Wir alle wissen: Die Welt ist in ständigem Fluss, die USA sind eine Weltmacht im
Abstieg (und genau aus diesem Grunde besonders gefährlich) und sie sind mehr und
mehr konfrontiert mit dem wachsenden internationalen Einfluss anderer Länder, die
aufsteigen und ihre dominante Position versuchen zu untergraben. Das ist unter einem
speziellen Gesichtspunkt eine gute Sache: die vermehrten ökonomischen und/oder
politischen Zusammenstöße zwischen diesen Mächten, die Lenin als „die tiefsten
Widersprüche des Imperialismus“ bezeichnete3
, der größere Spielraum für diejenigen,
die nach oben streben und die jede Gelegenheit nutzen, die sich national und international
in einem System, das im Fluss ist, ergeben.
Kommunisten müssen ihre Taktik den jeweiligen Gegebenheiten von Zeit zu Zeit
flexibel und pragmatisch anpassen, denn der Marxismus-Leninismus ist kein theologisches
Dogma, sondern das Handwerkszeug, das uns die Möglich gibt, die Welt um
uns herum zu analysieren und zu verstehen. In dem überschaubaren Szenario, welches der kleine Kreis der Kommunisten heute bietet, gibt es Tendenzen, diesen notwendigen
Pragmatismus derart zu übertreiben, dass sie vielleicht nicht gleich die Grundlagen
unserer Theorie beschädigt werden und wir in den Opportunismus abgleiten, aber
es werden die Fakten verfälschen. Und das ist möglicher Weise noch gefährlicher.
Die UdSSR, Russland und Putins neuer Kurs
Eine der beunruhigendsten (und, lasst es uns sagen: auch bizarren) Verfälschungen
besteht darin, die UdSSR mit dem zu vergleichen, ja fast schon gleich zu setzen mit
dem, was Russland heute ist. Die Rehabilitation einer glorreichen Vergangenheit, ein
Revival der Symbole und Rituale aus der Zeit des Sozialismus haben manche Genossen
unglaublich verwirrt. Es ist nicht unüblich, dass Kommentare zu lesen sind wie:
„Lang lebe Genosse Putin“, „Putin baut die UdSSR wieder auf“, „Ich weiß, die Sowjetunion
kommt wieder“ usw.
Unzweifelhaft hat Russland die erste post-sowjetische Periode überwunden, in der es
einen massiven Ausverkauf des ökonomischen, politischen und kulturellen Reichtums
des Volkes an die großen westlichen Spekulanten, Profiteure und Gangster gab. Inzwischen
führen keine Alkoholiker mehr das Land, stattdessen ein Staatsmann, kompetent
und auf der Höhe der Zeit (er hat es beim KGB gelernt). Diese Faktoren haben
dieses Image geformt, haben geholfen, solche Verfälschungen wie die oben genannten
bei der Einschätzung Russlands entstehen zu lassen.
Um Klarheit zu schaffen, müssen wir uns zunächst fragen: Was macht ein Land zu
einem sozialistischen Land? Es ist ein Fakt, dass die Kommunistische Partei das Land
führen muss (als Avantgarde des Proletariats), aber wirklich entscheidend dafür, das
System zu bestimmen ist die Ökonomie, die wir genau analysieren müssen, um alle
Zweifel auszuräumen und Klarheit zu gewinnen.
Entweder sind die Produktionsbedingungen und Produktionsmittel in der Hand der
Arbeiterklasse, und dafür müssen sie sozialisiert worden sein, oder man kann nicht
und sollte nicht von Sozialismus sprechen. Außerdem muss man aufmerksam sein,
denn nicht jede Nationalisierung ist auch eine Sozialisierung. Eine Nationalisierung
enteignet einen bestimmten Produktionszweig oder einen bestimmten Großbetrieb,
ohne die Eigentumsverhältnisse gesamtgesellschaftlich zu verändern. Beispielsweise
waren in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Italien viele strategische Unternehmen
in staatlicher Hand (Energie, Stahl usw.), aber hieß das, dass Italien ein sozialistisches
Land war? Wer besaß den Reichtum des Landes? Waren es die Arbeiter
oder war es die exklusive Gruppe von Großunternehmern, die die Regeln der Ökonomie
und der nationalen Politik kontrollierten und noch immer kontrollieren?
