Sonntag, 10. Juni 2018

200 Jahre Marx – eine Nachlese (Ralph Dobrawa)

Man kann sich eines gewissen Schmunzelns nicht erwehren, wie sich öffentlich-rechtliche Sender und auch großbürgerliche Zeitungen geradezu überschlugen, an den Jubilar zu erinnern und ihn auch hinsichtlich seines Werkes in weiten Teilen zu preisen. Selbstverständlich kam man dabei nicht umhin, wichtige Feststellungen von Karl Marx für noch immer gültig zu erklären, allerdings stets begleitet von angeblichen Irrtümern und – wie kann es anders sein – auch der Hervorhebung menschlicher Schwächen. Ein bisschen Boulevard muss schon sein. Bei aller Lobpreisung fehlte fast nie der Hinweis, dass Marx‘ Ideen im 20. Jahrhundert missbraucht worden und letztlich gescheitert seien an diesem elenden Kapitalismus, den er so vortrefflich analysiert und dessen Ende er vorausgesagt habe und den es dummerweise immer noch gibt. Da wird auf Lenin, Mao, Castro, Ulbricht oder Honecker verwiesen. Alles Personen, die Marx‘ Lehre falsch verstanden, uminterpretiert und für ihre Zwecke benutzt haben sollen.

Nun sind es ausgerechnet auch noch die Chinesen, die seiner Geburtsstadt Trier eine überlebensgroße Statue spendieren. Inzwischen sind die Stadtväter fest entschlossen, das Geschenk nicht abzulehnen, und man macht sich schon Gedanken, wie man das Werk vor Graffiti schützen kann. Wäre ja nicht auszudenken, wenn einer auf den Gedanken käme, es mit Marx-Zitaten zu verzieren. Wie wäre es mit »Ein Gespenst geht um ...« oder »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern«, jene bedeutsame Erkenntnis, die manche der neuen Hausherren der Berliner Humboldt-Universität nach 1990 aus dem Foyer des Gebäudes gern entfernt gesehen hätten. Und dann wäre da noch »Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!«, was nicht nur in bestem Englisch auf Marx‘ Grabstein auf dem Londoner Highgate-Friedhof steht, sondern auch viele Jahre auf der Titelseite des Neuen Deutschland stand. Mit diesem »Vereinigen« hat die bürgerliche Welt der Gegenwart offenbar die wenigsten Probleme. Das alte Prinzip »Teile und herrsche« funktioniert immer noch und so lange es Harz IV gibt. Proletarier, wie Marx sie meinte, gibt‘s die eigentlich noch? Aber eine gewisse Angst wegen des nicht totzukriegenden Gespenstes des Kommunismus ist geblieben. Totgesagte leben bekanntlich länger.

Ich war gerade 14 Jahre alt als mir der Bruder meiner Großmutter, ein damals in meinem Heimatort geachteter Arbeiterveteran, den ersten Band des »Kaptial« schenkte, eine Ausgabe von 1949, die mit einer Widmung für seine Verdienste in der KPD versehen war. Ich war stolz darauf und staunte, dass er sich davon trennte. Erst später habe ich begriffen, worum es ihm ging: Er hatte Marx verstanden und auch in der Praxis angewandt, ich hatte das vor mir und sollte ihn zunächst verstehen lernen.

Viele Generationen folgten inzwischen Marx nach, sie griffen immer wieder nach seinen Texten, um die Welt und ihr Funktionieren besser zu verstehen. Auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo Marx 1841 promoviert worden war, ehrte ihn mit einem Symposium, obwohl ansonsten dort sein Werk kaum noch Bestandteil der Lehre sein dürfte.

Als wir in der DDR 1983 den 100. Todestag von Karl Marx feierlich begingen – es wurde sogar ein Heft mit Thesen zum Karl-Marx-Jahr herausgegeben – hörte man in der westlichen Welt einschließlich der damals noch kleineren Bundesrepublik relativ wenig von diesem Ereignis. So ändern sich die Zeiten und manche – mitunter auch unbewusst – mit ihnen.

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