Mittwoch, 18. Januar 2017

Österreich – Rechtsradikaler FPÖ-Bundespräsident abgewendet – als Nächstes ein FPÖ-Bundeskanzler?

Am 4. Dezember 2016 ging der längste Wahlkampf in der Geschichte Österreichs zu Ende. Der ehemalige Vorsitzende der Grünen, Van der Bellen, erhielt 53,8%, FPÖ-Kandidat Hofer 46,2% der Stimmen bei der Direktwahl zum österreichischen Bundespräsidenten. Die Wahlbeteiligung betrug 74,2%. Nachdem im ersten Wahlgang im April 2016 kein Bewerber die notwendige Mehrheit erreicht hatte, gab es im Mai 2016 die erste Stichwahl, bei der Van der Bellen mit knapper Mehrheit von 50,35% gewann. Diese Wahl wurde von der FPÖ angefochten und vom Verfassungsgericht wegen Verfahrensmängeln annulliert. Der nächste Wahltermin im Oktober musste wegen technischer Pannen mit den Briefumschlägen auf Dezember verschoben werden.
Dass Van der Bellen zwischen Mai und Dezember 2016 noch weitere Wählerinnen und Wähler gewinnen konnte, dürfte nicht zuletzt an der positiven Wahlempfehlung des ÖVP-Vorsitzenden und derzeitigen Vizekanzlers Mitterlehner für Van der Bellen gelegen haben.
Van der Bellen wurde de facto von einem Stimmungsbündnis „Hofer verhindern / Van der Bellen wählen“ neben grüner Wählerschaft von großen Teilen der SPÖ-Wählerschaft und Teilen der ÖVP-Wählerschaft (die konservative ÖVP entspricht in etwa der CDU, die SPÖ der SPD in Deutschland) zur Mehrheit gebracht. Der FPÖ-Kandidat Hofer dagegen wurde von entschiedenen Anhängern gewählt. (Die FPÖ entspricht nicht der FDP in Deutschland, sondern hat seit ihrer Gründung Mitte der 1950er Jahre neben nationalliberalen auch groß-deutschnationalen und Altnazi-Anhang in Österreich gesammelt). Der Anteil weiblicher WählerInnen war in der Wählerschaft Van der Bellens deutlich höher als in der Hofers. Die Spaltung, die in diesem Wahlergebnis zum Ausdruck kommt ist auch eine zwischen urbaner Gesellschaft (Van der Bellen) und ländlichem Raum (Hofer) in Österreich.
Das für die weitere Parteienentwicklung in Österreich einschneidende Ergebnis sind die 46,2% für FPÖ-Hofer. Das drückt sich auch in den Umfragewerten für die Parteien aus.
Bei den Nationalratswahlen (entspricht den Bundestagswahlen) im Herbst 2013 erhielten: SPÖ: 26,8%, ÖVP 24%, Grüne 12,4% und die FPÖ bereits 20,5%. Inzwischen sehen die Umfragen (verschiedener Institute vor den Bundespräsidentenwahlen) die FPÖ zwischen 33 und 35%, also als stärkste Partei, die SPÖ zwischen 25 und 28%, die ÖVP zwischen 18 und 21% und die Grünen um die 12%.
Daher hat selbstverständlich Heinz-Christian Strache, Partei- sowie Fraktionsvorsitzender und Oberhetzer der FPÖ (der „Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten … macht mittelfristig einen Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich.“ – Strache) seine Ambitionen auf das Kanzleramt nicht aufgegeben. Die Bereitschaft von ÖVP und SPÖ vorausgesetzt, „zur Not“ eine Regierungskoalition mit der FPÖ unter FPÖ-Führung einzugehen, wäre ein solches Desaster nach gegenwärtigem Stand der Dinge nur durch eine noch größere große Koalition von SPÖ, ÖVP und Grünen zu verhindern.
Im Herbst 2018 finden spätestens die nächsten Nationalratswahlen statt. Bis dahin stehen auch noch vier Landtagswahlen aus. Am 1.7.2018 übernimmt Österreich den Vorsitz im EU-Ministerrat. Aus unterschiedlichen Gründen (Streit in der großen SPÖ/ÖVP-Koalition, Druck der FPÖ, Hoffnung auf positive Effekte durch zeitliche Verbindung Landtags- und Nationalratswahlen) könnte es auch bereits im Frühjahr 2017 zu vorgezogenen Neuwahlen zum Nationalrat kommen.
Es bleibt also zu hoffen, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen nicht kommt, und dass insbesondere SPÖ und Grüne, aber auch ÖVP positive Impulse aus dem Wahlergebnis für Van der Bellen für die Auseinandersetzung mit dem radikalisierten Nationalkonservatismus der FPÖ ziehen können.
Christoph Cornides, Mannheim

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