Der erste Faktor also, den Kommunisten analysieren müssen, ist die ökonomische
Struktur eines Landes. Und da hat es in Russland eine große Veränderung geben verglichen
mit der Zeit der Sowjetunion. Als Resultat der Konterrevolution gab es eine
Rückkehr zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen, in denen die Produktionsmittel
und die Produktionsbedingungen sich in privaten Händen befinden und in denen es
nicht Ziel der Produktion ist, die Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen, sondern die
Profite der Kapitalisten, also derjenigen, die die Produktionsmittel in ihren Händen
halten, zu sichern.
Während der Reichtum in der UdSSR der Wohlfahrt des Volkes diente, das waren die
Industrialisierung, Dienstleistungen, Gesundheitsfürsorge, Verkehr, Bildung, Erziehung,
Sicherheit und Frieden, dient heute der Reichtum der ehemaligen Sowjetrepubliken
dazu, die Brieftaschen der Manager, Spekulanten, Banken wie Sberbank, VTBBank,
Alfa Bank, Raffeinse-Bank oder der Blagosostoyanie, und großen Kapitalgesellschaften
wie Gazprom, Rosneft, Lukoil, Rusal usw. zu füllen. Sie alle sind verbunden
mit den politischen Institutionen, wie wir bei den nächsten Details sehen
werden.
Wir werden auf Zahlen und Statistiken zurückgreifen, um die Argumentation zu stützen:
Die Statistik über den Kapitalexport Russlands ist sehr interessant.
In den ersten Jahren des „neuen Russland“, den 90er Jahren, war der Anteil russischen
Kapitals, das in den Rest der Welt exportiert wurde, sowohl statistisch als auch ökonomisch
verschwindend gering.
Es gab eine Kapitalflucht aus Russland (was nicht das Gleiche ist wie ein Kapitalexport)
und die westlichen Neokapitalisten zogen jährlich rund 15 – 20 Milliarden Dollar
aus Russland ab. Das Land war im Prozess auszubluten.
Mit dem Ende der Jelzin-Regierung änderte sich die Situation, der russische Kapitalismus
entwickelte sich in eine neue Phase, in welcher sowohl das industrielle als
auch das Bankkapital schnell wuchsen und der Kapitalexport eine zunehmend größere
und inzwischen die wichtigste Rolle einnimmt. Das ist die Entwicklung, die, sich von
Jahr zu Jahr verstärkend und konsolidierend (nur die Krise 2007/8 verlangsamte den
Prozess vorübergehend etwas), Russland zu einem komplett imperialistischen Land
macht.
Hier die gerundeten Zahlen, Kapitalexport Russlands in Mrd. Dollar4
(2)
2000: 37
2001: 44
2002: 70
2003: 153
2004: 152
2005: 368
2006: 562
2007: 747
2008: 371
2009: 443
2010: 558
2011: 534
2012: 794
Seit 2000 sind die ausländischen Direktinvestitionen des russischen Monopolkapitals
außerordentlich stark gestiegen.
Russland und die Wesensmerkmale des Imperialismus
Nach den Angaben der Forbes-Liste gibt es heute 110 Dollar-Milliardäre in Russland,
deren Privatvermögen rund 320 Milliarden Dollar beträgt, damit liegt Russland, was
diese Größenordnung angeht, auf Platz drei nach den USA und China. Der so genannte
Gini-Koeffizient5 der statistischen Analyse der sozialen Ungleichheit liegt in Russland
bei etwa 41,7. (Zum Vergleich: Deutschland liegt beim GINI-Koeffienten zwischen
25 und 30, Italien zwischen 30 und 35, die USA zwischen 40 und 45, Südafrika
bei 65.)
Indem wir die charakteristischen Merkmale des Imperialismus, wie sie Lenin herausgearbeitet
hat, analysieren - wir fokussieren uns auf die ersten drei - können wir feststellen,
dass die hohe Konzentration der Produktion in Russland schon durch die
4 Source: Our graph bases on figures from the World Bank
5 Der Gini-Koeffizient oder auch Gini-Index ist ein statistisches Maß, das vom italienischen
Statistiker Corrado Gini zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Ungleichverteilungskoeffizienten
lassen sich für jegliche Verteilungen berechnen. Beispielsweise
gilt der Gini-Koeffizient in der Wirtschaftswissenschaft, aber auch in der Geographie als Maß-
stab für die Einkommens- und Vermögensverteilung einzelner Länder und somit als Hilfsmittel
zur Klassifizierung von Ländern und ihrem zugehörigen Entwicklungsstand.
