Sonntag, 10. Juni 2018

Schweigen im Pressewalde (Ralph Hartmann)


Was für ein Glück für alle Bundesbürger zwischen Rhein und Oder, zwischen den Alpen und Nord- und Ostsee: Sie leben in einem Rechtsstaat, in dem laut Artikel 5 des Grundgesetzes jeder das Recht hat, »sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten«. Details sind in den Pressegesetzen der Bundesländer geregelt. Danach ist die Einhaltung der publizistischen oder journalistischen Sorgfaltspflicht bei der Berichterstattung die oberste Maxime von Presse, Funk und Fernsehen. Wenn auch unterschiedlich formuliert verlangt diese Pflicht, dass Inhalt, Herkunft und Wahrheitsgehalt von Nachrichten vor der Veröffentlichung überprüft werden müssen und dass die Nachrichten nicht sinnentstellend wiedergegeben werden dürfen.

Und das Glück der Deutschen ist noch größer, da sich die übergroße Mehrzahl der Medien streng an diese Maxime hält. So auch Anfang April des Jahres. Da meldeten sie in fetten Schlagzeilen: »Mutmaßlicher Giftgaseinsatz in Syrien: Trump nennt Assad ein ›Vieh‹« (Die Welt), »US-AUSSENMINISTERIUM SPRICHT VON ›BEWEIS‹. Syrien steckt hinter Giftgasangriff in Duma« (Bild), »Die zynische Chemiewaffenbruderschaft. Bei der Chlorgasattacke auf die Stadt Duma sterben mindestens 50 Menschen. Die tödliche Bombe hat wohl ein Armeehubschrauber abgeworfen.« (Frankfurter Rundschau), »Ganze Familien erstickt. Russland bestreitet Giftgas-Einsatz im syrischen Ost-Ghuta« (Berliner Zeitung).

Trotz aller syrischen und russischen Dementis folgte die Strafe auf den Fuß. Die Streitkräfte der USA, Frankreichs und Großbritanniens führten am 14. April Luftschläge gegen das Assad-Regime aus und feuerten rund 110 Luftbodenraketen und Marschflugkörper gegen angebliche syrische Chemiewaffenzentren. Eingedenk ihrer »journalistischen Sorgfaltspflicht« berichteten die deutschen Medien sofort und an herausragender Stelle: »Krieg in Syrien. Endschlacht mit C-Waffen« (taz), »LUFTSCHLAG GEGEN SYRIEN. Das Protokoll einer Strafaktion« (Die Welt), »Angriffe auf Syrien. Donald Trump: ›Perfekt durchgeführter Luftschlag‹« (Stuttgarter Nachrichten), »SO LIEF DER SYRIEN-ANGRIFF AB. Trumps Blitz-Attacke gegen Assad« (Bild), »LUFTSCHLAG GEGEN ASSAD: Begrenzte Angriffsfläche« (FAZ). Diese und andere Schlagzeilen befanden sich in völliger Übereinstimmung mit den Einschätzungen von Angela Merkel und Heiko Maas, die die Luftschläge als »erforderlich und angemessen« begrüßten.

