Montag, 11. Juni 2018

Das Puppen-Ärgernis


Von Hansgeorg Hermann
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Damals, als man in Frankreich noch etwas zu lachen hatte: Die Puppen der Präsidentschaftskandidaten 2007 Nicolas Sarkozy und Segolene Royal als Guignols
Was haben sich die Franzosen jeden Abend um halb neun vor dem Fernseher gefreut auf die »Guignols« im Canal +. Auftritt der größten Abkassierer der Republik: Giscard d’Estaing, Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy – Präsidenten allesamt, angeklagt oder verurteilt wegen Korruption, Veruntreuung von Staatsgeldern, Geldwäsche. Verkörpert wurden sie von Latexpuppen in einem fiktiven Fernsehstudio. Moderiert wurde das muntere Treiben von einer berühmt-berüchtigten Maske des Politikbetriebs, dem Nachrichtensprecher Patrick Poivre d’Arvor, der einst mit einem Fidel-Castro-Interview prahlte, das er nie gemacht hatte. Ausgerechnet diesen PPdA hatten die Schöpfer des einzigartigen politischen Puppentheaters auserwählt für die Rolle des unbestechlichen Journalisten. Nun sind sie allesamt abgetreten, geschasst vom Medienmogul Vincent Bolloré.
Beim Stichwort Puppen könnte man an Ernie und Bert denken oder an eine Art parlamentarischer Muppetshow. Weit gefehlt! Der weiche Witz der nordamerikanischen Verwandten, die Sexualität der Miss Piggi, der grantige Anarchismus von Waldorf und Statler, der harmlose Humor des Frosches Kermit machten in den Jahrzehnten vor der Geburt der Guignols Kinder froh und Erwachsene ebenso. Die Guignols dagegen bedeuteten von Anfang an Ärger. Sie legten die Axt an das Louis-Quinze-Mobiliar des Präsidentenpalasts Élysée, pflügten jauchzend und mit schrägen Liedern durch Nationalversammlung und Senat, ließen niemanden ungeschoren, nicht einmal sich selbst. Sie waren mehrdimensionale, schärfste Satire.
M&R-Weinverkostung
George Bush und sein Sohn »W.«, ihr »Pudel« Tony Blair, Bill Clinton, Barack Obama, Angela Merkel, bin Laden und Mullah Omar sangen gemeinsam im Chor der Kriegstreiber. Der Kapitalismus kam als »World-Company« daher. Ihr Anführer war der zynische »Commandant Sylvestre«. Dem Schauspieler Sylvester Stallone nachempfunden, kommentierte er mit dreckigem Lachen, wie sein kleiner Bruder im Geiste, Sarkozy, sich um die Weiber statt ums Geld kümmerte. Im Rapsong »Chirac und Bernadette« sang der ehemalige Präsident, einer der Hauptdarsteller des tosenden Guignol-Theaters, dem Volk das Lied von der alles beherrschenden Korruption. Kohle für jeden, der dem elitären Apparat nützlich ist. Knete, die natürlich nicht aus der privaten Schatulle, sondern aus der geplünderten Staatskasse kommt. So ging das seit 1988.
Dem Milliardär Vincent Bolloré, der den Canal + Anfang 2015 in seinen Weltkonzern Vivendi eingliederte, waren die Satiriker nie sympathisch. Nach und nach zog er die 50köpfige Kreativabteilung, die 30 Jahre lang die höchsten Repräsentanten des realen Welttheaters der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, aus dem Verkehr. Das »Grand Journal« der Guignols war im Pay-TV-Canal + traditionell auch nicht zahlenden Zuschauern zugänglich. Allabendlich ließ die Programmdirektion dem Puppentheater ein Fenster offen. Bolloré schlug es zu, wechselte die Verantwortlichen aus, verbannte die respektlosen Puppen ins Nachtprogramm und ließ sie bald nur noch sporadisch auftreten. Das ist nun auch vorbei. Die vielen Politspezis des bretonischen Großkapitalisten – Sozialdemokraten wie Rechtskonservative – können endlich in Ruhe zu Bett gehen und von dem träumen, was sie, wie Commandant Sylvestre immer wusste, am liebsten haben: vom Geld.

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