Der Gini-Koeffizient wird aus der Lorenz-Kurve abgeleitet und nimmt einen Wert zwischen 0
(bei einer gleichmäßigen Verteilung) und 100 (wenn nur eine Person das komplette Einkommen
erhält, d. h. bei maximaler Ungleichverteilung) an.
UdSSR und deren sozialistische Industrie geschaffen worden ist, weshalb die Herausbildung
von kapitalistischen Monopolen nicht mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm,
sondern wesentlich schnell ablief, indem die führenden Großbetriebe in Privateigentum
übergingen.
In der Forbes-Liste der 100 größten Monopole der Welt sind 28 russische aufgezählt,
wie z.B. Gazprom, Lukoil, Rosneft und Sberbank. Die russische Ökonomie ist hoch
konzentriert; in vielen Sektoren ist die Konzentration höher als in den USA oder in
Deutschland. Zum Beispiel lag der Anteil, den die 10 größten Monopole Russlands
im Jahr 2006 am Bruttoinlandprodukt hatten, bei 28,9 %, während er sich in den USA
nur auf 14,1 % belief. Die meisten Sektoren der Ökonomie in Russland sind hoch
konzentriert, z.B. der Energiesektor, der Maschinenbau, das Transportwesen und die
Lebensmittelproduktion. Wir können feststellen, dass wir es in Russland mit einem
Monopolkapitalismus zu tun haben, der hoch konzentriert ist und eine starke staatliche
Präsenz zeigt.
Was die Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital angeht: dies sist
längst geschehen. Die Sberbank ist eine der größten Banken der Welt, aber die VTBBank,
die Alfa-Bank und die Raffeinse-Bank spielen ebenfalls eine entscheidende
Rolle in der russischen Ökonomie. Die großen Banken sind eng verflochten mit dem
Industriekapital, man hält gegenseitig Aktien und sitzt gegenseitig in den Aufsichtsrä-
ten. Manche Banken sind direkte Gründungen des Indistriekapitals wie die GazpromBank,
Uralsib, Promsvjas-Bank.
Die Gazprom-Gruppe besitzt die Gazprom-Bank und den privaten Pensionsfonds
„Gazfonds“. Diese größte der russischen Industriegruppen besitzt daneben die Versicherungsgruppe
„Sogas“ und ist führend bei den Invest-Banken und den Pensionsfonds.
Der bekannte Oligarch Vekselberg besitzt die Renova Holding (mit Sitz auf den Bahamas),
zu der die russische „Renova“-Gruppe gehört, eine internationale Gesellschaft
für Privatgeschäfte, die aus Aktiengesellschaften besteht, die im Gesundheitswesen
tätig sind und eine rege Investitionstätigkeit zeigen, so in den Bereichen der
Erzgewinnung und des weiteren Bergbaus, der Ölgesellschaften, des Maschinenbaus,
der Energieversorgung, der Telekommunikation, der Nanotechnologie, der Chemieindustrie
und dem Finanzsektor. Die Renova-Gruppe hält große Anteile an führenden
russischen und internationalen Aktiengesellschaften, wozu unter anderem gehören:
UC Rusal, Integrated Energie Systems, Oerlikon, Sulzer, Schmolz&Bickenbach. Die
Renova.Gruppe investiert in Russland, der Schweiz, in Italien, in Südafrika, in der
Ukraine, in Lettland, in der Mongolei, in Kirgistan usw. Der Gruppe gehört außerdem
die Metkombank, eine der größten Banken in Russland, die inzwischen zu den 50 bei
Investoren beliebtesten Banken zählt. Gleichzeitig besitzt der Oligarch Vekselberg einen Teil von UC Rusal, dem größten Aluminium-Hersteller der Welt, und er ist
Miteigentümer von Norilsk Nickel, einer russischen Aktiengesellschaft, die Nickel
und Palladium verhüttet.