Während in der Folgezeit die Medienkampagne gegen Damaskus und Moskau, wenn auch in leicht abgeschwächter Form, fortgeführt wurde, kam es zu einem bemerkenswerten Ereignis. Am 26. April fand in Den Haag ein Pressebriefing der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) statt, an dem laut dem ständigen Vertreter Russlands bei der OPCW, Alexander Schulgin, Dutzende Delegationen der Mitgliedsländer des Exekutivkomitees der Organisation teilnahmen. Während des Briefings haben Einwohner der syrischen Stadt Duma, in der angeblich seitens der Regierungstruppen C-Waffen eingesetzt worden waren, sowie dort tätige Ärzte nachgewiesen, dass die »Attacke« eine Inszenierung gewesen war. Vor den OPCW-Experten traten insgesamt 17 Menschen auf, darunter auch der elfjährige syrische Junge Hassan Diab, der in dem weltweit verbreiteten Video von den »Weißhelmen« als eines der »Opfer des Chemiewaffenangriffs« in Duma vorgeführt worden war. Vor ihm sprach sein Vater: Unbekannte Personen hätten in der Stadt Panik ausgelöst: »Sie haben meine Kinder mitgenommen, auf eine Notfallstation gebracht und sie mit Wasser begossen. Sie haben uns zuerst nichts erklärt. Nur später haben wir erfahren, dass dies eine Lüge war. Wir haben keine Anzeichen einer Vergiftung gesehen. Die ganze Familie hat sich gut gefühlt«, betonte er. Auch sein Sohn Hassan wusste nicht, warum er zuerst mit Wasser begossen und dann an einen anderen Ort gebracht worden war. Neben der Familie Diab meldeten sich auch Ärzte und Mitarbeiter des Krankenhauses der Stadt Duma zu Wort, darunter Ahmad Hashua: »Gegen 19.00 Uhr Ortszeit am 7. April habe ich am Eingang zur Notfallstation gestanden. Ein Mann mit einem Kind hat das Gebäude betreten und von C-Waffen geschrien. Als er zu schreien anfing, ist Chaos entstanden. Die Leute sind in Panik geraten. Ehrlich gesagt haben die Leute Atembeschwerden gehabt. Solche Leute wurden aber auch tagsüber ins Krankenhaus gebracht. Wir haben gesehen, dass das Geschrei über C-Waffen nötig war, um Panik auszulösen.« Ein anderer Angehöriger des Krankenhaus ergänzte: »An jenem Tag war ich auf der Notfallstation tätig und habe Patienten und Betroffene versorgt. Rund 15 Menschen mit Atembeschwerden wurden eingeliefert. Sie hatten Staub und Rauch eingeatmet. Es hat keine weiteren Beschwerden gegeben. Dies geschah nach einer Bombardierung von Gebäuden nahe dem Krankenhaus.« Zu Wort meldete sich auch der Arzt Hassan Ayun und teilte mit, dass noch am selben Tag Betroffene nach entsprechender Behandlung das Krankenhaus verlassen hätten. Es habe keinen einzigen Todesfall gegeben. (Zitate: https://de.sputniknews.com) Trotz der angeführten und mit Videos und Fotos belegten Fakten haben einige westliche Journalisten die Syrer gefragt, wie viel Geld diesen für den Besuch in Den Haag »versprochen wurde«. Sie haben kurz und bündig darauf geantwortet, sie seien gekommen, um die Wahrheit zu sagen. Der Giftgasangriff sei eine einzige Lüge.

Nach dem Briefing zeigte sich Alexander Schulgin äußerst zufrieden, dass Vertreter von mehr als 50 Staaten daran teilgenommen hatten. Als entlarvend empfand er allerdings, dass die Delegationen aus den USA, Frankreich und Großbritannien nicht dabei gewesen waren: »Nun, wir haben sie auf frischer Tat ertappt, unsere westlichen Kollegen, denn es ist absolut bewiesen, dass sie sich selbst und die Weltgemeinschaft belogen haben. Aber Sie wissen, dass es absolut keinen Grund gibt, uns die Hände mit Genugtuung zu reiben, nein, die Situation ist sehr ernst, sehr ernst. Vielleicht zum ersten Mal seit der Karibikkrise von 1962 ist die Welt wieder so nah an den Abgrund herangekommen.« (https://deutsch.rt.com)

Übrigens hatte der Generalstab der russischen Streitkräfte bereits am 13. März vor einer in Ost-Ghuta vorbereiteten Provokation mittels Inszenierung eines C-Waffen-Einsatzes gewarnt. Dreieinhalb Wochen später fand sie statt, 19 Tage danach wurde sie entlarvt.

Und wie reagierten die deutschen Leitmedien und die übergroße Mehrzahl der sonstigen Publikationsorgane? Sie machten es sich einfach und verschwiegen die außerordentlich bedeutsame Presseveranstaltung. Wieder einmal: Schweigen im Pressewalde. Allerdings, ganz so zufällig war das nicht.

Hatte doch der US-Vertreter bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) alles nur Mögliche unternommen, um seine Kollegen sowie Korrespondenten aus NATO-Staaten von einer Teilnahme an der Veranstaltung abzuhalten. Nicht ohne Erfolg. Auch in schweren Momenten gilt es, das Banner der Bündnistreue hochzuhalten.

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