Samstag, 8. Juli 2017

Beerdigung 1. Klasse (Angelika Kettelhack)


»In Zeiten des abnehmenden Lichts« ist ein anrührender und zugleich trauriger Film, weil er als Parabel auf das Ende der DDR ein Abgesang auf sozialistische Utopien ist. Mit anderen Worten: eine Beerdigung. Allerdings eine Beerdigung 1. Klasse, erzählt von dem 86-jährigen Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der lebenden DEFA-Legende. Er hat Eugen Ruges Erfolgsroman von 2011 in dreieinhalbjähriger Arbeit radikal verdichtet und ist dabei mancher kleinlich und hämisch anmutenden Schilderung des DDR-Alltags mit Humor begegnet.

Einen großen Anteil am Gelingen der 1.-Klasse-Beerdigung haben auch die von Regisseur Matti Geschonneck ausgewählten Schauspieler, die er für seine teils böse, teils der Realität entsprechende Parodie einsetzte. Ihr Spiel soll auf einen einzigen Tag fokussiert sein – nämlich den 90. Geburtstag des Altkommunisten Wilhelm Powileit. Als Darsteller sollen sie aber gleichzeitig trotz aller Verdichtung eine Zeitspanne von 1952 bis 1989 in ihre Vorstellungskraft mit einbeziehen, das heißt, sie sollen die Zeit von Powileits Rückkehr aus dem mexikanischen Exil bis zum Untergang der DDR als Hintergrundgeschichte im Sinn behalten. Auf diese Weise ist mit dem Film eine spezifische Sicht auf das Wunschdenken und das Engagement der DDR-Gesellschaft gelungen, eine Sicht auf drei Generationen mit völlig unterschiedlichen Lebenswegen und unterschiedlichen Prägungen.

Am 1. Oktober, also sechs Tage bevor die DDR den 40. Jahrestag ihrer Gründung feiert, nimmt Wilhelm Powileit in seiner Villa die gewohnte Geburtstags-Parade ab: Wie jedes Jahr marschieren Verwandte und Genossen auf. Sie gratulieren mit Blumensträußen (die in der DDR nicht gerade einfach zu besorgen waren) und mit wohlfeilen Lobreden, um dann das üppige Buffet zu genießen. Bruno Ganz spielt die Rolle des hochdekorierten SED-Parteimitglieds gekonnt mit einer leisen Verschmitztheit. Als Powileit versucht er immer wieder, seine Herkunft aus der Arbeiterklasse zu betonen, um dann generös und unsensibel alle Blumengeschenke zurückzuweisen mit dem stereotypen Satz: »Bring das Gemüse zum Friedhof.«

Seine Frau Charlotte, die den früheren Komintern-Agenten an Bildung und Tatkraft weit übertrifft, wird von Hildegard Schmahl hervorragend verkörpert. Jede Schmähung und Verteufelung, die ihr Gatte der Hausgehilfin Lisbeth (Gabriela Maria Schmeide) zuraunt, wie etwa: »Wenn ich mal tot bin, hat sie mich vergiftet!«, erträgt Charlotte Powileit mit Grandezza, aber auch mit versteckter Erbitterung. Sie sehnt sich zurück nach der gemeinsamen Exilzeit, der Flucht vor den Nazis nach Mexiko. Ihr Refugium, um den altersstarrsinnigen Despoten zu meiden, ist die Veranda der Villa, die sie zu einem exotischen Gewächshaus umgestaltet hat.

Ihr Sohn, Kurt Umnitzer, den Charlotte in die Ehe mit Powileit einbrachte, hat eine kommunistische Nachkriegsbiographie durchlebt: Exil in Moskau, Lagerhaft in Sibirien, in der sein Bruder ums Leben kam. Später dann die hoffnungsfrohe Rückkehr in die neu gegründete Deutsche Demokratische Republik. Sylvester Groth übertrifft in der Rolle des Sohnes seine bisherigen, immer schon überzeugenden schauspielerischen Leistungen noch bei weitem. Er gibt den zunächst linientreuen und angepassten Professor für Geschichte der Arbeiterbewegung, der langsam innerhalb der Hochschulroutine verschlissen wird und insgeheim das System für nicht mehr reformierbar hält.

In dieser Haltung der inneren Emigration ist Kurt Umnitzer seinem Sohn Sascha (Alexander Fehling) gar nicht so unähnlich. Als der sagt: »Wenn es kein Brot gibt, kann man Kartoffeln essen. Aber wenn es keine neuen Ideen mehr gibt, kann man nur noch aufgeben.« Diesem letzten Satz vor Saschas Republikflucht weiß der Vater nichts mehr entgegenzusetzen. Doch kaum zwei Jahre später, 1991, wird Sascha bei der Beerdigung seiner aus Russland stammenden Mutter Irina Petrowna, die als chronische Trinkerin von Evgenia Dodina grandios gespielt wird, in deren Heimatdorf Slawa wieder zur Familie zurückfinden. Einer Familie, die im Film von Anfang an abwechselnd Deutsch und Russisch sprach. In der aber die Russin immer die Einzige blieb, die es wagte, Wahrheiten auszusprechen.

Am Ende des Films bleibt Kohlhaases Frage »Haben wir alles verdorben?« unbeantwortet. Im Gespräch aber wollte er diese Frage noch erweitert sehen: Entgleitet uns allen heute langsam die Kontrolle – in Zeiten des abnehmenden Lichts, wie die russischen Bauern in Slawa die letzten schönen Tage vor dem langen Winter zu nennen pflegten?

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