Die Oligarchen Alisher Usmanov, Vladimir Skoch und Farhad Moshiri besitzen die
MetaUoinvest, eine der größten Gruppen im Minen und Metallgeschäft Russlands,
spezialisiert auf die Stahlproduktion. MetaUoinvest wiederum besitzt die Oskol Steel
Works, Ural Steel und andere Industrien. Bis zum letztem Jahr gehörte ihnen auch die
Round-Bank (zuvor Ferrobank), die sie verkauft haben an ihren Freund Leon Semenenko
und der wiederum die Hessen Holding Ltd. und die Nenburg Finance Ltd.
gehören, ansässig auf Cypern, beide Letztgenannten halten 50 % der Anteile an der
SibConsultGroup Ltd., dem einzigen Eigentümer der Round-Bank. 2012 gründete
Usmanov, einer der reichsten Männer der Welt, die USM Holdings, womit zahlreiche
Investitionen in unterschiedliche Telekommunikationsgesellschaften zusammengeführt
wurden, solche wie Garsdale, die wiederum 50 % der MegaFon kontrolliert,
MegaFon ist der zweitgrößte Handynetz-Anbieter in Russland, und MegaFon besitzt
100 % der Aktioen der Scartel/Yota AG, ein 4 G Provider, 50 % von Euroset, dem
größten Handy-Einzelhändler in Russland. Alle diese Gruppen haben Interessen an
und Leute in der Round-Bank.
Der Oligarch Prokhorov besitzt eine Vielzahl von Gesellschaften. Wir wollen einige
von ihnen aufzählen: Onexim Holding Ltd (Sitz auf Zypern), die die Gruppe OptoGaN
besitzt, Hersteller von lichtstarken LED-Lampen. Prokhorov besitzt außerdem
die Opin und die Quadra Power Generation, führend in dem russischen Energiesektor,
sowie die Renaissance Credit Bank und ddie größte Investment-Bankgruppe in Russland,
Renaissance Capital. Zudem besitzt er Anteile an Rusal.
Der Oligarch Vladimir Yevtushenko, einer der reichsten Männer Russlands, hält
64,2% an der AFK-Systems AG, die die MTS-Bank besitzt, welche wiederum die
RTI-Gruppe direkt kontrolliert, die größte Industrie-Holding in Russland, der vor
allem Konzerne der Hochtechnologie und der Microelektronik gehören. Außerdem
besitzt die MTS-Bank 89% der Anteile von Bashneft, einer der größten russischen
Ölgesellschaften und 92 % von Bashkiria, einem Elektrizitätskonzern.
Der Oligarch Oleg Deripaska besitzt die Investment-Gruppe Basic Element, die aufgeteilt
ist in unterschiedliche Sektoren: Energie, Industrie, Luftfahrt, Landwirtschaft,
Textil, Netzwerkbetreibung und Finanz-Service. Er besitzt eine der größten Versicherungsgruppen
Ingosstrakh, die Großbank Soyuz, den privaten Pensionsfonds Socium,
außerdem Basic Element und Element Leasing, eine der größten LeasingGesellschaften
in Russland. Und ihm gehört die GAZ-Group, russischer Marktführer
für Nutzfahrzeuge, Busse, elektrische Lokomotiven und Komponenten.
Der „Wodka-König“ Roustam besitzt die Russian Standard Bank, eine der größten
russischen Banken, die Versicherungsgruppe Russian Standard Insurance und natürlich
Russian Standard Vodka, die wichtigste Wodka-Brennerei in Russland.
Der Oligarch Agalarow besitzt die Crocus-Gruppe, eine der führenden ImmobilienFirmen
Russlands mit Dutzenden von Konstruktionsfirmen und LogistikGesellschaften
– und die Crocus-Bank.
Der Oligarch Dimitry Pumpyanskiy besitzt 98 % der SKB-Bank und 71,1 % von
TMK Steel.
Der Oligarch Anatoly Sedykh besitzt 80 % der United Metallurgical Company, einem
der größten russischen Hersteller von Rohren, Pipelines, Schienen und anderen Stahlprodukten
für den Energiesektor, das Transportwesen und die Industrie - außedem 60
% des Kapitals der Metallinvest-Bank.
Der Konzern Rosneft besitzt die Russian Regional Development Bank, die MDMBank,
eine der größten Privatbanken Russlands, besitzt die Siberian Coal Energy
Company, den größten Kohleproduzenten Russlands einen der größten Exporteure.
Die Syberian Coal Energy Company ihrerseits hält Anteile an der MDM-Bank und an
mehreren großen internationalen Finanzinstitutionen wie z.B. der International Finance
Corporation, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ebenso
wie an einer der größten Investment-Gesellschaften Russlands, der Troika Capital
Partners.
