Sonntag, 10. Juni 2018

Linke-Bundesparteitag: Vorsitzende mit Verlust im Amt bestätigt. Anträge zu »weltoffener« Migrationspolitik an den Vorstand überwiesen

Echte Entscheidung vertagt


Von Jana Frielinghaus
Bernd Riexinger, (l-r) Bundesvorsitzender der Partei Die Linke,
In einer Partei: Die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger (links) und Katja Kipping mit den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht (25.09.2017, Berlin)
Die beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke, Katja Kipping und Bernd Riexinger, sind am Sonnabend auf dem Bundesparteitag in Leipzig in ihrem Amt bestätigt worden – allerdings mit deutlich schlechterem Ergebnis als vor zwei Jahren. Für Kipping votierten 64,4 Prozent der Delegierten – gegenüber 74 Prozent 2016. Riexinger bekam von 73,6 Prozent der Anwesenden ein Ja (2016: 78,5). Insbesondere Kippings Ergebnis dürfte Folge der Auseinandersetzung um Asyl- und Migrationspolitik und linke Sammlungsbewegung gewesen sein, die von vielen offenbar, wie die 40jährige in ihrer Rede bemerkte, als »Fehde zwischen zwei Frauen« wahrgenommen worden ist.
Gleichwohl bekamen die Positionen, die Kipping in den vergangenen Wochen und Monaten vertreten hatte, inhaltlich eine Mehrheit: Die Delegierten votierten bei nur vereinzelten Gegenstimmen für den vom Vorstand eingebrachten Leitantrag, in dem ein »Dreiklang« in der »Politik zu Flucht und Grenzen« propagiert wird. Ebenso stimmten sie dem vom Spitzengremium eingebrachten Antrag »Abrüsten! Deeskalation ist das Gebot der Stunde« mit großer Mehrheit zu.
Der Leitantrag enthält scharfe Kritik an der Politik von SPD und Unionsparteien, an Mietenexplosion, Pflegenotstand etc. Weiterhin heißt es darin, die Partei wolle erstens Fluchtursachen bekämpfen, also insbesondere Waffenexporte und unfaire Handelsverträge. Zweitens tritt sie für »legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges System der Aufnahme von Geflüchteten« ein. Und drittens für eine »soziale Offensive« für alle unabhängig von ihrer Herkunft.
Zwei Anträge an den Parteitag, in denen eine »weltoffene« Migrationspolitik gefordert wird, wurden jedoch an den Parteivorstand zur weiteren Diskussion verwiesen. Initiiert wurden beide von Genossen aus Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit dem höchsten Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung. Einer stammt maßgeblich von der Antikapitalistischen Linken NRW. Die Verfasser sprechen sich dezidiert dagegen aus, dass Die Linke überhaupt einen eigenen Entwurf für eine Einwanderungsgesetz formuliert. Anfang 2017 hatten die ostdeutschen Landtagsfraktionen bereits einen entsprechendes Papier erarbeitet, dem zufolge jedem der Zutritt zur Bundesrepublik gewährt werden soll, der hier einen »Anknüpfungspunkt« hat. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht und die Verfasser der Ende April veröffentlichten Thesen »zu einer human und sozial regulierenden linken Einwanderungspolitik« plädieren dagegen für eine sehr deutliche Begrenzung der »Arbeitsmigration«. Wer genau außer Verfolgten ihrer Auffassung nach noch bleiben dürfen soll, haben sie bislang offen gelassen.
Die Genossen aus NRW meinen hingegen, es sei nicht Aufgabe der Linkspartei, »Einwanderung unter bestimmten Aspekten zu fördern oder gar zu regulieren«. Sie müsse vor allem gegen »vorhandene restriktive Reglementierung, gegen die Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund der Herkunft« kämpfen und für die Wiederherstellung eines Asylrechts, das diesen Namen verdient. So eindeutig wollte sich die Mehrheit der Delegierten jedoch noch nicht positionieren.

