Er war früher in der SPD, jetzt ist er
Bundespräsidentenkandidat der Linken. Der Armutsforscher Christoph
Butterwegge wirbt für ein Linksbündnis nach der Bundestagswahl.
ZEIT
ONLINE: Herr Butterwegge, Ihre Kandidatur als Bundespräsident ist ja
vor allem ein Symbol, denn Frank-Walter Steinmeiers Wahl gilt als
sicher. Was wollen
Sie mit ihrem Antritt verdeutlichen?
Christoph Butterwegge: Ich
will das Kardinalproblem der Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken:
die soziale Frage, die Spaltung in Arm und Reich, die unsere
Gesellschaft inhuman macht.
Sie löst Aggressionen aus, Wut, Hetze und Hass – wie jüngst beim
Fußballspiel zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig, als ich im
Stadion war. Auf der Südtribüne saßen Menschen, die eher auf der
Schattenseite des Lebens stehen – sozial Benachteiligte aus
der Dortmunder Nordstadt ebenso wie möglicherweise von Abstieg bedrohte
Mittelschichtangehörige. Die dort sichtbare Aggressivität hat mit der
sozialen Kälte unserer Gesellschaft zu tun, die seit den Hartz-Reformen
herrscht.
ZEIT ONLINE: Was wäre außer dieser sozialen Frage Ihre Agenda als Bundespräsident?
Butterwegge: Ich
möchte auf die soziale Ungleichheit auch im globalen Maßstab aufmerksam
machen. Laut Oxfam besitzen acht Männer so viel wie die ärmere Hälfte
der Weltbevölkerung.
Diese drastische Form sozialer Ungleichheit löst Kriege, Bürgerkriege
und Flüchtlingsbewegungen aus. Was fälschlicherweise Flüchtlingskrise
genannt wird, ist eine Folge mangelnder Gerechtigkeit. In einer
verteilungsgerechten Welt gäbe es die hohe Zahl an
Flüchtlingen nicht.
ZEIT
ONLINE: Die Wähler flüchten aus Angst vor Benachteiligung und Abstieg
an den rechten Rand, auch aus Protest gegen die anderen Parteien. Hat
die etablierte
Politik den Populisten durch Hartz IV und ähnliches in die Hände
gespielt?
Butterwegge: Die
Agenda 2010 war ein günstiger Nährboden für den heutigen
Rechtspopulismus. Durch Hartz IV sind Erwerbslose zu Drückebergern
erklärt und sozial ausgegrenzt
worden. In diesem aggressiven Klima haben es Pegida und AfD leicht,
ihre Ausgrenzungsideologien wie Nationalismus und Rassismus zu
verbreiten.
ZEIT
ONLINE: Wirtschaftsforscher sehen die Lage aber weniger pessimistisch: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist noch immer der
Regelfall, der Anteil
prekärer Jobs liegt unter 15 Prozent, errechnete das Forschungsinstitut
DIW.
Butterwegge: Nach
meinem Kenntnisstand arbeiten 24,3 Prozent aller Beschäftigten im
Niedriglohnsektor, also für 9,30 Euro brutto oder weniger pro Stunde.
Teilzeitjobs haben
zugenommen, insbesondere bei Frauen, und es gibt eine Million
Leiharbeiter.
ZEIT ONLINE: Doch selbst Zeitarbeiter bekommen Mindestlohn ...
Butterwegge: ...
von dem sie aber nicht in Würde leben können. Der ab 2015
gültige Mindestlohn von 8,50 hat nur fünf Prozent der Aufstocker aus
Hartz IV rausgeholt,
also gerade mal 60.000. Auch mit der Erhöhung auf 8.84 Euro bleibt der
deutsche Mindestlohn der niedrigste in ganz Westeuropa.
ZEIT
ONLINE: Die Wählerwanderungen hin zur AfD zeigen ja in der Tat, dass es
viel Unzufriedenheit im Land gibt. Was machen die bisher etablierten
Parteien falsch?
Butterwegge: Die
zuletzt regierenden Parteien haben die soziale Sicherheit der Menschen
untergraben, etwa von Arbeitnehmern, alleinerziehenden Müttern und
Rentnern. Das soziale
Klima hat sich verschlechtert. Und wer sich im Kleinbürgertum von
Abstieg bedroht sieht, wendet sich bei Wahlen oft nach rechts. Das hat
der Aufstieg der Nazis während der Weltwirtschaftskrise gezeigt und die
NPD nach der Rezession 1966/67 fast in den Bundestag
einziehen lassen. Heute gibt es in Folge der Finanz- und Eurokrise der
AfD Auftrieb, weil viele Menschen glauben, sie müssten für die
überschuldeten Staaten zahlen. In Wahrheit gingen die Milliarden aus den
sogenannten Rettungspaketen hauptsächlich an die Gläubiger,
nicht zuletzt an deutsche Banken.
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ZEIT
ONLINE: Sie waren mal in der SPD und wurden wieder rausgeworfen, weil Sie zu radikal auftraten und stark gegen die Parteiführung opponierten.
