Montag, 12. November 2018

Bundesregierung blockiert Maßnahmen gegen Steuerflucht. Ein Gespräch mit Lisa Großmann

»Jahr für Jahr verschwinden Milliarden Euro«


Interview: Gitta Düperthal
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Steueroasen wie Bermuda müssen sich kaum Sorgen um ihr Geschäftsmodell machen
Lisa Großmann ist Koordinatorin des Netzwerks Steuergerechtigkeit
Vor etwa zweieinhalb Jahren wurden die »Panama Papers« veröffentlicht, vor einem Jahr folgten Publikationen zu den »ParadisePapers« – beide deckten Steuerflucht in riesigem Ausmaß auf. Sie bemängeln nun, dass die Bundesregierung Maßnahmen dagegen blockiert. Was werfen Sie ihr vor? Die SPD/CDU/CSU-Bundesregierung ist untätig gewesen, was Maßnahmen zur Herstellung von Transparenz angeht, damit Unternehmer sich nicht wie bisher hinter Briefkastenfirmen und Strohmännern verstecken können. Es geht darum, dass multinationale Firmen nicht weiterhin Steuern vermeiden oder Geldwäsche betreiben können. Nicht nur Behörden, sondern auch Journalisten und die breite Öffentlichkeit sollten auf detaillierte Unternehmensberichte Zugriff erhalten.
Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie sich bezogen auf die fünfte EU-Antigeldwäscherichtlinie wie ein Bremsklotz verhalten hat. Seit Jahren fordern wir eine öffentliche Bilanz, in der multinationale Unternehmen erklären, wo sie ihre Gewinne verbuchen und ihre Steuern zahlen. Damit Konzerne wie Amazon und Apple dies nicht mehr verschleiern können. Wir haben hierbei unter dem neuen Finanzminister Olaf Scholz, SPD, keinen Kurswechsel erkennen können.
Ist das Vorgehen der Politiker als korrupt zu bezeichnen?
Nein. Es ist ja nicht so, dass eigene Vorteilsannahme von Politikern der Bundesregierung erfolgen würde. Ihr geht es vornehmlich darum, die nationale Industrie »zu schützen«. Wir fordern dagegen internationale Gerechtigkeit, damit auch Länder des globalen Südens sehen können, welche Firmen bei ihnen Steuern zahlen oder auch nicht. Deutschland ist bekanntermaßen ein Exportland; auch hierzulande drücken sich Unternehmen vor Steuerzahlungen.
Bei den Veröffentlichungen der Panama und Paradise Papers wurde deutlich, dass teilweise sehr elitäre Kreise in diese Machenschaften verquickt sind. Nach den Enthüllungen der »Panama Papers« hat etwa der britische Premierminister David Cameron eine Beteiligung an der Briefkastenfirma seines verstorbenen Vaters einräumen müssen. Er habe Anteile im Wert von rund 37.000 Euro am Blairmore Investment Trust besessen. In Deutschland gibt es solche Fälle bisher nicht. Zu vermuten ist, dass sich die Bundesregierung vehement dagegen ausgesprochen hat, ein Transparenzregister einzuführen, weil eine einflussreiche Unternehmerlobby Druck macht.
Welche Folgen hat die Untätigkeit der Bundesregierung?
Steuerflucht und Geldwäsche können weiter betrieben werden. Großkonzerne nutzen das, um Steuern in Deutschland und anderen Ländern zu sparen. In Steueroasen, angeführt von Irland, Luxemburg, den Niederlanden etc., machen sie enorme Gewinne. Allein der Bundesrepublik gehen dadurch Schätzungen zufolge pro Jahr rund 17 Milliarden Euro an Einnahmen verloren. Schlimm ist, dass es mittlerweile längst Verbindungen zur organisierten Kriminalität und Mafia gibt. So wird ein System aufrechterhalten, das Terrorismus mitfinanziert.
In dem Zusammenhang wurden Daphne Galizia und Jan Kuciak umgebracht, die Daten der »Panama Papers« journalistisch auswerteten.
Daphne Galizia hatte als Partnerin des International Consortium of Investigative Journalists bei der Auswertung der Panama Papers die maltesischen Daten aufbereitet – und wurde im Oktober 2017 mit einer Autobombe ermordet. Sie hatte aufgedeckt, dass Maltas Energieminister Konrad Mizzi und der Büroleiter des dortigen Ministerpräsidenten Joseph Muscat, Keith Schembri, in den Panama-Papieren auftauchten. Die Ermittlungen laufen noch, werden aber verzögert und behindert. Jan Kuciak aus der Slowakei wurde am 25. Februar 2018 erschossen. Sein letzter Artikel hatte sich mit den Verstrickungen von in den Panama Papers genannten Akteuren in die kalabrische Mafia auseinandergesetzt.
All das hört sich wie ein Krimi an – und doch ist es kaum Thema. Wie wirkt sich das aus?
Diese Vermischung der Finanzindustrie mit der organisierten Kriminalität hält kaum jemand für möglich. Wie dies auf unser aller Leben Einfluss hat, scheint kaum glaubhaft. Tatsache ist: Jahr für Jahr verschwinden Milliarden Euro, die für die Öffentlichkeit nicht mehr verfügbar sind. Die soziale Ungleichheit nimmt dramatisch zu, die Demokratie verliert an Glaubwürdigkeit, der Rechtspopulismus wird gestärkt.

https://www.jungewelt.de/artikel/343338.finanzkriminalit%C3%A4t-jahr-f%C3%BCr-jahr-verschwinden-milliarden-euro.html

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