Appelle an Geschlossenheit

Die prominenten Genossen riefen unterdessen unisono dazu auf, sich dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegenzustellen – und zugleich in der Auseinandersetzung um den Umgang mit Migration zu sachlicher Debatte zurückzukehren. Parteichefin Kipping warnte, das »Treten nach unten« sei bei Politikern wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Programm, das »Autoritäre« sei im Aufwind. Die Linke dagegen setze weiter auf Solidarität, denn »die Grenzen verlaufen immer noch zwischen unten und oben, ja, sie verlaufen zwischen den Klassen«. Die Linke dürfe vor dem Zeitgeist nicht »einknicken«, forderte die Vorsitzende. Sie bleibe eine Stimme gegen »Neoliberalismus und Krieg«.
Zur Auseinandersetzung in der Flüchtlingsfrage betonte Kipping, auch jene, die für Begrenzung von Migration einträten, seien Teil der Linken. Niemand müsse sich »für eine Seite entscheiden«. In der Partei gebe es »weder Neoliberale noch Rassisten«, denn zumindest in der Flüchtlingspolitik bestehe Einigkeit. Zugleich forderte sie alle Genossen auf, die »Klärung«, die es auf dem Parteitag in diesen Fragen durch die Zustimmung zum Leitantrag gegeben habe, zu akzeptieren. Dies meine aber nicht, »der eigenen Überzeugung vor Kameras abzuschwören«. Zugleich forderte sie namentlich Oskar Lafontaine auf, es müsse »Schluss damit sein, die demokratische Beschlusslage unserer Partei in der Flüchtlingspolitik ständig öffentlich in Frage zu stellen«.
Nach der Wahl der beiden Vorsitzenden – wie im übrigen auch vorher – war Sahra Wagenknecht die gefragteste Interviewpartnerin der anwesenden TV-Sender. Kippings Äußerung zu Lafontaine kommentierte sie, man solle sich mit jenen auseinandersetzen, die anwesend seien. Die Debatte über die Flüchtlingspolitik sei schon deshalb nicht beendet, »weil die strittigen Positionen ja ausgeklammert wurden«, sagte Wagenknecht gegenüber der Deutschen Presseagentur. Das mäßige Wahlergebnis für Kipping wertete die Fraktionsvorsitzende als »Votum dafür«, dass »die Parteispitze sich jetzt auf sachliche Arbeit konzentriert und nicht mehr daran arbeitet, die Fraktionsspitze abzulösen«.
Während die Rede von Gregor Gysi am Nachmittag ein deutlicher Angriff auf das Wagenknecht-Lager war, forderte Kofraktionschef Dietmar Bartsch alle Genossen ungewohnt leidenschaftlich dazu auf, »Machtkämpfe« und gegenseitige Diffamierungen zu beenden.
Gysi betonte, die soziale Frage sei »immer schon auch eine internationale« gewesen. Und weiter: »Die Konzerne haben dafür gesorgt, dass sie längst eine Menschheitsfrage ist.« Für Linke sei Internationalismus »zwingende Voraussetzung, wenn man für Frieden, Chancengleichheit und Gerechtigkeit eintritt«, betonte der Präsident der Europäischen Linken. Selbstverständlich müsse Die Linke versuchen, »Wähler der Rechten zu gewinnen – aber nicht, indem wir ihnen entgegenkommen«. Wie Kipping wandte er sich gegen Diffamierungen, stellte aber fest, es gebe nicht wenige in der Partei, »die sich in ihrem Denken und Fühlen auf die Nation begrenzen und diese auch vor der Armut in anderen Ländern beschützt sehen wollen«. Aufgabe der Linken sei es aber, Ärmeren hierzulande klarzumachen, »dass diese Probleme mit Abschottung, mit einer Schlechterbehandlung von Menschen aus anderen Ländern niemals gelöst werden können«.
Wagenknecht betonte im Interview mit dem Sender Phoenix erneut, es müsse zwar offene Grenzen für Verfolgte geben, aber »wir dürfen auf keinen Fall sagen, dass jeder, der möchte, nach Deutschland kommen kann, hier Anspruch auf Sozialleistungen hat und sich hier nach Arbeit umsehen kann«.
Ein Symbolbild dafür, dass Partei- und Fraktionsspitze ab sofort wieder zusammenarbeiten werden, lieferten die vier Spitzenpolitiker, indem sie gemeinsam auf die Bühne gingen, um einen Dringlichkeitsantrag an die herrschende Politik für eine Beibehaltung des Atomabkommens mit dem Iran vorzustellen, der mit großer Mehrheit angenommen wurde. Ob mehr daraus wird, ist derzeit noch mehr als fraglich. Immerhin: Fraktionschef Bartsch zeigte sich ausgesprochen bemüht, die Lager wieder zusammenzuführen. »Die Linke muss ein Bollwerk der Menschlichkeit sein«, mahnte er mit Blick auf den »Kulturkampf von rechts«. An die führenden Genossen richtete er die Forderung, sich nicht länger »in Machtkämpfen« zu verlieren und zu »versuchen, andere aus der Partei zu mobben«. Die internen Konflikte ließen sich »nicht dadurch lösen, dass wir uns als Rassisten oder neoliberale Naivlinge bezeichnen«.

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