Dienstag, 16. Oktober 2018

Ist das Netflix-Modell die Zukunft?


71 Prozent unserer Online-Gelegenheitsleser*innen würden das nd mitfinanzieren / Aktuell bezahlt nur ein Bruchteil der Onlineleser*innen das »nd«

  • Von Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Onlinejournalismus und Zeitungskrise: Ist das Netflix-Modell die Zukunft?
Haben Sie ein Digitalabo des »nd« oder schon per Softpaywall gespendet? Wenn ja, sind Sie eine Ausnahme; wenn nein, sind Sie Teil des Problems. Vielleicht haben Sie bisher aus Bequemlichkeit immer auf »nicht jetzt« geklickt, wenn das Banner mit der »Abokalypse« kam, das um eine Spende wirbt. Lassen Sie mich erklären, warum Sie das ändern sollten. Neue Daten des »nd« deuten auf eine Trendwende hin – die Frage ist, ob sie ausreicht.
Seit Jahren verlieren deutsche Tageszeitungen Leser*innen. Ein Grund dafür ist die Umsonstkultur des Internets: Wir alle sind mit dem Internet aufgewachsen. Also Menschen wie Sie und ich zwischen 25 und - sagen wir einfach mal - 40 Jahren. In den 90er Jahren legten sich Zeitungen eine Homepage zu, stellten Artikel ins Netz. Artikel bequem online lesen und das auch noch umsonst, das taten immer mehr Menschen, gleichzeitig griffen immer weniger Menschen zur gedruckten Zeitung beziehungsweise schlossen ein Abonnement ab. Bei den meisten deutschen Zeitungen liegt der Altersdurchschnitt der Abonnenten mittlerweile über 50 Jahren, beim »nd« ist er noch höher. Diese Altersgruppe bezahlt faktisch das Gratis-Lesen der Unter-40-Jährigen.

In den letzten Jahren ist die Umsonstkultur im Netz für den Journalismus insgesamt und für uns im Besonderen zum Problem geworden. Die Anzahl der »nd«-Abonnements ist in den letzten neun Jahren um 44 Prozent von 37.000 im Sommer 2009 auf 20.000 im 2. Quartal 2018 zurückgegangen.
Wenn wir also in einer groben Beispielrechnung annehmen, dass es sich bei diesem Minus von 17.000 Abos der gedruckten Zeitung um Vollabos mit einem Preis von 40 Euro handelt und wir etwa geringere Ausgaben durch sinkende Druckkosten nicht berücksichtigen, hat das »nd« also jeden Monat rund 680.000 Euro weniger zur Verfügung als noch vor neun Jahren. Auch nach Berücksichtigung von sinkenden Druckkosten bei einer geringeren Anzahl gedruckter Zeitungen und der Tatsache, das die Abopreise in den letzten Jahren gestiegen sind, muss das »nd« heute mit monatlich mit rund 100.000 Euro weniger wirtschaften als noch 2009.
 Jeden Monat verliert das »nd« netto – nach Abzug der Neuabos – vor allem altersbedingt etwa 100 Vollabonnent*innen. Wir gewinnen jeden Monat neue Abonnent*innen, doch unsere Altleser*innen sterben uns schlicht schneller weg. Das entspricht fehlenden monatlichen Einnahmen von etwa 4.000 Euro (aus 100 Vollabonnements). Für eine Zeitung, die 100 Mitarbeiter*innen bezahlt – deutlich unter Tarifbedingungen übrigens.
Der Niedergang der gedruckten Zeitung und die dadurch fehlenden Einnahmen könnten durch die Leserschaft im Internet ausgeglichen werden. Könnte, denn bisher passiert das nicht. Der Journalismus allgemein hat noch keine Möglichkeit gefunden, wie online genug Geld verdient werden kann, um die Zeitungsproduktion finanzieren zu können. Das Gleiche gilt auch für das »nd«. Eigentlich ist das unverständlich. Obwohl auch junge Linke und Bewegungsorientierte gegen prekäre Arbeit sind: Für den Journalismus, den sie konsumieren, wollen sie nicht bezahlen oder tun es zumindest nicht.


