Sonntag, 10. Juni 2018

Auftakt des Linke-Bundesparteitags in Leipzig. Fehde um Flüchtlings- und Migrationspolitik geht weiter

Verhärtete Fronten


Von Jana Frielinghaus
Mitglieder der Linkspartei stimmen am 10.05.2014 auf dem Parteit
Mitglieder der Linkspartei stimmen am 10.05.2014 auf dem Parteitag in Berlin ab.
Auf dem Leipziger Messegelände begann am Freitag der 6. Bundesparteitag der Partei Die Linke. Auch dort sorgte die neue EU-Datenschutzgrundverordnung für deutliche Veränderungen im Prozedere. Die Mandatsprüfungskommission durfte erstmals nicht verkünden, wer die oder der jüngste und wer der oder die älteste der rund 580 Delegierten ist, wer Geburtstag hat und welchen Berufsgruppen die Abstimmungsberechtigten angehörten.
Der Bundesvorsitzende Bernd Riexinger bemühte sich in seiner Eröffnungsrede am Abend, Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen: den Einsatz gegen Aufrüstung und Waffenexporte, für ein Ende des Pflegenotstands, für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, um die Enteignung von Wohnungskonzernen wie Vonovia – und die Kämpfe an der Seite der Leiharbeiter, der befristet Beschäftigten, ausgebeuteter Beschäftigter in Logistikunternehmen wie Amazon. Doch der Streit um Flucht versus Migration in der Partei geht weiter – wobei sich von jenen Delegierten, die am Freitag abend in der Generaldebatte zu Wort kamen, fast alle für unteilbare Solidarität mit allen Marginalisierten aussprachen, unabhängig von ihrer Herkunft. Seit Monaten fordern insbesondere Sahra Wagenknecht, Chefin der Linksfraktion im Bundestag, und Oskar Lafontaine, Vorsitzender des saarländischen Landesverbandes, vehement eine »Regulierung« von »Arbeitsmigration«. Diese Position vertrat auch eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten und Bundesvorstandsmitgliedern in einem Ende April veröffentlichten Thesenpapier (jW berichtete).
Riexinger betonte, Die Linke verliere »ihre Funktion und ihre Bedeutung für den Kampf um eine gerechtere Welt, wenn wir uns nur auf die Verwaltung der Missstände und auf nationalstaatliche Verteilungskämpfe beschränken«. Die Linke müsse die Stimme bleiben, die sage: »Eine solidarische Welt, eine sozial gerechte Welt für alle Menschen ist möglich!« Hier dürfe es keine Abstriche geben, gerade in Zeiten, in denen gegen Muslime und Zugewanderte gehetzt, das Asylrecht mit Füßen getreten und weiter ausgehöhlt werde. Der Vorsitzende zitierte aus dem Leitantrag des Vorstands »Die Linke – Partei in Bewegung«, es müsse um eine »soziale Initiative für alle« gehen. Die Strategie der Herrschenden sei es, die »unten« sich um »die Brosamen streiten« zu lassen, damit sie »den Blick nicht nach oben richten« und erkennen, wer für Ausbeutung verantwortlich ist. Die Delegierten spendeten enthusiastisch Beifall, erhoben sich von den Plätzen.
Anschließend äußerte die Bundestagsabgeordnete Caren Lay »erhebliche Zweifel, dass es uns gelingt, Wähler zu gewinnen, indem wir die Themen der Rechten aufgreifen – zu einem Zeitpunkt, an dem mich nicht mal mehr in Bautzen Leute auf die angeblichen Wirtschaftsflüchtlinge ansprechen«. Lay hat ihren Wahlkreis in der sächsischen Stadt, in der es heftige Proteste und Angriffe auf Geflüchtete gegeben hat.
Özlem Demirel, Sprecherin des Landesverbands NRW betonte wiederum mit Blick auf im Raum stehende Vorwürfe an die verschiedenen Fraktionen im Migrationsstreit: »Wir haben in unserer Partei weder Rassisten und Nationalisten noch Neoliberale.«
Vor Eröffnung der Konferenz hatten Partei- und Fraktionsspitze einander aufgefordert, die Auseinandersetzung um die Migrationsfrage beizulegen – und sich erneut gegenseitig die Schwächung der Partei vorgeworfen. Riexinger zeigte sich überzeugt, dass sich Die Linke im Aufwind befindet, was er insbesondere daran festmacht, dass sie im vergangenen Jahr fast 9.000 Beitritte vor allem junger Menschen verzeichnen konnte und bei der Bundestagswahl eine halbe Million mehr Wähler gewonnen hat. Nur mit einer Klärung der aktuellen Streitpunkte könne die Partei weiter an Kraft gewinnen.
Fraktionschefin Sahra Wagenknecht warf der Parteispitze am Freitag einmal mehr eine »Schwächung der Linken« vor. Den Vorsitzenden Katja Kipping wie auch Riexinger gehe es nicht um inhaltliche Klärung, sagte sie der Deutschen Presseagentur. Bei ihnen stehe »innerparteiliche Machtpolitik« im Vordergrund, von ihnen gingen »ständige Angriffe« auf sie, Wagenknecht, aus. Zugleich betonte sie, der Leitantrag des Vorstands enthalte keine zu ihren konträre Positionen, da darin offene Grenzen nur für Geflüchtete gefordert werden. Die Vorsitzenden wollten aber den Eindruck erwecken, »die Annahme dieses Leitantrags wäre für mich eine vernichtende Niederlage«.
Am Sonnabend werden Kipping und Riexinger aller Voraussicht nach in ihren Ämtern bestätigt, zumal es keine Gegenkandidaten gibt. Sie üben diese Funktion bereits seit rund sechs Jahren aus. Auch alle anderen Positionen im 42köpfigen Bundesvorstand werden neu besetzt.
Wagenknecht warb am Freitag erneut auch für eine überparteiliche Sammlungsbewegung, die in einem von ihr mit verfassten Beitrag für die Wochenzeitung die Zeit (Ausgabe vom 7.6.) nicht mehr »links« genannt wird. »Wir sind zurzeit Lichtjahre davon entfernt, andere gesellschaftliche Mehrheiten zu haben, um eine soziale Politik durchzusetzen«, begründete Wagenknecht im NDR ihre Initiative. Riexinger kritisierte wiederum im Bayerischen Rundfunk, es gebe kein Konzept für die Sammlungsbewegung, und Wagenknecht habe darüber mit der Parteiführung auch noch nie gesprochen. Er betonte: »Wir haben Rückenwind, den wir nutzen sollten, um die Linke als die Oppositionskraft gegen die große Koalition zu stärken.«

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