Die Guta Group ist eine der größten Industrie- und Investment-Gesellschaften, sie
besitzt die United Confectioners Holding Company, Marktführer und Besitzer der
meisten Marken (etwa 1700) im Textilsektor. Die Holding besitzt darüber hinaus die
Guta-Versicherungsgesellschaft und die Guta-Bank, eine der Top-20-Banken in Russland,
sowie Hotels, Krankenhäuser und Privatkliniken.
Die Don Invest Holding führt die Comercial Bank Doninvest und besitzt Gesellschaften
im den Bereichen der landwirtschaftlichen Produktion, des Maschinenbaus und
der Automobilproduktion (PKW und Bus).
Die meisten Oligarchen haben Sitze in der Duma, direkte Beziehungen zu Staatsfunktionären
und zu den politischen Parteien der russischen Bourgeoisie. Es gibt in Russland
eine Finanzoligarchie, aber sie hat nicht immer identische Interessen. Es gibt
Teile der Großbourgeoisie, die eine eigenständige Entwicklung Russlands befürworten,
und es gibt Teile derselben, die eine größere Verbundenheit mit dem „Westen“
wünschen. Diese fordern eine größere Liberalisierung und weitere Privatisierungen
von Staatsunternehmen. Diese haben über die Jahre mehrfach versucht, eine so genannte
„bunte“ Revolution in Russland hervorzurufen.
Wir haben den Kapitalexport Russlands betrachtet. Das andauernde Wachstum der
nationalen Ökonomie und die Stärkung der nationalen Unternehmen hat zu einer
schnelle Steigerung der Investitionen geführt, die Russland inzwischen zu einem der
führenden internationalen Investoren gemacht hat. Durch die Gründung neuer Unternehmen
im Ausland bzw. den Aufkauf dort ansässiger Unternehmen hat das russische
Großkapital Zugang gewonnen zu neuen Ressourcen, Technologien und Märkten.
Diese Expansion stärkt Russlands geopolitischen Einfluss und seine Position in der
globalen Ökonomie.
Russische Kapitalgesellschaften beschäftigen mehr als 150.000 Arbeiter im Ausland,
mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2000. Im Resultat hat die Expansion der größten
russischen Konzerne sie zu so genannten globalen Multis werden lassen.
Die Führungsposition, was die Auslandsvermögen angeht, haben die Öl-, Gas- und
Stahlkonzerne inne: Lukoil, Gazprom, Severstal und Rusal, mit einer Gesamtsumme
von mehr als 50 Milliarden Dollar an Auslandsinvestitionen. 2012 haben russische
Unternehmen insgesamt mehr als 139 Milliarden Dollar für den Erwerb ausländischer
Aktiengesellschaften investiert (incl. der Übernahme von BP durch Rosneft für 56
Milliarden Dollar). Viele dieser Investitionen bezogen sich auf die Haupttätigkeit der
russischen Konzerne, so dass man sagen kann, dass die russische ökonomische Expansion
sich eher auf die Kerngeschäfte bezieht denn auf eine mögliche Diversifikation.
Die Zunahme der finanziellen Kapazitäten der führenden russischen Banken machte
es möglich, dass sie in ihre eigene internationale Präsenz in der Weise investiert haben,
dass sie ein einerseits existierende ausländische Bankgesellschaften übernommen
und andererseits eigene Tochtergesellschaften im Ausland gegründet haben. So hat
die VTB-Bank Zweigstellen in der Ukraine, in Weißrussland, in Armenien und Georgien
eröffnet und dafür 400 Millionen Dollar investiert, während sie ihre Beteiligungen
an westeuropäischen Banken weiter konsolidierte und zusätzlich Zweigstellen in
Indien, China, Vietnam und Angola eröffnete. Die VTB-Bank ist inzwischen in der
Lage, russische Konzerne in über 15 Ländern der GUS, Westeuropas, Asiens und
Afrikas zu unterstützen, und sie plant, bis 2020 die größte und einzige globale Finanzinstitution
der Nach-Sowjet-Ära in Russland zu werden.
Dieser – unvollständige – Blick auf die ökonomischen Verflechtungen in der russischen
Ökonomie zeigt eindeutig, dass die Verschmelzung des Bankkapitals mit dem
Industriekapital nicht zu leugnen ist. In Russland hat sich der Kapitalismus mit der
Übernahme der Großbetriebe, wie sie in der Sowjetunion entstanden sind, unmittelbar
zum Monopolkapitalismus entwickelt. Und der Kapitalexport steigt rapide an.