Seit 2009 gibt es Digitalabos beim »nd«. Deren Zahl ist um ganze 800 Prozent gestiegen, aber auf niedrigem Niveau. Dieses Wachstum reicht also noch nicht. Denn: Im 2. Quartal 2018 hatte das nd insgesamt nur 1500 Digitalabonnent*innen.
Die Folge: Im letzten Herbst geriet das »nd« in eine existenzbedrohende Lage. Wir müssen also online mehr Geld verdienen, denn nach wie vor bezahlt ein Großteil unserer digitalen Leserschaft nichts. Aktuell gibt es täglich rund 25.000 Webseitenbesuche, im Juli wurde unsere Homepage 646.767 mal besucht. Doch wie viel würden Sie bezahlen?
Bei unserer Leserumfrage im April und Mai dieses Jahres haben wir dazu auch unsere Gelegenheitsleser*innen befragt. Also die, die nicht jeden Morgen das gedruckte »nd« geliefert bekommen, sondern gelegentlich auf der Homepage vorbeisurfen. Eine Frage, die wir ihnen stellten, war: »Welchen monatlichen Abopreis zur Finanzierung des «neuen deutschlands» können Sie sich vorstellen?«
Immerhin 71 Prozent gaben an, sie würden einen Euro oder mehr zahlen. Das ist ein Fortschritt. Bei einer Leserumfrage 2010 gaben noch 86 Prozent aller – ebenfalls online befragten – Leser*innen an, für Webinhalte kein Geld ausgeben zu wollen.


Mittlerweile sind unsere Onlineleser*innen also durchaus zahlungswillig, theoretisch jedenfalls. Sie wollen oder können aber wenig zahlen. 26 Prozent würden 1 bis 5 Euro zahlen, 23 Prozent 6 bis 10 Euro und immerhin 13 Prozent würden sich monatlich mit 11 bis 20 Euro beteiligen. Der aktuelle Preis für das Abonnement der gedruckten Zeitung liegt aber bei 40 Euro monatlich. So viel Geld würden nur 0,5 Prozent der Gelegenheitsleser*innen bereitstellen – viele tendieren eindeutig zum Netflix-Modell, also zu einem monatlichen Beitrag von 10 Euro.
Und: Ausgewertet nach Alter, zeigt sich ein Generations- und Sinneswandel – besonders unsere jüngeren Leser*innen sind bereit zu zahlen, beziehungsweise können sich das vorstellen. In der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren gibt es besonders wenig Unsicherheit bei dieser Frage, nur acht Prozent antworten »weiß nicht«. Die Netflix-Generation, unsere Leser*innen unter 30, ist offenbar mittlerweile daran gewöhnt, für Inhalte im Netz zu zahlen und würde auch unser Digitalangebot unterstützen.


Doch ist das ausreichend? Weil die Onlineleser im Durchschnitt deutlich weniger zahlen als unsere Printabonnent*innen wollen oder können, müssen wir deutlich mehr zahlende Internetnutzer gewinnen. Denn aktuell zahlt nur ein Bruchteil unserer Onlineleser*innen – die 1.500 Onlineabonnenten. Wenn also nur der derzeitige monatliche Schwund von 100 Vollabonnent*innen der gedruckten Auflage - der 4.000 Euro an entgangenen Einnahmen entstpricht - ausgeglichen werden soll, müssten wir beim derzeitigen Preis des Online-Abos von 22 Euro monatlich 181 neue Abonennt*innen gewinnen, oder gemäß des Netflix Modells mehr als doppelt so viele für durchschnittlich 10 Euro.
Manche Onlineleser*innen sagen, sie wollen kein regelmäßiges Abonnement eingehen und stattdessen einzelne Artikel verschiedener Zeitungen lesen und auch bezahlen. Das ist möglich, auch beim »nd«, per Online-Kiosk Blendle. Andere Nutzer wollen vielleicht kein Abo, aber regelmäßig einen bestimmten selbst gewählten Betrag spenden, auch das ist möglich – über die »nd«-Softpaywall sogar per Paypal. Und wer ein Digitalabo einmal testen will, findet dazu gleich mehrere Varianten. Doch all die jungen Linken, die Initiativen und Bewegungslinken, die Neumitglieder der Linkspartei und andere, die uns regelmäßig online lesen, müssen anfangen uns zu bezahlen.
Wer will, dass es das »nd« als Teil linker Gegenöffentlichkeit weiterhin gibt, sollte aktiv werden. Sonst gibt es bald eine linke Stimme weniger in der von wenigen Großverlagen dominierten Medienlandschaft, Clickbait und Roboterjournalismus sowie abgeschriebene Polizeipressemitteilungen.

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