Was kam dann?
Butterwegge: Ich
war in der Friedensbewegung aktiv, unter anderem im Sprecherkreis des
Bremer Friedensforums. In den späten 80er Jahren bin ich wieder in die
SPD eingetreten,
habe sie 2005 aber selbst wieder verlassen – aus Protest gegen die
Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Die SPD war in die große Koalition
mit der CDU von Angela Merkel gegangen, obwohl es im Bundestag eine
Mehrheit für ein Linksbündnis aus SPD, Linken und
Grünen gab. Bis heute bin ich parteilos. Im November des vergangenen
Jahres hat mich die Linkspartei gefragt, ob ich für sie zur
Bundespräsidentenwahl antrete, damit die Bundesversammlung am Sonntag
tatsächlich eine Auswahl hat.
ZEIT
ONLINE: Derzeit sieht es so aus, als ob sich die Kräfteverhältnisse in
der deutschen Politik ändern könnten. Hat der designierte
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz das Zeug, die Sozialdemokratie aus ihrem Tief zu führen?
Butterwegge: Die
durch Martin Schulz erzeugte Hochstimmung in der SPD zeigt, wie groß
der Frust in der Partei vorher war. Ich sehe das zunächst mit Freude.
Schulz tritt mit
einer Agenda an, die meiner ähnelt: Im Mittelpunkt seiner Erzählung
steht die soziale Gerechtigkeit. Doch er distanziert sich nicht von der
Agenda 2010 und füllt sein Leitbild bisher nicht mit Inhalt. Schulz
thematisiert zwar soziale Ungleichheit und will
Steuerflucht, -vermeidung und -gestaltung erschweren.
Er bleibt aber bei
der Vermögenssteuer unkonkret und sagt nichts über den viel zu
niedrigen Spitzensteuersatz für Einkommen sowie die mehrfach gesenkte
Körperschaftsteuer und die seit 1997 nicht mehr erhobene
Vermögensteuer. Erst nach der wichtigen Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen will Schulz seine politischen Pläne darlegen. Für
den Wähler bleibt die SPD damit eine politische Black Box. Schulz
muss konkret werden, sonst flaut der Hype um seine Position
rasch ab.
ZEIT ONLINE: Schulz sagt, die hart arbeitenden Menschen müssen davon leben können und eine auskömmliche Rente haben ...
Butterwegge: Viele
Menschen würden gern hart arbeiten, aber man lässt sie nicht:
Erwerbslose und Frauen, die aus der Teilzeit nicht herauskommen, weil
sie
keinen Kinderbetreuungsplatz
finden. Eine Million Menschen bezieht seit mehr als zehn Jahren Hartz
IV – das Prinzip Fördern und Fordern war für sie ein leeres Versprechen.
Das Budget für berufliche Weiterbildung wurde mit den Hartz-Reformen um
zwei Drittel gekürzt. Statt Langzeitarbeitslose
weiterzubilden oder umzuschulen, werden sie zunehmend unter Druck
gesetzt. Diese Menschen spricht Schulz nicht an.
ZEIT
ONLINE: Die Linke arbeitet erklärtermaßen auf einen Machtwechsel in der
Bundespolitik hin. Welche Chancen hat ein Linksbündnis aus SPD, Linken
und Grünen?
Butterwegge: Der
Schwarze Peter wird in der Diskussion darüber immer der Linken
zugeschoben: Sie wolle den Nato-Austritt und sei kein zuverlässiger
Partner in der Außen- und
Sicherheitspolitik. Doch ein möglicher linker Außen- oder
Verteidigungsminister würde kaum als erste Amtshandlung die
Nato-Mitgliedschaft Deutschlands aufkündigen. Sinnvoll wäre es jedoch,
die Nato zu einem kollektiven Sicherheitssystem fortzuentwickeln unter
Einschluss Russlands.
ZEIT ONLINE: Doch im Bundestag stehen die Verlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr an, die die Linke ablehnt ...
Butterwegge: Ich
würde der Partei raten, die Einsätze genau anzuschauen. Die
Afghanistan-Mission hat das Land binnen 15 Jahren nicht befriedet, im
Gegenteil. Die dafür aufgewendeten
Milliarden wären besser den Hartz-IV-Beziehern zugutegekommen.
Einsätze mit humanitären Zielen sind etwas anderes.
Jede
Partei hat Forderungen, die mit denen der anderen nicht kompatibel
sind. In Koalitionsverhandlungen muss jede Kompromisse machen. In der
Sozialpolitik wird
die Linke viel größere Kröten schlucken müssen, etwa bei ihrem Wunsch
nach einer bedarfsdeckenden, armutsfesten und sanktionsfreien
Grundsicherung statt Hartz IV. Bei den Verhandlungen ist entscheidend,
was hinten rauskommt. Bundeswehreinsätze sind kein
unüberwindliches Hindernis für Rot-Rot-Grün.
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