Sonntag, 10. Juni 2018
Frank Flegel: Schlussfolgerungen zum Charakter und zur weltpolitischer Rolle Russlands
Bei der Analyse Russlands müssen wir vorgehen wie bei der Analyse jedes anderen
Staates – orientiert an Marx. Dieser schrieb in der Einleitung zu seinem Werk „Zur
Kritik der politischen Ökonomie“: „Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis,
daß Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch
aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern
vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln. …Die Gesamtheit dieser
Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale
Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte
gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des
materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß
überhaupt.“ (Marx-Engels-Werke Bd. 13, S.8)
Die ökonomischen Verhältnisse bestimmen die Rechtsverhältnisse und die Staatsformen.
Im Falle Russland heißt das, sowohl die allgemeine Verfasstheit der russischen
Ökonomie zu begreifen wie auch die besondere Situation, in der Russland sich befindet
erstens als ein ehemals industriell und militärisch recht hoch entwickelten sozialistisches
Land und zweitens als ein Gegenpol gegen die bisher führenden imperialistischen
Mächte, also vor allem den USA und BRD-EU. Diese Rolle des Gegenpols
muss konkret analysiert werden, denn wir müssen herausfinden, aus welchem Grund es zu den Spannungen zwischen USA/BRD-EU einerseits und Russland andererseits
gekommen ist und warum diese sich verschärfen.
Russland war zur Jelzin-Zeit ein Fast-Leichnam, der von den imperialistischen
Hauptmächten nach Belieben ausgeschlachtet werden konnte. Das war genau nach
dem Geschmack der Imperialisten. Aber die neue russische Bourgeoisie entwickelte
sich, wurde ein eigenständiger Faktor und säuberte sich, indem die größten „Ausverkäufer“
kalt gestellt wurden. Dieser Prozess führte zu einer Erstarkung des russischen
Staates, ja der Staat war eins der Mittel, diesen Prozess überhaupt durchführen zu
können. Das mag den einen oder anderen geblendet haben, so dass oft die Rolle Putins
überbewertet wurde und wird.
Wir können festhalten: In Russland haben wir es nicht mehr mit einer so genannten
Kompradoren-Bourgeoisie zu tun, sondern mit einer neu entstandenen, starken nationalen
Bourgeoisie, die die Rohstoffe, die Produktion, die Finanzmärkte, den Welthandel
und die internationale Politik selbstbewusst und im eigenen Interesse gestaltet.
Russland ist ein kapitalistisches Land, welches (wie Emiliano Cervi und Salvatore
Vicario eindrücklich anhand russischer Wirtschaftsdaten nachgewiesen haben) die
von Lenin aufgestellten Kriterien für die imperialistische Phase der kapitalistischen
Entwicklung erfüllt. Russland ist, ob einem das gefällt oder nicht, ein imperialistisches
Land – in einer sehr speziellen Situation.
Diese Entwicklung Russlands musste unweigerlich zu Widersprüchen mit den imperialistischen
Hauptländern führen. Dem entsprechend tun diese alles dafür, Russland zu
schwächen – und das mit allen Mitteln. Da gibt es sowohl die Versuche des Sturzes
der Regierung, die Erpressung und das Durchführen irgendwelcher farbigen „Revolutionen“
in Ländern, die mit Russland zusammenarbeiten, da gibt es Versuche, Russland
militärisch zu schwächen (siehe die Krim und den Militärstützpunkt Sewastopol
– was Russland in diesem Fall zu verhindern wusste), da gibt es Wirtschaftssanktionen
und so weiter. Die USA haben die Sichelstrategie entworfen, d.h. eine Strategie,
NATO-hörige Regierungen in den Staaten südlich und westlich Russlands zu installieren
und dort Militärpräsenz aufzubauen. Man muss sich darüber klar sein, dass die
NATO grundsätzlich auch einen Krieg mit Russland führen würde.
Dieser Strategie der Spannung und der wirtschaftlichen Erpressung versucht Russland
mit unterschiedlichen Mitteln entgegen zu wirken: Eigene Aufrüstung, insbesonders
bei der Flugabwehr, Militärhilfe für Staaten, die der Komplettierung der Sichel im
Wege stehen (wie Syrien), Abkehr vom Dollar als Weltwährung und seine Ersetzung
durch einer alternative Leitwährung, Aufbau von Wirtschafts- bzw. Handelsbündnissen
(z.B.: BRICS, Schanghai) abseits der den Weltmarkt beherrschenden Institutionen
wie Weltbank, IWF, WTO, die allesamt unter Kontrolle der imperialistischen Hauptländer
stehen. Das verstärkt die Spannungen, obwohl Russland eine nicht zuspitzende Außenpolitik den USA und der EU gegenüber betreibt, denn das sind Bündnisse und
Organisationen, die eindeutig in Konkurrenz zu den gerade Genannten stehen. Und
das wollen USA/EU nicht tolerieren, sondern – wenn möglich – Russland ihren Willen
aufzwingen.
Insofern, als Staaten, die von den imperialistischen Hauptmächten nicht als Ausplünderung
und Abhängigkeit zu erwarte haben, in den neu geschaffenen Bündnissen
bessere Entwicklungsmöglichkeiten haben, hat Russland aktuell eine fortschrittliche
weltpolitische Funktion.
Aber Russland ist kein sozialistisches Land, und Russland ist auch kein Land, das sich
in eine „nicht kapitalistische Richtung“ entwickelt, wie Brigitte Queck schreibt.
Ich halte es für ziemlich dramatisch, dass so viel Wunschdenken existiert. Dabei muss
uns doch klar sein: „Der erste Faktor also, den Kommunisten analysieren müssen, ist
die ökonomische Struktur eines Landes“ (Emiliano Cervi und Salvatore Vicario).
Und diese ist im Falle Russlands eindeutig.
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