Sonntag, 10. Juni 2018

„Sie sind verstorben“


Jobcenter Städte Region Aachen korrespondiert mit einem verstorbenen.

Kim Rebel
Ja, diese Nachricht geht schon länger durch die sozialen Medien, ich bin wieder drüber gestolpert und gestatte mir als frisch gebackene Volkskorrespondentin, mich darüber kräftig auf zu regen.
Dieter T. aus Aachen, der seit einiger Zeit Hartz-IV-Leistungen bezog, verstarb im arbeitsfähigem Alter im Frankenberger Viertel. Seine geschiedene Frau Ingrid blieb, wie meist, wenig Zeit für schmerzliche Erinnerungen. So vieles musste erst einmal geregelt, organisiert und geklärt werden. Während sie damit beschäftigt war, seinen Haushalt aufzulösen, musste Ingrid T. natürlich auch der traurigen Pflicht nachkommen, die Korrespondenz ihres ehemaligen Ehemanns Dieter zu öffnen.
Als ihr der „Bescheid“ des Jobcenters unter die Augen kam, blieben allerdings nur Fassungslosigkeit und Wut. Das Schreiben war datiert auf den 18. Oktober – den Tag, an dem Dieter T. starb. Pflichtgemäß hatten seine Ex-Frau, das Ehepaar war seit langem geschieden und seine drei erwachsenen Kinder auch das Jobcenter umgehend über seinen Tod in Kenntnis gesetzt.
Ein Brief, der Behörde, adressiert an Dieter T., flatterte ins Haus und Frau T. las zu ihrem Entsetzen: „Sehr geehrter Herr T., die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (…) wird ab dem 01.11.2017 ganz aufgehoben“ und weiter: „Grund für die Aufhebung der Entscheidung: Sie sind verstorben.“
Brief an einen Toten: Das makaber-absurde Schreiben des Jobcenters hat Dieter T.s Familie tief verärgert. Eine Entschuldigung blieb wochenlang aus – obwohl sie sich zwei Mal beschwerte. Collage: Heinen
Was bei Außenstehenden als makaberes Paradebeispiel bürokratischer Borniertheit spontane Heiterkeit auslösen mag, traf die Hinterbliebenen verständlicherweise wie ein Schlag. Zumal der peinlich-grotesken Einleitung eine absurde „Rechtsbehelfsbelehrung“ folgte, offenbar per „Textbaustein“ im besten Behördendeutsch hinein kopiert – und unverdrossen weiter adressiert an einen Toten: Binnen eines Monats könne Dieter T. Widerspruch einlegen. „Eine erneute Zahlung der Leistung ist nur dann möglich, wenn er nach Wegfall des Grundes, der zur Aufhebung geführt hat, erneut Leistungen beantragt“.
Und weiter hieß es: Der Verstorbene möge sich „unverzüglich“ mit seiner Krankenkasse in Verbindung setzen. Die Trauernden waren wohl nicht mehr sehr überrascht, als sie dann auch noch lasen: „Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift wirksam.“ Statt eines Namens war im Briefkopf nur eine Nummer der zuständigen Sachbearbeiterin angegeben.
„Ich habe sofort beim Jobcenter angerufen“, erzählt Ingrid T., „und bin dort mit irgendeinem Teamleiter verbunden worden. Ich wollte, dass die Sachbearbeiterin sich persönlich entschuldigt – vor allem bei meinen Kindern. Man zeigte sich höchst konsterniert und betroffen, es hieß, das werde Konsequenzen innerhalb des Hauses haben und so weiter… Ich sagte, dass mich das nicht interessiert, bat darum, dass man sich umgehend mit meinem Sohn in Verbindung setzen möge.“ Eine weitere Reaktion auf ihr wirkliches Anliegen blieb aus. „Eine Entschuldigung ist bis heute nicht erfolgt – obwohl ich zwei Wochen darauf noch einmal dort angerufen habe.“
Am Donnerstag darauf hat sich dann Leiter des Jobcenters, Stefan Graaf, bei der örtlichen Zeitung gemeldet: Er habe der Familie einen persönlichen, handschriftlichen Entschuldigungsbrief geschrieben, da die Sachbearbeiterin selbst in Urlaub sei. Graaf: „Das bedarf keiner Diskussion mehr. Es tut uns unendlich Leid.“
So wollte wohl verhindern das Fall weiter in der Öffentlichkeit negativ bewertet wird. Mir bleibt die Spucke weg.
KimRebell
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