Dienstag, 8. Mai 2018

Stellungnahme zu den Ereignissen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen

05.05.18
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Stellungnahme zu den Ereignissen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen
Pressemitteilung der Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, 4.5.2018
Zu den Ereignissen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen äußert sich der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg wir folgt:

Am Montag haben Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen die Abschiebung eines togoischen Geflüchteten verhindert. Der Mann sollte entsprechend der Dublin-Verordnung ohne inhaltliche Prüfung seines Asylantrages nach Italien überstellt werden, wo bekanntlich eine menschenwürdige Unterbringung und soziale Versorgung oftmals nicht gesichert ist und selbst anerkannte Flüchtlinge an den Bahnhöfen sitzen und um Weißbrot betteln müssen. Auch in anderen europäischen Staaten, etwa in Bulgarien oder Ungarn, finden Geflüchtete oft keine menschenwürdigen Lebensperspektiven vor, mitunter kommt es von dort aus zu rechtswidrigen Rücküberstellungen in nicht-EU-Staaten oder gar in die Herkunftsländer.
Der verzweifelte Versuch, sich dagegen aufzulehnen, und die Solidarisierung zwischen Menschen, die sich in der gleichen Lage befinden, wird von Scharfmachern in Polizei, Medien und Politik verteufelt, deren Interpretation der Ereignisse dem rassistischen Stereotyp des gewalttätigen, wilden, bedrohlichen „Schwarzafrikaners“ folgen und ein „wir“-gegen-„die Fremden“-Szenario aufbaut, in dem es darum geht, sich mit Stärke, Gewalt und Dominanz zu behaupten. Menschen, die aus Angst und Verzweiflung handeln, werden als Bedrohung dargestellt, die es mit demonstrativer Machtausübung kleinzukriegen gilt.
Die reflexartigen Reaktionen der üblichen Verdächtigen basierten zumindest in Teilen auf Behauptungen, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen. So gab es weder Angriffe auf Polizist*innen, noch wurden Waffen gehortet, noch wurden beim Großeinsatz am Donnerstag drei Polizist*innen verletzt, sondern nur einer, und das ohne Fremdeinwirkung.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden Menschen zunehmend ihrer Würde beraubt und mit Schikanen und Repressionen überzogen. Breite Empörung in der Öffentlichkeit herrscht aber nur, wenn sich jemand für einen kurzen Moment gegen sein fremdbestimmtes Schicksal auflehnt. Dann wird voller selbstgerechter Empörung auf den „bösen Fremden“ gezeigt.
Die Reaktion auf die Ereignisse in Ellwangen sagt weit mehr über den verrohten Zustand der deutschen Gesellschaft im Jahr 2018 aus als über das vermeintliche Wesen der routinemäßig zum homogenen Kollektiv konstruierten Geflüchteten. Wer dem Livestream der Pressekonferenz am Donnerstag bei Facebook folgte, sah einen Mikrokosmos des Zustands der aktuellen deutschen Gesellschaft: die Verantwortungsträger gaben ihre Sicht der Dinge wider, während in den Kommentaren daneben der Bürgermob sie dafür verhöhnte, nicht noch autoritärer durchzugreifen und sich bis hin zu Tötungsphantasien reinsteigerte. Es war wie eine Liveübertragung des Abdriftens einer Gesellschaft in die Barbarei.
Es ist schwierig, Forderungen nach einer Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit ernstzunehmen, wenn im gleichen Atemzug gefordert wird, alle Beteiligten als Strafe sofort abzuschieben, ihnen sämtliche Leistungen zu streichen, sie zu Zwangsarbeit zu verdonnern oder was auch sonst teilweise für kreativ-menschenverachtende Ideen die laufende Debatte schon hervorgebracht hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Beschwören des Rechtsstaats in diesem Fall nur ein Mittel ist, um die eigentliche Frage, nämlich der Sinnhaftigkeit und Zumutbarkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, zu umgehen und eine politische Frage zu entpolitisieren. Wenn es um rechtlich fragwürdige Praktiken seitens der Behörden gegenüber Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungne geht, bleibt der Aufschrei meist überschaubar. So wird es wohl auch sein, wenn die geplanten Anker-Zentren mit ihren effektiven Maßnahmen der Abschottung vielen Geflüchteten den Zugang zu rechtlicher Beratung und Beistand verwehren werden. Bereits jetzt wird unseren Kolleg*innen vom Bayerischen Flüchtlingsrat nicht erlaubt, in Seehofers modellhaften „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ in Bayern Menschen zu beraten und über ihre Rechte aufzuklären. In diesem Zusammenhang wird die Ausweitung rechtsfreier Räume in Erstaufnahmeeinrichtungen von den gleichen Personen bejubelt, die sich in Bezug auf die Ereignisse in Ellwangen darüber beklagt haben.
Das alles spielt in der Debatte um Ellwangen jedoch überhaupt keine Rolle.
Die derzeitige politische Kampagne stellt den widerlichen Versuch dar, Geflüchtete weiter zu kriminalisieren und sich ein „law-and-order-Image“ zu verschaffen in der verzweifelten Hoffnung, damit der AFD den Rang abzulaufen. Jetzt erst recht braucht es ein Bündnis aller Kräfte, die die Menschenrechte der betroffenen Geflüchteten ernst nehmen und verteidigen.
Was geschah in Ellwangen? taz 3/4.05.2018
Polizei und Politik sprechen von Angriffen, Gewalt und womöglich versteckten Waffen. Unsere Recherche zeigt: Kaum ein Vorwurf erhärtet sich.
BERLIN taz | Nachdem die Polizei am frühen Morgen ein Flüchtlingsheim im baden-württembergischen Ellwangen gestürmt hatte, kochte die Diskussion am Donnerstag hoch. Dass es überhaupt so weit gekommen sei, sei „ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Berlin.
Hunderte Polizisten, schwer bewaffnet und maskiert, darunter Spezialeinheiten, waren am Morgen um 5.15 Uhr zu einer Razzia in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen eingerückt. Dort sind derzeit etwa 500 AsylbewerberInnen untergebracht. Sie suchten einen Togoer, der abgeschoben werden sollte. Die Aktion war eine Reaktion darauf, dass Bewohner des Heimes am Montag Polizisten vertrieben hatten, die den abgelehnten Asylbewerber abschieben sollten.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dankte am Donnerstag nach der Razzia der Polizei, die „mit der erforderlichen Konsequenz und Härte reagiert hat“. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte, ein Flüchtling, der einen Polizisten angreife, dürfte „keine Stunde mehr in Freiheit sein, bis er zurück in seinem Herkunftsland ist“. Selbst der Deutschland-Repräsentant des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Dominik Bartsch, sagte, er „verurteile den Angriff auf die Polizisten scharf“. Eine Abschiebung rechtfertige „keinen aggressiven Widerstand“ und „erst recht keine Gewalt“. Doch ob das, was in Ellwangen geschah, „Angriff“ und „Gewalt“ zu nennen ist, ist zweifelhaft.
Die Geschichte nahm ihren Anfang am Montag um 2.30 Uhr in der Nacht. Vier Beamte waren in die LEA gekommen, um einen 23-jährigen Togoer abzuholen. Er sollte nach Italien abgeschoben werden. Etwa 150 Bewohner der Einrichtung bedrängten die Beamten so sehr, dass diese den Togoer wieder laufen ließen und sich zurückzogen.
Auch Nötigung gilt als Form der Gewalt
Zwei Tage später, am Mittwoch, veröffentlichte das zuständige Polizeipräsidium Aalen eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Abschiebung aus der LEA mit Gewalt verhindert“. Im Text selbst war dann lediglich von „aggressivem“ und „drohendem Verhalten“ die Rede. Durch „Schlagen mit den Fäusten auf die zwei Streifenwagen“ sei „ein Dienstfahrzeug beschädigt worden“.
Dass bei dem Vorfall am Montag „Polizisten persönlich attackiert worden seien, solche Berichte kenne ich nicht“, sagt der migrationspolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Daniel Lede Abal, der taz am Donnerstag. Die Beamten hätten die Situation „als bedrohlich empfunden“, sagte Lede Abal, die Lage sei „aufgeheizt“ gewesen. Es sei eine „kluge Entscheidung“ gewesen, den Einsatz abzubrechen, um zu „deeskalieren“. Doch: „Aus juristischer Sicht ist Nötigung auch eine Form von Gewalt.“
SPRECHER POLIZEIPRÄSIDIUM AALEN
Der Polizeibeamte sei „nicht durch Dritte, ohne Fremdeinwirkung“ verletzt worden
Die Polizei vermochte auf Anfrage der taz den Schaden an den Streifenwagen nicht zu beziffern. Dieser sei „jetzt nicht so immens“ gewesen, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Aalen. Es habe eine „Eindellung“ gegeben.
Doch machte der Vorfall am Montag die Runde. Der Staat fühlte sich offenbar herausgefordert. Am Mittwoch sagte der baden-württembergische CDU-Innenpolitiker Armin Schuster: „In unserem Rechtsstaat gibt es eindeutige rote Linien, die mittlerweile beinahe täglich von Asylbewerbern vorsätzlich überschritten werden.“ Das „Entschuldigen solcher Entgleisungen ist jetzt völlig fehl am Platz“. Er fordere „mehr spürbare Härte“.
Zwei Bewohner sprangen angeblich aus dem Fenster
Und so kam es auch: Donnerstagfrüh rückten die Spezialeinheiten an. Sie nahmen den gesuchten Togoer fest, kontrollierten 292 Bewohner der Einrichtung, leiteten zwölf Ermittlungsverfahren ein und beschlagnahmten bei 18 Personen „erhöhte Bargeldbestände, die über der Selbstbehaltsgrenze von 350 Euro lagen“.
Elf Bewohner wurden nach Polizeiangaben bei der Aktion verletzt. Zwei seien aus dem Fenster gesprungen. Die Übrigen hätten „Widerstand geleistet“, der „gebrochen werden musste“, so ein Polizeisprecher zur taz.
Die dpa schrieb um 8:24 Uhr, es seien „drei Polizeibeamte leicht verletzt“ worden. Auf Nachfrage der taz erklärte die zuständige dpa-Redakteurin, die Information sei „nicht von der Polizei“, aber „aus Polizeikreisen“ gekommen. Dies war der Stand, den die Öffentlichkeit kannte, als Seehofer am Vormittag seine länger geplante Pressekonferenz gab. Mit Verweis auf den Vorfall in Ellwangen zog er kräftig vom Leder und kündigte eine härtere Gangart gegen Flüchtlinge an.
Am Mittag dann sagte ein Sprecher der Polizei Aalen der taz, es sei lediglich ein Beamter „verletzt“ worden. Was dem genau passiert sei, sagte er nicht. Nur so viel: Dies sei „nicht durch Dritte, ohne Fremdeinwirkung“ geschehen. Von dem Vorwurf der „Angriffe“ und „Gewalt“ war nicht mehr viel übrig.
Echte Waffen wurden nicht gefunden
Offenbar um die Massivität des Einsatzes zu rechtfertigen, hatte die Polizei, während dieser lief, erklärt, auch nach Waffen zu suchen. Es habe bei der „aggressiven Ansammlung“ in der Nacht zum Montag „ernst zu nehmende Aussagen“ gegeben, dass man „sich durch Bewaffnung auf die nächste Polizeiaktion vorbereiten wolle“.
Ein Sprecher der Polizei Aalen sagte der taz, er könne nicht genau sagen, wie der Verdacht auf Waffenhortung entstanden sei. Er sprach von „Mosaiksteinen“ und erwähnte „andere Sicherheitsdienste“, sagte dann aber, er könne nicht bestätigen, dass der private Sicherheitsdienst in der Einrichtung entsprechende Äußerungen gehört und die Polizei darüber informiert habe.
Gefunden worden seien jedenfalls „keine Waffen im technischen und nicht-technischen Sinne“. Was das bedeute? „Gefunden wurden Gegenstände des täglichen Lebens, die auch als Schlagwerkzeuge eingesetzt werden können“, so der Sprecher. Die Äußerung von Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas Strobl, es „steht im Raum, dass künftige Abschiebungen auch unter dem Einsatz von Waffengewalt durch widerständige Flüchtlinge verhindert werden sollen“, war da allerdings längst von mindestens acht überregionalen Medien verbreitet worden. „Flüchtlinge wollten sich bewaffnen“, berichtete etwa die Welt.
Die Vorfälle werfen die grundsätzliche Frage auf, ob es eine gute Idee ist, Asylbewerber künftig dauerhaft in großen Lagern zu kasernieren, wie Bundesinnenminister Seehofer es in den geplanten Ankerzentren will. Die Grünen in Baden-Württemberg lehnen dies ab. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Lede Abal sagt, Baden-Württemberg habe gute Erfahrungen mit kleineren Einrichtungen gemacht, die eine „steuerbare Größe“ hätten. Dort habe das Land unabhängige Sozial- und Verfahrensberatungen eingerichtet und „Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung“ gefördert. „All dies finden wir in den Ankerzentren nicht wieder“, so Lede Abal. „Das kann für uns kein sinnvoller Weg sein.“
Update 4.05., 9 Uhr: In einer früheren Version des Textes stand, die dpa habe geschrieben, es seien „einige Polizeibeamte“ verletzt worden. Tatsächlich hatte sie geschrieben, es waren „drei“ Polizeibeamte. Die dpa-Redaktion wies uns darauf hin, dass in ihrer Meldung auch erwähnt wurde, dass mehrere Flüchtlinge verletzt worden seien.

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