Es geht nicht darum, für oder gegen Russland, für oder gegen Putin zu sein, sondern
um eine wissenschaftliche Analyse des tatsächlichen Charakters eines jeden Landes,
ohne Mystifizierungen und Idealisierungen, die danach streben, die Analyse des einen
oder anderen Landes von seiner ökonomischen Basis zu trennen.
Fazit
Wir können an dieser Stelle feststellen, dass der Kapitalismus in Russland fest etabliert
ist, dass das Bankkapital mit dem industriellen Kapital verschmolzen ist, dass die
großen Monopole eine fundamentale Rolle in der Wirtschaft spielen, dass Russland
also ein imperialistisches Land ist, wenn auch nicht an der Spitze der imperialistischen
Pyramide stehend.
Die internationale Ebene
Wichtig ist aber, dass das heutige Russland - in völliger Abkehr vom Sozialismus und
weit davon entfernt, irgendein „Modell“ zu sein, welches man übernehmen könnte -
interessante Szenarien auf der internationalen Ebene eröffnet: die Konfrontation mit
den USA, dem zur Zeit stärksten Imperialismus auf globalem Niveau, und die Annä-
herung an andere, aufstrebende Kräfte wie China, Brasilien, Indien und Südafrika (die
so genannten BRICS-Staaten). Das führt zu großen Verwerfungen in der bisherigen
politischen und ökonomischen Weltsituation. Deshalb kann man heute sagen, dass
Russland, genauso wie China, die Hauptfeinde der unipolaren Weltvorstellung der
Yankees ist, die sich seit 1989 manifestiert hat in den barbarischen Kriegen im früheren
Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, in Libyen, in Syrien usw.
Wie ist diese Situation entstanden? Sie resultiert zunächst einmal aus der ungleichen
Entwicklung des Kapitalismus, zudem aus der Krise 2008, die schwere Auswirkungen
auf die imperialistischen Zentren, also die USA, EU und Japan hatte, während die neu
gruppierten BRICS-Staaten ein rapides Wachstum erlebten, auch wenn es da große
Unterschiede zwischen ihnen gab. Das hat dazu geführt, dass sie jetzt eine neue internationale
Bank gegründet haben, eine Alternative zum Internationalen Währungsfonds
und zur Weltbank, wodurch Bretton Woods nach 70 Jahren gekippt wurde.
Wir Kommunisten können die mit den BRIS-Staaten in den letzten Jahren entstandene
neue Situation mit einer neuen internationalen Arbeitsteilung, mit internationalen
Konzernen, die in einigen dieser Ländern entstanden sind, mit den Abhängigkeiten
und manchmal auch Unabhängigkeiten dieser Länder von anderen nicht beschreiben
als eine Situation von „zwei Welten“, die sich nun gegenüber ständen, sondern wir
müssen sie beschreiben als eine Situation, in der alte und neue monopolkapitalistische
Mächte sich den Platz an der Spitze der imperialistischen Pyramide streitig machen.
Um zu wiederholen, was wir oben schon ausgeführt haben: die ungleiche Entwicklung
des Kapitalismus und damit auch der imperialistischen Zentren, die interne Dynamik
des Kapitalismus führt zur Zeit zu einer Verlangsamung der Entwicklung in
denjenigen imperialistischen Ländern, die unter der Krise von 2008 und der allgemeinen
Krise des Kapitalismus besonders leiden. Die Geburt der BRICS-Bank kann nur
verstanden werden im Zusammenhang mit den dynamischen Veränderungen im
weltweiten Rohstoffhandel, dem Preisverfall der Rohstoffe, der Erosion der Großinvestitionen
der imperialistischen Zentren in diesen Ländern und in deren Entwicklung,
was für die schwächeren Länder unmittelbar bedeutet, in Schulden unterzugehen
oder sich zu emanzipieren von der wirtschafts- und finanzpolitischen Kontrolle
durch die USA mittels Internationalem Währungsfonds und Weltbank. Stattdessen
versuchen sie, neue politische und ökonomische Strategien zu entwickeln, um die
Verluste, die sie u.a. auf dem europäischen Markt hinnehmen müssen, auszugleichen
und die gegenseitige Zusammenarbeit zu stärken, ihre jeweiligen Märkte zu entwickeln
und ein größeres Gewicht im internationalen Rahmen zu erreichen.
