturen und die daraus resultierenden Flüchtlings- und Migrationsbewegungen zusätzlich angetrieben worden. Die Verschiebung nach rechts werde durch die Abstiegsängste der unteren Mittelschicht gespeist, als deren politischer Arm sich beispielsweise in der BRD die AfD und in Frankreich der Front National, heute Rassemblement National, erfolgreich etablieren konnten. Die »identitäre Bewegung« charakterisiert Speit als aktionistische Anheizerin des Vormarsches rechtsradikaler Parteien.
Theoretisch setzen sich leider nur wenige der Beiträge mit der Ideologie der »neuen Rechten« auseinander. Und auch das von der »identitären« Propaganda häufig verwendete – und zumeist von der Forschung längst widerlegte – Geschichtsbild und ihre darauf beruhende Symbolik werden von keinem der Autoren hinreichend demontiert.
Man kann die Ideenwelt der »Neurechten« aber vergleichsweise einfach als hochgradig kurzschlüssig und dumm entlarven. Tatsächlich fußt sie fast ausschließlich auf der intellektuellen Mottenkiste des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, einem kruden Gemisch aus bürgerlichem Konservatismus und stockreaktionärem Preußentum, geprägt durch Hass auf Humanismus und alles, was in Richtung einer egalitären Gesellschaft gehen könnte. Genau in diesem Hass besteht auch die Schnittmenge zwischen den »Identitären« und der AfD. Der bestehende Beschluss zur Abgrenzung ist reine Propaganda – in der »identitären Bewegung« gibt es keine formelle Mitgliedschaft.
Interessant ist der letzte Beitrag von Hinnerk Berlekamp und Jan Opielka, der die Verbreitung des »identitären« Netzwerkes in Osteuropa thematisiert. Demnach sind die Neurechten gerade dort am schwächsten, wo die Gesellschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten am weitesten nach rechts außen gerutscht ist. Offenbar handelt es sich bei dieser »Internationale von rechts« eher um eine PR-Strategie als um ein ernsthaftes politisches Projekt. Ein solches hätte wegen der unweigerlich divergierenden nationalen Interessen ohnehin, langfristig gesehen, keine großen Erfolgschancen. Zu vermuten ist, dass die grenzüberschreitende »neurechte« Strömung irgendwann wieder in ihre Bestandteile zerfällt. Was aber nicht heißt, dass man sie nicht ernst nehmen sollte. Faschistoide Aktivisten können auch in sehr kurzer Zeit nicht wenig Unheil anrichten – man denke beispielsweise an einen norwegischen Massenmörder oder ein gleichfalls mordendes deutsches »Trio«.
Leider hat Andreas Speit, so interessant und aufschlussreich seine eigenen Artikel auch sind, in seiner Eigenschaft als Herausgeber des Bandes keine Glanzleistung hingelegt. Es gibt bei mehreren Beiträgen inhaltliche Überschneidungen, Teile des Bandes hätte man ohne jeden Substanzverlust wesentlich straffen können.
https://www.jungewelt.de/artikel/343390.sammelband-elit%C3%A4re-jugendkultur.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen