Donnerstag, 18. Oktober 2018

Datenkrake als Stadtplaner


Von Thomas Wagner
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Sieht nur so aus, als ob gelangweilte Touristen Zelte aus Hartplastik abschreiten: »Smart street« in London
Seit Jahren geistert der Ausdruck »Smart City« (intelligente Stadt) durch die Medien. Er steht für den Versuch, die Städte mit Hilfe von fortschrittlichen Technologien umweltfreundlicher und für die Bewohner lebenswerter zu gestalten. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn Internetkonzerne die Konzeption der Zukunftsstadt in die Hand nehmen. Denn ihnen geht es bestenfalls am Rande darum, die Infrastrukturen für das Zusammenleben von Milliarden von Menschen »intelligenter« zu machen. Ihr Hauptinteresse besteht in der möglichst umfassenden Abschöpfung von Verhaltensdaten, denn diese sind die Grundlage für ihr Geschäft mit zahlungskräftigen Werbekunden. Ein wichtige Qualität des städtischen Zusammenlebens droht in diesem Zusammenhang auf der Strecke zu bleiben: die demokratische Stadtkultur.
Nehmen wir das Beispiel Toronto. Die Stadtverwaltung der kanadischen Metropole hat sich 2017 mit der Google-Tochter Sidewalk Labs zusammengetan, um auf einem bislang brachliegenden Ufergelände ein »smartes« Stadtviertel zu errichten, das »Quayside« heißen soll. Hier sollen die Bewohner in Zukunft »nur für den Müll bezahlen, den sie tatsächlich verursachen«, so Die Welt (22.8.2018). Sidewalk Labs wolle sich darum kümmern, »wie man Straßen gestaltet, die fit sind für selbstfahrende Autos, oder wie man unterirdische Versorgungskanäle baut, die als Rohre für städtische Dienste dienen, von denen momentan niemand zu träumen wagt.« Es gehe um die Errichtung eines total vernetzten und mit Sensoren ausgestatteten Ortes, »dessen konstanter Datenfluss es ermöglicht, Dienste ständig zu optimieren«.
Rund 50 Millionen Dollar will das Unternehmen in die Entwicklung des Plans investieren, der einen Stadtteil komplett mit dem Internet verbinden soll. Wenn alles funktioniert, werden dort künftig die Müllschlucker selbstständig Abfälle von Wertstoffen trennen und Wettersensoren den Bürgersteig erhitzen, wenn Schnee fällt. Die Bewohner werden per App mitgeteilt bekommen, wie viele der bunten Holzstühle an der Uferpromenade frei sind, und sie können online mit Daumen hoch oder Daumen runter darüber abstimmen, ob ein Nachbarschaftsfest stattfinden soll oder nicht.
Das klingt bequem und bürgernah, hat aber einen Haken. Immer mehr kommunale Entscheidungen werden nicht von städtischen Beamten oder Regierungsvertretern getroffen, sondern obliegen komplexen Algorithmen, die auf Datensammlungen zurückgreifen. Und die befinden sich in den Händen eines Unternehmens. Die Idee der Stadt als einer Sphäre öffentlicher Auseinandersetzungen und bürgerlicher Selbstbestimmung droht ins Hintertreffen zu geraten. Einer gut finanzierten Industrie, die sich mit bahnbrechenden Innovationen auskenne, gibt Die Welt (22.8.2018) zu bedenken, stünden lokale Regierungen gegenüber, die daran interessiert seien, diese technologischen Vorteile möglichst rasch zu nutzen. Ihnen fehlten aber oft die Zeit, das Geld und das Fachwissen, um richtig einzuschätzen, wie sie genau davon profitieren können.
Im Kern geht es bei der »Smart City« nicht darum, einen demokratischen Raum zu schaffen, sondern um die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, kritisierte der Politologe und Kritiker der Internetkonzerne Evgeny Morozov bereits am 7. Juli 2014 in der FAZ. Die »Smart City« in der heute üblichen Form ist Ausdruck und Verstärker des seit Jahrzehnten wachsenden Machtungleichgewichts zwischen Privatunternehmen und öffentlichen Institutionen.

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