Die UNCTAD6
-Daten für die Jahre von 2000 bis 2012 zeigen, dass der Zustrom von
FDI7 (ein sehr wichtiges Kriterium für die Internationalisierung der Produktion) in die
BRICS-Staaten sich mehr als verdreifacht hat und nach der Krise 2008 im Jahr 2012
knapp 20 % der weltweiten Auslands-Investitionen ausmachte – verglichen mit 6 %
im Jahr 2000. Gleichzeitig sind die BRICS-Staaten auch wichtige Investoren geworden,
ihre direkten Auslandsinvestitionen entwickelten sich von 7 Milliarden Dollar im
Jahr 2000 zu 126 Milliarden Dollar im Jahr 2012, das sind 9 % des weltweiten Volumens.
Vor zehn Jahren waren es nur 1,1 % gewesen.
China ist der größte Auslands-Investor der BRICS-Staaten und der drittgrößte weltweit,
und 46 % der Auslandsinvestitionen, die in den BRICS-Staaten getätigt wurden,
gingen nach China, gefolgt von Brasilien (25 %), Russland (17 %) und Indien (10 %).
Der größte Teil der Auslandsinvestitionen der BRICS-Staaten ging in entwickelte
Ökonomien, vor allem in die EU (34 %). Ein weiterer wichtiger Empfänger der Auslandsinvestitionen
der BRICS-Staaten ist Afrika.
Die Expansion der russischen multinationalen Konzerne nach Afrika steigt rapide.
Russland ist der größte Produzent von Aluminium weltweit und ist wegen der Rohstoffe
präsent in Angola, Guinea, Nigeria und Südafrika, ebenso expandieren Banken
nach Afrika wir die Vneshtorgbank, die in Angola, Namibia und der Elfenbeinküste
Stützpunkte eröffnete, während Renaissance Capital 25 % der Eco-Bank hält, der
größten Bank Nigerias.
Diese Entwicklung wird charakteristisch sein für die nächsten Jahre (mit der BRICSBank).
Diese Ereignisse sind in der Hinsicht positiv zu bewerten, als sie die weltpolitisch
dominierende Stellung der USA schwächen und damit neue Möglichkeiten der Diplomatie
und auch der diplomatischen Konfrontation schaffen, die sehr nützlich sein
können. Zum Beispiel verhinderte die russische und chinesische Opposition gehen
eine UN-„Friedensmission“ in Syrien die Wiederholung eines Szenarios, wie es ein
paar Jahre vorher in Libyen stattfand. Das ermöglichte der syrischen Regierung, gegen
die islamistischen Söldnern, die von den USA und anderen imperialistischen
Mächten unterstützt wurden, wichtige Erfolge zu erzielen.
Das sind Indikatoren für einen Wandel im internationalen Kräfteverhältnis. Aber es
sind keine Indikatoren für Hoffnungen auf einen neuen Anlauf zum Sozialismus.
2 siehe: https://www.un.org/sc/suborg/en/s/res/2253-%282015%29
3 „Imperialism and the split in socialism”, Lenin 1916, Collected Works, vol 23, 4th English
Edition, Progress Publishers, Moscow 1964, pp. 105-120.
4 Source: Our graph bases on figures from the World Bank
5 Der Gini-Koeffizient oder auch Gini-Index ist ein statistisches Maß, das vom italienischen
Statistiker Corrado Gini zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Ungleichverteilungskoeffizienten
lassen sich für jegliche Verteilungen berechnen. Beispielsweise
gilt der Gini-Koeffizient in der Wirtschaftswissenschaft, aber auch in der Geographie als Maß-
stab für die Einkommens- und Vermögensverteilung einzelner Länder und somit als Hilfsmittel
zur Klassifizierung von Ländern und ihrem zugehörigen Entwicklungsstand.
Der Gini-Koeffizient wird aus der Lorenz-Kurve abgeleitet und nimmt einen Wert zwischen 0
(bei einer gleichmäßigen Verteilung) und 100 (wenn nur eine Person das komplette Einkommen
erhält, d. h. bei maximaler Ungleichverteilung) an.
6 United Nations Conference for Trade and Development (UN-Konferenz für Handel und
Entwicklung) 7 Foreign Direct Investment (Direkte Auslandsinvestitionen)
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